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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Deutsche Rekorde

Zum Jah­res­be­ginn hat die Bun­des­re­gie­rung neue Rekor­de zu ver­mel­den. Das Kabi­nett von Kanz­le­rin Ange­la Mer­kel hat 2019 Rüstungs­expor­te für mehr als acht Mil­li­ar­den Euro geneh­migt und damit neue Höhen erreicht. Im Ver­gleich zum Vor­jahr wur­de der Wert der Aus­fuhr­ge­neh­mi­gun­gen von 4,824 auf 8,015 Mil­li­ar­den Euro fast ver­dop­pelt. 32 Pro­zent der Geneh­mi­gun­gen fie­len auf Kriegs­waf­fen, der Rest auf soge­nann­te son­sti­ge mili­tä­ri­sche Aus­rü­stung. Man stel­le sich der­lei Stei­ge­run­gen vor bei der Mit­tel­frei­ga­be für die aller­or­ten über­fäl­li­gen Schwimm­bad­sa­nie­run­gen, für den Aus­bau von Rad­we­gen, des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs und des Schie­nen­net­zes, für die Ein­stel­lung von Leh­rern und Pfle­ge­fach­kräf­ten, vom Woh­nungs­bau nicht zu reden. Eine Ver­dop­pe­lung, was wäre damit nicht alles zu erreichen.

Die bei­den neu­en SPD-Vor­sit­zen­den haben nun ange­kün­digt, sich für eine Redu­zie­rung der deut­schen Rüstungs­deals ein­set­zen zu wol­len. Die Bun­des­re­gie­rung müs­se Waf­fen­ex­por­te restrik­ti­ver hand­ha­ben, for­dert Par­tei­chef Nor­bert Wal­ter-Bor­jans. Es sei inak­zep­ta­bel, wie häu­fig deut­sche Waf­fen in Kri­sen­re­gio­nen und Dik­ta­tu­ren auf­tauch­ten. Auch die Ko-Vor­sit­zen­de Saskia Esken, seit 2013 Mit­glied des Bun­des­tags und einer Frak­ti­on in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung, fin­det, Deutsch­land lie­fe­re zu vie­le Rüstungs­gü­ter ins Aus­land. »In der frie­dens­po­li­ti­schen Tra­di­ti­on und Grund­hal­tung der SPD ste­hen wir dafür, dass Deutsch­land weni­ger Waf­fen expor­tiert«, so Esken.

Tat­säch­lich hat die SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on Ende ver­gan­ge­nen Jah­res ein Posi­ti­ons­pa­pier ver­ab­schie­det, dem­zu­fol­ge die deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten den Waf­fen­ver­kauf an Dritt­staa­ten außer­halb von EU, NATO und der NATO gleich­ge­stell­ten Län­dern stren­ger regu­lie­ren wol­len. Dem­nach kön­nen die­se Staa­ten in der Regel nur dann noch deut­sche Rüstungs­gü­ter bekom­men, wenn sie den Ver­trag über den Waf­fen­han­del (ATT), eben­so wie das Über­ein­kom­men zu Streu­mu­ni­ti­on und zum Ver­bot von Anti­per­so­nen­mi­nen, rati­fi­ziert haben und »kon­se­quent« umset­zen. Export­ge­neh­mi­gun­gen sol­len nur noch für zwei Jah­re gel­ten statt wie bis­her unbe­fri­stet. Für län­ger dau­ern­de Pro­jek­te müss­ten sie jeweils erneu­ert wer­den. Damit sol­le auf »ver­än­der­te außen- und sicher­heits­po­li­ti­sche Bedin­gun­gen« reagiert wer­den kön­nen. Die SPD-Abge­ord­ne­ten for­dern auch, dass der Bun­des­si­cher­heits­rat trans­pa­ren­ter wird, also das für die Geneh­mi­gung von Waf­fen­lie­fe­run­gen zustän­di­ge Gre­mi­um, dem auch SPD-Außen­mi­ni­ster Hei­ko Maas ange­hört: Alle Geneh­mi­gun­gen sol­len im Inter­net ver­öf­fent­licht wer­den. Wenn Export­ge­neh­mi­gun­gen wider­ru­fen wer­den, wie etwa aktu­ell im Fall von Lie­fe­run­gen für die sau­di­sche Kriegs­ma­ri­ne, soll ein von den Rüstungs­schmie­den zu finan­zie­ren­der Risi­ko­fonds ein­sprin­gen und nicht mehr der Bund, sprich: die Steu­er­zah­ler. Die SPD wäre aller­dings nicht die SPD, wür­de das Papier nicht »im begrün­de­ten Ein­zel­fall abso­lu­te Aus­nah­men« vor­se­hen. Offi­zi­ell bezieht sich der »begrün­de­te Ein­zel­fall« auf Isra­el, das von Restrik­tio­nen bei Rüstungs­expor­ten ver­schont wer­den soll. Es ist nicht über­lie­fert, dass die SPD ihre neue Maxi­me bei deut­schen Waf­fen­lie­fe­run­gen gegen­über CDU und CSU auch durch­zu­set­zen gedenkt und die Umset­zung etwa an einen Fort­be­stand der Gro­ßen Koali­ti­on knüpft.

