Kürzlich jährte sich der Tag, da Uwe Barschel 80 Jahre alt geworden wäre. Sein Name steht für einen der spektakulärsten deutschen Politikskandale, der 1987 die gesamte Bundesrepublik erschütterte. Barschel, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, wurde als der künftige Bundeskanzler mit CDU-Parteibuch gehandelt. Doch er starb am 11. Oktober 1987 in Genf. Stern-Reporter fanden ihn angezogen und vergiftet in einer Badewanne eines Hotels liegend. Bevor sie die Polizei benachrichtigten, fotografierten sie die Leiche und verkauften das Foto.
Heute weiß man: Nach seinem steilen Aufstieg zum jüngsten deutschen Ministerpräsidenten, 1982 mit 38 Jahren, endete seine Karriere, die nur infolge der Förderung durch alte Nazis möglich gewesen war. Schleswig-Holstein braun umschlungen, kommentierten wir linken Journalisten die Vorgänge im nördlichsten Bundesland. Als der Spiegel enthüllte, Barschel habe seinen aussichtsreichen SPD-Herausforderer, den bundesweit beliebten Björn Engholm bespitzeln, belästigen und verleumden lassen, verlor er erst die Wahl und verstrickte sich dann in Lügen ohnegleichen. Es war allerdings noch bis zum Tag vor der Wahl denkbar, dass es, trotz der Lügen und Intrigen noch einmal für einen CDU-Erfolg gereicht hätte, wenn diese Spiegel-Enthüllung nicht kurzfristig wie eine Bombe geplatzt wäre. Die SPD als Opfer und Barschel der Täter. Die Stimmung kippte.
Nach Jahren kam heraus, dass die SPD-Spitze von dem Manöver gegen sie etwas gewusst hatte. Es wurde sogar gemunkelt, dass der wackere Regierungswahlkämpfer und Bild-Zeitungs-Mann, der zugleich auch als Spiegel-Kronzeuge auftretende Reiner Pfeiffer, sowohl von der CDU wie der SPD bezahlt wurde. Effektvoll hatte Uwe Barschel im Fernsehen bekundet: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, von all dem nichts gewusst zu haben. Später wurden Notizen gefunden, aus denen Barschels Verstrickungen in illegale Waffengeschäfte herausgelesen wurden. Nicht jedoch wurde je geklärt, ob er ermordet wurde oder selbst Hand an sich gelegt hat. Die Todesumstände blieben ein Rätsel. Wie nicht anders zu erwarten, wurden nach 1990 auch Stasi-Aktionen als Hintergrund bemüht. Der Abschlussbericht der Lübecker Staatsanwaltschaft besagte jedoch: Am Ende bleibt ein Suizid am wahrscheinlichsten.
Uwe Barschels Ende hatte eine lange Vorgeschichte. Die hieß »37 Jahre CDU-Herrschaft in Schleswig-Holstein«. Sie begann schon, als Barschel eingeschult wurde. Seine Lehrer und Ziehväter waren höchste Nazis; die Politik im Bundesland wurde geprägt von Männern wie Helmut Lemke (NS-Bürgermeister und CDU-Ministerpräsident) und Karl Dönitz (Hitler-Nachfolger und in Nürnberg Verurteilter), von Naziverbrechern wie Werner Heyde-Sawade (Euthanasiearzt und später Obergutachter für Entschädigungsfälle) und Heinz Reinefahrth (schlug den Warschauer Aufstand nieder, später Bürgermeister auf Sylt), von Konzernherren a la Springer (die Barschel den Pfeiffer ausliehen) und von der Chemieindustrie (die Pfeiffers Aktionen bezahlten). Barschel lud als Schulsprecher mit Genehmigung der Schulleitung Karl Dönitz zu Vorträgen im Geschichtsunterricht ein.
Das Foto vom toten Barschel ging um die Welt. Es löste massive Aufregung aus. Auch der Redaktion der DKP-Tageszeitung Unsere Zeit gingen zahlreiche Leserbriefe zu, auch solche mit Vorwürfen und Mahnungen: So etwas wie dieses Leichenfoto zu veröffentlichen, das gehört sich nicht. Ich antwortete, dass nicht Sensationsgier uns antrieb, sondern echte Abscheu, berechtigte Emotionen. »Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser«, zitierten wir Bert Brecht. Auch die Motive der Journalistenkollegen, die den Skandal enthüllten und die wir zitierten, empfanden wir als ehrlich und berechtigt. Schließlich wollte Barschel die Medien in seine kriminellen Machenschaften hineinziehen, was eben diese Kollegen verhinderten. Das fanden wir nicht ehrenrührig.
Allerdings hatten einige Kollegen auch zweifelhafte Motive. Denn Reportagen aus den geklauten Notizen eines Toten zusammenzuschreiben (als wär’s ein Stück vom Stern), das näherte sich bereits wieder dem Niveau der gefälschten Hitler-Tagebücher an. Und mit dem Foto des toten Barschel exklusiv das ganz große Geschäft zu machen? Das ging dem Stern zum Glück daneben, infolge der breiten Publizität, die das Foto wegen seines Nachrichtenwertes gefunden hat. Wir hatten das Foto aus der dpa-Quelle nachgedruckt.
Das Mysteriöse am Tode des Barschel drückte sich in dem Foto ebenso aus wie das ganz Konkrete. Das Ende eines Mannes, der den Menschen eine Politik aufzwingen wollte, die gescheitert ist und keine Mehrheit mehr fand. Und das Ende eines Mannes, den seine Klasse ausspie – ausspie nicht etwa, weil er sie verraten hatte, nein, nur weil er keinen Erfolg mehr hatte, weil »es herauskam«. Die Herrschenden sind mörderisch gegenüber einem, der nicht mehr funktioniert, der keinen Erfolg hat, keinen Profit bringt. Das wissen Millionen Arbeitslose. Und das war das Schicksal des großen Aufsteigers Barschel. Wir schrieben weiter: »Das Foto war nicht das erste Foto einer Leiche im Blatt. Wir haben tote KZ-Häftlinge abgebildet, den toten Benno Ohnesorg, tote Freiheitskämpfer, Kriegsopfer, tote Kinder aus Südafrika, aber auch tote Contras aus Nicaragua, den toten Hitlerstellvertreter Hess in Bild-Zeitungsaufbahrung. Wir reihen all diese Fotos ein in den Kampf für eine Welt, die solche Bilder nicht mehr kennt. Wir wollen auch keine toten ultrarechten Mächtigen mehr abbilden – es soll einfach keine mehr an der Macht geben. Wir wollen keine Toten auf den Schlachtfeldern mehr zeigen müssen, es soll keine mehr geben.«
Wir fragten: Wem nützt was? Barschels Ende fand Nutznießer. So stand es in einer bürgerlichen Zeitung: »Rette sich wer kann, heißt die Devise an der Förde. Dabei haben es die Überlebenden leichter als die Toten. Wer immer jetzt irgendetwas auf Uwe Barschel schiebt, genießt einen unschätzbaren Vorteil: Der gestürzte Regierungschef kann sich nicht mehr wehren« (Braunschweiger Zeitung, 21.10.87).
Unsere Berichterstattung trug mir eine Gratulation durch Eckart Spoo (1936-2016) ein, Vorsitzender der Deutschen Journalisten Union und später Gründer von Ossietzky. Es war der Beginn einer fast 30 Jahre langen Freundschaft.