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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Dichter und Streiter

Eine lie­be Freun­din schenk­te mir kürz­lich einen sehr schö­nen schma­len Band mit Gedich­ten von Hans Krie­ger: Herbst­blät­ter. 37 Spät­licht­ge­dich­te. Ihr Kom­men­tar: »Die soll­test Du lesen. Ihr Autor ist nur ein Jahr älter als Du und lei­der Anfang Janu­ar die­ses Jah­res, zwei Mona­te vor sei­nem 90. Geburts­tag ver­stor­ben. Das Erschei­nen sei­nes letz­ten Gedicht­ban­des hat er nicht mehr erlebt.«

So wur­de mein Inter­es­se geweckt. Ich hat­te zuvor von Hans Krie­ger nur eini­ge sei­ner Arti­kel gele­sen, wuss­te aber nicht, dass er, neben ande­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen als Kul­tur­jour­na­list und Lyrik­über­set­zer, in den Jah­ren 2004 bis 2017 bereits sie­ben Gedicht­bän­de mit den anre­gen­den Titeln »Lied­schat­tig«, »Frei wie die Zäu­ne«, »Das Asphalt-Zebra«, »Nacht­flü­gel«, »Apfel­fall«, »Bir­ken­licht« und »Namen­lot« vor­ge­legt hatte.

Mein Inter­es­se an der neue­sten und letz­ten Publi­ka­ti­on Hans Krie­gers wur­de nicht ent­täuscht. Die Gedich­te sum­mie­ren Erfah­run­gen eines lan­gen erfüll­ten Lebens. »Laß es gehen zieh nicht Bilanz! /​ Brauchst du Ewig­kei­ten­schau­er? /​ Sinn­ge­nüg­sam ist der Tanz /​ nur das Jetzt hat sei­ne Dau­er« (»Jetzt«, 37. Gedicht).

Die Gedich­te len­ken den Blick auf vie­le aktu­el­le Bege­ben­hei­ten unse­rer Tage. Sei es das Fal­len des »Herbst­blat­tes«, sei­en es die Ein­drücke einer »U-Bahn(fahrt)«, der Appell zum maß­vol­len Umgang mit der »guten alten Erde« (»Erd­schreck«), Betrach­tun­gen zum Wol­ken­zug, zum wil­den Wein, zur Hei­mat oder Bege­ben­hei­ten des täg­li­chen Lebens. Hans Krie­ger weiß die rich­ti­gen Wor­te zu wäh­len und zu setzen.

Inter­es­sant und anre­gend sind sei­ne Gedan­ken zur Her­aus­bil­dung des »Eigen­tums­rechts« und sei­nen Fol­gen (»Stein­zeit«), sein Nach­sin­nen über Wort­neu­schöp­fun­gen (»Wort­wut«), zum Bei­spiel Wut­bür­ger, mit denen »Men­schen, die stö­ren (…) gründ­lich ent­wer­tet werden«.

Sehr wich­tig und beden­kens­wert das Gedicht »Krieg« mit den Ein­gangs­zei­len: »Ein Wort viel­leicht /​ zur rech­ten Zeit /​ wir hät­ten Frie­den /​ nun spre­chen Waf­fen /​ und sie reden falsch.«

Die­sem Gedicht unmit­tel­bar vor­an­ge­stellt ist ein »Davor«, das hier in Gän­ze zitiert wer­den muss.

