Betrachtet man das Zeitgeschehen unserer Tage im historischen Zusammenhang, ist kaum zu übersehen, dass Deutschland, etwa bei der Bedienung globaler Interessen der USA im Ukraine-Krieg eigene politische Ziele im Auge hat, die sich mehr als ein Jahrhundert zurückverfolgen lassen.
Bereits mit dem Krieg ab 1914 sollte Russland einer Dekomposition unterworfen werden, die eine Annexion von Gebieten im Norden durch Preußen und die Bildung von Vasallenstaaten einschloss, die von Deutschland abhängen. Trotz des verlorenen Krieges wurden im Frieden von Brest-Litowsk das Baltikum, Teile von Weißrussland und die Ukraine bis Rostow sowie die Krim von deutschen und österreichischen Truppen besetzt. Die Krim sollte eine deutsche Kolonie mit Neuansiedlung deutschstämmiger Bevölkerungsanteile werden, und in Kiew regierte bis Ende 1918 der Stabschef der dortigen deutschen Heeresgruppe, Wilhelm Groener.
1941 wurde bei weit umfassenderer Vorbereitung unter dem Schirm übergeordneter Interessen das gleiche Ziel mit unvorstellbarer Brutalität verfolgt, galt es doch, das historisch erste nichtkapitalistische Gesellschaftsmodell aus der Welt zu schaffen, und erst als der deutsche Faschismus drohte, durch einen Sieg über die Sowjetunion seine Herrschaft in Europa vollends zu etablieren, griff die Anti-Hitlerkoalition in das Kriegsgeschehen wirksam ein. Der Vernichtungsfeldzug führte 1943 bis in den Kaukasus, erreichte ca. 300 Kilometer über die Ostgrenze der heutigen Ukraine hinaus Stalingrad und endete um den Preis von rund 33 Mill. Kriegstoten, 3000 Kilometer verbrannter Erde sowie hunderten durch Beschuss und Bombardements zerstörten Städten in einem unvorstellbaren nationalen Desaster, wofür die deutsche Führungselite des Industrie- und Finanzkapitals, die sich des Faschismus in diesem Raubzug bediente, vor der Geschichte allein verantwortlich zu machen ist.
Der weitere Führungsanspruch wurde daher zu Recht in Frage gestellt, und es war folgerichtig, dass in Osteuropa in Anlehnung an die Sowjetunion alternative Gesellschaftsansätze auf nichtkapitalistischer Grundlage aufgegriffen wurden.
Die west-deutsche Politik hingegen entschloss sich zur Ein- und Unterordnung unter globale Interessen der USA, die Russlands wirtschaftliche Verflechtung mit Europa nicht zuließen, vielmehr auch nach Beendigung des Kalten Krieges weiterhin danach strebten, Russland einzudämmen und durch Einbeziehung der Ukraine in das westliche Bündnis zur Regionalmacht zu degradieren (Brzeziński 1996). Das inzwischen in der EU seit 2000 mit gemeinsamer Währung zu einem mächtigen Wirtschaftsblock vereinigte Europa, in dem Deutschland immer deutlicher tonangebend hervortrat, ließ dazu offenbar günstige Voraussetzungen erkennen. Anstelle von Ambitionen kolonialer Ausbeutung wie zur Zeit des Ersten Weltkrieges oder gar Panzerarmeen und kriegerischem Raubzug wie im Zweiten hat sich in unserer Zeit die Destabilisierung anderer Staaten, deren Umgestaltung nach westlichem Vorbild und schließlich Einbeziehung in die EU als ein sehr profitabler Weg erwiesen, um dem an ständiges Wachstum gebundenen kapitalistischen Marktmechanismus zu entsprechen.
