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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Die Eskalationsspirale beenden

Der Krieg in der Ukrai­ne dau­ert nun­mehr schon 2 ½ Jah­re an, ohne dass sich ein Ende abzeich­net. Seit der ersten mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zung im Febru­ar 2022 in Form von tau­sen­den Stahl­hel­men für das ukrai­ni­sche Mili­tär bis zum Ein­marsch ukrai­ni­scher Trup­pen in die Regi­on Kursk wur­de zig­mal von einem Durch­bruch durch die Lie­fe­rung wei­te­ren Kriegs­ge­räts gespro­chen, das als Game­ch­an­ger den Sieg der Ukrai­ne über den rus­si­schen Aggres­sor bewir­ken soll­te. Doch noch immer gibt es Tod, Zer­stö­rung und Trau­ma­ta auf bei­den Sei­ten. Mit jedem Eska­la­ti­ons­schritt wur­de das Nar­ra­tiv gestreut, dass nun der mili­tä­ri­sche Erfolg garan­tiert sei. Aber die Eska­la­ti­ons­schrau­be dreht sich immer wei­ter, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Mit der erklär­ten Zei­ten­wen­de hat allein die deut­sche Bun­des­re­gie­rung seit Kriegs­be­ginn Unter­stüt­zungs­lei­stun­gen in Höhe von 33,9 Mil­li­ar­den Euro finan­ziert. Deutsch­land hat in die­sem Jahr sie­ben Mil­li­ar­den Euro und für das kom­men­de Jahr vier Mil­li­ar­den Euro ein­ge­plant. Alle 15 Bun­des­mi­ni­ste­ri­en sind in die­sen Unter­stüt­zungs­pro­zess mit erheb­li­chen finan­zi­el­len Lei­stun­gen ein­ge­bun­den. Deutsch­land ist einer der größ­ten Waf­fen­lie­fe­ran­ten der Ukrai­ne und lie­fert weit über 100 ver­schie­de­ne Waf­fen­ty­pen, Trans­port- und Hilfs­mit­tel Rich­tung Osten. Seit Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges hat Deutsch­land aus Bun­des­wehr­be­stän­den Waf­fen im Wert von etwa 5,2 Mil­li­ar­den Euro an die Ukrai­ne abge­ge­ben. Außer­dem wer­den über 10.000 ukrai­ni­sche Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten hier aus­ge­bil­det. Die Kosten die­ser Aus­bil­dung belau­fen sich bis­her auf 282 Mil­lio­nen Euro. Deutsch­land ist zudem welt­weit der zweit­größ­te Geber für huma­ni­tä­re Hil­fe zur Lin­de­rung der Fol­gen von Kriegszerstörung.

Die Dimen­si­on mili­tä­ri­scher Lie­fe­run­gen in Rich­tung Ukrai­ne sind weit­ge­hend unbe­kannt. Aus den offi­zi­el­len Anga­ben der Bun­des­re­gie­rung, Stand August 2024, hier eine klei­ne, unvoll­stän­di­ge Auswahl:

  • 58 Leo­pard-Pan­zer 1 A5 mit Munition
  • 120 Schüt­zen­pan­zer Mar­der mit Munition
  • 66 Mann­schafts­trans­port­wa­gen
  • 54 M 113 gepan­zer­te Truppentransporter
  • 3 Luft­ver­tei­di­gungs­sy­ste­me IRIS-T SLS
  • 3 Patri­ot-Flug­ab­wehr­ra­ke­ten­sy­ste­me
  • 11 Luft­raum­über­wa­chungs­ra­da­re TRML-4D
  • 52 Flug­ab­wehr­ka­no­nen­pan­zer Gepard
  • 500 Flie­ger­ab­wehr­ra­ke­ten STINGER
  • 5 Mehr­fach­ra­ke­ten­wer­fer MARS und 3 Mehr­fach­ra­ke­ten­wer­fer HIMARS mit Munition
  • 14 Pan­zer­hau­bit­zen 2000
  • Hun­der­te Auf­klä­rungs­droh­nen, Antidroh­nen­ka­no­nen und elek­tro­ni­sche Drohnenabwehrgeräte
  • 22 Ber­ge­pan­zer 2
  • 21 Brücken­le­ge­pan­zer Biber
  • 11 Pio­nier­pan­zer Dachs
  • 46 Minen­räum­pan­zer Wisent 1
  • 62 Tank­fahr­zeu­ge Zetros
  • 3125 Sturm­ge­weh­re MK 556
  • 000 Pan­zer­ab­wehr­waf­fen RGW 90 Matador