Ein­ge­setzt wird das Kriegs­ge­rät »Made in Ger­ma­ny« in sämt­li­chen Kon­flikt­re­gio­nen der Welt, im Nahen Osten, auf der korea­ni­schen Halb­in­sel und in Süd­ost- und Ost­eu­ro­pa. So steht Ungarn mit 1,77 Mil­li­ar­den Euro mit wei­tem Abstand an der Spit­ze der deut­schen Waf­fen­kun­den – 2019 hat die Rechts­re­gie­rung von Mini­ster­prä­si­dent Vic­tor Orban unter ande­rem 44 Leo­pard-Kampf­pan­zer, 24 Pan­zer­hau­bit­zen, 36 Kampf­hub­schrau­ber und ein neu­es Luft­ab­wehr­sy­stem bekommen.

Bis August 2019 war die Tür­kei mit Aus­fuh­ren im Wert von 250,4 Mil­lio­nen Euro das wich­tig­ste Emp­fän­ger­land deut­scher Kriegs­waf­fen – unge­ach­tet der völ­ker­rechts­wid­ri­gen Beset­zung der Regi­on Roja­va im Nor­den Syri­ens seit Anfang 2018. Ein Export­stopp gilt ange­sichts der neu­en Inva­si­on im Okto­ber 2019 für alle Güter, die in dem Kon­flikt ein­ge­setzt wer­den können.

Zu den zehn wich­tig­sten Kun­den der deut­schen Rüstungs­kon­zer­ne zäh­len nach Ungarn das von Gene­ral Abdel-Fattah al-Sisi auto­ri­tär regier­te Ägyp­ten mit 811 Mil­lio­nen Euro im Jahr 2018; das in Front­stel­lung zur Demo­kra­ti­schen Volks­re­pu­blik Korea ste­hen­de Süd­ko­rea mit min­de­stens 241 Ein­zel­ge­neh­mi­gun­gen im Wert von ins­ge­samt 278 Mil­lio­nen Euro; Alge­ri­en (238 Mil­lio­nen Euro); Katar (223 Mil­lio­nen), das den völ­ker­rechts­wid­ri­gen Ein­marsch der Tür­kei an der Sei­te isla­mi­sti­scher Mör­der­ban­den im Nor­den Syri­ens finan­ziert; und die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te (206 Mil­lio­nen), die unter ande­rem mit Sau­di-Ara­bi­en – und Ägyp­ten – seit fünf Jah­ren einen bru­ta­len Krieg im Jemen füh­ren, der laut UNO für die größ­te huma­ni­tä­re Kata­stro­phe unse­rer Zeit ver­ant­wort­lich ist. Zur Erin­ne­rung: Uni­on und SPD haben sich in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag vom März 2018 ver­stän­digt, Rüstungs­expor­te zu redu­zie­ren und Waf­fen­lie­fe­run­gen an »unmit­tel­bar« am Jemen-Krieg betei­lig­te Län­der stark ein­schrän­ken zu wol­len. Die Ver­ein­ba­rung zu die­sen Restrik­tio­nen ist eine Far­ce. Allein die Aus­fuh­ren an die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te haben sich verfünffacht.

