Zum Jahresbeginn hat die Bundesregierung neue Rekorde zu vermelden. Das Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel hat 2019 Rüstungsexporte für mehr als acht Milliarden Euro genehmigt und damit neue Höhen erreicht. Im Vergleich zum Vorjahr wurde der Wert der Ausfuhrgenehmigungen von 4,824 auf 8,015 Milliarden Euro fast verdoppelt. 32 Prozent der Genehmigungen fielen auf Kriegswaffen, der Rest auf sogenannte sonstige militärische Ausrüstung. Man stelle sich derlei Steigerungen vor bei der Mittelfreigabe für die allerorten überfälligen Schwimmbadsanierungen, für den Ausbau von Radwegen, des öffentlichen Nahverkehrs und des Schienennetzes, für die Einstellung von Lehrern und Pflegefachkräften, vom Wohnungsbau nicht zu reden. Eine Verdoppelung, was wäre damit nicht alles zu erreichen.
Die beiden neuen SPD-Vorsitzenden haben nun angekündigt, sich für eine Reduzierung der deutschen Rüstungsdeals einsetzen zu wollen. Die Bundesregierung müsse Waffenexporte restriktiver handhaben, fordert Parteichef Norbert Walter-Borjans. Es sei inakzeptabel, wie häufig deutsche Waffen in Krisenregionen und Diktaturen auftauchten. Auch die Ko-Vorsitzende Saskia Esken, seit 2013 Mitglied des Bundestags und einer Fraktion in Regierungsverantwortung, findet, Deutschland liefere zu viele Rüstungsgüter ins Ausland. »In der friedenspolitischen Tradition und Grundhaltung der SPD stehen wir dafür, dass Deutschland weniger Waffen exportiert«, so Esken.
Tatsächlich hat die SPD-Bundestagsfraktion Ende vergangenen Jahres ein Positionspapier verabschiedet, demzufolge die deutschen Sozialdemokraten den Waffenverkauf an Drittstaaten außerhalb von EU, NATO und der NATO gleichgestellten Ländern strenger regulieren wollen. Demnach können diese Staaten in der Regel nur dann noch deutsche Rüstungsgüter bekommen, wenn sie den Vertrag über den Waffenhandel (ATT), ebenso wie das Übereinkommen zu Streumunition und zum Verbot von Antipersonenminen, ratifiziert haben und »konsequent« umsetzen. Exportgenehmigungen sollen nur noch für zwei Jahre gelten statt wie bisher unbefristet. Für länger dauernde Projekte müssten sie jeweils erneuert werden. Damit solle auf »veränderte außen- und sicherheitspolitische Bedingungen« reagiert werden können. Die SPD-Abgeordneten fordern auch, dass der Bundessicherheitsrat transparenter wird, also das für die Genehmigung von Waffenlieferungen zuständige Gremium, dem auch SPD-Außenminister Heiko Maas angehört: Alle Genehmigungen sollen im Internet veröffentlicht werden. Wenn Exportgenehmigungen widerrufen werden, wie etwa aktuell im Fall von Lieferungen für die saudische Kriegsmarine, soll ein von den Rüstungsschmieden zu finanzierender Risikofonds einspringen und nicht mehr der Bund, sprich: die Steuerzahler. Die SPD wäre allerdings nicht die SPD, würde das Papier nicht »im begründeten Einzelfall absolute Ausnahmen« vorsehen. Offiziell bezieht sich der »begründete Einzelfall« auf Israel, das von Restriktionen bei Rüstungsexporten verschont werden soll. Es ist nicht überliefert, dass die SPD ihre neue Maxime bei deutschen Waffenlieferungen gegenüber CDU und CSU auch durchzusetzen gedenkt und die Umsetzung etwa an einen Fortbestand der Großen Koalition knüpft.
Eingesetzt wird das Kriegsgerät »Made in Germany« in sämtlichen Konfliktregionen der Welt, im Nahen Osten, auf der koreanischen Halbinsel und in Südost- und Osteuropa. So steht Ungarn mit 1,77 Milliarden Euro mit weitem Abstand an der Spitze der deutschen Waffenkunden – 2019 hat die Rechtsregierung von Ministerpräsident Victor Orban unter anderem 44 Leopard-Kampfpanzer, 24 Panzerhaubitzen, 36 Kampfhubschrauber und ein neues Luftabwehrsystem bekommen.
