Im Schloss Cecilienhof hatten im Sommer 1945 die Großen Vier das Ende die Morddiktatur des sogenannten Dritten Reiches besiegelt und Weichen für das Nachkriegsdeutschland gestellt.
Nach 1990 geschah, was undenkbar erschien: Georg Friedrich von Preußen streitet mit dem Land Brandenburg um ein Wohnrecht für seine Familie sowie insgesamt um eine Entschädigung für weitere Immobilien und Ländereien in Höhe von 1,2 Millionen Euro.
Die Enteignung war rechtskonform mit dem Potsdamer Abkommen durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) erfolgt, nach Artikel 139 GG, somit nach Rechtsvorschriften, die der »Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus« dienten. Zahlreiche historische Foto- und Filmdokumente zeigen vielfältig, wie eng sich die Hohenzollern mit Hitler & Co. verbandelt hatten. Bereits vor der »Machtergreifung«, wie der letzte deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm sich bei seiner Vernehmung als Zeuge durch den US-Ankläger Robert M. W. Kempner zu erinnern wusste (Robert M. W. Kempner: Das Dritte Reich im Kreuzverhör. Aus unveröffentlichten Vernehmungsprotokollen des Anklägers in den Nürnberger Prozessen, Neuausgabe Herbig Verlag 2005).
Enteignung und Entschädigung sind bis heute ein düsteres Kapitel unbewältigter Vergangenheit. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes mögen geahnt haben, was auf den Rechtsnachfolgestaat nach der Überleitung des Reichsvermögens in Bundesvermögen (Art. 134) an Ansprüchen zukommen könnte. Wohl deshalb schrieben sie in Artikel 135 a, dass alte Verbindlichkeiten des Reiches sowie Verbindlichkeiten des ehemaligen Landes Preußen nicht oder nicht in voller Höhe zu erfüllen sind. Wurde so für die Zukunft mit bedacht, dass Ansprüchen auf Wiedergutmachung und Entschädigung der Millionen Opfer mit Ablehnung begegnet werden konnte?
Die juristische Realität bestätigt das. Nach den Entschädigungsakten der zuständigen Berliner Behörde erhielten die Erben von Sanitätsrat Dr. med. Max und Eva Edel, nämlich Sohn Dr. Ernst Edel, Tochter Rose Margarete Noah sowie Heinz Georges und Felicitas Georges keine Erstattung der Bibliothek und keine Erstattung für die Grundstücke Berliner Straße 15-18 sowie Charlottenburger Ufer 75-79. Die Ansprüche waren gegen das »Dritte Reich« bzw. die Kassenärztliche Vereinigung geltend gemacht worden, seit 1938 Eigentümerin der Grundstücke.
1938, nach den Pogromen gab Hermann Göring am 12. November als Ministerpräsident Preußens bei einer Konferenz vor, wie bei der Enteignung der »Juden« zu verfahren war. Etwa 100 ministeriale Nazi-Größen legten die organisatorischen Grundlagen für eine Fülle von Gesetzen und Verordnungen, um rassisch zu Juden gebrandmarkten deutschen Staatsbürgern die wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlagen zu entziehen. Zudem wurde ihnen auferlegt, für die Kosten der »Reichskristallnacht« aufzukommen.
Am 25. November 1941 schließlich trat die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz in Kraft. Von da an verloren alle Personen, die sich im Ausland aufhielten, ihre deutsche Staatsangehörigkeit und ihr gesamtes Vermögen. Es fiel an das Deutsche Reich. Diese Verordnung betraf besonders die seit Herbst 1941 Deportierten, weil sie »mit dem Überschreiten der Reichsgrenzen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort ins Ausland verlegten«.
Im Arolsen-Archiv gibt es ein Schreiben der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Berlin, vom 5.3.1943 an den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg. Es heißt darin: »In der Anlage übersende ich eine Transportliste über diejenigen Juden, deren Vermögen im Rahmen der Abschiebung durch Einziehung dem Reiche angefallen ist. Das Vermögen ist nicht verfallen, sondern durch Einziehung auf das Deutsche Reich übergegangen. Es handelt sich um den 31. Osttransport.« In diesem Osttransport vom 1. März 1943 war auch Lieselotte Hirschweh, so ihr richtiger Name, als Ehefrau von Peter Edel-Hirschweh unter Nr. 130 erfasst.
Historisch ist dieses Kapitel der »Arisierung« detailliert hinreichend klar. Von Anfang an aber fehlten das Bewusstsein der Schuld wie der politische Wille, die Wiedergutmachung konsequent zu betreiben. Warum wohl? Nicht allein das Deutsche Reich und sein Nachfolgestaat im Westen hatten sich durch Arisierung enorm bereichert. Sehr viele »ehrenwerte Herren« und am Wirtschaftswunder beteiligte Firmen waren in gleicher Weise involviert.
