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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Hexe und der Weltkrieg

Dass eine Hexe in einen Krieg ver­wickelt wird, war die Idee der eng­li­schen Schrift­stel­le­rin Stel­la Ben­son (1892 bis 1933), aus­ge­führt in ihrem Roman »Zau­ber­haf­te Aus­sich­ten«. Frei­lich konn­ten weder sie noch ihre Hexe Ange­la ahnen, dass die­ser einst der »Erste« genannt wer­den wür­de. Die Mit­her­aus­ge­be­rin Mag­da Birk­mann erin­nert, unter Rekurs auf Vir­gi­nia Woolf, in ihrem Nach­wort dar­an, dass Kriegs­li­te­ra­tur von Bedeu­tung noch bis ans Ende des 20. Jahr­hun­derts als »männ­lich defi­niert wur­de«. Dabei kann der weib­li­che Blick auf Krieg und des­sen Aus­wir­kun­gen die Per­spek­ti­ven gewäl­tig ändern. Man lese ein­mal statt Jün­ger, Renn oder Remar­que den Roman »Die Kat­rin wird Sol­dat« von Adri­en­ne Tho­mas, der den Wahn­sinn des Krie­ges aus der Sicht einer jun­gen Frau dar­stellt. Doch auch hier wird der Krieg noch so geschil­dert, wie man es »gewohnt« sein mag.

Stel­la Ben­son bie­tet eine gänz­lich ande­re Sicht. Ihr Roman »Zau­ber­haf­te Aus­sich­ten« wur­de im Wort­sinn neu ent­deckt und vom Rowohlt Ver­lag in deut­scher Über­set­zung zugäng­lich gemacht. Denn Stel­la Ben­son, obwohl von Kol­le­gin­nen wie Kathe­ri­ne Mans­field oder Vir­gi­nia Woolf geschätzt und durch­aus erfolg­reich als Schrift­stel­le­rin, gehört heu­te zu Ver­ges­se­nen. Einen ihrer Roma­ne wie­der zugäng­lich zu machen, ist eine lobens­wer­te Unter­neh­mung des Rowohlt Ver­la­ges, und da »Living alo­ne« (so der eng­li­sche Ori­gi­nal­ti­tel) 1919 erschien, weht viel­leicht wie­der ein Hauch jenes Ent­decker­geists durchs Haus Rowohlt, das einst jun­gen Expres­sio­ni­sten eine Hei­mat bot.

Sarah Brown, eine jun­ge Frau, wirkt in einer Lon­do­ner Wohl­fahrts­or­ga­ni­sa­ti­on mit. Allein eine von Stel­la Ben­son geschil­der­te Komi­tee-Sit­zung wäre Komö­die genug. Aber es platzt auch noch eine Hexe hin­ein, womit ein hin­ter­sin­ni­ges Pos­sen­spiel beginnt. Denn Hexe Ange­la macht einen locken­den und zugleich ver­häng­nis­vol­len Vor­schlag: Sie lädt Sarah Brown ein, künf­tig in ihrem »Haus Allein­le­ben« auf der »Fäust­lings­in­sel« in der Them­se zu leben. Das »Allein­le­ben« von Frau­en rückt Ben­son ein wei­te­res Mal in die Nähe Vir­gi­nia Woolfs, die einst in ihrem Essay »Ein eige­nes Zim­mer« for­der­te: »Eine Frau braucht Geld und eige­nes Zim­mer, wenn sie Lite­ra­tur schrei­ben soll.«

Sarah wird durch ihren Umzug hin­ein­ge­zo­gen in einen Hexen­tanz, über dem immer der dro­hen­de Kriegs­schat­ten liegt. Luft­an­grif­fe wer­den von »unten«, also in den Schutz­räu­men, erlebt. Und dann von »oben«, wo ein »Luft­kampf« über Lon­don zwi­schen einer deut­schen Hexe und der eng­li­schen Hexe, bei­de auf Besen rei­tend, beschrie­ben wird. Man könn­te dies als aber­wit­zig abtun, gäbe es dort nicht eine in einer magi­schen Spra­che geführ­te Kon­ver­sa­ti­on – denn natür­lich beherrscht kei­ne die Mut­ter­spra­che der ande­ren –, die in ihrer Aggres­si­vi­tät an heu­ti­ge Kriegs­rhe­to­rik erin­nert: Die deut­sche Hexe: »Ich wür­de kei­ner mei­ner Trä­nen erlau­ben, auf auch nur ein Wei­zen­korn in die­sem Ihrem ver­fluch­ten Land zu fal­len, um es zu wässern.«

Die selt­sa­men Erschei­nun­gen in den Wol­ken rufen einen Poli­zi­sten auf den Plan, den die Autorin so schlimm spre­chen lässt, dass man ihn unmög­lich ernst neh­men kann, zumal er noch von magi­schen Mücken geplagt wird. Die­se Spra­che ist ein Mei­ster­stück der Über­set­ze­rin, denn so ein Kau­der­welsch muss erst ein­mal erfun­den wer­den: »Die­se Par­tei wird eines Ver­ge­hens gegen das Gesetz zur Ver­tei­dschung des Rei­sches beschuldscht (…), und zwar eine Flug­ma­schi­ne zu besitzen …«

Aber ent­schei­dend für die star­ke Wir­kung des Romans sind wohl Pas­sa­gen wie jene, wo gefragt wird, ob es wohl Gutes stif­te, im Kampf gegen »Das Böse« Bom­ben auf Men­schen abzu­wer­fen. Denn schließ­lich sei in sei­nem Bett­chen jedes Baby artig, und sogar die Sol­da­ten sei­en anti­mi­li­ta­ri­stisch, wenn sie auf Urlaub sind. So etwas klingt ver­blüf­fend ein­fach, aber es ist wohl auch typisch für weib­li­ches Emp­fin­den des Krie­ges. In unse­rer von Krie­gen und Kriegs­ge­schrei erfüll­ten Zeit wäre es gut, auf sol­che Stim­men zu hören. Denn die Ant­wort auf die­se Fra­ge, gege­ben von der deut­schen Hexe, lau­tet, dass es Gutes stif­te, Unge­zie­fer in sei­nem Schlupf­win­kel zu ver­nich­ten. Sol­che Rede­wei­se, obwohl gehal­ten in einem Buch, das vor mehr als hun­dert Jah­ren geschrie­ben wur­de, kommt einem sehr gegen­wär­tig vor. Und dies sind eben kei­ne zau­ber­haf­ten Aus­sich­ten.

Stel­la Ben­son, Zau­ber­haf­te Aus­sich­ten. Roman. Aus dem Eng­li­schen von Marie Isa­bel Matthews-Schlin­zig. Her­aus­ge­ge­ben von Mag­da Birk­mann und Nico­le Sei­fert, Rowohlt Taschen­buch Ver­lag 2024, 224 S., 15 €.