Krieg beinhal­tet grund­sätz­lich das Igno­rie­ren jeg­li­cher roten Lini­en, die nicht über­schrit­ten wer­den dür­fen. Krieg ist im Kern immer unkal­ku­lier­bar in sei­ner Bedro­hung und Grenzenlosigkeit.

Vor jeder Lie­fe­rung, ins­be­son­de­re bei schwe­ren Waf­fen, immer wie­der das glei­che Sze­na­rio: anfäng­li­ches Zögern, die Ableh­nung, die­se Waf­fen­sy­ste­me zu lie­fern, das Äußern grund­sätz­li­cher Beden­ken und die Erklä­rung, mit Beson­nen­heit vor­zu­ge­hen. Letzt­lich kam es jedoch immer wie­der zu den gefor­der­ten Waf­fen­lie­fe­run­gen, und eine rote Linie nach der ande­ren wur­de über­schrit­ten. Die Begrün­dung war im Kern immer gleich. Um die sta­gnie­ren­de mili­tä­ri­sche Situa­ti­on ent­schei­dend zu ver­bes­sern, müs­sen soge­nann­te Game­ch­an­ger an die Front, um besetz­tes ukrai­ni­sches Gebiet zurück­zu­er­obern. Die Lie­fe­rung des Flak­pan­zer Gepard soll­te rus­si­sche Hub­schrau­ber, Droh­nen und Marsch­flug­kör­per abweh­ren. Der Mehr­fach­ra­ke­ten­wer­fer MARS 2 und die Pan­zer­hau­bit­ze 2000 soll­te der ukrai­ni­schen Artil­le­rie erhöh­te Durch­schlags­kraft, Mobi­li­tät und die Mög­lich­keit geziel­ter Angrif­fe auf rus­si­sche Stel­lun­gen ver­schaf­fen. Die Lie­fe­rung von 40 Schüt­zen­pan­zern vom Typ Mar­der soll­te vor­rücken­de ukrai­ni­sche Trup­pen in besetz­te Gebie­te abset­zen und beglei­ten kön­nen, um ver­lo­re­nes Ter­rain zurückzugewinnen.

Jeder Lie­fer­streit ende­te mit dem glei­chen Ergeb­nis: Es wur­de doch gelie­fert, und die Eska­la­ti­ons­schrau­be dreht sich wei­ter und wei­ter. Ende August 2024 for­der­te Selen­skyj, Nato-Waf­fen auch gegen rus­si­sches Staats­ge­biet ein­set­zen zu dür­fen, ein No-Go bis­lang, da ledig­lich die Rück­erobe­rung ukrai­ni­schen Gebie­tes Kon­sens war. Mit Zustim­mung der Nato wur­de auch das gekippt. Auch der Ein­marsch in die rus­si­sche Regi­on Kursk ist ein wei­te­rer Tabu­bruch, eben­falls von der Nato nach­träg­lich tole­riert. Das Recht auf Selbst­ver­tei­di­gung beinhal­te auch, auf den Boden des Angrei­fers vor­zu­drin­gen. Ein wei­te­rer Kurs­wech­sel, den auch die Bun­des­re­gie­rung befür­wor­tet. Es gibt bis dato kei­ner­lei Defi­ni­ti­on, wel­che letz­te rote Linie nicht über­schrit­ten wer­den darf. Das gilt für bei­de Kriegsparteien.

Der fran­zö­si­sche Noch-Staats­prä­si­dent Macron schlägt den Ein­satz fran­zö­si­scher Sol­da­ten auf ukrai­ni­schem Staats­ge­biet vor, befür­wor­tet also eine direk­te mili­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung von Nato-Sol­da­ten mit rus­si­schen Einheiten.

