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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Tote mit dem Ehrenwort

Kürz­lich jähr­te sich der Tag, da Uwe Bar­schel 80 Jah­re alt gewor­den wäre. Sein Name steht für einen der spek­ta­ku­lär­sten deut­schen Poli­tik­skan­da­le, der 1987 die gesam­te Bun­des­re­pu­blik erschüt­ter­te. Bar­schel, Mini­ster­prä­si­dent in Schles­wig-Hol­stein, wur­de als der künf­ti­ge Bun­des­kanz­ler mit CDU-Par­tei­buch gehan­delt. Doch er starb am 11. Okto­ber 1987 in Genf. Stern-Repor­ter fan­den ihn ange­zo­gen und ver­gif­tet in einer Bade­wan­ne eines Hotels lie­gend. Bevor sie die Poli­zei benach­rich­tig­ten, foto­gra­fier­ten sie die Lei­che und ver­kauf­ten das Foto.

Heu­te weiß man: Nach sei­nem stei­len Auf­stieg zum jüng­sten deut­schen Mini­ster­prä­si­den­ten, 1982 mit 38 Jah­ren, ende­te sei­ne Kar­rie­re, die nur infol­ge der För­de­rung durch alte Nazis mög­lich gewe­sen war. Schles­wig-Hol­stein braun umschlun­gen, kom­men­tier­ten wir lin­ken Jour­na­li­sten die Vor­gän­ge im nörd­lich­sten Bun­des­land. Als der Spie­gel ent­hüll­te, Bar­schel habe sei­nen aus­sichts­rei­chen SPD-Her­aus­for­de­rer, den bun­des­weit belieb­ten Björn Eng­holm bespit­zeln, belä­sti­gen und ver­leum­den las­sen, ver­lor er erst die Wahl und ver­strick­te sich dann in Lügen ohne­glei­chen. Es war aller­dings noch bis zum Tag vor der Wahl denk­bar, dass es, trotz der Lügen und Intri­gen noch ein­mal für einen CDU-Erfolg gereicht hät­te, wenn die­se Spie­gel-Ent­hül­lung nicht kurz­fri­stig wie eine Bom­be geplatzt wäre. Die SPD als Opfer und Bar­schel der Täter. Die Stim­mung kippte.

Nach Jah­ren kam her­aus, dass die SPD-Spit­ze von dem Manö­ver gegen sie etwas gewusst hat­te. Es wur­de sogar gemun­kelt, dass der wacke­re Regie­rungs­wahl­kämp­fer und Bild-Zei­tungs-Mann, der zugleich auch als Spie­gel-Kron­zeu­ge auf­tre­ten­de Rei­ner Pfeif­fer, sowohl von der CDU wie der SPD bezahlt wur­de. Effekt­voll hat­te Uwe Bar­schel im Fern­se­hen bekun­det: Ich gebe Ihnen mein Ehren­wort, von all dem nichts gewusst zu haben. Spä­ter wur­den Noti­zen gefun­den, aus denen Bar­schels Ver­strickun­gen in ille­ga­le Waf­fen­ge­schäf­te her­aus­ge­le­sen wur­den. Nicht jedoch wur­de je geklärt, ob er ermor­det wur­de oder selbst Hand an sich gelegt hat. Die Todes­um­stän­de blie­ben ein Rät­sel. Wie nicht anders zu erwar­ten, wur­den nach 1990 auch Sta­si-Aktio­nen als Hin­ter­grund bemüht. Der Abschluss­be­richt der Lübecker Staats­an­walt­schaft besag­te jedoch: Am Ende bleibt ein Sui­zid am wahrscheinlichsten.

Uwe Bar­schels Ende hat­te eine lan­ge Vor­ge­schich­te. Die hieß »37 Jah­re CDU-Herr­schaft in Schles­wig-Hol­stein«. Sie begann schon, als Bar­schel ein­ge­schult wur­de. Sei­ne Leh­rer und Zieh­vä­ter waren höch­ste Nazis; die Poli­tik im Bun­des­land wur­de geprägt von Män­nern wie Hel­mut Lem­ke (NS-Bür­ger­mei­ster und CDU-Mini­ster­prä­si­dent) und Karl Dönitz (Hit­ler-Nach­fol­ger und in Nürn­berg Ver­ur­teil­ter), von Nazi­ver­bre­chern wie Wer­ner Heyde-Sawa­de (Eutha­na­sie­arzt und spä­ter Ober­gut­ach­ter für Ent­schä­di­gungs­fäl­le) und Heinz Rei­ne­fahrth (schlug den War­schau­er Auf­stand nie­der, spä­ter Bür­ger­mei­ster auf Sylt), von Kon­zern­her­ren a la Sprin­ger (die Bar­schel den Pfeif­fer aus­lie­hen) und von der Che­mie­in­du­strie (die Pfeif­fers Aktio­nen bezahl­ten). Bar­schel lud als Schul­spre­cher mit Geneh­mi­gung der Schul­lei­tung Karl Dönitz zu Vor­trä­gen im Geschichts­un­ter­richt ein.

