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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Deutsche Aggressionspolitik

Betrach­tet man das Zeit­ge­sche­hen unse­rer Tage im histo­ri­schen Zusam­men­hang, ist kaum zu über­se­hen, dass Deutsch­land, etwa bei der Bedie­nung glo­ba­ler Inter­es­sen der USA im Ukrai­ne-Krieg eige­ne poli­ti­sche Zie­le im Auge hat, die sich mehr als ein Jahr­hun­dert zurück­ver­fol­gen lassen.

Bereits mit dem Krieg ab 1914 soll­te Russ­land einer Dekom­po­si­ti­on unter­wor­fen wer­den, die eine Anne­xi­on von Gebie­ten im Nor­den durch Preu­ßen und die Bil­dung von Vasal­len­staa­ten ein­schloss, die von Deutsch­land abhän­gen. Trotz des ver­lo­re­nen Krie­ges wur­den im Frie­den von Brest-Litowsk das Bal­ti­kum, Tei­le von Weiß­russ­land und die Ukrai­ne bis Rostow sowie die Krim von deut­schen und öster­rei­chi­schen Trup­pen besetzt. Die Krim soll­te eine deut­sche Kolo­nie mit Neu­an­sied­lung deutsch­stäm­mi­ger Bevöl­ke­rungs­an­tei­le wer­den, und in Kiew regier­te bis Ende 1918 der Stabs­chef der dor­ti­gen deut­schen Hee­res­grup­pe, Wil­helm Groener.

1941 wur­de bei weit umfas­sen­de­rer Vor­be­rei­tung unter dem Schirm über­ge­ord­ne­ter Inter­es­sen das glei­che Ziel mit unvor­stell­ba­rer Bru­ta­li­tät ver­folgt, galt es doch, das histo­risch erste nicht­ka­pi­ta­li­sti­sche Gesell­schafts­mo­dell aus der Welt zu schaf­fen, und erst als der deut­sche Faschis­mus droh­te, durch einen Sieg über die Sowjet­uni­on sei­ne Herr­schaft in Euro­pa voll­ends zu eta­blie­ren, griff die Anti-Hit­ler­ko­ali­ti­on in das Kriegs­ge­sche­hen wirk­sam ein. Der Ver­nich­tungs­feld­zug führ­te 1943 bis in den Kau­ka­sus, erreich­te ca. 300 Kilo­me­ter über die Ost­gren­ze der heu­ti­gen Ukrai­ne hin­aus Sta­lin­grad und ende­te um den Preis von rund 33 Mill. Kriegs­to­ten, 3000 Kilo­me­ter ver­brann­ter Erde sowie hun­der­ten durch Beschuss und Bom­bar­de­ments zer­stör­ten Städ­ten in einem unvor­stell­ba­ren natio­na­len Desa­ster, wofür die deut­sche Füh­rungs­eli­te des Indu­strie- und Finanz­ka­pi­tals, die sich des Faschis­mus in die­sem Raub­zug bedien­te, vor der Geschich­te allein ver­ant­wort­lich zu machen ist.

Der wei­te­re Füh­rungs­an­spruch wur­de daher zu Recht in Fra­ge gestellt, und es war fol­ge­rich­tig, dass in Ost­eu­ro­pa in Anleh­nung an die Sowjet­uni­on alter­na­ti­ve Gesell­schafts­an­sät­ze auf nicht­ka­pi­ta­li­sti­scher Grund­la­ge auf­ge­grif­fen wurden.