»Lang schon davor /​ vor dem Krieg /​ wer sah ihn denn kom­men /​ jene allein /​ die auf ihn zähl­ten /​ und fie­ber­kühl war­te­ten /​ bis ihn ein ande­rer /​ auch das war geplant /​ mal eben vom Zaun brach /​ gezielt etwas Frech­heit /​ mehr war gar nicht nötig /​ zur Pro­vo­ka­ti­on /​ man hat­te den Krieg /​ den Krieg den man woll­te /​ und auch noch /​ den Täter dazu.«

Die »37 Spät­licht­ge­dich­te«, alle in frei­em Rhyth­mus und ohne Inter­punk­ti­on (mit Aus­nah­me der vier letz­ten) sind unauf­dring­lich in drei Abschnit­te geglie­dert, denen jeweils eini­ge Zei­len aus einem der Gedich­te des jewei­li­gen Abschnitts vor­an­ge­stellt sind. Alles nicht gedrängt und in Zeich­nun­gen der Male­rin Chri­sti­ne Rieck-Sonn­tag, der Lebens­part­ne­rin Hans Krie­gers, gebet­tet und damit zugleich kon­tra­punk­tiert. Ein­band­ge­stal­tung, die klu­ge, knap­pe Ein­füh­rung des Elfen­bein Ver­lags, mit einem Por­trät Hans Krie­gers als Fron­ti­spiz, ent­spre­chen voll und ganz dem Anlie­gen des Autors und dür­fen des­halb nicht uner­wähnt bleiben.

Die Gedich­te von Hans Krie­ger heißt es in einem Nach­ruf »sei­en ein ›Auf­bre­chen von innen‹, sie sei­en ›Musik aus Wor­ten‹ (…) sei­ne Lyrik bewegt sich zwi­schen Gesell­schafts­sa­ti­re und Kapi­ta­lis­mus­kri­tik, sie ist von Sprach­witz, aber auch von Skep­sis getragen.«

Hans Krie­ger ist in Frank­furt am Main gebo­ren, leb­te aber seit 1947 in Mün­chen. Von 1962 bis 1998 war er ver­ant­wort­li­cher Kul­tur­re­dak­teur der Baye­ri­schen Staats­zei­tung, sei­ne Arti­kel erschie­nen aber auch in ande­ren gro­ßen deut­schen Medi­en. Hohen Anse­hens erfreu­ten sich sei­ne Bei­trä­ge zu Moral und Bio­ethik, zur Kunst­kri­tik und Kul­tur­po­li­tik wie auch sei­ne Kri­tik an der Recht­schreib­re­form, die er als anma­ßen­den Ein­griff des Staa­tes bezeich­ne­te. 2007 pran­ger­te er in einem öffent­li­chen Vor­trag »die Demon­ta­ge der Gerech­tig­keit« in unse­rem Staat an: »Die Gesell­schaft sind wir. Die Mög­lich­keit sie zu gestal­ten, müs­sen wir erst noch gewin­nen« (Sozi­al­staat in der Sack­gas­se? Ber­lin 2008, S. 54). Hans Krie­ger war nicht nur ein Schön­geist, ein Satz­bau­er, er war ein unbeug­sa­mer Strei­ter für eine gerech­te­re Gesellschaftsordnung.

Hans Krie­gers letz­ter Arti­kel »Die pazi­fi­sti­sche Ver­nunft« erschien zwei Tage vor sei­nem Tod in Nr. 1/​2023 der Zeit­schrift Ossietzky, die aus­schließ­lich dem The­ma »Frie­den« gewid­met war. Drei Sät­ze aus die­sem bril­lan­ten Bei­trag sol­len hier in Erin­ne­rung geru­fen werden.

»Frie­dens­si­che­rung ohne Waf­fen wird mög­lich, wenn gefähr­li­che Kon­flik­te kon­se­quent diplo­ma­tisch ent­schärft wer­den, bevor die Ent­schei­dung über einen Waf­fen­ein­satz akut wer­den kann (…). Krea­ti­vi­tät ist gefragt. Waf­fen­hil­fe Aus­flucht. Frie­dens­ar­beit muss end­lich abso­lu­te Prio­ri­tät erhalten.

Nichts ist so töricht, so rea­li­täts­blind, so naiv wie die Erwar­tung, Auf­rü­stung wer­de die Kriegs­ge­fahr bannen.«

Dan­ke Hans Krie­ger, für dei­ne Arti­kel und Gedichte.