Sollte etwa der Deutschen Bank, nachdem sie das renommierte Bankhaus Mendelssohn übernommen und dessen Bilanzsumme von 100 Millionen Reichsmark auf ihrer Habenseite verbucht hatte, diese Summe wieder verlustig gehen? Da hätte aus dem Saulus Hermann Josef Abs als »Arisierer« und Adenauer-Intimus ein Paulus werden müssen.
Oder: Die Familie Quandt bereicherte sich immens bei der »Arisierung« sowie der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern. Wer heute BMW fährt, sollte sich bewusst machen, wem er sein Geld hinterherwirft. Die heutigen Quandts zählen zu den 500 reichsten Familien Deutschlands und zu den eifrigsten Spendern an CDU, CSU und FDP. Es verwundert daher nicht, dass frühere Politiker dieser Parteien die Rückgabe jüdischen Eigentums aufgrund alliierter Gesetzgebung als ebenso unrechtmäßig wie die »Arisierung« bezeichneten.
Erst am 29. Juni 1956 wurde rückwirkend zum 1. Oktober 1953 ein kompliziertes Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung verabschiedet. Antragsberechtigt waren jedoch nur Verfolgte des NS-Regimes, die bis zum 31. Dezember 1952 (vorher: 1. Januar 1947) ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik oder West-Berlin hatten oder die vor ihrem Tod oder ihrer Auswanderung dort gelebt hatten. Alle Verfolgten aus dem Ausland wurden so von der Entschädigung ausgeschlossen. Problematisch war die gesetzte Antragsfrist vom 1. Oktober 1957. Die Verfolgten waren weltweit verstreut, und es war schwierig, an die Unterlagen heranzukommen.
Ausgeschlossen waren von vornherein alle »Asozialen« sowie Sinti und Roma. Der Bundesgerichtshof betonte sogar ausdrücklich im Urteil vom 7. Januar 1956 (AZ IV ZR 211/55), sie seien aufgrund ihrer »asozialen« Eigenschaften und nicht aus rassischen Gründen verfolgt worden. Da bis 1973 in der BRD die Homosexualität nach § 175 ein Straftatbestand war, wurden gab es auch für diese Verfolgten keine Zahlungen. Das betraf ebenso Kommunistinnen und Kommunisten als angebliche Feinde der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«.
Die »Rückerstattungssache Dr. Edel gegen Deutsches Reich – betr. Wohnungseinrichtung Eva Edel« lässt in einem Brief an das Wiedergutmachungsamt Berlin-Schöneberg vom 29. März 1954 ersichtlich werden, wie die »Sondervermögensverwaltung« versuchte, eine richtige Bewertung zu verhindern. Verwiesen wurde auf die Aussage eines früheren Dezernenten im Berliner Hauptwirtschaftsamt. Danach wäre die Bewertung durch Gerichtsvollzieher oberflächlich erfolgt und habe den Wert der beschlagnahmten Gegenstände nicht korrekt wiedergegeben. Bei dem Dezernenten handelte es sich um den »jetzige(n) Verwaltungsgerichtsdirektor Dr. Helmut Engelhard aus Hannover«. Die Vita als Dezernent in der Reichshauptstadt unter Gauleiter Goebbels und Reichsstatthalter Hermann Göring hatte der Karriere keinen Abbruch getan.
2020, im 75 Jahr nach der Befreiung Europas vom Nazi-Joch und dem Beginn der Nürnberger Prozesse, müssen Opfer des Mordregimes immer noch um ihre Opferrenten kämpfen. Die Ablehnungsquote 2019 betrug 39,5 Prozent. Weitaus generöser wurde verfahren bei Hinterbliebenenrenten der Witwen von Reinhard Heydrich, der den Holocaust organisierte, und von Roland Freisler, dem Präsidenten des Volksgerichtshofes.
Oder bei Heinz Barth, der in der DDR wegen seiner Beteiligung am Massaker von Oradour-sur-Glane zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Nach seiner Entlassung 1997 wurde ihm in der BRD zunächst eine Kriegsversehrten-Zusatzrente gezahlt. Erst nach einer langen politischen Debatte wegen dieses Falles kam es 1998 zu einer Änderung des Gesetzes bei »Verstößen« gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit. Barth erhielt daraufhin die Rente nicht mehr. Allerdings war er nur einer von 99 Fällen, in denen das geschah – bei etwa 50.000 NS-Tätern und über 70.000 vom Simon Wiesenthal- Center übermittelten Namen von Verdächtigen unter den Bezugsberechtigten.
Übrigens fand sich 1990 neben dem Brandenburger Tor ein Top-Grundstück als Objekt schamloser Begierde. Dort stand das Wohnhaus von Max Liebermann. Es wurde im Krieg zerstört. Jetzt prunkt hier ein neues Max Liebermann Haus: »kritisch rekonstruiert« – im Besitz der Familie Harald Quandt aus Bad Homburg.
Möge sich der heutige Leser selbst seinen Reim auf alles machen …