Der Krieg in der Ukraine dauert nunmehr schon 2 ½ Jahre an, ohne dass sich ein Ende abzeichnet. Seit der ersten militärischen Unterstützung im Februar 2022 in Form von tausenden Stahlhelmen für das ukrainische Militär bis zum Einmarsch ukrainischer Truppen in die Region Kursk wurde zigmal von einem Durchbruch durch die Lieferung weiteren Kriegsgeräts gesprochen, das als Gamechanger den Sieg der Ukraine über den russischen Aggressor bewirken sollte. Doch noch immer gibt es Tod, Zerstörung und Traumata auf beiden Seiten. Mit jedem Eskalationsschritt wurde das Narrativ gestreut, dass nun der militärische Erfolg garantiert sei. Aber die Eskalationsschraube dreht sich immer weiter, und ein Ende ist nicht in Sicht.
Mit der erklärten Zeitenwende hat allein die deutsche Bundesregierung seit Kriegsbeginn Unterstützungsleistungen in Höhe von 33,9 Milliarden Euro finanziert. Deutschland hat in diesem Jahr sieben Milliarden Euro und für das kommende Jahr vier Milliarden Euro eingeplant. Alle 15 Bundesministerien sind in diesen Unterstützungsprozess mit erheblichen finanziellen Leistungen eingebunden. Deutschland ist einer der größten Waffenlieferanten der Ukraine und liefert weit über 100 verschiedene Waffentypen, Transport- und Hilfsmittel Richtung Osten. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat Deutschland aus Bundeswehrbeständen Waffen im Wert von etwa 5,2 Milliarden Euro an die Ukraine abgegeben. Außerdem werden über 10.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten hier ausgebildet. Die Kosten dieser Ausbildung belaufen sich bisher auf 282 Millionen Euro. Deutschland ist zudem weltweit der zweitgrößte Geber für humanitäre Hilfe zur Linderung der Folgen von Kriegszerstörung.
Die Dimension militärischer Lieferungen in Richtung Ukraine sind weitgehend unbekannt. Aus den offiziellen Angaben der Bundesregierung, Stand August 2024, hier eine kleine, unvollständige Auswahl:
- 58 Leopard-Panzer 1 A5 mit Munition
- 120 Schützenpanzer Marder mit Munition
- 66 Mannschaftstransportwagen
- 54 M 113 gepanzerte Truppentransporter
- 3 Luftverteidigungssysteme IRIS-T SLS
- 3 Patriot-Flugabwehrraketensysteme
- 11 Luftraumüberwachungsradare TRML-4D
- 52 Flugabwehrkanonenpanzer Gepard
- 500 Fliegerabwehrraketen STINGER
- 5 Mehrfachraketenwerfer MARS und 3 Mehrfachraketenwerfer HIMARS mit Munition
- 14 Panzerhaubitzen 2000
- Hunderte Aufklärungsdrohnen, Antidrohnenkanonen und elektronische Drohnenabwehrgeräte
- 22 Bergepanzer 2
- 21 Brückenlegepanzer Biber
- 11 Pionierpanzer Dachs
- 46 Minenräumpanzer Wisent 1
- 62 Tankfahrzeuge Zetros
- 3125 Sturmgewehre MK 556
- 000 Panzerabwehrwaffen RGW 90 Matador
Krieg beinhaltet grundsätzlich das Ignorieren jeglicher roten Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Krieg ist im Kern immer unkalkulierbar in seiner Bedrohung und Grenzenlosigkeit.
