Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Die Brosche der Clara Petacci

Die Elbe führt Hoch­was­ser, als kurz hin­ter der tsche­chi­schen Gren­ze nahe König­stein ein Toter ans Ufer geschwemmt wird. Die Poli­zei fin­det in der Klei­dung der Lei­che ein seit dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges ver­schol­len geglaub­tes Schmuck­stück, eine auf­fäl­li­ge Bro­sche. Sie stammt, so ermit­teln die tsche­chi­schen und deut­schen Kom­mis­sa­re, aus dem Besitz von Cla­ra Peta­c­ci, der Gelieb­ten des ita­lie­ni­schen Faschi­sten Beni­to Mussolini.

So beginnt der span­nen­de Kri­mi »Die Bro­sche«. Es ist der erste Roman des Nie­der­sach­sen Gerd Boh­ne (Jahr­gang 1953). Unter­halt­sam führt uns der Autor ins Tsche­chi­en der Nach-Wen­de­zeit Anfang der 2000er Jah­re. Rea­li­stisch erzählt wird eine fik­ti­ve Geschich­te, die aber auf wah­ren Gescheh­nis­sen beruht, sagt Boh­ne. Kern des Plots sind die skru­pel­lo­sen Machen­schaf­ten einer euro­pa­weit agie­ren­den Finanz­ma­fia, und wir erfah­ren, dass die ersten Ver­bin­dun­gen die­ses kri­mi­nel­len Geflechts bereits am Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges geknüpft wurden.

Geschickt ver­bin­det Boh­ne das aktu­el­le kri­mi­nel­le Gesche­hen mit Rück­blen­den auf Epi­so­den euro­päi­scher Zeit­ge­schich­te, die er wie­der leben­dig wer­den lässt. So erfah­ren wir ver­blüf­fen­de Aspek­te der inner­eu­ro­päi­schen Arbeits­mi­gra­ti­on. Und wir wer­den Zeu­gen inter­es­san­ter Vor­gän­ge zwi­schen deut­schen und ita­lie­ni­schen Faschi­sten wäh­rend der End­pha­se des Zwei­ten Welt­krie­ges, einer Ver­gan­gen­heit, die noch nicht ver­gan­gen ist. Jeden­falls betre­ten der Hob­by­hi­sto­ri­ker Her­mann Weber, eine Figur, mit der Boh­ne offen­bar sich selbst und sei­ne Lei­den­schaft für Geschichts­for­schung in den Roman bug­siert hat, und sei­ne por­tu­gie­sisch-tsche­chi­sche Lie­bes­part­ne­rin, die Pra­ger Anwäl­tin Rosa Ciga­ra, gefähr­li­ches Ter­rain, als sie begin­nen, Infor­ma­tio­nen über ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter der Gesta­po­leit­stel­le Prag zu sammeln.

Am Ende der 419 kurz­wei­li­gen Sei­ten ange­langt, stellt der Leser über­rascht fest, dass die Rät­sel um die Bro­sche der Peta­c­ci und um die Serie von Mor­den, die dem Fund der Män­ner­lei­che in der Elbe fol­gen, nicht auf­ge­klärt wer­den – noch nicht. Die Leser wer­den auf eine Fort­set­zung ver­wie­sen, an der Boh­ne aktu­ell arbei­tet. In deren Mit­tel­punkt, das ist schon zu ahnen, dürf­te dann der nach dem Bür­ger­krieg aus Grie­chen­land ein­ge­wan­der­te Exper­te für Orga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät ste­hen, der Pra­ger Ober­kom­mis­sar Petros Papado­pou­los. Die­se Figur wird Boh­ne Gele­gen­heit geben, wei­te­re Kapi­tel euro­päi­scher Zeit­ge­schich­te mit ihren Wir­kun­gen auf die Gegen­wart zu erhel­len – getreu der Devi­se des Alt­mei­sters Fried­rich Glau­ser: »Spot­ten Sie nicht über Kri­mi­nal­ro­ma­ne. Sie sind heut­zu­ta­ge das ein­zi­ge Mit­tel, ver­nünf­ti­ge Ideen zu popularisieren.«

Gerd Boh­ne: »Die Bro­sche«, Edi­ti­on Her­mann Weber, tre­di­ti­on, 419 Sei­ten, 15,99 €