Tatsächlich erwiesen sich Geschäfte mit der Ukraine nach 1991 in der Befolgung westlicher Transformations-Rezepte als einzigartig profitabel. Von Februar 2022 bis September 2023, also bereits mitten im Krieg, schüttete die größte ukrainische Bank unter ihrem österreichischen CEO noch 1,7 Milliarden Dollar Dividende an ihre Aktionäre aus. Auch durch staatlich ungezügelte Herausbildung eines privaten Wirtschaftssektors mit hochgradiger Kapitalakkumulation in der Hand einzelner international agierender Oligarchen bei zugleich ausufernder Korruption und Ausplünderung der nicht privilegierten Schichten des Volkes wurde die Ukraine zu einem der ärmsten Länder Europas. Seit Beginn der Unabhängigkeit 1991 schrumpfte das BIP bis 1999 auf 40 Prozent des Niveaus von 1990.
Im latent vorhandenen, insbesondere aber von der Westukraine propagierten russischfeindlichen Nationalismus, der die Kollaborateure aus der Zeit nach 1941 (Bandera, SS-Division Galizien) als Nationalhelden feiert, im Osten aber der heldenhafte Befreiungskampf der Roten Armee hochgehalten wird, ist das Ausmaß an gesellschaftlicher Zerrissenheit erkennbar. Noch 2010 wurde bei den Präsidentschaftswahlen keine Mehrheit für den Anschluss an die EU erreicht. Das von tausenden Beobachtern der OSZE als demokratisch anerkannte Ergebnis zeigte mit der Wahl von Wiktor Janukowytsch mehrheitlich eine Distanz des Wählerwillens zur Bindung an die EU. Der Einfluss diverser, vom Westen seit 1991 finanzierter NGO’s hinterließ aber durchaus Wirkungen und ließ 2014 das Angebot eines Assoziierungsabkommens mit der EU als aussichtstreich erscheinen, um das an Bodenschätzen und landwirtschaftlicher Nutzfläche reiche Land einer profitablen Gewinnerwirtschaftung zu erschließen: Ausfuhr von Rohstoffen, Import von Massenprodukten und Konsumgütern auf einem Wachstumsmarkt. Dabei wurde die bedeutende Wirtschaftsverflechtung der Ukraine mit Russland beiseitegeschoben und der Anschluss an das westliche Wirtschaftssystem unter schrittweiser Abkopplung von Russland zur Bedingung erhoben. Das entsprach sowohl den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands wie auch den politischen Interessen der USA.
Wie kaum anders zu erwarten, ergab aber die Prüfung des Angebots durch den langjährigen Ministerpräsidenten Mykola Asarow für den ukrainischen Außenhandel mit der EU Nachteile, und nachdem ein Finanztransfer von der EU abgelehnt wurde, entschied die ukrainische Regierung im November 2013, das Assoziierungsabkommen in der vorgelegten Fassung zurückzuweisen. Unmittelbar danach setzten unter dem Einfluss des auf den ukrainischen Faschismus während des Zweiten Weltkrieges zurückgehenden rechten Sektors die auf den Sturz der Regierung gerichteten Proteste auf dem Maidan in Kiew ein. Dies wurde in den Medien des Westens lauthals als demokratische Willensbekundung eines unterdrückten und nach Freiheit strebenden Volkes beschrieben, ohne die diametral entgegengesetzte Position der Bevölkerung in der Ostukraine auch nur mit einer Silbe zu reflektieren. Zu den auf dem Maidan ausharrenden Protestierern gesellten sich bei offener Einmischung in die innerukrainische Konfliktsituation solidarisch gelegentlich westliche Politiker, so auch der deutsche Außenminister Westerwelle. Im Februar 2014 begrüßte auch sein Nachfolger Frank Walter-Steinmeier führende Faschisten auf dem Maidan mit Handschlag. Am 22. Februar 2014 schließlich wurde, nach erwiesener Anweisung an den USA-Botschafter in Kiew durch Staatssekretärin Nuland, die demokratisch gewählte Regierung Janukowitsch gestürzt – die durch den Putsch selbsternannte Regierung unter Jazenjuk mit vier Ministern aus der rechtsradikalen Partei Swoboda aber von den Ländern der EU sofort anerkannt und das innerhalb der EU bisher weitreichendste Assoziierungsabkommen von den Putschisten im März 2014 ohne Legitimation durch das ukrainische Volk unterzeichnet.
