Sie haben bis heute mehr als 100 Millionen Platten verkauft, gelten als eine der erfolgreichsten amerikanischen Bands. Über »The Beach Boys« ist seit Ende Mai bei Disney+ der gleichnamige Dokumentarfilm zu sehen. Damit setzt der Anbieter seine Reihe von Pop-Musik-Filmen fort: 2021 erschien die dreiteilige Dokumentation »The Beatles: Get Back« und Anfang Mai dieses Jahres die restaurierte Fassung des Beatles-Films »Let It Be« von 1970.
»The Beach Boys« erzählt die Story der Band mit teils bisher unveröffentlichten Archivaufnahmen, zahlreichen (angespielten) Songs und vielen neuen Interviews. So kommen neben den Mitgliedern der Gruppe auch Paul McCartney, Lindsey Buckingham, Janelle Monáe und der Plattenproduzent Don Was zu Wort.
Ein wichtiger Grund für den Erfolg der Beach Boys war, dass sie mehr oder weniger zu einer Familie gehörten. So gab es – zumindest über viele Jahre – einen besonders großen Kameradschaftsgeist. Da ist der älteste der drei Brüder, Brian Wilson, das musikalische Genie. Da war Dennis Wilson, der mittlere, Schlagzeuger und Sexsymbol der Gruppe. Und da war Carl Wilson, der jüngste, schüchterne, mit dem guten Herzen. Hinzu kommen Mike Love, der Cousin und Leadsänger, sowie Alan Jardine, ein guter Freund.
Die Wilsons lebten in einem Reihenhaus in Hawthorne bei Los Angeles. Der Vater – Händler von Zubehör für die Flugindustrie – schrieb Songs und landete einen kleinen Rhythm & Blues-Hit; die Mutter war Musikerin. Fuhr die Familie Auto, sangen die Brüder auf der Rückbank dreistimmig Lieder. Zu Hause hatten sie in der Garage ein Musikzimmer, wo sie stundenlang sangen oder Musik hörten, und im Wohnzimmer standen Flügel, Harfe und Orgel. Sie liebten Doo Wop, The Everly Brothers, The Four Freshmen. Brian spielte deren Arrangements nach, bald sogar eigene. Irgendwann wussten sie: »Wir sind wer!« Da schlugen sie eine andere Richtung ein, hörten Surf-Songs, damals meist Instrumentalmusik. Surfen war in Südkalifornien das große Ding, darum kreisten die meisten Gespräche, und man hatte einen eigenen Dresscode. Doch der einzige Wilson, der wirklich Surfen konnte, war Dennis, die anderen beiden wären dabei fast ertrunken. Trotzdem wollten sie Songs übers Surfen singen.
1961 stellten sie einem kleinen Plattenlabel ihren Song »Surfin’« vor. Da verpassten die Label-Bosse ihnen den Namen »The Beach Boys«. Einen Monat später hörten sie den Song im Radio. Er kletterte in Los Angeles bis auf Platz zwei. Nun kamen die Auftrittsangebote.
