Wer hat schon gern in seinem Hinterhof Bewohner, die sich nicht an die Hausordnung halten? Niemand, auch nicht die USA. Schließlich ist Südamerika seit fast zwei Jahrhunderten, genauer seit 1823, der »Hinterhof der USA«. Damals verkündete der US-Präsident James Monroe den Anspruch auf die Hegemonie der USA auf dem gesamten amerikanischen Kontinent. Einer seiner Nachfolger, Präsident Theodore Roosevelt, präzisierte 1904 mit Blick auf Lateinamerika die Monroe-Doktrin ganz offiziell um ein Interventionsgebot. Wörtlich erklärte er am 6. Dezember 1904 in seiner Jahresbotschaft an den Kongress: »Fortgesetztes Unrecht kann in Amerika oder anderswo schließlich das Eingreifen einer zivilisierten Nation erfordern, und in der westlichen Hemisphäre werden die Vereinigten Staaten, da sie auf dem Boden der Monroe-Doktrin stehen, dazu gezwungen sein, in Fällen, in denen eine Regierung solches offensichtliche Unrecht begeht oder nicht imstande ist, es abzustellen, die Rolle einer internationalen Polizei – wenn auch noch so widerstrebend – zu spielen.« Erfolgreich, wenn auch »widerstrebend« erfüllten die USA diese Rolle mit offenen Militärinterventionen oder Unterstützung rechter Putschisten nach 1945 in Kolumbien, Paraguay, Kuba, Brasilien, der Dominikanischen Republik, Uruguay, Chile, Argentinien, El Salvador, Nicaragua, Peru, Venezuela, Bolivien, Honduras.
Ungeachtet dieser abschreckenden Ereignisse erdreistete sich Hugo Rafael Chávez Frías, nachdem er am 6. Dezember 1998 zum Präsidenten Venezuelas gewählt worden war, die Bolivarische Revolution auszurufen. Das Land bekam eine neue Verfassung, die Erdölfirma Petróleos de Venezuela (PDVSA) wurde unter staatliche Kontrolle gestellt, zahlreiche Unternehmen wurden verstaatlicht, Sozialprogramme verkündet und verwirklicht, Ländereien umverteilt und Kooperativen gegründet, Sozialprogramme linderten die Not der Armen. Kurz vor seinem Tod, Chávez verstarb am 5. März 2013, hatte er eingeschätzt, dass Venezuela noch immer ein kapitalistisches Land sei. Notwendig sei es, den Aufbau des Sozialismus so voranzutreiben, dass ein Rückfall nicht mehr möglich sei.
Es ist nur allzu verständlich, dass in Washington die Anhänger der Monroe-Doktrin die Entwicklung in Venezuela nicht nur argwöhnisch, sondern voller Hass verfolgten. Entgegenkam ihnen, dass der von Chávez geforderte Aufbau des Sozialismus unter seinem Nachfolger Nicolás Maduro nicht vorankam. Im Gegenteil, die Wirtschaft wurde weiterhin nicht diversifiziert, die Abhängigkeit vom Erdölexport und damit von den Weltmarktpreisen setzte sich fort. Die Landwirtschaft blieb unterentwickelt. Die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten wuchs. Eine Hyperinflation erschüttert das Land.
Das war der Zeitpunkt, an dem die USA-Administration zum Generalangriff blies und mit Juan Guaidó einen rhetorisch begabten Erfüllungsgehilfen ins Rennen schickte, der sich alsbald selbst zum Interimspräsidenten ausrief. Dabei hatte Washington mit relativ kleinen Sanktionsschritten angefangen. Noch unter dem Friedensnobelpreisträger Obama wurden die ersten Sanktionen verhängt. Mit dem Präsidialdekret 13692 erklärte dieser Venezuela im März 2015 zur »außergewöhnlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit und Außenpolitik der Vereinigten Staaten«. Die Bedrohung war offensichtlich so groß, dass unter Trump eine Sanktion die andere jagte. Sie reichten vom Einfrieren des Vermögens hoher Staatsfunktionäre bis zum strikten Verbot des Handels mit Staatsanleihen Venezuelas.
Alle US- und die nicht ausgebliebenen EU-Sanktionen verfolgen das Ziel, der Wirtschaft und damit den Bürgern Venezuelas einen möglichst großen Schaden zuzufügen. Ihren Höhepunkt erreichten sie, als der US-Präsident verfügte, dass weiterhin Erdöl aus Venezuela importiert werden kann, die Bezahlung jedoch ausschließlich auf Sperrkonten erfolgen dürfe. Bereits Ende Januar hatte die US-Regierung die Konten der Staatlichen Erdölfirma PDVSA im Wert von sieben Milliarden US-Dollar gesperrt. Zugang zu diesem wie zu allen Sperrkonten soll künftig ausschließlich der selbsternannte Interimspräsident und Oppositionsführer von Washingtons Gnaden, Guaidó, erhalten. Eine derartig räuberische Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates hat es, abgesehen von Kriegen, bisher nicht gegeben. Aber was soll’s? Schließlich geht es um die Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte in Venezuela. Und weil Washington ausschließlich dieses edle Ziel verfolgt, hat Trump im Februar zehn Lastwagen mit Lebensmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln (und wer weiß was noch) an die kolumbianisch-venezolanische Grenze entsandt. In seiner Güte hat er sich wohl gesagt, wenn ich dem venezolanischen Volk schon viele Milliarden Dollar vorenthalte, dann will ich ihm wenigstens ein paar »Hilfsgüter« schenken.
Doch das »Geschenk« war nicht willkommen. Auf Weisung der Regierung in Caracas wurden die Lastwagen bekanntlich an der Grenze gestoppt. In ihrem berechtigten Zorn ließ die US-Regierung mittels einer »elektrischen Sabotage«, so Präsident Maduro, das venezolanische Stromnetz zusammenbrechen, wodurch das Land über mehrere Tage mit katastrophalen Folgen ohne Strom blieb. Die Regierung von Maduro hatte in der »Hilfslieferung« keine humane Geste, sondern ein politisches Danaergeschenk gesehen. Außerdem befürchtete sie, dass mit den US-»Hilfslieferungen« auch Waffen für die Opposition geschmuggelt werden könnten. Das wäre nichts Neues. Bereits 1986 hatten die USA mit »Hilfslieferungen« Waffen für die Todesschwadronen der Contras nach Nicaragua gebracht. Elliott Abrams war es, der damals die versteckten Waffenlieferungen anordnete. Heutzutage ist er, was für ein Zufall, der US-Sonderbeauftragte für Venezuela. Aber wer einmal lügt und täuscht, dem glaubt man nicht. Oder doch? Wiederholt hat Abrams auf Fragen von Journalisten, ob eine militärische Intervention der USA in Venezuela geplant sei, erklärt: »Alle Optionen liegen auf dem Tisch.« Da er hier seinen Präsidenten zitiert, lügt er wohl nicht. Beruhigend ist das keinesfalls.