Die Gruppe »Aufstehen für den Frieden« ist mit dem Panzer vorgefahren. Ihr grün gefleckter Kampfwagen aus Sperrholz sorgt für Aufsehen auf dem Kröpcke, dem zentralen Platz in Hannovers Innenstadt. Als habe Jeff Koons ihn dort hineingesteckt, ragt aus dem Kanonenrohr ein bunter Strauß künstlicher Blumen. Manchem Passanten zaubert diese Kriegsgerät-Karikatur ein Lächeln ins Gesicht. Unmissverständlich signalisieren große Plakate und bunte Banner: Hier wird für Friedens- und Entspannungspolitik geworben. Trotz der gesundheitlich gebotenen Abstandsregeln, die ein pro-aktives Verteilen von Informationsmaterial nicht zulassen, kommen etliche Menschen zum Infostand neben dem Panzer und unterzeichnen den Frankfurter Appell »abrüsten statt aufrüsten« (https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/bundesweiter-aktionstag-abruesten-statt-aufruesten).
Diese Aktion in Hannover reihte sich ein in ähnliche Aktivitäten, mit denen die Friedensbewegung am zweiten Advent in mehr als 90 Städten ihre Proteste gegen die Regierung Merkel/Scholz fortgesetzt hat: denn die rüstet militärisch kräftig auf und bereitet Krieg mit Kampfrobotern vor.
Um 44,4 Prozent hat die Bundesregierung seit 2014 den deutschen Militäretat Jahr für Jahr erhöht. Das hat die Bundestagsfraktion der Linken während der Haushaltsdebatte im Bundestag kritisiert und – vergeblich – Kürzungen im Wehr-etat beantragt. In 2021 finanziert die Bundesregierung die Bundeswehr und ihre weltweiten Kriegseinsätze mit 46,93 Milliarden Euro im Haushalts-Einzelplan 14 (Verteidigung). Dazu kommen zusätzlich 6,25 Milliarden Euro an Militärausgaben, die am eigentlichen Verteidigungshaushalt vorbei getätigt werden. Enthalten sind im Etat zahlreiche milliarden-teure Rüstungsneubeschaffungen in den nächsten 15 Jahren.
Diese Ausgaben materialisieren die 2014 während der Münchner Sicherheitskonferenz von SPD- und CDU-Politikern verkündete Doktrin der »neuen Verantwortung«. Diese weist den deutschen Streitkräften gemäß Bundeswehr-Weißbuch 2016 immer umfangreichere Aufgaben zu und soll Deutschland in eine »Position der Stärke« versetzen – in der Konfrontation mit Russland ebenso wie bei Interventionen im außereuropäischen Ausland.
Geht es nach Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) soll die Hochrüstung so weitergehen. Im November betonte sie vor Studierenden der Hamburger Bundeswehr-Hochschule gleich mehrfach, ungeachtet der Covid-19-Pandemie gelte es, auch die künftigen Verteidigungshaushalte »zuverlässig zu stärken«. Schließlich müssten »Deutschland und Europa künftig besser weltpolitikfähig werden« – da müssen Bildung und Gesundheit im eigenen Land eben chronisch unterfinanziert bleiben.
Im Juli 2020 hatte sich Kramp-Karrenbauer dafür eingesetzt, Deutschland solle künftig zehn Prozent der militärischen Fähigkeiten der Nato stellen. Das würde laut Berechnungen der Bundestagsfraktion der Linken eine Steigerung der deutschen Militärausgaben auf rund 93 Milliarden Euro erfordern. Aktuell gilt als Richtschnur für die deutsche Aufrüstungspolitik das in der Nato vereinbarte Ziel, jeder Staat solle zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts fürs Militär ausgeben. Damit werden dann rund 30 Milliarden Euro mehr als heute in die deutsche Rüstung fließen. »Das ist Wahnsinn«, plakatiert die Gewerkschaft verdi am Eingang ihrer Landeszentrale in Hannover.
