Eine touristische Attraktion für den Budapest-Besucher ist unweit vom Kleinen Ring, am Rande des jüdischen Viertels, der Gebäude-Komplex, der auf Ungarisch Gozsduudvar heißt. Das Areal umfasst sechs Höfe mit vielen Cafés, Geschäften, Galerien, Wellnesscenter und – wie im Zentrum nicht anders zu erwarten – 249 Luxuswohnungen. Namensgeber war der rumänisch-orthodoxe Anwalt Manó Gozsdu, dem das Grundstück bis 1870 gehörte. Gelegentlich wurde er als »ungarischster« Rumäne bezeichnet und als einer, »der immer zwei Fahnen in Händen hielt«. Auf ihn beziehen sich heute solche Ungarn und Rumänen (wie viele sind es wohl?), denen jeder Nationalismus ein Gräuel ist.
Zwischen Ungarn und Rumänien waren die Beziehungen selten rosig. Es gibt nicht viele Zeugnisse der Freundschaft oder Kooperation zwischen den Madjaren und ihren östlichen Nachbarn. Eine der Ausnahmen liegt weit zurück: Das war in der Zeit der siebenbürgischen Bauernaufstände von 1437 und 1514, als Teile des Kleinadels zusammen mit Bauern und Landlosen ohne Unterschied der Nationalität gegen Klerus und Magnaten aufbegehrten.
Das multiethnisch bewohnte Siebenbürgen, heute rumänisch Transsilvanien, früher der östliche Reichsteil Ungarns, war ein dauernder Zankapfel. Die orthodox-gläubigen Rumänen lebten hier in einem deutsch- und ungarisch-sprachigen, teils katholischen, teils protestantischen Umfeld, in dem sie sich behaupten mussten. Die herrschenden Nationalisten aus Bukarest begannen nach gewonnenem Krieg vor 100 Jahren mit einer energischen Romanisierung, nachdem zuvor seitens Budapests die Madjarisierung betrieben worden war.
Aus transsilvanischem Gebiet im weiteren Sinne, aus Oradea/Nagyvárad, stammt die sympathische Ausnahmegestalt: Emanuil Gojdu, ungarisch Emánuel Gozsdu. Sein Vater war ein wohlhabender rumänisch-sprachiger Kaufmann, die Mutter hatte ungarische Vorfahren. Der kleine Manó besuchte zuerst die griechisch-orthodoxe Grundschule, dann ein katholisches Gymnasium, studierte Jura in Pressburg und Oradea. Es wird von ihm berichtet, dass er als junger Pester Anwalt der erste war, der in seinen Schriftsätzen statt der lateinischen die ungarische Sprache benutzte. Er befreundete sich mit verschiedenen romanischen Intellektuellen, mit ungarischen Dichtern, mit dem späteren orthodoxen Erzbischof Andrei Şaguna, er sammelte Lieder in beiden Sprachen. Und er verkündete stets, auch als er politisch aktiv wurde, dass das Schicksal die beiden Nachbarnationen zur Zusammenarbeit verpflichte.
Im Lauf seiner Budapester Tätigkeit wurde Gozsdu reich und kaufte Immobilien. Da er keine Kinder hatte, sollte sein Vermögen nach seinem Tod wohltätigen Zwecken der Ausbildung dienen. Es wurde eine Stiftung gegründet, die zahlreiche Stipendien vergab. Das Vermögen der Stiftung bestand vor allem in dem Grundeigentum des Hof-Ensembles.
Über die Eigentumsfrage schwelte bis vor 70 Jahren ein Streit zwischen Budapest und Bukarest. Doch 1953 gab es eine erfreuliche zwischenstaatliche Einigung. Beide Seiten sprachen den Verzicht auf Vermögenswerte aus. Nach dem Umbruch 1989/90 gab es neuen Streit: Den entfachte vor allem die rumänisch-orthodoxe Kirche, denn sie sah sich als Begünstigte des Stifter-Testaments und wollte die »kommunistischen Vereinbarungen« nicht anerkennen. Die Gozsdu-Höfe waren einem schleichenden Verfall preisgegeben. Es dauerte weitere fünfzehn Jahre, bis man sich regierungsamtlich auf die Errichtung einer bilateralen Stiftung einigte. Deren Ziel soll die Förderung der Jugend beider Länder sein. 2008 wurden die baulich neu gestalteten Höfe und Gebäude fertiggestellt. Sie sind inzwischen Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.
Der Besucher möge am Hof-Eingang Königstraße, Király utca 13, eine lesenswerte Tafel beachten. Darauf wird in drei Sprachen etwas mitgeteilt, was in deutscher Übersetzung lautet: »Der Gozsdu-Hof bewahrt die Erinnerung an den großen Mäzen der rumänischen Kultur in Ungarn und darüber hinaus. Die Regierungen Rumäniens und der Republik Ungarn errichten eine gemeinsame Stiftung im Geiste des Emanuil Gojdu und der Freundschaft zwischen den beiden Völkern.« So hat also das Testament des alten Anwalts tatsächlich die Zusammenarbeit der beiden Obrigkeiten im Geist der Völkerfreundschaft bewirkt.