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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Gespräche werden fortgesetzt

Es ist ein Ort der Ruhe, der Besin­nung – mit­ten in Ber­lin. Nur weni­ge Schrit­te vom Bran­den­bur­ger Tor ent­fernt, in einer Ecke des Tier­gar­tens gleich gegen­über der Süd­fas­sa­de des Reichs­tags­ge­bäu­des, liegt das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas. Man spürt hier nichts von der Betrieb­sam­keit der nahe gele­ge­nen gro­ßen Haupt­stadt­stra­ßen. Tou­ri­sten kom­men sel­ten hier­her, die mei­sten bie­gen am Bran­den­bur­ger Tor in die ande­re Rich­tung ab, zu dem mäch­ti­gen Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas. Der Lärm klingt nur gedämpft her­über. Eine Melo­die klingt auf, eigens kom­po­niert von dem Sin­to Romeo Franz, um der Trau­er um 500.000 Men­schen aus der Min­der­heit der Sin­ti und Roma Aus­druck zu geben. Lan­ge hat­te eine sol­che Stät­te der Erin­ne­rung, der gemein­sa­men Trau­er der Über­le­ben­den und ihrer Nach­kom­men gefehlt. »Wir haben jetzt einen eige­nen Ort, an dem wir unse­rer ermor­de­ten Lie­ben geden­ken kön­nen«, sag­te Zoni Weisz bei der Ein­wei­hung des Denk­mals am 24. Okto­ber 2012.

 

Ein lei­ses Denkmal

Es ist ein zar­tes, ein lei­ses Denk­mal, gestal­tet von dem israe­li­schen Künst­ler Dani Kara­van. Schüt­zend umgibt eine Außen­wand aus Milch­glas­plat­ten den wei­ten, zum Him­mel offe­nen Denk­raum. Die Plat­ten neben dem Ein­gang sind beschrif­tet. Wer die Geschich­te nicht kennt, kann sich vor dem Ein­tre­ten anhand der ein­gra­vier­ten Chro­no­lo­gie infor­mie­ren. Fest­ge­hal­ten sind dort auch die Sät­ze, mit denen Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt 1982 und Bun­des­prä­si­dent Roman Her­zog 1997 die Ver­bre­chen der Nazis an den Sin­ti und Roma als »Völ­ker­mord« aner­kann­ten, der »aus dem glei­chen Motiv des Ras­sen­wahns, mit dem glei­chen Vor­satz und dem glei­chen Wil­len zur plan­mä­ßi­gen und end­gül­ti­gen Ver­nich­tung durch­ge­führt wor­den (ist) wie der an den Juden« (Her­zog).

Im Innern zieht zuerst das gro­ße, run­de Was­ser­becken im Zen­trum die Blicke auf sich. »Ich wähl­te die Kreis­form«, sag­te Dani Kara­van 2012 in einem Inter­view. »Sie soll ein Gefühl der Gleich­heit erzeu­gen. Ich weiß, dass Sin­ti gern in Krei­sen zusam­men­sit­zen. Zu mei­nen frü­hen Erin­ne­run­gen an mei­ne Zeit in Mar­seil­le zäh­len sol­che Ritua­le der Sin­ti und Roma: Sie saßen gemein­sam im Kreis unter einem gro­ßen Baum.« In der Mit­te des Was­ser­beckens liegt auf einer drei­ecki­gen ver­senk­ba­ren Ste­le eine fri­sche Blu­me. Ein­mal am Tag, wenn sie ver­welkt ist, wird sie erneu­ert. Auf dem Rand des Beckens sind Zei­len des Gedichts »Ausch­witz« des ita­lie­ni­schen Rom San­ti­no Spi­nel­li in Eng­lisch, Deutsch und Roma­nes zu lesen. Die Gestal­tung des Beckens beinhal­tet viel Sym­bo­lik. So ist der Becken­grund schwarz und erweckt dadurch den Ein­druck gro­ßer Tie­fe – Sym­bol von uner­mess­li­chem Leid und Trä­nen. Die drei­ecki­ge Flä­che der stei­ner­nen Ste­le soll an die soge­nann­ten Win­kel erin­nern, die die Häft­lin­ge in den KZs zur Kenn­zeich­nung tra­gen muss­ten. Für Sin­ti und Roma war der schwar­ze Win­kel vor­ge­se­hen. Betrach­tet man Men­schen auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te des Beckens, sieht man sie dop­pelt, ein­mal nor­mal und ein­mal gespie­gelt – auf dem Kopf ste­hend, als wür­den sie in das schwar­ze Was­ser hin­ein­ge­so­gen. Die immer wie­der erneu­er­te Blu­me auf dem »Win­kel« sym­bo­li­siert nach Kara­vans Wor­ten gleich­zei­tig Leben, Trau­er und Erinnerung.

Mit der umge­ben­den, teils mit Schat­ten spen­den­den Bäu­men bewach­se­nen Grün­flä­che ist das Was­ser­becken durch ein etwa drei Meter brei­tes Band aus unre­gel­mä­ßig geform­ten, wei­ßen Stein­plat­ten ver­bun­den, wovon ein Teil die Namen der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger trägt, in die Sin­ti und Roma ver­schleppt wurden.