Die wahnsinnige Rüstungsplanung der Bundesregierung enthält eine lange Liste von teuren Waffenneuentwicklungen und -anschaffungen. Dazu zählen schwere Transporthubschrauber, mehrere Mehrzweckkampfschiffe, neue Schützenpanzer Puma, zusätzliche Leopard-II-Kampfpanzer. In Planung ist auch das Großprojekt eines deutsch-französischen Kampfpanzers, das als »Main Ground Combat System« (MGCS) bezeichnet wird. Zudem soll ein neues deutsch-französisch-spanisches Kampfflugzeug »der vierten Generation« an den Start gebracht werden, ein völlig neuartiges Luftkampfsystem (»Future Combat Air System«, FCAS), das die Streitkräfte der beteiligten Länder in eine führende Position in der autonomen, nicht mehr vom Menschen (allein) gesteuerten Kampfführung bringen soll. Wichtiger Bestandteil dieses neuen Luftkampfsystems sind bewaffnete Drohnen, die, von künstlicher Intelligenz dirigiert, ihre Ziele teilautonom oder autonom suchen und bekämpfen. Die Entwicklung dafür ist weit fortgeschritten.
Dank des vorweihnachtlichen Vetos von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wurde die Bewaffnung der vier Heron TP Aufklärungsdrohnen, die die Bundeswehr derzeit von Israel geleast hat, vorerst gestoppt. Kramp-Karrenbauer wollte diese Kampfdrohnen eigentlich schon in einem Vierteljahr, am 19. März 2021, startklar und kampfbereit melden. Vorausschauend hatte ihr Ministerium die Drohnen, die im Sommer 2020 ihren Erstflug absolvierten, bereits bewaffnungsfähig bestellt, obwohl die in der GroKo vereinbarte Debatte über Risiken und Nebenwirkungen solcher Waffen noch gar nicht richtig begonnen hatte. Aufhängepunkte für Lenkbomben und Raketen sind an diesen Drohnen schon eingebaut, was den Steuerzahler 50 Millionen Euro extra gekostet hat. Auch mit der Zertifizierung, die jedes neue Waffensystem der Bundeswehr durchlaufen muss, war bereits begonnen worden.
Auch nach dem Einspruch der SPD-Führung läuft die Entwicklung einer eigenen Kampfdrohne für die Bundeswehr weiter. Das Geld für die Planung dieser »Eurodrohne« ist – mit Zustimmung der SPD – im Haushalt bereits eingestellt. Airbus Defence & Space soll die Waffe bauen. Diese soll neben Raketen auch Lenkbomben abschießen können und ab 2028 auf dem Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein stationiert werden. In Manching, im oberbayrischen Landkreis Pfaffenhofen, wurde inzwischen auch ein Luftwaffensystem-Unterstützungsteam »Unmanned Aerial System« eingerichtet. Dort will die Bundeswehr Drohnenpiloten ausbilden. Die Linke-Bundestagsfraktion hat dazu erfahren: »Alle Dienstposten sind mittlerweile besetzt.«
»Die Weichen hin zu Kampfdrohnen sind also längst gestellt, von einer ergebnisoffenen Drohnendebatte, in der über die Bewaffnung erst noch entschieden werden soll, kann deshalb nicht die Rede sein«, kritisieren die Linken-Abgeordneten Andrej Hunko, Alexander Neu und Tobias Pflüger in einer Broschüre der Linken-Bundestagsfraktion unter dem Titel »Stoppt den Drohnenkrieg!« (https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Broschueren/200913-Kampfdrohnen-A6.pdf)
Diesem Aufruf hat sich der Experte für Künstliche Intelligenz Jakob Foerster angeschlossen. Der Wissenschaftler forscht an der Universität Toronto zur Künstlichen Schwarmintelligenz und streitet leidenschaftlich gegen Kampfdrohnen und automatisiere Kriegführung (https://www.jakobfoerster.com/open-letter-against-armed-drones-to-the-german-social-democratic-party). In einem offenen Brief an die SPD und im Interview mit dem »Stern« hat Foerster appelliert, »auf die Anschaffung dieser Waffen unbedingt zu verzichten und gegen ihren Einsatz international vorzugehen«. Seine Begründung: »Innerhalb der letzten 20 Jahre fand in der Künstlichen Intelligenz eine Revolution statt, die das Risiko der Vollautomatisierung dieser Waffen in greifbare Nähe gebracht hat. Techniken, die beim Entwickeln der ersten Kampfdrohnen noch ferne Zukunftsmusik waren, sind heute Realität und werden tagtäglich benutzt, von automatischer Bilderkennung und Spracherkennung bis hin zu Algorithmen, die lernen Strategiespiele zu meistern. (…). Langfristig kann jede moderne ferngesteuerte bewaffnete Drohne über Software-Updates in den Kontrollzentren in eine vollautomatisierte Drohne umgewandelt werden und im Schwarm mit anderen Drohnen agieren.« Angesichts dieses Informationsstands sei »es unbedingt notwendig, auf eine internationale Ächtung von Kampfdrohnen hinzuarbeiten«.
