»Ißt sich großes Glick, daß ische so gutt kann daitsch. Sonst iche nix dirfte schreiben an dir.« Schenkelklopfer anno 1915 und ein typisches Kriegsprodukt: Spott und Hohn in Hülle und Fülle, Patriotismus in Rein- und Reimform. Gustav Hochstetter verfasste in diesem Jahr gleich ein ganzes Buch über den »Iwan, Kosak gefangenes«, der das Land »särr komisch« fand. Ein zeitgenössischer Humor, den niemand beanstandete, geboren aus der vermeintlichen Naivität des Kriegsgefangenen, dessen fehlerhaftes Deutsch mit übertrieben russischem Akzent gepaart war.
Als 1915 Hochstetters »Maruschka Braut gelibbtes!« veröffentlicht wurde, lebte Hochstetter bereits über ein Jahrzehnt in Berlin. Seit 1903 war er Redakteur der Zeitschrift Lustige Blätter, und die war – laut Eigenaussage – das »schönste bunte Witzblatt Deutschlands«. Das Blatt erschien seit 1886 wöchentlich, bebildert wurde es in der Folge auch von so hochkarätigen Künstlern wie Lyonel Feininger oder Walter Trier. Kaum ein Berliner Humor-Sammelband damals ohne Hochstetter, und das als Nicht-Berliner, so auch in »100 Jahre Berliner Humor« aus dem Jahr 1916. Erstaunlich, also auch ein Badener konnte den speziellen Humor treffen, der nicht nur laut, sondern vor allem vorlaut war. Bei dem die Grenzen zu Ironie und Satire schnell verwischten und die Humoristen zu »Revolverschnauzen« wurden, wie der Herausgeber Gustav Manz so schön im Vorwort des Berliner-Humor-Bandes schrieb.
Dass die Berliner sich gern schon mal selber auf die Schippe nahmen – das kannte man mindestens seit 1838 –, beichtete Ludwig Robert damals in seinen »Promenaden eines Berliners in seiner Vaterstadt«. Und Tradition verpflichtet und muss gepflegt werden, uneitel und keck, und das mündete schon mal in solchen Reimen aus der Feder von Ernst Heilemann, der im »Almanach der Lustigen Blätter« freimütig bekannte: »Ich liebe die Berliner Frauen, Die sind so nett und rund zu schauen; Berliner Männer? Fürchterlich! Betrachten Sie schon bloß mal mich!«
Aber auch die Damen kamen bei dem von Humoristen oft thematisierten Kampf der Geschlechter nicht so gut weg. Da terrorisierten sie mit korpulenter Statur ihre mageren und leidgeprüften Ehemänner: »Jüngling in den reifern Jahren, überleg dir›s hundertmal! Willst du dir die Ruh› bewahren, triff mit Vorsicht deine Wahl!« Die potentielle Ehefrau in Hochstetters »Hund oder heiraten?« wurde so zum veritablen Schreckgespenst. In Kriegszeiten änderte sich die Zielscheibe des Spottes blitzschnell, man war also flexibel. Da wurde der Gegner verbal gedemütigt und ihm mental so mancher Dolchstoß versetzt. Etliche Humoristen liefen sehr schnell zu dieser Form des literarischen Patriotismus über, anstatt gepflegt die Distanz zu wahren. Da war auch ein Hochstetter keine Ausnahme, vor allem mit seiner »Maruschka«.
Aber was hatte den Badener eigentlich nach Berlin verschlagen? Gustav Hochstetter kommt am 12. Mai 1873 in Mannheim als Sohn des (jüdischen) Kaufmanns Isaak Hochstetter und dessen Ehefrau Mathilde Hochstetter, geb. Lippmann, zur Welt. Seine aus Ladenburg zugezogene Familie, unter anderem ist sie mit dem Komponisten Kurt Weill verwandt, stammt ursprünglich aus Liedolsheim bei Karlsruhe, in Mannheim hat der Vater das Bürgerrecht erworben.
Als Gustav Hochstetter geboren wird, ist sein Lebensweg vermutlich bereits festgelegt. Lebensläufe anderer Berliner Redakteure, wie zum Beispiel Leo Heller oder Richard Wilde, die die Autorin erforscht hat, belegen den häufigen Widerstand der Väter gegen die »brotlose Kunst«. Zehn Jahre arbeitet Hochstetter als Kaufmann, wo, ist unbekannt. Als ihm Wilhelm Busch 1902 einen Brief schreibt, heißt es in der Adresse: »Herr stud. phil. Gustav Hochstetter in Heidelberg«. Das Studium wird Hochstetter zugunsten der Literatur aufgegeben haben. Durch seine zahlreichen Veröffentlichungen, die parallel zu seinem Studium in diversen Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind, ist Alexander Moszkowski, der Herausgeber der Lustigen Blätter in Berlin, offenbar auf Gustav Hochstetter aufmerksam geworden. Als er ihm eine Stelle anbietet, greift Hochstetter zu und verlegt seinen Wohnsitz kurzerhand nach Berlin. 1913 heiratet er in Breslau Margarete Pasch, die Tochter des dort ansässigen (jüdischen) Kaufmanns Albert Pasch. Ein Jahr später kommt, entgegen seiner eigenen humoristischen »Warnung« – »So im Sommer wie im Winter. Ist der Hund stets stubenrein. Nimm mal an, du hättest Kinder, würden die das immer sein?« – die Tochter Elisabeth Maria in Bad Saarow zur Welt. Dort wird Hochstetter sich sein Refugium im Ortsteil Pieskow inmitten der beschaulichen märkischen Landschaft am Scharmützelsee als Zweitwohnsitz einrichten. Kein Platz sei ihm lieber, wird er schwärmerisch an Walter Trier schreiben, dem Illustrator seines erfolgreichen Maruschka-Buches.
