Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? Antwort: Die Wahrheitsdrohne. Sie kann es, sie tut es zuverlässig. Überall und über allen kreisend sieht und hört sie alles, auch die Gedanken. Ihre Entwicklung hat mich mein halbes Gehirn gekostet, aber jetzt fliegt sie, enthüllt das Unheil »first hand« bei seinen kleinen und großen Urhebern und teilt es der Welt mit.
Zum Auftakt fliegt sie mit Nancy Faeser in die Türkei. Die Wahrheitsdrohne ist aufgeregt, ist die Türkei doch auf allen Kriegsschauplätzen bekannt für ihre Drohnen. Die sind aber gerade ausgeflogen. Während die deutsche Ministerin in Ankara redet, beschießen türkische Bayraktar TB2 Ziele in der nordsyrischen Autonomiezone, darunter ein Covid-Krankenhaus und ein Internierungslager für IS-Terroristen. Kurdische Menschen sterben. Deutschland stehe fest an der Seite der Türkei, sagt Faeser, speziell im Kampf gegen Terroristen und in der Migrationspolitik. Die Türkei solle bei ihrem völkerrechtswidrigen Angriff »Verhältnismäßigkeit« üben und das Völkerrecht einhalten. Während sie spricht, denkt Faeser an die hessische Landtagswahl 2023, aus der sie als Ministerpräsidentin hervorgehen will. Ihr türkischer Amtskollege Soylu denkt, während er zuhört, an die Präsidentschaftswahl 2023, die Erdogan gewinnen soll, damit Soylu weiter Innenminister bleibt.
Einige Wochen später fliegt Nancy Faeser im Helikopter über das brennende Berlin-Kreuzberg und sorgt sich um die Jugend. Die feiert Sylvester nach altdeutschem Brauch mit Pyrotechnik und ärgert sich über die Polizei, die das Brauchtum mit Kampfeinsätzen behindert. Verstehen die Jugendlichen noch die Bedeutung von Sylvester? fragt sich die Ministerin und wünscht sich eine Armada von Drohnen, die aus der Luft den Ärger beenden. Sie zählt die schwarzhaarigen Ausländer unter den Jugendlichen in dem von Ausländern bewohnten Stadtteil und übermittelt die Zahl an die (noch) Regierende Bürgermeisterin. In den darauffolgenden Wochen kreisen beide Politikerinnen mit Helikoptern über der missratenden Jugend und rufen sie zurück auf den rechten Weg. Frau Faeser denkt: Wenn Frau Lamprecht als Verteidigungsministerin gehen muss, bin ich mit meinem fest gesprayten Goldhelm die logische Nachfolgerin. Ursula von der Leyens Haarfestigerhelm ist der Maßstab, und ich entspreche ihm am genauesten. Tage später läuft ihr ein anderer den Rang ab. »Es herrscht Krieg in Europa. Da hat der Kanzler den Helm auf« (Ingo Zamperoni, Tagesthemen vom 17. 1. 2023). Der ernennt einen anderen Innenminister zum Kriegsminister.
Na gut, dann Hessen, denkt Faeser und träumt davon, ihre feministische Innen- und Justizpolitik im waldreichsten Bundesland zu verwirklichen. Diese Politik geht so: Dass jedes Jahr fünfzigtausend Menschen, die Mehrheit aller Gefangenen in Deutschland, nur deshalb im Gefängnis sitzen, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten, ist in Ordnung, weil unter diesen Gefangenen Männer sind, die ihre Partnerin geschlagen oder eine Frau gestalkt haben. Dass neunzig Prozent der eine Ersatzfreiheitsstrafe Absitzenden alleinstehend sind, dass eine Körperverletzung in weniger als acht Prozent der Fälle vorliegt, dass Stalking in der Fallstatistik gar nicht auftaucht, während zwei Drittel auf kleinere Diebstähle, Betrügereien oder Schwarzfahren entfallen, interessiert Faeser nicht. Sie blockiert eine im Koalitionsvertrag versprochene, vom FDP-geführten Justizministerium mittlerweile vorgeschlagene Reform, die Haftzeiten nicht länger gleichsetzt mit Geldbeträgen, die in Gefängnissen während dieser Zeiten erarbeitet werden. Zeit ist Geld, denkt Faeser, das lernt jedes Kind, das lasse ich mir von Statistikern und FDP-Staatssekretären nicht ausreden. Überhaupt Freiheit – was soll das sein? Habe ich es schon erlebt? Wenn jedes Haar im frisch gesprayten Helm seinen Platz gefunden hat, wo ist da noch Freiheit? Erhobenen Hauptes gehe ich meinen Weg, von Windschatten zu Windschatten, durch ein Land oder, okay, demnächst Bundesland, in dem jeder meinen Namen kennt und sich gebildet nennen darf, wenn er ihn richtig schreiben kann. Die Polizei hört auf mein Kommando und zeigt der Jugend, was ein deutsches Sylvester ist. Fest an der Seite der Türkei praktiziere ich Verhältnismäßigkeit bei der gewaltsamen Durchsetzung von Autobahnprojekten. Hessen wird nicht länger »waldreichstes Bundesland« geschimpft werden. Und meinen Rembrandt finde ich auch noch, der mich und meinen Goldhelm unsterblich machen wird.