Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Des Guten zu viel?

Mit Armut Geschla­ge­ne hat »das Schick­sal« hart getrof­fen. Schlim­mer als die­ses Elend ist jedoch die Gefahr, die der Bür­ger­ge­sell­schaft dar­aus erste­hen könn­te, dass sich die Armen einen extre­mi­sti­schen Reim dar­auf machen. Und es gibt ja auch die sta­ti­sti­sche Kor­re­la­ti­on zwi­schen pre­kä­rer Exi­stenz und Stim­men­ge­win­nen für zur Wahl ste­hen­de Faschis­mus­ver­däch­ti­ge. Aller­dings ist die­ses In-Bezie­hung-Set­zen alles ande­re als die Anga­be eines Grun­des für extre­mes Wäh­ler­ver­hal­ten, so wenig wie eine hohe Storch­po­pu­la­ti­on auf dem Land die Ursa­che für dort im Ver­gleich zu Städ­ten mehr Neu­ge­bo­re­ne ist. Aus Wahl­er­fol­gen von Rechts­aus­le­gern schlie­ßen Lin­ke (z. B. BSW), dass sie vom Geg­ner ler­nen kön­nen, indem sie des­sen »Volks­nä­he« kopie­ren und mög­lichst über­tref­fen. Einig sind sich jedoch alle Kon­tra­hen­ten dar­in, dass Armut auf gar kei­nen Fall zu einem Spalt­pilz des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hangs mutie­ren darf. Armut ist kein Frei­brief dafür, auf dum­me Gedan­ken zu kom­men, ent­spre­chend fal­len die Brand­mau­er­re­den der Poli­tik und Appel­le der »Omas gegen rechts« aus.

Wenn nicht aus ihrer Armut, wor­aus erge­ben sich Schwenks armer Wäh­ler nach rechts denn dann? Ihr Ent­schluss, nun eben wirk­lich durch­grei­fen­de Füh­rungs­fi­gu­ren zu wäh­len, folgt einem schon zuvor ein­ge­nom­me­nen Stand­punkt: Wie mode­ra­te bzw. bes­ser­ge­stell­te Wäh­ler auch set­zen sie ihr Wohl mit dem Erfolg der Nati­on in eins und füh­ren des­sen Unge­nü­gen auf die Win­del­weich­heit Regie­ren­der und die Unter­wan­de­rung durch schäd­li­che Sub­jek­te zurück. Par­tei­nah­me für »unse­re Stär­ke«, einen Natio­na­lis­mus bei Arm und Reich schätzt ein demo­kra­ti­scher Staat; zu dem erzieht er, und den setzt er so wehr­haft ein, dass AfD-Desi­de­ra­ta von Rot-Grün-Gelb-Schwarz kom­pe­tent ange­packt wer­den und sich schon die Fra­ge stellt, wofür es die AfD (deren von Storch nicht ein­mal die Kin­der bringt) über­haupt braucht.

Das sieht aber nicht jeder so. Rech­te und Lin­ke mei­nen zu wis­sen, was der per Staats­an­ge­hö­rig­keit her­ge­stell­ten Volksein­heit eigent­lich gerecht wür­de. Ihnen ist ein Gräu­el, wie sich die natio­na­le Demo­kra­tie mit dem Gebrauch von ihr ein­ge­rich­te­ter inter- und supra­na­tio­na­ler Bünd­nis- und Ver­ein­ba­rungs­or­ga­ne gegen zumin­dest zeit­wei­lig aner­kann­te sowie feind­li­che Staa­ten durch­setzt. Sol­che Umständ­lich­keit gegen­wär­ti­ger Regie­rungs­art ist nach Auf­fas­sung der auf den Popu­lus wirk­lich Hören­den, die das von Demo­kra­ten als Ent­lar­vung gemein­te Eti­kett »Popu­li­sten« als Ehren­ti­tel ver­ste­hen, dem Volk nicht zuzu­mu­ten; die »Sou­ve­rä­ni­sten« pran­gern Füh­rungs­schwä­che des Polit­per­so­nals an, die einen skan­da­lö­sen Abgrund an Lan­des­ver­rat ergibt. Die­ser ist Anlass für gerech­te Empö­rung. Sie hebt sich, anders als von Sté­pha­ne Hes­sel gemeint, »erfri­schend ehr­lich« ab vom »Sal­ba­dern« und der »Sprach­dik­ta­tur« der das Volk des­ori­en­tie­ren­den Schma­rot­zer in Amt und Wür­den; sie bedient mit demon­stra­ti­ver Miss­ach­tung par­la­men­ta­ri­scher Eti­ket­te jene, die »kla­re Kan­te« schät­zen: »End­lich sagt’s mal einer.«