Ihr Vater wurde ihr Manager, machte für sie wie wild Werbung und brachte sie zu Capitol Records. Ihr Image der netten, weißen, blonden Teenager aus Südkalifornien traf einen Nerv. Der einflussreiche Musikproduzent Don Was aus Detroit: »Wegen den Beach Boys sehnte ich mich nach diesem Ort, wo man ein Auto hatte, Mädels im Bikini und Surfbretter. Wo es warm war.« Bald hörte man The Beach Boys in ganz Amerika, dann auf der ganzen Welt. Hits wie »Surfin’ USA«, »Fun, Fun, Fun« oder »I Get Around«. Als sie 1963 auf ihrer Midwest-Tour zum Lake Minnetonka (Minnesota) kamen, schlugen Fans Scheiben ein, um in den Saal zu kommen. Eine kilometerlange Schlange von Autos staute sich. Und beim Konzert hörten die Beach Boys zum ersten Mal die Mädchen kreischen. Dennis Wilson: »Wir dachten es brennt!«
Einem der Beach Boys machte das Touren keinen Spaß: Brian. Als sie 1964 nach Houston flogen, hatte er unterwegs einen Nervenzusammenbruch, wollte nur noch nach Hause! Dort schrieb er an neuen Songs, Cousin Mike Love verfasste die Texte: Songs über Spaß und Liebe und unerwiderte Liebe, perfekte Teenager-Musik, dreistimmig gesungen. Don Was dazu: »Es ist toll, wie sich diese Einzelstimmen zusammenfügen. Jede gehört dazu. Nimmt man eine von ihnen raus, geht der Sound verloren.« Dann hörte Brian Wilson »Be My Baby« von den Ronettes, produziert von Phil Spector und seinem opulenten Wall of Sound. Nun begann Brian auch zu produzieren. Er bereitete die Songs so weit vor, dass die Band, wenn sie nach einer Tour nach Hause kam, nur noch einzusingen brauchte. Dazu hatte er im Studio eine eigene, ausgezeichnete Aufnahme-Gruppe, die Wrecking Band. Carl Wilson übernahm die Führung der Tourband.
Bei der Arbeit am epochalen Album »Pet Sounds« (1966) ließ Brian das Vier-Akkorde-Popsong-Schema hinter sich. Und wurde zum Perfektionisten. Der Gesang auf »Pet Sounds« gehört, so heißt es im Film, zum Besten, was je im Pop aufgenommen wurde. Als Bruce Johnston, inzwischen auch bei den Beach Boys, in London Werbung für »Pet Sounds« machte, traf er auf die Beatles Lennon und McCartney. Mehrere Male hörten sie »Pet Sounds«. McCartney vor kurzem dazu: »Ich dachte: Das ist das beste Album aller Zeiten. Was machen wir denn jetzt?« Bekanntlich antworteten die Beatles mit »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band«!
Auch das folgende Beach Boys-Album – »Smile« (1967) – wurde berühmt. Brian Wilson holte den 23jährigen Musiker und Produzenten Van Dyke Parks als Texter zum Projekt. Beide nahmen jede Menge Aufputschmittel und arbeiteten wie besessen. Im Studio wurde schon mal ein Holzfeuer entzündet, und die Musiker mussten Feuerwehrhelme tragen. Brian: »Ich war verrückt.« Am Ende aber legte er das Projekt auf Eis – es war einfach zu schräg. 2004 erschien es dann als Solo-Album von Brian.
Die Teilnahme beim berühmten Monterey Pop Festival im Juni 1967, wo die Beach Boys Headliner sein sollten, sagte die Band im letzten Moment ab. Niemand konnte das fassen! Denn hier begrüßten mehrere Hippie-Musiker und -Bands den Sommer of Love, der die Kultur der USA – auch als Antwort auf den Vietnam-Krieg – die nächsten Jahre dominieren sollte. Und die Beach Boys verpassten den Zug!
Als sich Brian Wilson vom Produktionsprozess zurückzog, brachten sich die anderen Beach Boys mehr ein. Die Alben zur Wende zu den 70ern klingen wie von einer anderen Band. Aber die Fans konnten sie nicht mehr zuordnen. Das Album »Sunflower« (1970) landete in den USA auf Platz 151. Verzweifelt holte sich die Gruppe zwei neue Musiker in die Band oder ging zur Album-Produktion nach Holland. Doch es half nicht, sie kämpften – zumindest in den USA, in Europa waren sie populärer – ums Überleben! Schließlich veröffentlichte Capitol Records 1974 ein Best-of-Doppel-Album mit alten Liedern. Schnurstracks schoss es in den USA auf die Nummer eins. Bald spielten sie wieder in Stadien.
»Warum hatten die Beach Boys Erfolg«, wird Brian Wilson am Ende der Doku gefragt: »Ich denke«, so seine Antwort, »unsere Musik feierte die Freude am Leben, auf ganz einfache Weise. Sie ist ein direkter Ausdruck von Glück!«