Solche Ächtung fordern auch die Friedensbewegung, die Linke-Bundestagsfraktion, und die SPD-Führung denkt neuerdings ebenfalls wieder in diese Richtung. »Als Rüstungskontrollpolitiker verfolge ich die Entwicklung neuer Waffentechnologien grundsätzlich mit Skepsis«, hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich jüngst erklärt. Er wolle »internationale Gespräche darüber, ob Rüstungskontrolle für Drohnen auf Ebene der Vereinten Nationen oder der Nato-Staaten möglich ist«. Leider habe Kramp-Karrenbauer versäumt, das Thema in der Nato anzusprechen. Das müsse die CDU-Ministerin nachholen, denn wegen des Regierungswechsels in den USA »gibt es jetzt ein Zeitfenster für solche Gespräche«, hofft Mützenich.
Die Zeit drängt: Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat inzwischen einen unbemannten Panzer entwickelt und 2019 mit der Vermarktung dieses Kampfroboters begonnen (https://netzpolitik.org/2019/rheinmetall-zeigt-drohnenpanzer-mit-kamikazedrohne/). Er kann ferngesteuert, teilautomatisiert oder vollkommen autonom in einer programmierten Routine betrieben werden. Auf einer Rüstungsmesse in Polen hat Rheinmetall den Roboter u. a. mit einem Werfer für Flugdrohnen des Typs »Warmate« präsentiert. Das sind Geschosse – im Militärjargon »loitering munition« (herumlungernde Munition) genannt –, die zunächst über dem Zielgebiet kreisen und Überwachungsbilder schießen bis sie sich auf den Feind stürzen und ihre Sprengladung zünden. Rheinmetall nennt die Waffe »Kamikazedrohne«.
Zum nuklearen Kamikaze soll das von Deutschland, Frankreich und Spanien gemeinsam geplante neue Luftkampfsystem FCAS fähig sein. Das geht aus einem Dokument des französischen Parlaments vom 15. Juli 2020 hervor (https://www.senat.fr/rap/r19-642-3/r19-642-31.pdf). Danach soll das Waffensystem (bemannte oder unbemannte Kampfjets, die von Drohnenschwärmen begleitet werden) so ausgestattet werden, dass es in der Lage ist, »sowohl die französischen Atomwaffen als auch die in Deutschland stationierten Nato-Atomwaffen zu tragen.« Im März 2020 sprach eine Delegation des französischen Senats darüber in Berlin u. a. mit Abgeordneten aus dem Verteidigungsausschuss des Bundestages.
Als mögliche Störer bei der Verwirklichung des Rüstungsprojekts sehen die Franzosen zwei traditionelle Akteure der deutschen Friedensbewegung: die großen Kirchen und die DGB-Gewerkschaften. Im »Frankfurter Appell« für Abrüstung und Entspannung, den der DGB mit initiiert hat, heißt es: »Auf- und Hochrüstung ist keine Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Sie verschärft die Gefahr neuer Kriege und verschwendet wertvolle Ressourcen, die für eine friedliche Weltordnung dringend gebraucht werden.« Mehr als 175.000 Menschen haben diesen Appell bisher unterschrieben, der sich ausdrücklich auf den wirkungsmächtigen »Krefelder Appell« gegen Atomraketen aus den 1980er Jahren bezieht. Den zierten am Ende beim Abzug der Atomraketen fünf Millionen Unterschriften.
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen hat im Auftrag der linken Fraktion im Verteidigungsausschuss des EU-Parlaments eine Studie zu Künstlicher Intelligenz in der EU-Verteidigung erstellt: https://oezlem-alev-demirel.de/wp-content/uploads/2020/11/KI-Ruestung-dt-web.pdf.