Die west-deut­sche Poli­tik hin­ge­gen ent­schloss sich zur Ein- und Unter­ord­nung unter glo­ba­le Inter­es­sen der USA, die Russ­lands wirt­schaft­li­che Ver­flech­tung mit Euro­pa nicht zulie­ßen, viel­mehr auch nach Been­di­gung des Kal­ten Krie­ges wei­ter­hin danach streb­ten, Russ­land ein­zu­däm­men und durch Ein­be­zie­hung der Ukrai­ne in das west­li­che Bünd­nis zur Regio­nal­macht zu degra­die­ren (Brze­ziń­ski 1996). Das inzwi­schen in der EU seit 2000 mit gemein­sa­mer Wäh­rung zu einem mäch­ti­gen Wirt­schafts­block ver­ei­nig­te Euro­pa, in dem Deutsch­land immer deut­li­cher ton­an­ge­bend her­vor­trat, ließ dazu offen­bar gün­sti­ge Vor­aus­set­zun­gen erken­nen. Anstel­le von Ambi­tio­nen kolo­nia­ler Aus­beu­tung wie zur Zeit des Ersten Welt­krie­ges oder gar Pan­zer­ar­meen und krie­ge­ri­schem Raub­zug wie im Zwei­ten hat sich in unse­rer Zeit die Desta­bi­li­sie­rung ande­rer Staa­ten, deren Umge­stal­tung nach west­li­chem Vor­bild und schließ­lich Ein­be­zie­hung in die EU als ein sehr pro­fi­ta­bler Weg erwie­sen, um dem an stän­di­ges Wachs­tum gebun­de­nen kapi­ta­li­sti­schen Markt­me­cha­nis­mus zu entsprechen.

Tat­säch­lich erwie­sen sich Geschäf­te mit der Ukrai­ne nach 1991 in der Befol­gung west­li­cher Trans­for­ma­ti­ons-Rezep­te als ein­zig­ar­tig pro­fi­ta­bel. Von Febru­ar 2022 bis Sep­tem­ber 2023, also bereits mit­ten im Krieg, schüt­te­te die größ­te ukrai­ni­sche Bank unter ihrem öster­rei­chi­schen CEO noch 1,7 Mil­li­ar­den Dol­lar Divi­den­de an ihre Aktio­nä­re aus. Auch durch staat­lich unge­zü­gel­te Her­aus­bil­dung eines pri­va­ten Wirt­schafts­sek­tors mit hoch­gra­di­ger Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on in der Hand ein­zel­ner inter­na­tio­nal agie­ren­der Olig­ar­chen bei zugleich aus­ufern­der Kor­rup­ti­on und Aus­plün­de­rung der nicht pri­vi­le­gier­ten Schich­ten des Vol­kes wur­de die Ukrai­ne zu einem der ärm­sten Län­der Euro­pas. Seit Beginn der Unab­hän­gig­keit 1991 schrumpf­te das BIP bis 1999 auf 40 Pro­zent des Niveaus von 1990.

Im latent vor­han­de­nen, ins­be­son­de­re aber von der West­ukrai­ne pro­pa­gier­ten rus­sisch­feind­li­chen Natio­na­lis­mus, der die Kol­la­bo­ra­teu­re aus der Zeit nach 1941 (Ban­de­ra, SS-Divi­si­on Gali­zi­en) als Natio­nal­hel­den fei­ert, im Osten aber der hel­den­haf­te Befrei­ungs­kampf der Roten Armee hoch­ge­hal­ten wird, ist das Aus­maß an gesell­schaft­li­cher Zer­ris­sen­heit erkenn­bar. Noch 2010 wur­de bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len kei­ne Mehr­heit für den Anschluss an die EU erreicht. Das von tau­sen­den Beob­ach­tern der OSZE als demo­kra­tisch aner­kann­te Ergeb­nis zeig­te mit der Wahl von Wik­tor Janu­ko­wytsch mehr­heit­lich eine Distanz des Wäh­ler­wil­lens zur Bin­dung an die EU. Der Ein­fluss diver­ser, vom Westen seit 1991 finan­zier­ter NGO’s hin­ter­ließ aber durch­aus Wir­kun­gen und ließ 2014 das Ange­bot eines Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens mit der EU als aus­sichts­treich erschei­nen, um das an Boden­schät­zen und land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che rei­che Land einer pro­fi­ta­blen Gewinner­wirt­schaf­tung zu erschlie­ßen: Aus­fuhr von Roh­stof­fen, Import von Mas­sen­pro­duk­ten und Kon­sum­gü­tern auf einem Wachs­tums­markt. Dabei wur­de die bedeu­ten­de Wirt­schafts­ver­flech­tung der Ukrai­ne mit Russ­land bei­sei­te­ge­scho­ben und der Anschluss an das west­li­che Wirt­schafts­sy­stem unter schritt­wei­ser Abkopp­lung von Russ­land zur Bedin­gung erho­ben. Das ent­sprach sowohl den wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen Deutsch­lands wie auch den poli­ti­schen Inter­es­sen der USA.

