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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die ev. Kirche zum 20. Juli 1944

Wer nach den Kräf­ten sucht, die mit­hal­fen, die NS-Bewe­gung an die Macht zu brin­gen und die dann auch mit­hal­fen, die­se Macht zu befe­sti­gen, der wird am Pro­te­stan­tis­mus nicht vor­bei­kom­men. 70 bis 80 Pro­zent der evan­ge­li­schen Pfar­rer ver­tra­ten kon­ser­va­tiv-natio­na­le Anschau­un­gen, wähl­ten in der frü­hen Wei­ma­rer Repu­blik meist die rech­te DNVP wegen deren Ableh­nung der Demo­kra­tie, des Libe­ra­lis­mus und des Pazi­fis­mus. Die­se Ableh­nung fin­det sich auch in der NS-Bewe­gung, die zuneh­mend den Kampf gegen das Juden­tum her­vor­hob. Das gefiel dem Groß­teil des Pro­te­stan­tis­mus, war das doch auch eine Kern­for­de­rung des spä­ten Mar­tin Luther, dar­ge­stellt auf 135 Sei­ten in sei­nem Buch »Von den Jüden und ihren Lügen« von 1543, eine Art Ver­mächt­nis von ihm. Ein Schlüs­sel­satz in die­sem men­schen­mor­den­den Mach­werk gegen die »Jüden« lau­tet: »Wir wol­len gern Geschenk dazu geben, das wir sie los­wer­den. Denn sie sind uns eine schwe­re Last, wie eine Pla­ge, Pesti­lenz und eitel Unglück in unse­rem Lan­de.« Über den preu­ßi­schen Histo­ri­ker Hein­rich von Treit­sch­ke wur­den die­se Wor­te in sei­ner Schrift zum Anti­se­mi­tis­mus­streit 1879 bekannt­lich auf die For­mel gebracht: »Die Juden sind unser Unglück« – das war spä­ter auch die Paro­le des natio­nal­so­zia­li­sti­schen Hetz­blat­tes Der Stür­mer des Juli­us Streicher.

Typi­scher Ver­tre­ter des Pro­te­stan­tis­mus in jenen Jah­ren war der Lan­des­bi­schof der Lan­des­kir­che Han­no­vers, August Marah­rens, Vor­sit­zen­der des Luthe­ri­schen Welt­kon­vents von 1935 bis 1945, der am 31. August 1939 zum Spre­cher des drei­köp­fi­gen Geist­li­chen Ver­trau­ens­ra­tes beru­fen wur­de und damit wäh­rend des Krie­ges »für die gesam­te evan­ge­li­sche Chri­sten­heit des Rei­ches« sprach. Der Kir­chen­hi­sto­ri­ker Klaus Schol­der bezeich­net ihn zu Recht als »poli­tisch gläu­bi­gen Anhän­ger Hit­lers«, der sich 1933 in einem Brief an Hit­ler selbst rühm­te, dass sein »Haus seit Jah­ren mit Hin­ga­be in der Bewe­gung steht«. Kurz zuvor, am 25. April 1933, hat­te er als Mit­glied eines Drei-Män­ner-Kol­le­gi­ums, das bevoll­mäch­tigt war, für sämt­li­che Kir­chen in Deutsch­land zu spre­chen, in einer »Kund­ge­bung« erklärt: »Zu die­ser Wen­de der Geschich­te (gemeint: die Macht­über­ga­be an Hit­ler am 30. Janu­ar 1933, H.H.) spre­chen wir ein dank­ba­res Ja. Gott hat sie uns geschenkt. Ihm sei die Ehre!«

Befreun­det war Marah­rens mit Wil­helm Frick, dem ersten NS-Mini­ster einer Lan­des­re­gie­rung, und zwar 1930/​31 in Thü­rin­gen als Innen- und Volks­bil­dungs­mi­ni­ster, der am 05. 04. 1930 den Erlass »Wider die Neger­kul­tur für deut­sches Volks­tum« her­aus­ge­ge­ben hat­te. Frick, der 1933 Reichs­in­nen­mi­ni­ster wur­de, ende­te am 16.10.1946 als Haupt­kriegs­ver­bre­cher in Nürn­berg am Gal­gen. Sei­ne Ras­sen­leh­re hat­te der han­no­ver­sche Lan­des­bi­schof unter­stützt. Im Janu­ar 1943 hat­te der in einer Ein­ga­be an das Reichs­in­nen­mi­ni­ste­ri­um geschrie­ben: »Die Ras­sen­fra­ge ist als völ­kisch-poli­ti­sche Fra­ge durch die ver­ant­wort­li­che poli­ti­sche Füh­rung zu lösen. Sie allein hat das Recht, die not­wen­di­gen Maß­nah­men zur Rein­erhal­tung des deut­schen Blu­tes und zur Stär­kung der völ­ki­schen Kraft zu tref­fen.« Gelernt hat­te Marah­rens sei­ne Ras­sen­leh­re von dem aus Fal­lers­le­ben stam­men­den Reichs­kir­chen­mini­ster Hanns Kerrl, des­sen Fünf Grund­sät­ze, sich auf Luther beru­fend, er für sich und sei­ne Kir­chen­re­gie­rung im Juni 1939, leicht über­ar­bei­tet, über­nom­men hat­te. Dar­in heißt es: »Die Evan­ge­li­sche Kir­che ehrt im Staa­te eine von Gott gesetz­te Ord­nung. Sie for­dert von allen ihren Glie­dern treu­en Dienst in die­ser Ord­nung und weist sie an, sich in das völ­kisch-poli­ti­sche Auf­bau­werk des Füh­rers mit vol­ler Hin­ga­be ein­zu­fü­gen. (…) Im Bereich des völ­ki­schen Lebens ist eine ern­ste und ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Ras­sen­po­li­tik zur Rein­erhal­tung unse­res Vol­kes erforderlich.«

