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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Dialog mit den Nichtwählern

Ver­bes­se­run­gen der Lebens­ver­hält­nis­se voll­zie­hen sich nie auto­ma­tisch, lehrt uns die Erfah­rung. Alle müs­sen einen Bei­trag lei­sten, um Ände­run­gen zu bewir­ken und Unge­rech­tig­kei­ten abzu­bau­en. Vie­les, beson­ders in der Demo­kra­tie, braucht die sach­kun­di­ge Mei­nung aller. Aus unter­schied­li­chen Grün­den gehen aber nicht alle zur Wahl.

Die Demo­kra­tie als Form des Zusam­men­le­bens hat sich jen­seits der Dik­ta­tu­ren seit über zwei­tau­send Jah­ren immer wie­der neu bewährt. Ihr Sinn liegt schlicht in der Teil­ha­be aller bei wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen. Dabei ist die Ent­wick­lung seit der grie­chi­schen Polis gezeich­net von einer ste­ten Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem evo­lu­tio­nä­ren Geist der Demo­kra­tie und dem Ver­hal­ten der obe­ren Herr­schafts­eta­gen in Par­la­ment, Regie­rung und Rechts­we­sen. Die Über­win­dung von Wider­sprü­chen zwi­schen oben und unten – die Bekämp­fung von Ungleich­heit, von Unfrei­heit, die Her­stel­lung von Brü­der­lich­keit und Soli­da­ri­tät, die Ach­tung vor der Natur, um Kata­stro­phen vor­zu­beu­gen – ist dabei bis heu­te ein Haupt­an­trieb. Bes­ser gesagt, soll­te es so sein. Doch all­zu vie­le betei­li­gen sich nicht mehr an der demo­kra­ti­schen Willensbildung.

Dabei befin­den wir uns aktu­ell in einer Art Super­wahl­jahr. Das gel­ten­de Wahl­ge­setz ruft in Deutsch­land alle Bür­ger ab 18 Jah­ren auf, im Jahr 2021 in neun unter­schied­li­chen Wahl­ak­ten – die ersten zwei davon haben im März gera­de statt­ge­fun­den – ihre Reprä­sen­tan­ten für die Par­la­men­te oder Gemein­de­äm­ter zu wäh­len. Die reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie ist an Zah­len gebun­den. Das bedeu­tet, dass die Stim­men­mehr­heit über Geset­ze ent­schei­det, die unser Leben regeln. Die Zahl ist im Par­la­ment letzt­lich wich­ti­ger als der Inhalt, und der Inhalt vie­ler Geset­ze hat die Spal­tung zwi­schen oben und unten wei­ter zuge­las­sen oder gar erst bewirkt. Die USA haben uns erst vor weni­gen Mona­ten gezeigt, was Zah­len und der Umgang mit ihnen her­vor­ru­fen können.

Von den Mehr­heits­stim­men hängt ab, wel­che Par­tei feder­füh­rend die Geset­ze zur Ent­wick­lung des Lan­des bestimmt. Vor den Wah­len geben die Par­tei­en vie­le Ver­spre­chun­gen ab, die spä­ter (mög­li­cher­wei­se) mit hohen Geld­sum­men aus dem Steu­er­auf­kom­men der Gesell­schaft oder mit der Geld­druck­ma­schi­ne gedeckt wer­den. Mit dem Mar­ke­ting des Wahl­kamp­fes wer­den die dunk­len Flecken auf den Westen der Wahl­kon­kur­ren­ten in die Öffent­lich­keit gebracht. Das über­deckt hin und wie­der das eige­ne Unver­mö­gen zur Pro­blem­lö­sung. Die Ber­li­ner Zei­tung vom 14. Febru­ar 2021 beti­tel­te einen Bei­trag mit »Fal­sche Heils­ver­spre­chun­gen« und ana­ly­sier­te, »dass sich der Kapi­ta­lis­mus mit Geset­zen und Ver­trä­gen gegen demo­kra­ti­sche Ein­mi­schun­gen weit­ge­hend immu­ni­siert hat«.

Ver­än­de­run­gen per Wah­len brau­chen Stim­men­mehr­hei­ten im Par­la­ment. Ein Teil der Nicht­wäh­ler wird nun von Zwei­feln geplagt, ob Wah­len über­haupt sinn­voll sind. Unsi­cher­hei­ten auf­zu­lö­sen, könn­te den Nicht­wäh­lern hel­fen, wie­der an Wah­len teil­zu­neh­men. Hier­zu eini­ge gro­be, viel­leicht klä­ren­de Hin­wei­se, weil die Nicht­teil­nah­me häu­fig aus der Angst her­aus geschieht, das müh­sam Erar­bei­te­te könn­te durch Ver­än­de­run­gen ent­eig­net werden.