Wie kaum anders zu erwar­ten, ergab aber die Prü­fung des Ange­bots durch den lang­jäh­ri­gen Mini­ster­prä­si­den­ten Myko­la Asarow für den ukrai­ni­schen Außen­han­del mit der EU Nach­tei­le, und nach­dem ein Finanz­trans­fer von der EU abge­lehnt wur­de, ent­schied die ukrai­ni­sche Regie­rung im Novem­ber 2013, das Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men in der vor­ge­leg­ten Fas­sung zurück­zu­wei­sen. Unmit­tel­bar danach setz­ten unter dem Ein­fluss des auf den ukrai­ni­schen Faschis­mus wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges zurück­ge­hen­den rech­ten Sek­tors die auf den Sturz der Regie­rung gerich­te­ten Pro­te­ste auf dem Mai­dan in Kiew ein. Dies wur­de in den Medi­en des Westens laut­hals als demo­kra­ti­sche Wil­lens­be­kun­dung eines unter­drück­ten und nach Frei­heit stre­ben­den Vol­kes beschrie­ben, ohne die dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te Posi­ti­on der Bevöl­ke­rung in der Ost­ukrai­ne auch nur mit einer Sil­be zu reflek­tie­ren. Zu den auf dem Mai­dan aus­har­ren­den Pro­te­stie­rern gesell­ten sich bei offe­ner Ein­mi­schung in die inne­rukrai­ni­sche Kon­flikt­si­tua­ti­on soli­da­risch gele­gent­lich west­li­che Poli­ti­ker, so auch der deut­sche Außen­mi­ni­ster Wester­wel­le. Im Febru­ar 2014 begrüß­te auch sein Nach­fol­ger Frank Wal­ter-Stein­mei­er füh­ren­de Faschi­sten auf dem Mai­dan mit Hand­schlag. Am 22. Febru­ar 2014 schließ­lich wur­de, nach erwie­se­ner Anwei­sung an den USA-Bot­schaf­ter in Kiew durch Staats­se­kre­tä­rin Nuland, die demo­kra­tisch gewähl­te Regie­rung Janu­ko­witsch gestürzt – die durch den Putsch selbst­er­nann­te Regie­rung unter Jazen­juk mit vier Mini­stern aus der rechts­ra­di­ka­len Par­tei Swo­bo­da aber von den Län­dern der EU sofort aner­kannt und das inner­halb der EU bis­her weit­rei­chend­ste Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men von den Put­schi­sten im März 2014 ohne Legi­ti­ma­ti­on durch das ukrai­ni­sche Volk unterzeichnet.

Bis 2009 hat­te sich die Nato ent­ge­gen den Zusa­gen bei der deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung und unter Miss­ach­tung berech­tig­ter Sicher­heits­in­ter­es­sen Russ­lands um 12 wei­te­re Län­der bis an die Gren­zen der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on vor­ge­scho­ben. Der Nato-Gip­fel in Buka­rest 2008 ließ eine Opti­on zur spä­te­ren Mit­glied­schaft der Ukrai­ne durch­aus offen. Da konn­te sich die rus­si­sche Füh­rung in der Tat nicht mehr auf Ver­trags­treue zur Nut­zung Sewas­to­pols für sei­ne Schwarz­meer­flot­te ver­las­sen und beschloss, nach­dem die Krim jahr­hun­der­te­lang zu Russ­land gehört hat­te, den Ver­wal­tungs­akt einer Zuord­nung zur Ukrai­ne 1954 rück­gän­gig zu machen. 96 Pro­zent der vor­wie­gend rus­sisch-spra­chi­gen Bevöl­ke­rung stimm­ten in einem Refe­ren­dum dem Anschluss zu.

