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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Gozsdu-Höfe in Budapest

Eine tou­ri­sti­sche Attrak­ti­on für den Buda­pest-Besu­cher ist unweit vom Klei­nen Ring, am Ran­de des jüdi­schen Vier­tels, der Gebäu­de-Kom­plex, der auf Unga­risch Gozsdu­ud­var heißt. Das Are­al umfasst sechs Höfe mit vie­len Cafés, Geschäf­ten, Gale­rien, Well­ness­cen­ter und – wie im Zen­trum nicht anders zu erwar­ten – 249 Luxus­woh­nun­gen. Namens­ge­ber war der rumä­nisch-ortho­do­xe Anwalt Manó Gozsdu, dem das Grund­stück bis 1870 gehör­te. Gele­gent­lich wur­de er als »unga­risch­ster« Rumä­ne bezeich­net und als einer, »der immer zwei Fah­nen in Hän­den hielt«. Auf ihn bezie­hen sich heu­te sol­che Ungarn und Rumä­nen (wie vie­le sind es wohl?), denen jeder Natio­na­lis­mus ein Gräu­el ist.

Zwi­schen Ungarn und Rumä­ni­en waren die Bezie­hun­gen sel­ten rosig. Es gibt nicht vie­le Zeug­nis­se der Freund­schaft oder Koope­ra­ti­on zwi­schen den Madja­ren und ihren öst­li­chen Nach­barn. Eine der Aus­nah­men liegt weit zurück: Das war in der Zeit der sie­ben­bür­gi­schen Bau­ern­auf­stän­de von 1437 und 1514, als Tei­le des Klein­adels zusam­men mit Bau­ern und Land­lo­sen ohne Unter­schied der Natio­na­li­tät gegen Kle­rus und Magna­ten aufbegehrten.

Das mul­ti­eth­nisch bewohn­te Sie­ben­bür­gen, heu­te rumä­nisch Trans­sil­va­ni­en, frü­her der öst­li­che Reichs­teil Ungarns, war ein dau­ern­der Zank­ap­fel. Die ortho­dox-gläu­bi­gen Rumä­nen leb­ten hier in einem deutsch- und unga­risch-spra­chi­gen, teils katho­li­schen, teils pro­te­stan­ti­schen Umfeld, in dem sie sich behaup­ten muss­ten. Die herr­schen­den Natio­na­li­sten aus Buka­rest began­nen nach gewon­ne­nem Krieg vor 100 Jah­ren mit einer ener­gi­schen Roma­ni­sie­rung, nach­dem zuvor sei­tens Buda­pests die Madja­ri­sie­rung betrie­ben wor­den war.

Aus trans­sil­va­ni­schem Gebiet im wei­te­ren Sin­ne, aus Oradea/​Nagyvárad, stammt die sym­pa­thi­sche Aus­nah­me­ge­stalt: Ema­nuil Goj­du, unga­risch Emá­nu­el Gozsdu. Sein Vater war ein wohl­ha­ben­der rumä­nisch-spra­chi­ger Kauf­mann, die Mut­ter hat­te unga­ri­sche Vor­fah­ren. Der klei­ne Manó besuch­te zuerst die grie­chisch-ortho­do­xe Grund­schu­le, dann ein katho­li­sches Gym­na­si­um, stu­dier­te Jura in Press­burg und Ora­dea. Es wird von ihm berich­tet, dass er als jun­ger Pest­er Anwalt der erste war, der in sei­nen Schrift­sät­zen statt der latei­ni­schen die unga­ri­sche Spra­che benutz­te. Er befreun­de­te sich mit ver­schie­de­nen roma­ni­schen Intel­lek­tu­el­len, mit unga­ri­schen Dich­tern, mit dem spä­te­ren ortho­do­xen Erz­bi­schof And­rei Şagu­na, er sam­mel­te Lie­der in bei­den Spra­chen. Und er ver­kün­de­te stets, auch als er poli­tisch aktiv wur­de, dass das Schick­sal die bei­den Nach­bar­na­tio­nen zur Zusam­men­ar­beit verpflichte.

Im Lauf sei­ner Buda­pe­ster Tätig­keit wur­de Gozsdu reich und kauf­te Immo­bi­li­en. Da er kei­ne Kin­der hat­te, soll­te sein Ver­mö­gen nach sei­nem Tod wohl­tä­ti­gen Zwecken der Aus­bil­dung die­nen. Es wur­de eine Stif­tung gegrün­det, die zahl­rei­che Sti­pen­di­en ver­gab. Das Ver­mö­gen der Stif­tung bestand vor allem in dem Grund­ei­gen­tum des Hof-Ensembles.

Über die Eigen­tums­fra­ge schwel­te bis vor 70 Jah­ren ein Streit zwi­schen Buda­pest und Buka­rest. Doch 1953 gab es eine erfreu­li­che zwi­schen­staat­li­che Eini­gung. Bei­de Sei­ten spra­chen den Ver­zicht auf Ver­mö­gens­wer­te aus. Nach dem Umbruch 1989/​90 gab es neu­en Streit: Den ent­fach­te vor allem die rumä­nisch-ortho­do­xe Kir­che, denn sie sah sich als Begün­stig­te des Stif­ter-Testa­ments und woll­te die »kom­mu­ni­sti­schen Ver­ein­ba­run­gen« nicht aner­ken­nen. Die Gozsdu-Höfe waren einem schlei­chen­den Ver­fall preis­ge­ge­ben. Es dau­er­te wei­te­re fünf­zehn Jah­re, bis man sich regie­rungs­amt­lich auf die Errich­tung einer bila­te­ra­len Stif­tung einig­te. Deren Ziel soll die För­de­rung der Jugend bei­der Län­der sein. 2008 wur­den die bau­lich neu gestal­te­ten Höfe und Gebäu­de fer­tig­ge­stellt. Sie sind inzwi­schen Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.

Der Besu­cher möge am Hof-Ein­gang König­stra­ße, Kirá­ly utca 13, eine lesens­wer­te Tafel beach­ten. Dar­auf wird in drei Spra­chen etwas mit­ge­teilt, was in deut­scher Über­set­zung lau­tet: »Der Gozsdu-Hof bewahrt die Erin­ne­rung an den gro­ßen Mäzen der rumä­ni­schen Kul­tur in Ungarn und dar­über hin­aus. Die Regie­run­gen Rumä­ni­ens und der Repu­blik Ungarn errich­ten eine gemein­sa­me Stif­tung im Gei­ste des Ema­nuil Goj­du und der Freund­schaft zwi­schen den bei­den Völ­kern.« So hat also das Testa­ment des alten Anwalts tat­säch­lich die Zusam­men­ar­beit der bei­den Obrig­kei­ten im Geist der Völ­ker­freund­schaft bewirkt.