Die Gemein­sa­me Kon­fe­renz Kir­che und Ent­wick­lung (GKKE), ein öku­me­ni­scher, evan­ge­lisch-katho­li­scher Arbeits­ver­bund zur Ent­wick­lungs­po­li­tik, kri­ti­siert in ihrem Bericht 2019 die schwarz-rote Rüstungs­export­po­li­tik. »Die neu­en Poli­ti­schen Grund­sät­ze der Bun­des­re­gie­rung bedeu­ten – anders als ange­kün­digt – kei­ne Ver­schär­fung der deut­schen Rüstungs­export­po­li­tik«, heißt es da. Die Vor­sit­zen­de der GKKE-Fach­grup­pe Rüstungs­expor­te, Simo­ne Wisotz­ki, betont: »Ein Blick auf die kon­kre­ten Zah­len wie zum Bei­spiel die Ein­zel­aus­fuhr­ge­neh­mi­gun­gen, die im ersten Halb­jahr 2019 erheb­lich gestie­gen sind, macht deut­lich, dass kein Trend hin zu einer restrik­ti­ven Rüstungs­export­po­li­tik erkenn­bar ist.« Viel­mehr sei der Export an Dritt­staa­ten mitt­ler­wei­le zur Regel gewor­den. »Die GKKE for­dert daher die Bun­des­re­gie­rung auf, sich an ihre selbst­ge­setz­ten Grund­sät­ze zu hal­ten und aus­nahms­los kei­ne Kriegs­waf­fen mehr an Dritt­staa­ten zu lie­fern, es sei denn, sie kann in weni­gen Ein­zel­fäl­len tat­säch­lich eine plau­si­ble außen- und sicher­heits­po­li­ti­sche Begrün­dung geben«, so Wisotzki.

Grund­sätz­li­cher ist da die Außen­po­li­ti­ke­rin und abrü­stungs­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Frak­ti­on Die Lin­ke. im Bun­des­tag, Sevim Dağ­de­len. Sie for­dert gesetz­li­che Ver­bo­te von Waf­fen­lie­fe­run­gen. »Die poli­ti­schen Grund­sät­ze der Bun­des­re­gie­rung zu den Rüstungs­expor­ten sind das Papier nicht wert. Die Rekord­zah­len bele­gen die schmut­zi­ge Rea­li­tät.« Bereits Ende 2018 war ein Antrag auf ein Export­ver­bot für Rüstungs­gü­ter (Druck­sa­che 19/​1339) von allen ande­ren Frak­tio­nen im Bun­des­tag abge­lehnt wor­den. Mit den Stim­men der Koali­ti­ons­frak­tio­nen CDU, CSU und SPD sowie der FDP war bei Ent­hal­tung der AfD selbst ein Antrag der Frak­ti­on Die Lin­ke abge­schmet­tert wor­den, der sich gegen den Export von Kriegs­waf­fen und son­sti­gen Rüstungs­gü­tern aus Deutsch­land an die Län­der der ara­bi­schen Halb­in­sel ein­setz­te (19/​883), also die Län­der, die direkt oder indi­rekt am Krieg im Jemen betei­ligt sind. Das Nein der neo­li­be­ra­len Par­tei­en ist Garant für die schänd­li­chen Rekor­de bei den Rüstungs­expor­ten. 2019 muss da nicht das Ende gewe­sen sein.