Bis August 2019 war die Türkei mit Ausfuhren im Wert von 250,4 Millionen Euro das wichtigste Empfängerland deutscher Kriegswaffen – ungeachtet der völkerrechtswidrigen Besetzung der Region Rojava im Norden Syriens seit Anfang 2018. Ein Exportstopp gilt angesichts der neuen Invasion im Oktober 2019 für alle Güter, die in dem Konflikt eingesetzt werden können.
Zu den zehn wichtigsten Kunden der deutschen Rüstungskonzerne zählen nach Ungarn das von General Abdel-Fattah al-Sisi autoritär regierte Ägypten mit 811 Millionen Euro im Jahr 2018; das in Frontstellung zur Demokratischen Volksrepublik Korea stehende Südkorea mit mindestens 241 Einzelgenehmigungen im Wert von insgesamt 278 Millionen Euro; Algerien (238 Millionen Euro); Katar (223 Millionen), das den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei an der Seite islamistischer Mörderbanden im Norden Syriens finanziert; und die Vereinigten Arabischen Emirate (206 Millionen), die unter anderem mit Saudi-Arabien – und Ägypten – seit fünf Jahren einen brutalen Krieg im Jemen führen, der laut UNO für die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit verantwortlich ist. Zur Erinnerung: Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag vom März 2018 verständigt, Rüstungsexporte zu reduzieren und Waffenlieferungen an »unmittelbar« am Jemen-Krieg beteiligte Länder stark einschränken zu wollen. Die Vereinbarung zu diesen Restriktionen ist eine Farce. Allein die Ausfuhren an die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich verfünffacht.
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), ein ökumenischer, evangelisch-katholischer Arbeitsverbund zur Entwicklungspolitik, kritisiert in ihrem Bericht 2019 die schwarz-rote Rüstungsexportpolitik. »Die neuen Politischen Grundsätze der Bundesregierung bedeuten – anders als angekündigt – keine Verschärfung der deutschen Rüstungsexportpolitik«, heißt es da. Die Vorsitzende der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte, Simone Wisotzki, betont: »Ein Blick auf die konkreten Zahlen wie zum Beispiel die Einzelausfuhrgenehmigungen, die im ersten Halbjahr 2019 erheblich gestiegen sind, macht deutlich, dass kein Trend hin zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik erkennbar ist.« Vielmehr sei der Export an Drittstaaten mittlerweile zur Regel geworden. »Die GKKE fordert daher die Bundesregierung auf, sich an ihre selbstgesetzten Grundsätze zu halten und ausnahmslos keine Kriegswaffen mehr an Drittstaaten zu liefern, es sei denn, sie kann in wenigen Einzelfällen tatsächlich eine plausible außen- und sicherheitspolitische Begründung geben«, so Wisotzki.
Grundsätzlicher ist da die Außenpolitikerin und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. im Bundestag, Sevim Dağdelen. Sie fordert gesetzliche Verbote von Waffenlieferungen. »Die politischen Grundsätze der Bundesregierung zu den Rüstungsexporten sind das Papier nicht wert. Die Rekordzahlen belegen die schmutzige Realität.« Bereits Ende 2018 war ein Antrag auf ein Exportverbot für Rüstungsgüter (Drucksache 19/1339) von allen anderen Fraktionen im Bundestag abgelehnt worden. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU, CSU und SPD sowie der FDP war bei Enthaltung der AfD selbst ein Antrag der Fraktion Die Linke abgeschmettert worden, der sich gegen den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus Deutschland an die Länder der arabischen Halbinsel einsetzte (19/883), also die Länder, die direkt oder indirekt am Krieg im Jemen beteiligt sind. Das Nein der neoliberalen Parteien ist Garant für die schändlichen Rekorde bei den Rüstungsexporten. 2019 muss da nicht das Ende gewesen sein.