Zu Beginn der 1920er Jahre ist Hochstetter in Berlin stadtbekannt. Die Auflage der Lustigen Blätter hat sich nahezu verdreifacht. Bei öffentlichen Veranstaltungen wie dem Herbstfest des Reichsverbandes der Deutschen Presse darf er für einen wohltätigen Zweck »Reime schmieden«, oder aber er tanzt auf dem allseits beliebten alljährlichen »Lustige Blätter-Ball« in den Morgen hinein. Eigentlich kann er sich beruhigt zurücklehnen und auf ein reichhaltiges Oeuvre zurückblicken; er hat zudem Eingang in »Kürschners Literaturlexikon« und dem Personenlexikon »Wer ist’s« gefunden. Dem Moloch Berlin kann er gen Pieskow entfliehen, mit seiner zweiten Ehefrau und seiner Tochter aus erster Ehe. Durch den Berliner Redakteur Alfred Brie, einem Verwandten seiner Frau, wird er mit dem Kino bekannt gemacht – und fängt Feuer. »Miss Rockefeller filmt« bleibt nicht sein einziger literarischer Ausflug in die Kinowelt. »Sie wissen, warum man den Grafen bespitzelt / Warum die Dame den Glatzenmann kitzelt / Und sie sagen, des sicheren Blickes froh: / ›Die Gräfin ist nich dot; die tut bloß so‹.« Ein echter Hochstetter, der die durch die Reizüberflutung verwirrten Berliner Kinogänger verulkt, enthalten in dem von Alfred Brie »gekurbelten« »Film-Zauber (Illustrierter Taschen-Humor)«.
In der Mitte der 1920er Jahre verabschiedet sich der mittlerweile über 60jährige aus der Redaktion der Lustigen Blätter – und wird freier Schriftsteller. Dabei macht er durchaus Zugeständnisse an den beschwingten Zeitgeist, 1932 begibt er sich mit »Leute machen Kleider« humorvoll in die Welt der Mode rund um den Hausvogteiplatz. Veröffentlicht wird das Werk in seiner eigenen »Bibliothek-Gesellschaft m.b.H. zu Pieskow (Scharmützelsee)«, die auch ein Büro in der Potsdamer Straße betreibt und deren Direktor er ist. Eine Gesellschaft, die zudem Mitglied der Reichsschrifttumskammer ist, und die spielt schließlich eine äußerst unrühmliche Rolle in der Schmähung der Werke jüdischer Autoren. Doch Hochstetter verkennt die brenzlige Lage, fühlt sich zu alt, um sein Heimatland zu verlassen. Nachdem bereits die ersten Bücher in Flammen aufgegangen sind, schreibt er an Walter Trier: »Die Nazis kommen und gehen (…), lieber Walter Trier. Warten wir doch erst mal ab.« Noch 1938 findet man Hochstetter unter der Anschrift »Potsdamer Straße« im Berliner Adressbuch. Aufgrund der »Zweiten Verordnung vom 17. August 1938 zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familien- und Vornamen« zwingt man auch ihn dazu, den zweiten Vornamen »Israel« anzunehmen, der ihn als Jude brandmarkt. Für eine Emigration ist es zu spät. 1940 wird seine zweite Ehe mit der (nichtjüdischen) Hildegard Modes, die er 1931 in Wilmersdorf geheiratet hat, geschieden – zu ihrem Schutz.
Am 11. Juni 1942 ist Hochstetters Leben in Berlin und auf seinem geliebten »Hochstettershof« in Pieskow unwiderruflich vorbei: Im Arbeitslager Radinkendorf zwingt man den fast 70jährigen zu vier Monaten Zwangsarbeit, bevor man ihn dann in das Ghetto von Theresienstadt deportiert. Was er nicht ahnt: Seine Tochter ist kurz zuvor im Ghetto von Minsk gestorben. Am 26. Juli 1944 wird Gustav Hochstetter in Theresienstadt ermordet. Margarete Hofstetter überlebt ihn über vierzig Jahre, am 6. November 1985 stirbt sie als »Margaret Hotter« im hohen Alter von 95 Jahren in Birmingham.
Am 20. November 2008 wurde für Gustav Hochstetter vor seinem ehemaligen Wohnort in Pieskow ein Stolperstein verlegt. Heute scheint sich eine Wiederbelebung seiner kessen Texte und der flotten Reime anzubahnen. Die Sängerin Eva Homrighausen macht den Anfang und tritt mit vertonten Gedichten aus seiner Feder auf. Kunst und Literatur als »Balsam für die Seele« – so wie es auch Pieskow für Gustav Hochstetter war.
Ein Schriftsteller, der 1914 »Wir sind das Volk der Wächter, der Vernichter. Das sich die Wege bahnt mit grimmen Hieb« reimte, aber die eigene Gefahr, in der er selbst schwebte, nicht erkannte.