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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Des Dichterfürsten Schreibblockade

»Goe­the hat­te Hämor­rhoi­den.« Welch ein Roman­an­fang. Es ist der Auf­takt des neu­en Buchs »Rauch und Schall« des Schwei­zer Dreh­buch­au­tors und Schrift­stel­lers Charles Lewin­sky. Der Dich­ter­fürst ist auf der Rück­kehr von einem län­ge­ren Auf­ent­halt in der Schweiz. Die tage­lan­ge Kutsch­fahrt auf den holp­ri­gen Wegen ver­stärkt noch sei­ne Sitz­be­schwer­den und die blu­ti­ge Pein.

In Wei­mar ange­kom­men, muss Goe­the erst ein­mal die eige­nen Glie­der neu ord­nen. Aber noch viel mehr drückt ihn ein Ter­min, den er seit Wochen ver­nach­läs­sigt, ja, ein­fach ver­ges­sen hat. Der Her­zog hat­te sich von ihm ein Fest­ge­dicht zum bevor­ste­hen­den Geburts­tag der Her­zo­gin erbe­ten, nein, bestellt. Der Geburts­tag soll ein höfi­sches Ereig­nis wer­den, auf das der Her­zog beson­de­ren Wert legt. Goe­thes Lie­fer­frist endet in vier Tagen, doch bis­her hat er noch kei­nen Gedan­ken dar­an ver­schwen­det, geschwei­ge denn eine Zei­le zu Papier gebracht.

Da bleibt bei aller Rei­se­mü­dig­keit wohl nichts ande­res übrig, als die ver­blie­be­nen Näch­te zu arbeits­sa­men Tagen am Steh­pult zu machen. Wohl­klin­gen­de Ver­se sol­len es sein. Mehr nicht. Sol­che Geburts­tags­ver­se hat Goe­the schon ein Dut­zend Mal ver­fasst – ohne jede Anstren­gung. Aber jetzt will ihm par­tout nichts ein­fal­len. Pani­sche Angst über­fällt ihn. Wür­de der ent­täusch­te Her­zog ihm viel­leicht sei­ne Gunst entziehen?

Da ist guter Rat oder Hil­fe nötig … und die kommt aus­ge­rech­net von Chri­sti­an August Vul­pi­us, dem Bru­der sei­ner gelieb­ten und treu­sor­gen­den Chri­stia­ne. Für Goe­the ist er zwar ein tüch­ti­ger Biblio­theks­re­gi­stra­tor, aber sonst ein Viel­schrei­ber, zu wah­rer Kunst nicht beru­fen. Doch die besorg­te Chri­stia­ne spielt die Ver­mitt­le­rin zwi­schen zukünf­ti­gem Gat­ten und Bru­der. Aber Goe­the wehrt sich dage­gen, mit die­sem Dilet­tan­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten. Ihm miss­fällt auch der Rol­len­tausch, in dem er vom son­sti­gen Wohl­tä­ter plötz­lich zum Bitt­stel­ler wird. Das geht auf kei­nen Fall, nein! … abso­lut nicht …. oder doch? In der Not muss er in den sau­ren Apfel bei­ßen, denn die Musen haben ihn verlassen.

Vul­pi­us lie­fert die Ver­se, die Orpheus nicht gera­de nei­disch machen wür­den, aber der Her­zog wird damit sicher zufrie­den sein. Außer­dem über­re­det er Goe­the, zur Besei­ti­gung sei­ner Schreib­blocka­de eine Räu­ber­pi­sto­le mit Pul­ver­dampf, Säbel und einer keu­schen Jung­frau zu ver­fas­sen. So etwas wür­de sich leicht schrei­ben. Über die­se selt­sa­me Kur ist Goe­the zunächst ent­setzt, doch über­ra­schend schnell flie­gen ihm die Ver­se nur so zu, über die ganz Wei­mar aller­dings den­ken wird, der Herr Geheim­rat sei schon mit­ten am Tag betrun­ken gewe­sen. Und zu allem Unglück lan­det das Manu­skript über den ita­lie­ni­schen Räu­ber­haupt­mann Rinal­do Rinal­di­ni, auf wel­chem Weg auch immer, noch bei einem Ver­le­ger und wird zu einem Erfolg: »Seit dem Wert­her war so eine Sen­sa­ti­on nicht mehr da.«

Dem Ende soll nicht vor­ge­grif­fen wer­den. Nach 300 Sei­ten ist der Dich­ter­fürst jeden­falls so glück­lich wie schon lan­ge nicht mehr. Und auch sei­ne Hämor­rhoi­den sind kaum noch spür­bar. Unter­halt­sam und humor­voll berich­tet Lewin­sky in der fik­ti­ven Geschich­te von der Schreib­blocka­de des Geheim­ra­tes. Außer­dem gibt er einen amü­san­ten Ein­blick in die Wei­ma­rer Gesellschaft.

Goe­the-Ken­ner wis­sen natür­lich, dass Vul­pi­us der eigent­li­che Autor der Räu­ber­ko­mö­die war, die damals schnell ein Best­sel­ler wur­de, was Goe­the regel­recht eifer­süch­tig mach­te. Trotz­dem eine köst­li­che Sati­re um die bei­den unter­schied­li­chen Schrift­stel­ler-Cha­rak­te­re und ein ver­gnüg­li­cher Lesespaß.

Charles Lewin­sky: Rauch und Schall, Dio­ge­nes Ver­lag, Zürich 2023. 304 S., 25 €.