Das Foto vom toten Bar­schel ging um die Welt. Es löste mas­si­ve Auf­re­gung aus. Auch der Redak­ti­on der DKP-Tages­zei­tung Unse­re Zeit gin­gen zahl­rei­che Leser­brie­fe zu, auch sol­che mit Vor­wür­fen und Mah­nun­gen: So etwas wie die­ses Lei­chen­fo­to zu ver­öf­fent­li­chen, das gehört sich nicht. Ich ant­wor­te­te, dass nicht Sen­sa­ti­ons­gier uns antrieb, son­dern ech­te Abscheu, berech­tig­te Emo­tio­nen. »Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stim­me hei­ser«, zitier­ten wir Bert Brecht. Auch die Moti­ve der Jour­na­li­sten­kol­le­gen, die den Skan­dal ent­hüll­ten und die wir zitier­ten, emp­fan­den wir als ehr­lich und berech­tigt. Schließ­lich woll­te Bar­schel die Medi­en in sei­ne kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten hin­ein­zie­hen, was eben die­se Kol­le­gen ver­hin­der­ten. Das fan­den wir nicht ehrenrührig.

Aller­dings hat­ten eini­ge Kol­le­gen auch zwei­fel­haf­te Moti­ve. Denn Repor­ta­gen aus den geklau­ten Noti­zen eines Toten zusam­men­zu­schrei­ben (als wär’s ein Stück vom Stern), das näher­te sich bereits wie­der dem Niveau der gefälsch­ten Hit­ler-Tage­bü­cher an. Und mit dem Foto des toten Bar­schel exklu­siv das ganz gro­ße Geschäft zu machen? Das ging dem Stern zum Glück dane­ben, infol­ge der brei­ten Publi­zi­tät, die das Foto wegen sei­nes Nach­rich­ten­wer­tes gefun­den hat. Wir hat­ten das Foto aus der dpa-Quel­le nachgedruckt.

Das Myste­riö­se am Tode des Bar­schel drück­te sich in dem Foto eben­so aus wie das ganz Kon­kre­te. Das Ende eines Man­nes, der den Men­schen eine Poli­tik auf­zwin­gen woll­te, die geschei­tert ist und kei­ne Mehr­heit mehr fand. Und das Ende eines Man­nes, den sei­ne Klas­se aus­spie – aus­spie nicht etwa, weil er sie ver­ra­ten hat­te, nein, nur weil er kei­nen Erfolg mehr hat­te, weil »es her­aus­kam«. Die Herr­schen­den sind mör­de­risch gegen­über einem, der nicht mehr funk­tio­niert, der kei­nen Erfolg hat, kei­nen Pro­fit bringt. Das wis­sen Mil­lio­nen Arbeits­lo­se. Und das war das Schick­sal des gro­ßen Auf­stei­gers Bar­schel. Wir schrie­ben wei­ter: »Das Foto war nicht das erste Foto einer Lei­che im Blatt. Wir haben tote KZ-Häft­lin­ge abge­bil­det, den toten Ben­no Ohnes­org, tote Frei­heits­kämp­fer, Kriegs­op­fer, tote Kin­der aus Süd­afri­ka, aber auch tote Con­tras aus Nica­ra­gua, den toten Hit­ler­stell­ver­tre­ter Hess in Bild-Zei­tungs­auf­bah­rung. Wir rei­hen all die­se Fotos ein in den Kampf für eine Welt, die sol­che Bil­der nicht mehr kennt. Wir wol­len auch kei­ne toten ultra­rech­ten Mäch­ti­gen mehr abbil­den – es soll ein­fach kei­ne mehr an der Macht geben. Wir wol­len kei­ne Toten auf den Schlacht­fel­dern mehr zei­gen müs­sen, es soll kei­ne mehr geben.«

Wir frag­ten: Wem nützt was? Bar­schels Ende fand Nutz­nie­ßer. So stand es in einer bür­ger­li­chen Zei­tung: »Ret­te sich wer kann, heißt die Devi­se an der För­de. Dabei haben es die Über­le­ben­den leich­ter als die Toten. Wer immer jetzt irgend­et­was auf Uwe Bar­schel schiebt, genießt einen unschätz­ba­ren Vor­teil: Der gestürz­te Regie­rungs­chef kann sich nicht mehr weh­ren« (Braun­schwei­ger Zei­tung, 21.10.87).

Unse­re Bericht­erstat­tung trug mir eine Gra­tu­la­ti­on durch Eck­art Spoo (1936-2016) ein, Vor­sit­zen­der der Deut­schen Jour­na­li­sten Uni­on und spä­ter Grün­der von Ossietzky. Es war der Beginn einer fast 30 Jah­re lan­gen Freundschaft.