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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die größte Nacht der Pop-Musik

Die größ­ten Pop­stars der USA der 1980er Jah­re alle zusam­men in einem Ton­stu­dio? Das gab es tat­säch­lich am 28. Janu­ar 1985, vor 40 Jah­ren, als 47 berühm­te Musi­ker zusam­men im A&M Stu­dio in Los Ange­les den Song »We Are The World« auf­nah­men, um damit Geld für die Hun­gern­den in Afri­ka zu sam­meln. Um nur die bekann­te­sten Namen der Betei­lig­ten zu nen­nen: Har­ry Bela­fon­te, Ray Charles, Bob Dylan, Micha­el Jack­son, Bil­ly Joel, Cyn­di Lau­per, Huey Lewis, Wil­lie Nel­son, Lio­nel Richie, Smo­key Robin­son, Ken­ny Rogers, Dia­na Ross, Bruce Springsteen, Paul Simon, Tina Tur­ner, Dion­ne War­wick und Stevie Wonder.

Auf Net­flix ist die inter­es­san­te Doku­men­ta­ti­on »The Grea­test Night in Pop« von Regis­seur Bao Nguy­en zu sehen, die das Gesche­hen haut­nah ein­fängt und meh­re­re Betei­lig­te dar­über erzäh­len lässt: Und alle sind des Lobes voll! Die »größ­te Nacht im Pop« war eine logi­sti­sche Mei­ster­lei­stung, und das alles ohne Inter­net. Und der Song »We Are The World« pass­te kon­ge­ni­al zum Anlie­gen: in Äthio­pi­en tob­te eine Hun­gers­not, der 700 000 Men­schen zum Opfer fielen.

Hier zusam­men­ge­fasst die Sto­ry: Wegen der Nach­rich­ten aus Afri­ka sprach der Sän­ger, Schau­spie­ler und Bür­ger­rechts-Akti­vist Har­ry Bela­fon­te mit Ken Kra­gen, einem der wich­tig­sten Musik­ma­na­ger der USA. Er bezog sich dabei auf den Song »Do They Know It’s Christ­mas?«, den der Musi­ker Bob Geldof etwa einen Monat zuvor in Groß­bri­tan­ni­en mit bri­ti­schen Pop­stars ange­scho­ben hat­te, um den Hun­gern­den in Afri­ka zu hel­fen. So etwas woll­te Bela­fon­te in den USA auch machen.

Ken Kra­gen manag­te den Musi­ker Lio­nel Richie, der sofort zusag­te. Richie wie­der­um woll­te Quin­cy Jones (der am 3. Novem­ber 2024 ver­stor­ben ist) mit ein­be­zie­hen, der vor allem als Pro­du­zent von Micha­el Jack­son berühmt war. Jones woll­te, dass Lio­nel Richie und Stevie Won­der für den Anlass einen Song schrei­ben, aber da Won­der nicht zu errei­chen war, sprang Micha­el Jack­son ein. Jack­son konn­te kein Instru­ment spie­len, also summ­te er Richie sei­ne Ideen vor. Inzwi­schen plan­te das Büro von Ken Kra­gen ein Datum und die ein­zu­la­den­den Musi­ker. Der Zeit­plan der mei­sten Künst­ler erfor­der­te mona­te­lan­ge Pla­nung, ein logi­sti­scher Alp­traum! Aber am 28. Janu­ar 1985 soll­te Richie in Los Ange­les die »Ame­ri­can Music Awards« mode­rie­ren, was auch vie­le Künst­ler nach L.A. hol­te. In die­ser Nacht muss­te es also gesche­hen! Man hat­te noch einen Monat Zeit. Bald waren die ersten Künst­ler enga­giert. Aber man woll­te unbe­dingt noch Bruce Springsteen dabei­ha­ben. Der been­de­te am 27. Janu­ar – nur einen Tag zuvor – in Syra­cu­se, New York, gera­de sei­ne Tour­nee. Und stieg nie gleich nach einem Kon­zert ins Flug­zeug. Springsteen dazu vor kur­zem: »Aber es schien wich­tig!« Nun woll­te man auch Bob Dylan.

Von dem inzwi­schen fer­tig­ge­stell­ten Song wur­de eine Demo-Ver­si­on auf Kas­set­ten auf­ge­nom­men und an knapp 50 Künst­ler ver­sen­det. Nun muss­te der Gesang arran­giert wer­den: Wer soll­te ein knap­pes Solo sin­gen, wer nur eine hal­be Zei­le? Wer soll­te neben wem ste­hen? Alles soll­te rei­bungs­los ablau­fen, denn man hat­te nur die eine Nacht! Über dem Ein­gang des Stu­di­os ließ Quin­cy Jones einen Zet­tel hän­gen: »Lasst euer Ego vor der Tür.«

Am spä­ten Abend des 28. Janu­ar tra­fen nach und nach die Stars ein. Alle waren müde und unge­dul­dig. Jones und Richie hoff­ten sehr auf Prin­ce, der bei den Ame­ri­can Music Awards dabei war, aber nicht ein­traf (angeb­lich moch­te er den Song nicht; über die Grün­de war­um Madon­na nicht dabei war, spe­ku­liert man bis heu­te). Dann began­nen die Auf­nah­men zum Refrain. Es folg­ten die Solos. Stevie Won­der am Kla­vier half Bob Dylan, sei­nen Part zu üben. Cyn­di Lau­per muss­te Ohr­rin­ge und Ket­ten able­gen, weil sie Geräu­sche mach­ten. Doch man hat­te Spaß, es ent­wickel­te sich so etwas wie ein Gemein­schafts­ge­fühl. So sehr, dass am Mor­gen eine wei­nen­de Dia­na Ross zurück­blieb und klag­te: »Ich möch­te nicht, dass es vor­bei ist!«

Drei Mona­te spä­ter spiel­ten Radio­sta­tio­nen in aller Welt »We Are The World« – etwa eine Mil­li­ar­de Men­schen konn­ten so erreicht wer­den. 20 Mil­lio­nen Plat­ten wur­den ver­kauft, 80 Mil­lio­nen Dol­lar (das wären heu­te 160 Mil­lio­nen Dol­lar) für huma­ni­tä­re Zwecke in Afri­ka ein­ge­spielt. Der Song bekam meh­re­re Gram­mys. Eini­ge Wochen nach Ver­öf­fent­li­chung des Lie­des, erklär­te der pro­mi­nen­te Jazz-Musi­ker Miles Davis: » ›We Are The World‹, Mann, mit all den Sän­gern – es geht mir durch Mark und Bein.«