Es ist ein Ort der Ruhe, der Besinnung – mitten in Berlin. Nur wenige Schritte vom Brandenburger Tor entfernt, in einer Ecke des Tiergartens gleich gegenüber der Südfassade des Reichstagsgebäudes, liegt das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Man spürt hier nichts von der Betriebsamkeit der nahe gelegenen großen Hauptstadtstraßen. Touristen kommen selten hierher, die meisten biegen am Brandenburger Tor in die andere Richtung ab, zu dem mächtigen Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Der Lärm klingt nur gedämpft herüber. Eine Melodie klingt auf, eigens komponiert von dem Sinto Romeo Franz, um der Trauer um 500.000 Menschen aus der Minderheit der Sinti und Roma Ausdruck zu geben. Lange hatte eine solche Stätte der Erinnerung, der gemeinsamen Trauer der Überlebenden und ihrer Nachkommen gefehlt. »Wir haben jetzt einen eigenen Ort, an dem wir unserer ermordeten Lieben gedenken können«, sagte Zoni Weisz bei der Einweihung des Denkmals am 24. Oktober 2012.
Ein leises Denkmal
Es ist ein zartes, ein leises Denkmal, gestaltet von dem israelischen Künstler Dani Karavan. Schützend umgibt eine Außenwand aus Milchglasplatten den weiten, zum Himmel offenen Denkraum. Die Platten neben dem Eingang sind beschriftet. Wer die Geschichte nicht kennt, kann sich vor dem Eintreten anhand der eingravierten Chronologie informieren. Festgehalten sind dort auch die Sätze, mit denen Bundeskanzler Helmut Schmidt 1982 und Bundespräsident Roman Herzog 1997 die Verbrechen der Nazis an den Sinti und Roma als »Völkermord« anerkannten, der »aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden (ist) wie der an den Juden« (Herzog).
Im Innern zieht zuerst das große, runde Wasserbecken im Zentrum die Blicke auf sich. »Ich wählte die Kreisform«, sagte Dani Karavan 2012 in einem Interview. »Sie soll ein Gefühl der Gleichheit erzeugen. Ich weiß, dass Sinti gern in Kreisen zusammensitzen. Zu meinen frühen Erinnerungen an meine Zeit in Marseille zählen solche Rituale der Sinti und Roma: Sie saßen gemeinsam im Kreis unter einem großen Baum.« In der Mitte des Wasserbeckens liegt auf einer dreieckigen versenkbaren Stele eine frische Blume. Einmal am Tag, wenn sie verwelkt ist, wird sie erneuert. Auf dem Rand des Beckens sind Zeilen des Gedichts »Auschwitz« des italienischen Rom Santino Spinelli in Englisch, Deutsch und Romanes zu lesen. Die Gestaltung des Beckens beinhaltet viel Symbolik. So ist der Beckengrund schwarz und erweckt dadurch den Eindruck großer Tiefe – Symbol von unermesslichem Leid und Tränen. Die dreieckige Fläche der steinernen Stele soll an die sogenannten Winkel erinnern, die die Häftlinge in den KZs zur Kennzeichnung tragen mussten. Für Sinti und Roma war der schwarze Winkel vorgesehen. Betrachtet man Menschen auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens, sieht man sie doppelt, einmal normal und einmal gespiegelt – auf dem Kopf stehend, als würden sie in das schwarze Wasser hineingesogen. Die immer wieder erneuerte Blume auf dem »Winkel« symbolisiert nach Karavans Worten gleichzeitig Leben, Trauer und Erinnerung.
Mit der umgebenden, teils mit Schatten spendenden Bäumen bewachsenen Grünfläche ist das Wasserbecken durch ein etwa drei Meter breites Band aus unregelmäßig geformten, weißen Steinplatten verbunden, wovon ein Teil die Namen der Konzentrationslager trägt, in die Sinti und Roma verschleppt wurden.
Geschützter Raum, symbolisches Bekenntnis
Das Denkmal bietet einen geschützten Raum für gemeinsames ebenso wie für individuelles Gedenken. Aber nicht nur das: »Zugleich soll es ein symbolisches Bekenntnis der deutschen Politik und Gesellschaft sein, ihrer Verantwortung gegenüber den heute in Europa lebenden 12 Millionen Sinti und Roma gerecht zu werden.« (Website des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma)
Lange hatte es gedauert, bis dieses »symbolische Bekenntnis« Realität wurde. Fast ein halbes Jahrhundert verging zwischen dem Ende der Nazi-Herrschaft und dem Beschluss der Bundesregierung 1992, das Denkmal zu errichten. Weitere zwanzig Jahre mussten verstreichen, bis alle strittigen Fragen des Standortes und der Gestaltung gelöst waren und das Denkmal 2012 eingeweiht werden konnte. Nun droht neuer Streit. Wie die taz am 22. Mai berichtete, will die Deutsche Bahn AG die Trasse der neuen Berliner S-Bahn-Linie S21 so führen, dass große Teile des Denkmalgeländes in die Baustelle einbezogen werden und die Baugrube »scharf am Rand des kreisrunden Wasserbeckens in der Mitte des Denkmals vorbeiführ[t]«. (s. Ossietzky 11/2020) Dass das von Dani Karavan geschaffene Kunstwerk damit zerstört würde, ist offensichtlich. Nichtsdestotrotz erklärte der DB-Bevollmächtigte Alexander Kaczmarek, das Denkmal werde »nicht angetastet und auch während der Bauarbeiten für die neue City-S-Bahn wird immer ein Zugang zum Denkmal möglich sein«. Dem widersprach Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma: »Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas wird durch den geplanten Bau der S21 massiv beeinträchtigt. Das Denkmal besteht nicht nur aus dem schwarzen Becken, sondern umfasst selbstverständlich das gesamte von Dani Karavan gestaltete Ensemble, die Glaswände mit der Chronologie und dem Zitat von Bundespräsident Roman Herzog und Bundeskanzler Helmut Schmidt ebenso wie die in den Boden eingelassenen Steinplatten, die die Namen der Konzentrations- und Vernichtungslager tragen. Die geplante Baustelle wird weit über die Hälfte des Geländes umfassen. Eine solche umfassende Beeinträchtigung des Gedenkens ist für die Überlebenden und ihre Familien, war und ist für den Zentralrat unvorstellbar.«
Einvernehmliche Lösung angestrebt
Am 3. Juni trafen auf Einladung von Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen), erstmals Vertreter von Bahn AG, Land und Bund sowie des Zentralrats zu einem Gespräch zusammen. Über Verlauf und Ergebnisse des Treffens war nur Karges zu erfahren. Regine Günthers Pressesprecher Jan Thomsen: »Der Trassenverlauf für die S21 ist so zu wählen, dass auch während der Bauarbeiten das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas maximal geschützt wird. Es werden jetzt zu einem sehr frühzeitigen Zeitpunkt Gespräche zwischen den Beteiligten geführt, um zu einer guten einvernehmlichen Lösung zu kommen. Diese Gespräche werden Ende Juni fortgesetzt.«
Der Informationsgehalt dieser Sätze ist überschaubar. Einfach dürften die Gespräche demnach nicht werden. Zu hoffen ist, dass sich die Vertreter von Bahn, Bund und Land Berlin bewusst sind, worüber sie sprechen: »ein symbolisches Bekenntnis der deutschen Politik und Gesellschaft, ihrer Verantwortung gegenüber den heute in Europa lebenden 12 Millionen Sinti und Roma gerecht zu werden«.