Friedrich von Hardenberg, der sich später Novalis nannte, gilt bis heute als der Romantiker par excellence, als der einzige wahrhafte Dichter der deutschen Frühromantik. Dabei betrachtete er selbst seine »Schriftstellerei« stets als »Nebensache«. Vielmehr bereitete er sich mit Eifer und Sorgfalt auf einen bürgerlichen Beruf vor. Nach einem erfolgreichen Jurastudium bildete er sich durch ein bergmännisches Studium und durch eigene intensive naturwissenschaftliche Studien weiter, um in der kursächsischen Salinenverwaltung seinen Lebensinhalt zu finden.
Bereits seinen Zeitgenossen und vor allem den Spätromantikern war es äußerst befremdlich, Novalis sich als Amtshauptmann oder als Bergbau- und Salinenbeamter vorzustellen. Das schriftstellerische Schaffen von Novalis beweist aber ebenfalls diesen Doppelcharakter. So beinhaltet die vierbändige Gesamtausgabe seiner Werke immerhin zwei Bänden mit philosophischen und naturwissenschaftlichen Betrachtungen und einen Band mit Briefen, autobiografischen Fragmenten und Nachträgen, während sein dichterisches Schaffen mit Gedichten, Liedern und Romanfragmenten nur einen Band füllt.
In den dichterischen Werken – vor allem in seiner Lyrik – hat Novalis das eigene innere Bergwerk ergründet und ausgelotet, dabei beschritt er bislang unbekannte Wege. Aber auch hier richtete er immer wieder den Blick nach außen. Mensch und Welt, Geist und Natur waren für ihn eine Einheit, die er in seinen Werken vielfältig gestaltete. Für Novalis war Romantik nicht sentimental Kitschiges; mit ihr wollte er das Gewöhnliche mit dem Besonderen, das Begrenzte mit dem Unendlichen zusammenführen.
Vor 250 Jahren wurde Friedrich von Hardenberg am 2. Mai 1772 auf dem Familiengut in Oberwiederstedt (Südharz) geboren. Der Familienbesitz bestand aus einem bescheidenen, 1683 erbauten Renaissanceschloss und einem Gutshof. Friedrich war das zweitälteste von elf Kindern des aus dem Adel stammenden und späteren Salinendirektors Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg und der jungen verarmten Adligen Auguste Bernhardine von Bölzig. Der Vater, Mitglied der pietistischen Herrnhuter Brüdergemeinde, erzog die Kinder mit patriarchischer Strenge, während die Mutter von stiller, zurückhaltender Natur war. Da die Bewirtschaftung des Familiengutes für den Unterhalt der kinderreichen Familie nicht genug hergab, nahm der Vater 1784 die Stelle des kursächsischen Direktors der Salinen Artern, Kösen und Dürrenberg an, was mit einem Umzug nach Weißenfels verbunden war. Die Stadt an der Saale wurde zum neuen Lebenskreis des jungen Friedrich, die sich in den folgenden Jahren durch ihre günstige Lage zwischen seinen späteren Wirkungsorten Jena, Tennstedt, Bad Dürrenberg, Weimar und Leipzig auszeichnete.
Wie seine zehn Geschwister wurde Friedrich weitgehend von Hauslehrern unterrichtet. Seine Schulbildung zur Vorbereitung eines Studiums schloss er 1790 am Luther-Gymnasium in Eisleben ab. Im Oktober immatrikulierte er sich an der traditionsreichsten »Alma Mater Jenensis«. An der »Juristerei« hatte der junge Student allerdings wenig Gefallen, weit mehr interessierten ihn philosophische Vorlesungen. Bald gewann er auch Kontakt zu den Lehrstuhlinhabern Fichte, Schelling und Schiller. Das rief den Vater auf den Plan, der besorgt war, dass sein Sohn das Studium und seinen beruflichen Werdegang vernachlässigte, und bewog ihn ein Jahr später zu einem Studienwechsel an die Universität Leipzig. Hier lernte Hardenberg Friedrich Schlegel (1772-1829) kennen, der sein Studium ebenfalls nur halbherzig betrieb. Mit Hardenberg und Schlegel hatten sich zwei intellektuell verwandte Seelen gefunden. Fortan verband sie gemeinsame Interessen wie Philosophie, Geschichte und Literatur. Wieder drängten die Eltern zu einem weiteren Wechsel des Studienortes, und so schloss Hardenberg sein Jurastudium im Mai 1793 an der Universität Wittenberg mit »erster Censur« ab.
Danach überzeugte der Vater seinen Sohn von einer Lehrstelle bei dem Kreisamtmann Coelestin August Just im Amt Tennstedt, um hier praktische Erfahrungen zu sammeln. Sein Vorgesetzter wurde bald ein väterlicher Freund (und später sein erster Biograf). Der 17. November 1794 sollte ein entscheidendes Datum für den jungen Hardenberg werden – ein Tag, der auch viele Spuren in seinen Dichtungen hinterlassen hat. Auf einer gemeinsamen Dienstreise ins unweit gelegene Grüningen, lernte der junge Hardenberg die Tochter des Schlossherren, die erst knapp 13jährige Sophie von Kühn, kennen. Eine Schicksalsbegegnung, denn nach einer Viertelstunde hatte er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Heimliche Verlobung am 17. März 1795. Ihr früher Tod, sie starb zwei Tage vor ihrem 15. Geburtstag, stürzte Friedrich in eine schwere Lebenskrise mit Todessehnsüchten und der Hoffnung auf die baldige Wiedervereinigung mit seiner Sophie. Seine tiefe Trauer verarbeitete er in den berühmten »Hymnen an die Nacht«, die 1800 in der Zeitschrift Athenäum veröffentlicht wurden. Sie enthalten die wesentlichen Gedanken von Novalis‘ romantischer Religiosität und seines Weltbildes und gelten bis heute als die bedeutendste Dichtung der Frühromantik.