Die von der ukrai­ni­schen Admi­ni­stra­ti­on ver­ord­ne­te Rus­so­pho­bie kann­te danach kei­ne Gren­zen, und als die zu 93 Pro­zent rus­sisch­spra­chi­ge Bevöl­ke­rung in Odes­sa zur Wah­rung ihrer Iden­ti­tät für eine gewis­se Auto­no­mie am 2. Mai 2014 auf die Stra­ße ging, trieb ein faschi­sti­scher Mob die Demon­stran­ten vor sich her, zün­de­te das Gewerk­schafts­haus an, in das sich vie­le Demon­strie­ren­den zurück­ge­zo­gen hat­ten und schoss auf die Flüch­ten­den. 48 Men­schen kamen dabei ums Leben – ein bis heu­te unge­ahn­det geblie­be­ner Mas­sen­mord. Auto­no­mie­be­stre­bun­gen der vor­wie­gend rus­sisch­spra­chi­gen Bevöl­ke­rung wur­den von der Regie­rung in Kiew mit Beschuss und schließ­lich 13.000 Toten in Donezk und Lug­ansk beant­wor­tet und rie­fen Selbst­ver­tei­di­gungs­kräf­te auf den Plan, wodurch im Ergeb­nis von Refe­ren­den 2022 zwei selb­stän­di­ge Volks­re­pu­bli­ken mit Russ­land als Schutz­macht entstanden.

Nach­dem auf zwei im Dezem­ber 2021 an die USA gerich­te­ten Ver­trags­ent­wür­fen zur Gewähr­lei­stung von Sicher­heits­ga­ran­tien für Russ­land nicht ein­ge­gan­gen, die Rück­erobe­rung der Krim von der ukrai­ni­schen Regie­rung für 2022 zum Ziel erklärt und zudem die Ein­rich­tung zahl­rei­cher CIA-Stütz­punk­te ent­lang der ukrai­ni­schen Gren­ze zu Russ­land bekannt wur­de, ent­schloss sich die Regie­rung der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on zum mili­tä­ri­schen Ein­grei­fen, zumal der Beschuss von Donezk und Lug­ansk durch Kiew bis dahin unver­min­dert Fort­set­zung fand. Die Nato griff dar­auf­hin mit Waf­fen­lie­fe­run­gen zur Unter­stüt­zung Kiews ein und blockier­te mit dem Beschluss der Rats­ta­gung in Brüs­sel 2022 nach­weis­lich eine erfolg­ver­spre­chen­de Verhandlungslösung.

Der Krieg wird bis heu­te fort­ge­setzt, in den sich Deutsch­land in bemer­kens­wer­ter Geschichts­ver­ges­sen­heit zuneh­mend ver­strickt, das illu­so­ri­sche Ziel der mili­tä­ri­schen Füh­rung in Kiew, Russ­land zu bezwin­gen, unter­stützt, mit­hilft, die rus­si­sche Inter­ven­ti­on, die eine Reak­ti­on auf die Bewaff­nung der Ukrai­ne durch 32 Nato-Staa­ten dar­stellt, pro­pa­gan­di­stisch in eine Bedro­hung für West­eu­ro­pa umzu­mün­zen, und damit zur Eska­la­ti­on des Kon­flikts bei­trägt. Es bestä­tigt sich, im Kapi­ta­lis­mus wur­den in der Geschich­te immer wie­der natio­na­le Inter­es­sen der Chan­ce auf pri­va­ten Pro­fit unter­ge­ord­net. Letz­te­rer wur­de so zum ent­schei­den­den Motiv poli­ti­schen Han­delns, und lei­der las­sen sich zur Recht­fer­ti­gung und Ver­schleie­rung einer sol­chen Poli­tik Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te auch miss­brau­chen; denn dar­um geht ange­sichts hun­dert­tau­sen­der Kriegs­to­ter und der Ver­nich­tung der Lebens­grund­la­ge von Mil­lio­nen Men­schen schon längst nicht mehr.