Auch die Dis­kus­si­on um die Lie­fe­rung der Tau­rus-Rake­te ver­läuft nach dem glei­chen Muster. Noch ver­wei­gert Olaf Scholz die Frei­ga­be, aber eine mäch­ti­ge Alli­anz aus Ukrai­ne, USA, Polen und ande­ren Nato-Staa­ten, den Grü­nen, der CDU und FDP for­dert den Ein­satz die­ser Waf­fe mit einer Reich­wei­te von 500 km. Russ­land kon­tert mit dem Hin­weis, dass es bereit sei für einen Nuklearkrieg.

Im Zuge der Kriegs­tüch­tig­keit ist der näch­ste Schritt mili­tä­ri­scher Eska­la­ti­on die Auf­stel­lung US-ame­ri­ka­ni­scher Mit­tel­strecken­ra­ke­ten und Hyper­schall­ra­ke­ten »Dark Eagle« ab 2026 in Deutsch­land. In dem Zusam­men­hang soll die in Wies­ba­den sta­tio­nier­te »Mul­ti-Domain Task Force« als neue Kom­man­do- und Ein­satz­zen­tra­le der neu­ar­ti­gen Marsch­flug­kör­per, die auch nukle­ar bestückt wer­den kön­nen, auf­ge­baut wer­den. Die seit Ende 2022 bestehen­de Ein­heit mit dem Namen »Secu­ri­ty Assi­stance Group Ukrai­ne« soll zu einem Nato-Haupt­quar­tier mit dem Namen »NATO Secu­ri­ty Assi­stance and Trai­ning for Ukrai­ne« aus­ge­baut und mit eini­gen zusätz­li­chen Mili­tärs, auch deut­schen, ver­stärkt wer­den. Die rus­si­sche Ant­wort ließ nicht lan­ge auf sich war­ten. Russ­land ver­kün­de­te den Rake­ten­kauf von 400 Kurz- und Mit­tel­strecken­ra­ke­ten mit einer Reich­wei­te von 200-300 bzw. 700 km Reich­wei­te aus Nord­ko­rea und Iran.

Bei die­ser zuge­spitz­ten Lage bleibt die Fra­ge, wel­che Ent­wick­lung die Kon­fron­ta­ti­on nimmt, wenn eine der Kriegs­par­tei­en mas­si­ve Rück­schlä­ge erlei­det. Wie reagiert die Ukrai­ne im Ver­bund mit der Nato, soll­ten erheb­li­che Gebiets­ver­lu­ste und ein Vor­rücken rus­si­scher Kampf­ver­bän­de Rea­li­tät wer­den? Kommt es dann zu einem nuklea­ren Schlag­ab­tausch? Ex-Außen­mi­ni­ster Sig­mar Gabri­el drückt das so aus: Ste­he die Ukrai­ne vor der Nie­der­la­ge, dür­fe man »nichts aus­schlie­ßen«, äußert er auf die Fra­ge nach einem mög­li­chen Ein­satz west­li­cher Boden­trup­pen. Ein gedank­li­cher Vor­griff, der Sor­gen bereitet.

Wie reagiert die Rus­si­sche Kon­fö­de­ra­ti­on, soll­te sie ihre Kriegs­zie­le nicht errei­chen und von ukrai­ni­schem Staats­ge­biet ver­drängt wer­den? Wie hoch ist die Gefahr irra­tio­na­ler Hand­lun­gen, wenn man mili­tä­risch in die Defen­si­ve gerät.

In Erin­ne­rung geru­fen wer­den soll­te eine Bege­ben­heit in der Zeit des Kal­ten Krie­ges. Am 25.September 1983 mel­de­te ein rus­si­sches Früh­warn­zen­trum den Start einer US-Atom­ra­ke­te in Rich­tung Russ­land. Der ver­meint­li­che Angriff stell­te sich viel spä­ter als Fehl­alarm her­aus, da Reflek­tio­nen in Wol­ken vom System als Angriff einer Nukle­ar­ra­ke­te gedeu­tet wur­den. Ledig­lich der Beson­nen­heit eines rus­si­schen Offi­ziers ist es zu ver­dan­ken, dass der nuklea­re Gegen­schlag nicht aus­ge­löst wurde.