Vor jeder Lieferung, insbesondere bei schweren Waffen, immer wieder das gleiche Szenario: anfängliches Zögern, die Ablehnung, diese Waffensysteme zu liefern, das Äußern grundsätzlicher Bedenken und die Erklärung, mit Besonnenheit vorzugehen. Letztlich kam es jedoch immer wieder zu den geforderten Waffenlieferungen, und eine rote Linie nach der anderen wurde überschritten. Die Begründung war im Kern immer gleich. Um die stagnierende militärische Situation entscheidend zu verbessern, müssen sogenannte Gamechanger an die Front, um besetztes ukrainisches Gebiet zurückzuerobern. Die Lieferung des Flakpanzer Gepard sollte russische Hubschrauber, Drohnen und Marschflugkörper abwehren. Der Mehrfachraketenwerfer MARS 2 und die Panzerhaubitze 2000 sollte der ukrainischen Artillerie erhöhte Durchschlagskraft, Mobilität und die Möglichkeit gezielter Angriffe auf russische Stellungen verschaffen. Die Lieferung von 40 Schützenpanzern vom Typ Marder sollte vorrückende ukrainische Truppen in besetzte Gebiete absetzen und begleiten können, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen.
Jeder Lieferstreit endete mit dem gleichen Ergebnis: Es wurde doch geliefert, und die Eskalationsschraube dreht sich weiter und weiter. Ende August 2024 forderte Selenskyj, Nato-Waffen auch gegen russisches Staatsgebiet einsetzen zu dürfen, ein No-Go bislang, da lediglich die Rückeroberung ukrainischen Gebietes Konsens war. Mit Zustimmung der Nato wurde auch das gekippt. Auch der Einmarsch in die russische Region Kursk ist ein weiterer Tabubruch, ebenfalls von der Nato nachträglich toleriert. Das Recht auf Selbstverteidigung beinhalte auch, auf den Boden des Angreifers vorzudringen. Ein weiterer Kurswechsel, den auch die Bundesregierung befürwortet. Es gibt bis dato keinerlei Definition, welche letzte rote Linie nicht überschritten werden darf. Das gilt für beide Kriegsparteien.
Der französische Noch-Staatspräsident Macron schlägt den Einsatz französischer Soldaten auf ukrainischem Staatsgebiet vor, befürwortet also eine direkte militärische Auseinandersetzung von Nato-Soldaten mit russischen Einheiten.
Auch die Diskussion um die Lieferung der Taurus-Rakete verläuft nach dem gleichen Muster. Noch verweigert Olaf Scholz die Freigabe, aber eine mächtige Allianz aus Ukraine, USA, Polen und anderen Nato-Staaten, den Grünen, der CDU und FDP fordert den Einsatz dieser Waffe mit einer Reichweite von 500 km. Russland kontert mit dem Hinweis, dass es bereit sei für einen Nuklearkrieg.
Im Zuge der Kriegstüchtigkeit ist der nächste Schritt militärischer Eskalation die Aufstellung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen und Hyperschallraketen »Dark Eagle« ab 2026 in Deutschland. In dem Zusammenhang soll die in Wiesbaden stationierte »Multi-Domain Task Force« als neue Kommando- und Einsatzzentrale der neuartigen Marschflugkörper, die auch nuklear bestückt werden können, aufgebaut werden. Die seit Ende 2022 bestehende Einheit mit dem Namen »Security Assistance Group Ukraine« soll zu einem Nato-Hauptquartier mit dem Namen »NATO Security Assistance and Training for Ukraine« ausgebaut und mit einigen zusätzlichen Militärs, auch deutschen, verstärkt werden. Die russische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Russland verkündete den Raketenkauf von 400 Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 200-300 bzw. 700 km Reichweite aus Nordkorea und Iran.
Bei dieser zugespitzten Lage bleibt die Frage, welche Entwicklung die Konfrontation nimmt, wenn eine der Kriegsparteien massive Rückschläge erleidet. Wie reagiert die Ukraine im Verbund mit der Nato, sollten erhebliche Gebietsverluste und ein Vorrücken russischer Kampfverbände Realität werden? Kommt es dann zu einem nuklearen Schlagabtausch? Ex-Außenminister Sigmar Gabriel drückt das so aus: Stehe die Ukraine vor der Niederlage, dürfe man »nichts ausschließen«, äußert er auf die Frage nach einem möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen. Ein gedanklicher Vorgriff, der Sorgen bereitet.