Bis 2009 hatte sich die Nato entgegen den Zusagen bei der deutschen Wiedervereinigung und unter Missachtung berechtigter Sicherheitsinteressen Russlands um 12 weitere Länder bis an die Grenzen der Russischen Föderation vorgeschoben. Der Nato-Gipfel in Bukarest 2008 ließ eine Option zur späteren Mitgliedschaft der Ukraine durchaus offen. Da konnte sich die russische Führung in der Tat nicht mehr auf Vertragstreue zur Nutzung Sewastopols für seine Schwarzmeerflotte verlassen und beschloss, nachdem die Krim jahrhundertelang zu Russland gehört hatte, den Verwaltungsakt einer Zuordnung zur Ukraine 1954 rückgängig zu machen. 96 Prozent der vorwiegend russisch-sprachigen Bevölkerung stimmten in einem Referendum dem Anschluss zu.
Die von der ukrainischen Administration verordnete Russophobie kannte danach keine Grenzen, und als die zu 93 Prozent russischsprachige Bevölkerung in Odessa zur Wahrung ihrer Identität für eine gewisse Autonomie am 2. Mai 2014 auf die Straße ging, trieb ein faschistischer Mob die Demonstranten vor sich her, zündete das Gewerkschaftshaus an, in das sich viele Demonstrierenden zurückgezogen hatten und schoss auf die Flüchtenden. 48 Menschen kamen dabei ums Leben – ein bis heute ungeahndet gebliebener Massenmord. Autonomiebestrebungen der vorwiegend russischsprachigen Bevölkerung wurden von der Regierung in Kiew mit Beschuss und schließlich 13.000 Toten in Donezk und Lugansk beantwortet und riefen Selbstverteidigungskräfte auf den Plan, wodurch im Ergebnis von Referenden 2022 zwei selbständige Volksrepubliken mit Russland als Schutzmacht entstanden.
Nachdem auf zwei im Dezember 2021 an die USA gerichteten Vertragsentwürfen zur Gewährleistung von Sicherheitsgarantien für Russland nicht eingegangen, die Rückeroberung der Krim von der ukrainischen Regierung für 2022 zum Ziel erklärt und zudem die Einrichtung zahlreicher CIA-Stützpunkte entlang der ukrainischen Grenze zu Russland bekannt wurde, entschloss sich die Regierung der Russischen Föderation zum militärischen Eingreifen, zumal der Beschuss von Donezk und Lugansk durch Kiew bis dahin unvermindert Fortsetzung fand. Die Nato griff daraufhin mit Waffenlieferungen zur Unterstützung Kiews ein und blockierte mit dem Beschluss der Ratstagung in Brüssel 2022 nachweislich eine erfolgversprechende Verhandlungslösung.
Der Krieg wird bis heute fortgesetzt, in den sich Deutschland in bemerkenswerter Geschichtsvergessenheit zunehmend verstrickt, das illusorische Ziel der militärischen Führung in Kiew, Russland zu bezwingen, unterstützt, mithilft, die russische Intervention, die eine Reaktion auf die Bewaffnung der Ukraine durch 32 Nato-Staaten darstellt, propagandistisch in eine Bedrohung für Westeuropa umzumünzen, und damit zur Eskalation des Konflikts beiträgt. Es bestätigt sich, im Kapitalismus wurden in der Geschichte immer wieder nationale Interessen der Chance auf privaten Profit untergeordnet. Letzterer wurde so zum entscheidenden Motiv politischen Handelns, und leider lassen sich zur Rechtfertigung und Verschleierung einer solchen Politik Demokratie und Menschenrechte auch missbrauchen; denn darum geht angesichts hunderttausender Kriegstoter und der Vernichtung der Lebensgrundlage von Millionen Menschen schon längst nicht mehr.