Noch­mals: Ist Armut per se nun eine Dis­po­si­ti­on für extremistisches/​totalitaristisches Wäh­len? Der schon erwähn­te, dem Trend zum Rechts­wäh­len vor­aus­ge­setz­te Natio­na­lis­mus unter Armen fiel jeden­falls genau­so wenig vom Him­mel wie deren frü­he­re Anfäl­lig­keit für bol­sche­wi­sti­sche Anwand­lun­gen. Er ver­dankt sich einer über mehr als ein Jahr­hun­dert mit sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Poli­tik erfolg­reich voll­zo­ge­nen Inte­gra­ti­on des vor­ma­li­gen Pro­le­ta­ri­ats in eine Gemein­schaft grund­ge­setz­lich Gleich­be­rech­tig­ter: als »Gesell­schafts­säu­le«, in der kon­kre­te Schä­di­gun­gen zwar nach wie vor not­wen­dig anfal­len, aber mit Gleich­stel­lung und Respekt ein für alle Mal abge­gol­ten sind.

Wie ande­re Par­tei­en auch ver­tritt die SPD kei­ne »zu kurz Gekom­me­nen« mehr. Die­se behan­delt sie statt­des­sen nach einer Bekeh­rung zur FDP-Posi­ti­on nun als »Min­der­lei­ster«, denen Bei­ne zu machen das Volk ihr zu Recht abver­langt. Ihre so inspi­rier­te Sozi­al­po­li­tik ver­steht sie dabei bei­lei­be nicht als prak­ti­zier­ten Popu­lis­mus, denn defi­ni­ti­ons­ge­mäß droht die­ser von über­all her, nur nicht von ihr. Nun haben sich dank ihrer Anlei­tung ihre vor­ma­li­gen Adres­sa­ten im »Natur­zu­stand«, berech­tig­te Schmie­de ihres Glücks zu sein, ein­ge­rich­tet; nun wid­men sie sich enga­giert, ent­täuscht und empört ihrer Suche nach mög­lichst star­ker eige­ner Herr­schaft, die sie in ihren Ver­hält­nis­sen schützt – gegen inne­re und äuße­re (auch der SPD bekann­ten) Fein­de natio­na­len gleich eige­nen Wohls. Gegen »Rat­ten­fän­ger« fällt den Par­tei­en der Mit­te zum einen die Beteue­rung ein, auch für sie ste­he ein »gesun­des Natio­nal­be­wusst­sein« außer Fra­ge. Und zum ande­ren der Ver­dacht, das Volk in sei­ner grund­sätz­li­chen Ver­führ­bar­keit schicke sich wie­der ein­mal an, es mit dem grund­sätz­lich Guten zu über­trei­ben. Nach­dem man sich sei­ne Fein­de ja frei, gleich und geheim aus­su­chen kann, ist es da solch ein Rät­sel, wenn der demo­kra­ti­sche Natio­na­lis­mus sei­ne Wahl­kreu­ze noch popu­li­sti­scher vari­iert? Gegen »fal­sche Quit­tun­gen« aktua­li­siert die Regie­rung stän­dig ech­te Bele­ge ihrer Tat­kraft: »Wir machen mehr von dem, was ihr wollt.« Das soll­te ein ein­sich­ti­ges Volk doch auch mit Stim­men hono­rie­ren können.

Oder müss­te sich die Regie­rung etwa ein ande­res wäh­len? Das kann nie­mand wol­len; wo fän­den wir dann Hei­mat und Iden­ti­tät? Schlimm­sten­falls gar im Wüsten­sand? Der ist für all die eine Alter­na­ti­ve, die da hin­ge­hö­ren; Deutsch­land küm­mert sich rüh­rig um die Rück­füh­rung derer, die in ihrer Hybris ihre Bestim­mung zu Kamel­trei­bern leug­nen. Für eine erfolg­rei­che Ver­tei­di­gung des »Abend­lands« gegen frem­de Unnüt­ze benö­tigt das Migra­ti­ons­ma­nage­ment der poli­ti­schen Mit­te ras­si­sti­sche For­mu­lie­run­gen nicht; auch ohne die­se bie­tet der Bau der Festung Euro­pa pro­phy­lak­tisch-fak­ti­sche Gewähr und erfüllt so auch popu­li­sti­sche Wün­sche. Dies aber – Stil­fra­gen sind wich­tig! – nüch­tern, ohne Gei­fern und mit dem der Her­aus­for­de­rung ent­spre­chen­den Augen­maß. Das ist dann sicher nicht zu viel des Guten.