Dass eine Hexe in einen Krieg verwickelt wird, war die Idee der englischen Schriftstellerin Stella Benson (1892 bis 1933), ausgeführt in ihrem Roman »Zauberhafte Aussichten«. Freilich konnten weder sie noch ihre Hexe Angela ahnen, dass dieser einst der »Erste« genannt werden würde. Die Mitherausgeberin Magda Birkmann erinnert, unter Rekurs auf Virginia Woolf, in ihrem Nachwort daran, dass Kriegsliteratur von Bedeutung noch bis ans Ende des 20. Jahrhunderts als »männlich definiert wurde«. Dabei kann der weibliche Blick auf Krieg und dessen Auswirkungen die Perspektiven gewältig ändern. Man lese einmal statt Jünger, Renn oder Remarque den Roman »Die Katrin wird Soldat« von Adrienne Thomas, der den Wahnsinn des Krieges aus der Sicht einer jungen Frau darstellt. Doch auch hier wird der Krieg noch so geschildert, wie man es »gewohnt« sein mag.
Stella Benson bietet eine gänzlich andere Sicht. Ihr Roman »Zauberhafte Aussichten« wurde im Wortsinn neu entdeckt und vom Rowohlt Verlag in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht. Denn Stella Benson, obwohl von Kolleginnen wie Katherine Mansfield oder Virginia Woolf geschätzt und durchaus erfolgreich als Schriftstellerin, gehört heute zu Vergessenen. Einen ihrer Romane wieder zugänglich zu machen, ist eine lobenswerte Unternehmung des Rowohlt Verlages, und da »Living alone« (so der englische Originaltitel) 1919 erschien, weht vielleicht wieder ein Hauch jenes Entdeckergeists durchs Haus Rowohlt, das einst jungen Expressionisten eine Heimat bot.
Sarah Brown, eine junge Frau, wirkt in einer Londoner Wohlfahrtsorganisation mit. Allein eine von Stella Benson geschilderte Komitee-Sitzung wäre Komödie genug. Aber es platzt auch noch eine Hexe hinein, womit ein hintersinniges Possenspiel beginnt. Denn Hexe Angela macht einen lockenden und zugleich verhängnisvollen Vorschlag: Sie lädt Sarah Brown ein, künftig in ihrem »Haus Alleinleben« auf der »Fäustlingsinsel« in der Themse zu leben. Das »Alleinleben« von Frauen rückt Benson ein weiteres Mal in die Nähe Virginia Woolfs, die einst in ihrem Essay »Ein eigenes Zimmer« forderte: »Eine Frau braucht Geld und eigenes Zimmer, wenn sie Literatur schreiben soll.«
Sarah wird durch ihren Umzug hineingezogen in einen Hexentanz, über dem immer der drohende Kriegsschatten liegt. Luftangriffe werden von »unten«, also in den Schutzräumen, erlebt. Und dann von »oben«, wo ein »Luftkampf« über London zwischen einer deutschen Hexe und der englischen Hexe, beide auf Besen reitend, beschrieben wird. Man könnte dies als aberwitzig abtun, gäbe es dort nicht eine in einer magischen Sprache geführte Konversation – denn natürlich beherrscht keine die Muttersprache der anderen –, die in ihrer Aggressivität an heutige Kriegsrhetorik erinnert: Die deutsche Hexe: »Ich würde keiner meiner Tränen erlauben, auf auch nur ein Weizenkorn in diesem Ihrem verfluchten Land zu fallen, um es zu wässern.«
Die seltsamen Erscheinungen in den Wolken rufen einen Polizisten auf den Plan, den die Autorin so schlimm sprechen lässt, dass man ihn unmöglich ernst nehmen kann, zumal er noch von magischen Mücken geplagt wird. Diese Sprache ist ein Meisterstück der Übersetzerin, denn so ein Kauderwelsch muss erst einmal erfunden werden: »Diese Partei wird eines Vergehens gegen das Gesetz zur Verteidschung des Reisches beschuldscht (…), und zwar eine Flugmaschine zu besitzen …«
Aber entscheidend für die starke Wirkung des Romans sind wohl Passagen wie jene, wo gefragt wird, ob es wohl Gutes stifte, im Kampf gegen »Das Böse« Bomben auf Menschen abzuwerfen. Denn schließlich sei in seinem Bettchen jedes Baby artig, und sogar die Soldaten seien antimilitaristisch, wenn sie auf Urlaub sind. So etwas klingt verblüffend einfach, aber es ist wohl auch typisch für weibliches Empfinden des Krieges. In unserer von Kriegen und Kriegsgeschrei erfüllten Zeit wäre es gut, auf solche Stimmen zu hören. Denn die Antwort auf diese Frage, gegeben von der deutschen Hexe, lautet, dass es Gutes stifte, Ungeziefer in seinem Schlupfwinkel zu vernichten. Solche Redeweise, obwohl gehalten in einem Buch, das vor mehr als hundert Jahren geschrieben wurde, kommt einem sehr gegenwärtig vor. Und dies sind eben keine zauberhaften Aussichten.
Stella Benson, Zauberhafte Aussichten. Roman. Aus dem Englischen von Marie Isabel Matthews-Schlinzig. Herausgegeben von Magda Birkmann und Nicole Seifert, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2024, 224 S., 15 €.