Geschütz­ter Raum, sym­bo­li­sches Bekenntnis

Das Denk­mal bie­tet einen geschütz­ten Raum für gemein­sa­mes eben­so wie für indi­vi­du­el­les Geden­ken. Aber nicht nur das: »Zugleich soll es ein sym­bo­li­sches Bekennt­nis der deut­schen Poli­tik und Gesell­schaft sein, ihrer Ver­ant­wor­tung gegen­über den heu­te in Euro­pa leben­den 12 Mil­lio­nen Sin­ti und Roma gerecht zu wer­den.« (Web­site des Zen­tral­rats Deut­scher Sin­ti und Roma)

Lan­ge hat­te es gedau­ert, bis die­ses »sym­bo­li­sche Bekennt­nis« Rea­li­tät wur­de. Fast ein hal­bes Jahr­hun­dert ver­ging zwi­schen dem Ende der Nazi-Herr­schaft und dem Beschluss der Bun­des­re­gie­rung 1992, das Denk­mal zu errich­ten. Wei­te­re zwan­zig Jah­re muss­ten ver­strei­chen, bis alle strit­ti­gen Fra­gen des Stand­or­tes und der Gestal­tung gelöst waren und das Denk­mal 2012 ein­ge­weiht wer­den konn­te. Nun droht neu­er Streit. Wie die taz am 22. Mai berich­te­te, will die Deut­sche Bahn AG die Tras­se der neu­en Ber­li­ner S-Bahn-Linie S21 so füh­ren, dass gro­ße Tei­le des Denk­mal­ge­län­des in die Bau­stel­le ein­be­zo­gen wer­den und die Bau­gru­be »scharf am Rand des kreis­run­den Was­ser­beckens in der Mit­te des Denk­mals vorbeiführ[t]«. (s. Ossietzky 11/​2020) Dass das von Dani Kara­van geschaf­fe­ne Kunst­werk damit zer­stört wür­de, ist offen­sicht­lich. Nichts­de­sto­trotz erklär­te der DB-Bevoll­mäch­tig­te Alex­an­der Kacz­ma­rek, das Denk­mal wer­de »nicht ange­ta­stet und auch wäh­rend der Bau­ar­bei­ten für die neue City-S-Bahn wird immer ein Zugang zum Denk­mal mög­lich sein«. Dem wider­sprach Roma­ni Rose, Vor­sit­zen­der des Zen­tral­rats Deut­scher Sin­ti und Roma: »Das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas wird durch den geplan­ten Bau der S21 mas­siv beein­träch­tigt. Das Denk­mal besteht nicht nur aus dem schwar­zen Becken, son­dern umfasst selbst­ver­ständ­lich das gesam­te von Dani Kara­van gestal­te­te Ensem­ble, die Glas­wän­de mit der Chro­no­lo­gie und dem Zitat von Bun­des­prä­si­dent Roman Her­zog und Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt eben­so wie die in den Boden ein­ge­las­se­nen Stein­plat­ten, die die Namen der Kon­zen­tra­ti­ons- und Ver­nich­tungs­la­ger tra­gen. Die geplan­te Bau­stel­le wird weit über die Hälf­te des Gelän­des umfas­sen. Eine sol­che umfas­sen­de Beein­träch­ti­gung des Geden­kens ist für die Über­le­ben­den und ihre Fami­li­en, war und ist für den Zen­tral­rat unvorstellbar.«

 

Ein­ver­nehm­li­che Lösung angestrebt

Am 3. Juni tra­fen auf Ein­la­dung von Ber­lins Sena­to­rin für Umwelt, Ver­kehr und Kli­ma­schutz, Regi­ne Gün­ther (Bünd­nis 90/​Die Grü­nen), erst­mals Ver­tre­ter von Bahn AG, Land und Bund sowie des Zen­tral­rats zu einem Gespräch zusam­men. Über Ver­lauf und Ergeb­nis­se des Tref­fens war nur Kar­ges zu erfah­ren. Regi­ne Gün­thers Pres­se­spre­cher Jan Thom­sen: »Der Tras­sen­ver­lauf für die S21 ist so zu wäh­len, dass auch wäh­rend der Bau­ar­bei­ten das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sin­ti und Roma Euro­pas maxi­mal geschützt wird. Es wer­den jetzt zu einem sehr früh­zei­ti­gen Zeit­punkt Gesprä­che zwi­schen den Betei­lig­ten geführt, um zu einer guten ein­ver­nehm­li­chen Lösung zu kom­men. Die­se Gesprä­che wer­den Ende Juni fortgesetzt.«

Der Infor­ma­ti­ons­ge­halt die­ser Sät­ze ist über­schau­bar. Ein­fach dürf­ten die Gesprä­che dem­nach nicht wer­den. Zu hof­fen ist, dass sich die Ver­tre­ter von Bahn, Bund und Land Ber­lin bewusst sind, wor­über sie spre­chen: »ein sym­bo­li­sches Bekennt­nis der deut­schen Poli­tik und Gesell­schaft, ihrer Ver­ant­wor­tung gegen­über den heu­te in Euro­pa leben­den 12 Mil­lio­nen Sin­ti und Roma gerecht zu werden«.