Verbesserungen der Lebensverhältnisse vollziehen sich nie automatisch, lehrt uns die Erfahrung. Alle müssen einen Beitrag leisten, um Änderungen zu bewirken und Ungerechtigkeiten abzubauen. Vieles, besonders in der Demokratie, braucht die sachkundige Meinung aller. Aus unterschiedlichen Gründen gehen aber nicht alle zur Wahl.
Die Demokratie als Form des Zusammenlebens hat sich jenseits der Diktaturen seit über zweitausend Jahren immer wieder neu bewährt. Ihr Sinn liegt schlicht in der Teilhabe aller bei wichtigen Entscheidungen. Dabei ist die Entwicklung seit der griechischen Polis gezeichnet von einer steten Auseinandersetzung zwischen dem evolutionären Geist der Demokratie und dem Verhalten der oberen Herrschaftsetagen in Parlament, Regierung und Rechtswesen. Die Überwindung von Widersprüchen zwischen oben und unten – die Bekämpfung von Ungleichheit, von Unfreiheit, die Herstellung von Brüderlichkeit und Solidarität, die Achtung vor der Natur, um Katastrophen vorzubeugen – ist dabei bis heute ein Hauptantrieb. Besser gesagt, sollte es so sein. Doch allzu viele beteiligen sich nicht mehr an der demokratischen Willensbildung.
Dabei befinden wir uns aktuell in einer Art Superwahljahr. Das geltende Wahlgesetz ruft in Deutschland alle Bürger ab 18 Jahren auf, im Jahr 2021 in neun unterschiedlichen Wahlakten – die ersten zwei davon haben im März gerade stattgefunden – ihre Repräsentanten für die Parlamente oder Gemeindeämter zu wählen. Die repräsentative Demokratie ist an Zahlen gebunden. Das bedeutet, dass die Stimmenmehrheit über Gesetze entscheidet, die unser Leben regeln. Die Zahl ist im Parlament letztlich wichtiger als der Inhalt, und der Inhalt vieler Gesetze hat die Spaltung zwischen oben und unten weiter zugelassen oder gar erst bewirkt. Die USA haben uns erst vor wenigen Monaten gezeigt, was Zahlen und der Umgang mit ihnen hervorrufen können.
Von den Mehrheitsstimmen hängt ab, welche Partei federführend die Gesetze zur Entwicklung des Landes bestimmt. Vor den Wahlen geben die Parteien viele Versprechungen ab, die später (möglicherweise) mit hohen Geldsummen aus dem Steueraufkommen der Gesellschaft oder mit der Gelddruckmaschine gedeckt werden. Mit dem Marketing des Wahlkampfes werden die dunklen Flecken auf den Westen der Wahlkonkurrenten in die Öffentlichkeit gebracht. Das überdeckt hin und wieder das eigene Unvermögen zur Problemlösung. Die Berliner Zeitung vom 14. Februar 2021 betitelte einen Beitrag mit »Falsche Heilsversprechungen« und analysierte, »dass sich der Kapitalismus mit Gesetzen und Verträgen gegen demokratische Einmischungen weitgehend immunisiert hat«.
Veränderungen per Wahlen brauchen Stimmenmehrheiten im Parlament. Ein Teil der Nichtwähler wird nun von Zweifeln geplagt, ob Wahlen überhaupt sinnvoll sind. Unsicherheiten aufzulösen, könnte den Nichtwählern helfen, wieder an Wahlen teilzunehmen. Hierzu einige grobe, vielleicht klärende Hinweise, weil die Nichtteilnahme häufig aus der Angst heraus geschieht, das mühsam Erarbeitete könnte durch Veränderungen enteignet werden.
- Das Volksbegehren im Wohnungswesen richtet sich nicht gegen private Unternehmer der Wohnungswirtschaft oder gegen Wohneigentümer. Es zielt darauf, den Wucher zu beenden. Linke sind à priori keine Enteigner.
- Enteignungen in der DDR entsprachen Beschlüssen der russischen, amerikanischen und englischen Alliierten in Jalta und Potsdam. Der Besitzstand der Nazis musste beendet werden.
- Antriebe zur Teilnahme an Parlamentswahlen sollten der Erhalt des Friedens, die Abschaffung des Prekariats und der Schutz der Natur sein. Dafür treten vor allem Parteien der sozialen Alternativen ein.
- Die Furcht der Wissenschaftler, Künstler, Wähler aus dem Mittelstand, ihre Lebensgrundlage in einer neuen sozialistischen Ordnung zu verlieren, ist unbegründet. Realistischer ist die Gefahr eines »Weiter so«. Die Alleinstellungsmerkmale der Parteien (Frieden, Arbeitswelt, Naturschutz, Tanz ums goldene Kalb, faschistoide Plattform u. a.) sind ein guter Kompass für Wahlen.
- Als gängiges Argument des Nichtwählers ist zu hören, dass Wahlen keine Änderungen herbeiführen würden. Ja, Automatismen zu gesellschaftlichen Veränderungen nach Wahlen gibt es nicht. Wahlen in der Demokratie sind der erste Schritt. Der zweite sind Gesetzesänderungen.
- Das Problem bestand in der Vergangenheit darin, dass die sozialen Alternativen zur Marktwirtschaft nach Wahlen real zu oft »scheiterten«. Ursachen: Volksfrontregierungen in Frankreich und Spanien fanden ihr Ende durch militärische Eingriffe des Auslandes; Banken der EU und der IWF haben die alternativen Versuche Griechenlands ein Ende gesetzt. Der Geldfluss für die Wirtschaftskreisläufe wurde verweigert. 12 Lateinamerikanische Länder sind klassische Beispiele, wo Militärputsche und direkte Einmischungen der USA die Ergebnisse demokratischen Wahlen gewaltsam zurückgedrängt haben.
- Viel Vertrauen der Wähler in linke Wirtschaftskompetenzen ist durch den Realsozialismus des 20. Jahrhunderts verloren gegangen, obwohl in ihren Kinderjahren das alternativen Modell in der Wissenschaft, dem Bildungs- und Gesundheitswesen, der Grundversorgung beachtliches geleistet wurde. Unbeachtet blieben die Wirkungen des Kalten Krieges. Die sozialistische Alternative stand ständig vor der Entscheidung »Sein oder Nichtsein«. Ein wissenschaftlicher Gesamtvergleich zwischen der Marktwirtschaft und der Planwirtschaft, hat noch nicht stattgefunden.
Nach den Wahlen haben die Abgeordneten im gesellschaftlich geteilten Deutschland viel zu tun. Änderungen benötigen eine Neugestaltung der Parteienlandschaft im Parlament. Zur Orientierung der Wähler besitzen Parteien Alleinstellungsmerkmale. Wer konsequent für den Frieden eintritt oder für die Arbeitswelt, ist klar erkennbar.
Das 21. Jahrhundert bietet die Möglichkeit sozial-ökologische Alternativen in der EINEN WELT zu etablieren. Human geprägte Vernunft und Toleranz sollten im Parlament die Oberhand gewinnen. Eine Konfrontationspolitik zwischen zwei Lagern, die Natur zerstörende militärische Aufrüstung sowie wirtschaftliche Konzepte mit Sanktionen und Vertragsbrüche haben für die Zukunft keinen Platz. Die ganze Kraft wird gebraucht, um Klima- und Virenkatastrophen zu verhindern.
Der Autor stellt in seinem Sachbuch »Hat die Welt eine Zukunft?«, (Verlag am Park, 2020, 194 Seiten) praktische Vergleiche zwischen der Markt- und der Planwirtschaft an.