Sol­che Aus­sa­gen genüg­ten, um Marah­rens bald dar­auf zum Spre­cher des Pro­te­stan­tis­mus zu machen, der mit­hel­fen wür­de, den geplan­ten Ver­nich­tungs­krieg zu recht­fer­ti­gen. Am 2. Sep­tem­ber 1939 heißt es in sei­nem Auf­ruf: »Seit dem gest­ri­gen Tage steht unser deut­sches Volk im Kampf für das Land sei­ner Väter, damit deut­sches Blut zu deut­schem Blut heim­keh­ren darf.« Und zum Über­fall auf die Sowjet­uni­on ver­si­chert er in einem Tele­gramm »Ihnen, mein Füh­rer, unwan­del­ba­re Treue« und Gebets­hil­fe dafür, »den Pest­herd zu besei­ti­gen, damit in ganz Euro­pa unter Ihrer Füh­rung eine neue Ord­nung erste­he«. Dann, drei Jah­re spä­ter, nach dem »ver­bre­che­ri­schen Anschlag auf unse­ren Füh­rer«, so Marah­rens »tief erschüt­tert«, der Höhe­punkt sei­nes unse­li­gen Wir­kens, der Dank des Lan­des­bi­schofs Marah­rens »für die gnä­di­ge Erret­tung des Füh­rers« am 20. Juli 1944, der nach sei­ner Anord­nung in den Kir­chen­ge­mein­den eben­falls Aus­druck fin­den soll­te. Jetzt, da der Glau­be an den erwar­te­ten Sieg­frie­den brü­chig wur­de, muss­te mit Hin­weis auf den »Hei­li­gen barm­her­zi­gen Gott« zum Durch­hal­ten auf­ge­ru­fen wer­den: »Erhal­te unse­rem Vol­ke in unbe­irr­ter Treue Mut und Opfer­sinn«, also: Durch­hal­ten beim Töten und Getö­tet-wer­den. Noch am 15. Febru­ar 1945 treibt der Lan­des­bi­schof in einem sei­ner »Wochen­brie­fe« Sol­da­ten und Bevöl­ke­rung mit die­sen Wor­ten in den Tod: »Möch­te es dem tap­fe­ren und opfer­vol­len Wider­stand der Sol­da­ten und dem hin­ge­bungs­vol­len Ein­satz der Bevöl­ke­rung gelin­gen, dem gewal­ti­gen Ansturm Ein­halt zu gebieten.«

Zur ersten Nach­kriegs­syn­ode im April 1947 gab der Lan­des­bi­schof, angeb­lich »aus frei­em Ermes­sen«, sei­nen Ent­schluss bekannt, in den Ruhe­stand zu gehen. In der Dis­kus­si­on dazu konn­te von einem füh­ren­den Syn­oda­len unwi­der­spro­chen behaup­tet wer­den: »Wir ken­nen unse­ren Lan­des­bi­schof. Es ist die über­ein­stim­men­de Mei­nung in der Lan­des­kir­che, dass er der Expo­nent des Wider­stan­des gegen den Nazis­mus gewe­sen ist.« Ent­spre­chend heißt es in der »Ver­laut­ba­rung an die Gemein­den der Evang.-Luth. Lan­des­kir­che Han­no­vers«: »Die Lan­des­syn­ode, wel­che am 15. April 1947 zusam­men­ge­tre­ten ist, hat ihm im Blick auf sei­ne Amts­füh­rung als Gan­zes ihr vol­les Ver­trau­en und ihre blei­ben­de Dank­bar­keit aus­ge­spro­chen.« Im Pro­to­koll wird dazu fest­ge­stellt: »Ein­stim­mi­ge Annah­me«.