Einige Zeitungen gedachten jüngst Cato Bontjes van Beek, einer mutigen jungen Frau, die am 14. November 100 Jahre alt geworden wäre. Von den Nazis wurde sie, noch nicht 23 Jahre alt, zusammen mit 16 weiteren Menschen im August 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In einem Brief aus dem Gefängnis schrieb sie der Mutter: »In mir ist eine Liebe zu Euch und zu allen übrigen Menschen. Ich bin völlig frei von Groll oder gar Hass.« Ihre Mutter war die Tänzerin und Malerin Olga Bontjes van Beek, der Vater ein berühmter Keramiker, und der Großvater war Maler am Hofe des Bayernkönigs Ludwig II. gewesen. Cato Bontjes van Beek wuchs in der Künstlerkolonie Fischerhude bei Bremen auf und schloss sich mit 18 Jahren der Widerstandsgruppe um den Oberleutnant Harro Schulze-Boysen, den Schriftsteller Adam Kuckhoff und den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium Arvid Harnack an. Die Faschisten nannten die Gruppe Rote Kapelle. Sie verfasste während des Zweiten Weltkrieges regimekritische Flugblätter, unterstützte verfolgte Juden und gab die Untergrundzeitschrift Die innere Front heraus. In der DDR sei sie zu einer »fast ausschließlich kommunistischen Widerstandsgruppe stilisiert« worden, schrieb die Freie Presse in Chemnitz. Das Urteil ist überzogen. Zwar bildeten illegale kommunistische Parteiorganisationen den Kern, heißt es in »Meyers Neues Lexikon«, das 1964 in Leipzig erschien. Es habe sich aber um eine »große, zentralisierte, antifaschistische Widerstandsgruppe« gehandelt, »die sich aus zahlreichen kleineren Gruppen zusammensetzte und alle Schichten der Bevölkerung umfasste … kommunistische, sozialdemokratische, christliche und parteilose Arbeiter, Angestellte, Wissenschaftler, Studenten und Künstler, oppositionelle Beamte des faschistischen Staates, Soldaten und Offiziere«. Die DDR würdigte die Rote Kapelle, in der BRD wurde sie als »sowjetischer Agentenring« diffamiert, was sie nie gewesen war. Es mag sein, dass die DDR-Historiker den Widerstand der Kommunisten gegen die Faschisten mitunter überhöhten, in der BRD wurde er totgeschwiegen oder diskreditiert.
Der Journalist Hermann Vinke schreibt in seinem Buch »Leben will ich, leben«, dass ihn an Cato Bontjes van Beek »die Klarheit der Haltung« beeindruckt habe. Sie war sich bewusst, »was auf dem Spiel steht«. Kurz vor ihrem Tod schrieb sie der Mutter: »Meine Mama, es ist nun soweit, und ich werde nur noch ein paar Stunden unter den Lebenden sein. Die Ruhe, die ich mir immer für diese letzten Stunden gewünscht habe, ist nun auch wirklich bei mir und sie gibt mir viel Kraft.« Catos Mutter Olga musste in der BRD jahrelang um Entschädigung und Rehabilitierung ihrer Tochter kämpfen. Gegen Ende 1949 versuchte sie, das gegen ihre Tochter verhängte Todesurteil nachträglich aufheben zu lassen, um eine finanzielle Entschädigung für Catos Haft und Hinrichtung zu erhalten. Im April 1952 wurde ihr zwar eine Haftentschädigung in Höhe von 1650 DM zugesprochen. Dagegen legte aber der zuständige »Beauftragte des öffentlichen Interesses« Beschwerde ein. Als Begründung gab er an, dass es keine Beweise für eine »Überzeugungstäterschaft« Catos gäbe. In der Folge setzten sich viele Angehörige und Freunde zugunsten Catos ein, darunter der damalige Bremer Innensenator Adolf Ehlers sowie der Schriftsteller Günther Weisenborn, der selbst aktiv Widerstand gegen die NS-Herrschaft geleistet hatte. Im November 1956 erhielt Olga einen ablehnenden Bescheid der zuständigen Behörde: Cato sei demnach in erster Linie wegen Spionage verurteilt worden. In der Begründung ihrer Entscheidung griff die Behörde maßgeblich auf eine Zeugenaussage Manfred Roeders zurück. Desselben Roeders, der aufgrund seines Ehrgeizes als »Bluthund Hitlers« gegolten hatte und den Hermann Göring als Untersuchungsführer und Ankläger im Verfahren gegen die Widerstandsgruppe der Roten Kapelle an das Reichskriegsgericht kommandierte. Laut Wikipedia war Roeder als Oberstkriegsgerichtsrat mitverantwortlich für mindestens 45 Todesurteile, die das Reichskriegsgericht gegen die Mitglieder der Widerstandsbewegung Rote Kapelle verhängte.
Olga Bontjes van Beeks Rechtsanwalt Dieter Ahlers reichte bei der Entschädigungskammer des Regierungspräsidenten Klage gegen die Ablehnung ein. 1959 wurde seiner Mandantin eine geringe Entschädigung zugestanden und erst 1999 wurde ihre Tochter Cato als Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime rehabilitiert. Ihr Ankläger, der Militärrichter Manfred Roeder, indes setzte seinen Verleumdungsfeldzug gegen die Mitglieder der Roten Kapelle auch nach Ende des Krieges fort. Bereits 1948 hielt er öffentliche Vorträge über sie. 1951 trat er während des Landtagswahlkampfes in Niedersachsen für die rechtsradikale Sozialistische Reichspartei (SRP) – die 1952 als Nachfolgeorganisation der NSDAP verboten wurde – und bei Veranstaltungen der rechtsradikalen Deutschen Reichspartei (DRP) auf. In Zeitungsartikeln und in seinem Buch »Die Rote Kapelle. Aufzeichnungen des Generalrichters Dr. M. Roeder« (Hamburg 1952) diffamierte er die Mitglieder der Widerstandsgruppe als Landesverräter und Spione. Er wurde nie zur Rechenschaft gezogen, betätigte sich im hessischen Glashütten als Kommunalpolitiker und bezog als Militärrichter eine stattliche Pension bis zu seinem Tod im Jahre 1971.
Zu dieser Geschichte passt die einer anderen Frau, der im Jahre 1974 zu ihrer normalen Witwenrente ein Rentenzuschlag von 400 DM monatlich zugesprochen wurde. Diesen sogenannten Berufsschadensausgleich erhielt sie bis zu ihrem Tode 1997. Ihr Ehemann war bei einem Bombenangriff auf Berlin umgekommen und hätte, so die Begründung, aufgrund seiner fachlichen Qualifikation im Erlebensfall nach dem Krieg vermutlich als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes ein größeres Einkommen erzielt. Sein Name: Roland Freisler, Präsident des berüchtigten »Volksgerichtshofes« und als Teilnehmer an der Wannseekonferenz einer der maßgeblichen Verantwortlichen für die Organisation des Holocaust. Er hatte erbarmungslos Tausende zum Tode verurteilt, darunter viele Widerstandskämpfer, aber auch Menschen, die nur »Feindsender« gehört, am »Endsieg« gezweifelt oder sich abwertend über den »Führer« geäußert hatten.
Die Art, wie die BRD mit antifaschistischen Widerstandskämpfern und ihren Angehörigen umging, ist »kein Ruhmesblatt«, schreibt Hermann Vinke. Der Umgang mit den faschistischen Mördern war es auch nicht.
Leseempfehlung: Hartwig Hohnsbein »Catos Flugblätter« in Ossietzky 13/2010