Eine liebe Freundin schenkte mir kürzlich einen sehr schönen schmalen Band mit Gedichten von Hans Krieger: Herbstblätter. 37 Spätlichtgedichte. Ihr Kommentar: »Die solltest Du lesen. Ihr Autor ist nur ein Jahr älter als Du und leider Anfang Januar dieses Jahres, zwei Monate vor seinem 90. Geburtstag verstorben. Das Erscheinen seines letzten Gedichtbandes hat er nicht mehr erlebt.«
So wurde mein Interesse geweckt. Ich hatte zuvor von Hans Krieger nur einige seiner Artikel gelesen, wusste aber nicht, dass er, neben anderen Veröffentlichungen als Kulturjournalist und Lyrikübersetzer, in den Jahren 2004 bis 2017 bereits sieben Gedichtbände mit den anregenden Titeln »Liedschattig«, »Frei wie die Zäune«, »Das Asphalt-Zebra«, »Nachtflügel«, »Apfelfall«, »Birkenlicht« und »Namenlot« vorgelegt hatte.
Mein Interesse an der neuesten und letzten Publikation Hans Kriegers wurde nicht enttäuscht. Die Gedichte summieren Erfahrungen eines langen erfüllten Lebens. »Laß es gehen zieh nicht Bilanz! / Brauchst du Ewigkeitenschauer? / Sinngenügsam ist der Tanz / nur das Jetzt hat seine Dauer« (»Jetzt«, 37. Gedicht).
Die Gedichte lenken den Blick auf viele aktuelle Begebenheiten unserer Tage. Sei es das Fallen des »Herbstblattes«, seien es die Eindrücke einer »U-Bahn(fahrt)«, der Appell zum maßvollen Umgang mit der »guten alten Erde« (»Erdschreck«), Betrachtungen zum Wolkenzug, zum wilden Wein, zur Heimat oder Begebenheiten des täglichen Lebens. Hans Krieger weiß die richtigen Worte zu wählen und zu setzen.
Interessant und anregend sind seine Gedanken zur Herausbildung des »Eigentumsrechts« und seinen Folgen (»Steinzeit«), sein Nachsinnen über Wortneuschöpfungen (»Wortwut«), zum Beispiel Wutbürger, mit denen »Menschen, die stören (…) gründlich entwertet werden«.
Sehr wichtig und bedenkenswert das Gedicht »Krieg« mit den Eingangszeilen: »Ein Wort vielleicht / zur rechten Zeit / wir hätten Frieden / nun sprechen Waffen / und sie reden falsch.«
Diesem Gedicht unmittelbar vorangestellt ist ein »Davor«, das hier in Gänze zitiert werden muss.
»Lang schon davor / vor dem Krieg / wer sah ihn denn kommen / jene allein / die auf ihn zählten / und fieberkühl warteten / bis ihn ein anderer / auch das war geplant / mal eben vom Zaun brach / gezielt etwas Frechheit / mehr war gar nicht nötig / zur Provokation / man hatte den Krieg / den Krieg den man wollte / und auch noch / den Täter dazu.«
Die »37 Spätlichtgedichte«, alle in freiem Rhythmus und ohne Interpunktion (mit Ausnahme der vier letzten) sind unaufdringlich in drei Abschnitte gegliedert, denen jeweils einige Zeilen aus einem der Gedichte des jeweiligen Abschnitts vorangestellt sind. Alles nicht gedrängt und in Zeichnungen der Malerin Christine Rieck-Sonntag, der Lebenspartnerin Hans Kriegers, gebettet und damit zugleich kontrapunktiert. Einbandgestaltung, die kluge, knappe Einführung des Elfenbein Verlags, mit einem Porträt Hans Kriegers als Frontispiz, entsprechen voll und ganz dem Anliegen des Autors und dürfen deshalb nicht unerwähnt bleiben.
Die Gedichte von Hans Krieger heißt es in einem Nachruf »seien ein ›Aufbrechen von innen‹, sie seien ›Musik aus Worten‹ (…) seine Lyrik bewegt sich zwischen Gesellschaftssatire und Kapitalismuskritik, sie ist von Sprachwitz, aber auch von Skepsis getragen.«
Hans Krieger ist in Frankfurt am Main geboren, lebte aber seit 1947 in München. Von 1962 bis 1998 war er verantwortlicher Kulturredakteur der Bayerischen Staatszeitung, seine Artikel erschienen aber auch in anderen großen deutschen Medien. Hohen Ansehens erfreuten sich seine Beiträge zu Moral und Bioethik, zur Kunstkritik und Kulturpolitik wie auch seine Kritik an der Rechtschreibreform, die er als anmaßenden Eingriff des Staates bezeichnete. 2007 prangerte er in einem öffentlichen Vortrag »die Demontage der Gerechtigkeit« in unserem Staat an: »Die Gesellschaft sind wir. Die Möglichkeit sie zu gestalten, müssen wir erst noch gewinnen« (Sozialstaat in der Sackgasse? Berlin 2008, S. 54). Hans Krieger war nicht nur ein Schöngeist, ein Satzbauer, er war ein unbeugsamer Streiter für eine gerechtere Gesellschaftsordnung.
Hans Kriegers letzter Artikel »Die pazifistische Vernunft« erschien zwei Tage vor seinem Tod in Nr. 1/2023 der Zeitschrift Ossietzky, die ausschließlich dem Thema »Frieden« gewidmet war. Drei Sätze aus diesem brillanten Beitrag sollen hier in Erinnerung gerufen werden.
»Friedenssicherung ohne Waffen wird möglich, wenn gefährliche Konflikte konsequent diplomatisch entschärft werden, bevor die Entscheidung über einen Waffeneinsatz akut werden kann (…). Kreativität ist gefragt. Waffenhilfe Ausflucht. Friedensarbeit muss endlich absolute Priorität erhalten.
Nichts ist so töricht, so realitätsblind, so naiv wie die Erwartung, Aufrüstung werde die Kriegsgefahr bannen.«
Danke Hans Krieger, für deine Artikel und Gedichte.