Wie reagiert die Russische Konföderation, sollte sie ihre Kriegsziele nicht erreichen und von ukrainischem Staatsgebiet verdrängt werden? Wie hoch ist die Gefahr irrationaler Handlungen, wenn man militärisch in die Defensive gerät.
In Erinnerung gerufen werden sollte eine Begebenheit in der Zeit des Kalten Krieges. Am 25.September 1983 meldete ein russisches Frühwarnzentrum den Start einer US-Atomrakete in Richtung Russland. Der vermeintliche Angriff stellte sich viel später als Fehlalarm heraus, da Reflektionen in Wolken vom System als Angriff einer Nuklearrakete gedeutet wurden. Lediglich der Besonnenheit eines russischen Offiziers ist es zu verdanken, dass der nukleare Gegenschlag nicht ausgelöst wurde.
Bislang erleben wir eine Eindimensionalität militärischen Denkens, das nur die Wirksamkeit von Kriegsgerät zum Kern ihrer Betrachtung macht. Dieser Tunnelblick wird als unabänderliches Narrativ in den Mainstream-Medien permanent wiederholt, so dass überhaupt keinerlei Alternativen in den Blick geraten. Eine derartige Blindheit nimmt nicht mehr wahr, welche Reaktionen und Gegenmaßnahmen Russland anstreben könnte.
Selbst in der Hochzeit des Kalten Krieges kam es bei der Herbsttagung der Nato im Dezember 1979 zum Nato-Doppelbeschluss, d. h. einerseits wurde die Aufstellung amerikanischer Mittelstreckenraketen beschlossen, andererseits aber auch, und zwar zuvor, der Sowjetunion Verhandlungen über die Begrenzung dieser Waffen angeboten. Eine derartige politische Kombination ist heute nicht einmal im Ansatz angedacht. Verhandlungs- und Abrüstungsinitiativen zur Deeskalation erscheinen in der öffentlichen Diskussion schlichtweg nicht. Die Eindimensionalität dieses militärischen Denkens birgt die Gefahr, dass sich aus einem begrenzten regionalen Konflikt ein offener globaler Konflikt entwickelt.
Die Kriegsmüdigkeit der ukrainischen Bevölkerung ist hinlänglich bekannt. Auch die russische Bevölkerung ist in ihrer Mehrheit keineswegs kriegsbegeistert. Auch auf die Gefahr hin, mit der Forderung nach Verhandlungen und Beendigung des Krieges auf eine Stufe mit Putin-Befürwortern und Rechtsradikalen gestellt zu werden, gibt es dazu keinerlei Alternative. Natürlich ist Putin ein Autokrat, und der Einmarsch Russlands in die Ukraine Anfang 2022 war ein völkerrechtsverletzender Angriffskrieg, aber seine Verhandlungspartner kann man sich nicht aussuchen.
Eine aktuelle Insa-Umfrage ergab, dass 68 Prozent der Befragten sich für Friedensverhandlungen aussprechen, 65 Prozent sind für einen Waffenstillstand, 46 Prozent beklagen mangelnde Diplomatie, und 45 Prozent befürchten einen Krieg in Deutschland.
Es gibt aktuell eine große noch schweigende Mehrheit, die sich gegen die permanente Ausweitung des Krieges ausspricht. Es kommt also darauf an, aus einer nicht sichtbaren politischen Kraft eine Bewegung entstehen zu lassen, die den Kriegsbefürwortern in die Arme fällt, eine Mammutaufgabe für Friedensbewegung und Gewerkschaften.
Ein Ende von Tod, Leid und Zerstörung sowohl für Ukrainer wie auch für die russische Bevölkerung ist ein unabdingbares Ziel. Es gilt das Spiel mit dem Feuer zu beenden, bevor es auch für uns ernst wird.