  • Das Volks­be­geh­ren im Woh­nungs­we­sen rich­tet sich nicht gegen pri­va­te Unter­neh­mer der Woh­nungs­wirt­schaft oder gegen Wohn­ei­gen­tü­mer. Es zielt dar­auf, den Wucher zu been­den. Lin­ke sind à prio­ri kei­ne Enteigner.
  • Ent­eig­nun­gen in der DDR ent­spra­chen Beschlüs­sen der rus­si­schen, ame­ri­ka­ni­schen und eng­li­schen Alli­ier­ten in Jal­ta und Pots­dam. Der Besitz­stand der Nazis muss­te been­det werden.
  • Antrie­be zur Teil­nah­me an Par­la­ments­wah­len soll­ten der Erhalt des Frie­dens, die Abschaf­fung des Pre­ka­ri­ats und der Schutz der Natur sein. Dafür tre­ten vor allem Par­tei­en der sozia­len Alter­na­ti­ven ein.
  • Die Furcht der Wis­sen­schaft­ler, Künst­ler, Wäh­ler aus dem Mit­tel­stand, ihre Lebens­grund­la­ge in einer neu­en sozia­li­sti­schen Ord­nung zu ver­lie­ren, ist unbe­grün­det. Rea­li­sti­scher ist die Gefahr eines »Wei­ter so«. Die Allein­stel­lungs­merk­ma­le der Par­tei­en (Frie­den, Arbeits­welt, Natur­schutz, Tanz ums gol­de­ne Kalb, faschi­sto­ide Platt­form u. a.) sind ein guter Kom­pass für Wahlen.
  • Als gän­gi­ges Argu­ment des Nicht­wäh­lers ist zu hören, dass Wah­len kei­ne Ände­run­gen her­bei­füh­ren wür­den. Ja, Auto­ma­tis­men zu gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen nach Wah­len gibt es nicht. Wah­len in der Demo­kra­tie sind der erste Schritt. Der zwei­te sind Gesetzesänderungen.
  • Das Pro­blem bestand in der Ver­gan­gen­heit dar­in, dass die sozia­len Alter­na­ti­ven zur Markt­wirt­schaft nach Wah­len real zu oft »schei­ter­ten«. Ursa­chen: Volks­front­re­gie­run­gen in Frank­reich und Spa­ni­en fan­den ihr Ende durch mili­tä­ri­sche Ein­grif­fe des Aus­lan­des; Ban­ken der EU und der IWF haben die alter­na­ti­ven Ver­su­che Grie­chen­lands ein Ende gesetzt. Der Geld­fluss für die Wirt­schafts­kreis­läu­fe wur­de ver­wei­gert. 12 Latein­ame­ri­ka­ni­sche Län­der sind klas­si­sche Bei­spie­le, wo Mili­tär­put­sche und direk­te Ein­mi­schun­gen der USA die Ergeb­nis­se demo­kra­ti­schen Wah­len gewalt­sam zurück­ge­drängt haben.
  • Viel Ver­trau­en der Wäh­ler in lin­ke Wirt­schafts­kom­pe­ten­zen ist durch den Real­so­zia­lis­mus des 20. Jahr­hun­derts ver­lo­ren gegan­gen, obwohl in ihren Kin­der­jah­ren das alter­na­ti­ven Modell in der Wis­sen­schaft, dem Bil­dungs- und Gesund­heits­we­sen, der Grund­ver­sor­gung beacht­li­ches gelei­stet wur­de. Unbe­ach­tet blie­ben die Wir­kun­gen des Kal­ten Krie­ges. Die sozia­li­sti­sche Alter­na­ti­ve stand stän­dig vor der Ent­schei­dung »Sein oder Nicht­sein«. Ein wis­sen­schaft­li­cher Gesamt­ver­gleich zwi­schen der Markt­wirt­schaft und der Plan­wirt­schaft, hat noch nicht stattgefunden.

Nach den Wah­len haben die Abge­ord­ne­ten im gesell­schaft­lich geteil­ten Deutsch­land viel zu tun. Ände­run­gen benö­ti­gen eine Neu­ge­stal­tung der Par­tei­en­land­schaft im Par­la­ment. Zur Ori­en­tie­rung der Wäh­ler besit­zen Par­tei­en Allein­stel­lungs­merk­ma­le. Wer kon­se­quent für den Frie­den ein­tritt oder für die Arbeits­welt, ist klar erkennbar.

Das 21. Jahr­hun­dert bie­tet die Mög­lich­keit sozi­al-öko­lo­gi­sche Alter­na­ti­ven in der EINEN WELT zu eta­blie­ren. Human gepräg­te Ver­nunft und Tole­ranz soll­ten im Par­la­ment die Ober­hand gewin­nen. Eine Kon­fron­ta­ti­ons­po­li­tik zwi­schen zwei Lagern, die Natur zer­stö­ren­de mili­tä­ri­sche Auf­rü­stung sowie wirt­schaft­li­che Kon­zep­te mit Sank­tio­nen und Ver­trags­brü­che haben für die Zukunft kei­nen Platz. Die gan­ze Kraft wird gebraucht, um Kli­ma- und Viren­ka­ta­stro­phen zu verhindern.

 

Der Autor stellt in sei­nem Sach­buch »Hat die Welt eine Zukunft?«, (Ver­lag am Park, 2020, 194 Sei­ten) prak­ti­sche Ver­glei­che zwi­schen der Markt- und der Plan­wirt­schaft an.