Für sein berufliches Fortkommen absolvierte Hardenberg ab Ende 1797 ein montanwissenschaftliches Zusatzstudium an der Berg-Akademie in Freiberg, wo er sich in Hüttentechnik, Stollenbau und Gesteinskunde weiterbildete. Hier lernte er Julie von Charpentier, die Tochter seines Geologieprofessors, kennen. Neben seinem Studium fand Hardenberg Zeit, sich der Literatur und der Lektüre vor allem von philosophischen Werken zu widmen. Seine poetisch-philosophischen Betrachtungen und Gedanken hielt er in mehreren Fragmentsammlungen fest; bei der Veröffentlichung der bekanntesten Sammlung »Blüthenstaub« verwendete er erstmals das Pseudonym Novalis.
In der kurzen Schaffensperiode von drei Jahren entstanden die berühmten fünfzehn »Geistlichen Lieder«, der Natur- und Entwicklungsroman »Die Lehrlinge zu Saïs« sowie der Roman »Heinrich von Ofterdingen«, die beide Fragmente blieben. Der junge Minnesänger Heinrich von Ofterdingen ist auf der Suche nach der blauen Blume, die ihm in einem paradiesischen Traum erschienen war. Mit der »Blauen Blume« schuf Novalis das wirkungsmächtige Symbol für romantisches Unendlichkeitsstreben und christliche Religion. Der Roman, der romantische Gegenentwurf zu Goethes Bildungsroman »Wilhelm Meisters Lehrjahre«, ist ein Beispiel für ein romantisches Gesamtkunstwerk, denn Prosa, Poesie, Lieder und Märchen verschmelzen hier miteinander. In die Literaturgeschichte eingegangen ist auch der Jenaer Freundeskreis um die Brüder Schlegel, Novalis, Schelling, Fichte und Tieck. Neben dem Physiker Ritter und dem Philosoph Niethammer hatten in dem Literaturkreis auch die Frauen Dorothea Veit und Caroline Böhmer eine tragende Rolle. Hier entstanden erste programmatische Dichtungen der Frühromantik.
Doch zurück zu seiner beruflichen Vita. Vor und nach seinem Freiberger Studium war Novalis in Weißenfels als Salinenakzessist tätig. Zu seinen vielfältigen Aufgaben gehörten die Einführung und Erprobung der Kohlefeuerung bei der Salzgewinnung sowie die Suche nach geeigneten Lagerstätten. So erhielt er den Auftrag, mit dem Bergstipendiaten Friedrich Traugott Michael Haupt (1776-1852) eine geognostische Untersuchung der Gegend um Leipzig, Borna, Zeitz, Pegau und Zwenkau vorzunehmen. So gesehen, hat der Poet Hardenberg einen Beitrag zum späteren Braunkohlenabbau geleistet; er hatte damit – um es positiv auszudrücken – auch einen zumindest indirekten Anteil an der heutigen Leipziger Neuseenlandschaft. Heute erinnert ein Gedenkstein an der Abbruchkante des Tagebaus Profen Süd an das bergmännische Wirken von Hardenberg. Im Dezember 1800 wurde Novalis als Amtshauptmann (entspricht einem heutigen Landrat) des Thüringischen Bergkreises mit den Ämtern Weißenfels, Heldrungen und Sachsenburg betraut. Die damit vorgezeichnete Laufbahn konnte er aber nicht mehr einschlagen. Auch zur geplanten Eheschließung mit seiner Julie kam es nicht mehr. Am 25. März 1801 starb Novalis im Alter von nicht einmal 29 Jahren.
Zum 250. Geburtstag von Novalis ist im Anaconda Verlag eine einbändige und preiswerte Ausgabe mit seinen wichtigsten Schriften erschienen. Neben Gedichten, Liedern und den Romanen »Die Lehrlinge zu Sais« und »Heinrich von Ofterdingen« sind hier auch die bekanntesten Fragmentsammlungen vertreten. Weiterhin sei die einzigartige und lange Zeit verschollene Biografie »Friedrich von Hardenberg genannt Novalis« aus dem Jahre 1872 von Sophie von Hardenberg (1821-1898) empfohlen, die es in den letzten Jahren bereits auf sechs Auflagen gebracht hat. Die Nichte von Novalis hatte zwar selbst keine persönlichen Erinnerungen mehr an den Dichter, aber als Nachlassverwalterin hatte sie nicht nur Zugang zu handschriftlichen Überlieferungen und Briefen, sondern konnte auch auf persönliche Berichte der Familie und von Freunden zurückgreifen.
Hans-Dietrich Dahnke / Rudolf Walbiner (Hg.): Novalis Werke in einem Band, Anaconda Verlag, München 2022, 392 S., 7,95 €.
Sophie von Hardenberg: Friedrich von Hardenberg genannt Novalis, Avox Verlag, Leipzig 2018, 324 S., 19,90 €.