Bis­lang erle­ben wir eine Ein­di­men­sio­na­li­tät mili­tä­ri­schen Den­kens, das nur die Wirk­sam­keit von Kriegs­ge­rät zum Kern ihrer Betrach­tung macht. Die­ser Tun­nel­blick wird als unab­än­der­li­ches Nar­ra­tiv in den Main­stream-Medi­en per­ma­nent wie­der­holt, so dass über­haupt kei­ner­lei Alter­na­ti­ven in den Blick gera­ten. Eine der­ar­ti­ge Blind­heit nimmt nicht mehr wahr, wel­che Reak­tio­nen und Gegen­maß­nah­men Russ­land anstre­ben könnte.

Selbst in der Hoch­zeit des Kal­ten Krie­ges kam es bei der Herbst­ta­gung der Nato im Dezem­ber 1979 zum Nato-Dop­pel­be­schluss, d. h. einer­seits wur­de die Auf­stel­lung ame­ri­ka­ni­scher Mit­tel­strecken­ra­ke­ten beschlos­sen, ande­rer­seits aber auch, und zwar zuvor, der Sowjet­uni­on Ver­hand­lun­gen über die Begren­zung die­ser Waf­fen ange­bo­ten. Eine der­ar­ti­ge poli­ti­sche Kom­bi­na­ti­on ist heu­te nicht ein­mal im Ansatz ange­dacht. Ver­hand­lungs- und Abrü­stungs­in­itia­ti­ven zur Dees­ka­la­ti­on erschei­nen in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on schlicht­weg nicht. Die Ein­di­men­sio­na­li­tät die­ses mili­tä­ri­schen Den­kens birgt die Gefahr, dass sich aus einem begrenz­ten regio­na­len Kon­flikt ein offe­ner glo­ba­ler Kon­flikt entwickelt.

Die Kriegs­mü­dig­keit der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung ist hin­läng­lich bekannt. Auch die rus­si­sche Bevöl­ke­rung ist in ihrer Mehr­heit kei­nes­wegs kriegs­be­gei­stert. Auch auf die Gefahr hin, mit der For­de­rung nach Ver­hand­lun­gen und Been­di­gung des Krie­ges auf eine Stu­fe mit Putin-Befür­wor­tern und Rechts­ra­di­ka­len gestellt zu wer­den, gibt es dazu kei­ner­lei Alter­na­ti­ve. Natür­lich ist Putin ein Auto­krat, und der Ein­marsch Russ­lands in die Ukrai­ne Anfang 2022 war ein völ­ker­rechts­ver­let­zen­der Angriffs­krieg, aber sei­ne Ver­hand­lungs­part­ner kann man sich nicht aussuchen.

Eine aktu­el­le Insa-Umfra­ge ergab, dass 68 Pro­zent der Befrag­ten sich für Frie­dens­ver­hand­lun­gen aus­spre­chen, 65 Pro­zent sind für einen Waf­fen­still­stand, 46 Pro­zent bekla­gen man­geln­de Diplo­ma­tie, und 45 Pro­zent befürch­ten einen Krieg in Deutschland.

Es gibt aktu­ell eine gro­ße noch schwei­gen­de Mehr­heit, die sich gegen die per­ma­nen­te Aus­wei­tung des Krie­ges aus­spricht. Es kommt also dar­auf an, aus einer nicht sicht­ba­ren poli­ti­schen Kraft eine Bewe­gung ent­ste­hen zu las­sen, die den Kriegs­be­für­wor­tern in die Arme fällt, eine Mam­mut­auf­ga­be für Frie­dens­be­we­gung und Gewerkschaften.

Ein Ende von Tod, Leid und Zer­stö­rung sowohl für Ukrai­ner wie auch für die rus­si­sche Bevöl­ke­rung ist ein unab­ding­ba­res Ziel. Es gilt das Spiel mit dem Feu­er zu been­den, bevor es auch für uns ernst wird.