Der König von Tonga lebte herrlich und in Freuden auf seiner kleinen Insel mitten in dem großen Südmeer. Genauer gesagt handelt es sich um einhundertneunundsechzig Inseln und Atolle, um einen sogenannten Archipel. Es stimmt aber: Es war wohl seine Insel, die Hauptinsel Tongatapu mit der Hauptstadt Nuku’alofa, sie gehörte ihm und einigen Adeligen. Zwar gab es ein Parlament und ab und zu auch eine Wahl, aber der König und seine Leute stellten die meisten Kandidaten und gewannen jedes Mal. So hatte alles seine demokratische Ordnung, und die Insel war eine friedliche konstitutionelle Monarchie. Die Menschen lebten so dahin, die Kinder spielten draußen und lachten den ganzen Tag.
Der Frieden hielt schon lange an, denn die Insel hatte außer Kokosnüssen und Yamswurzeln nichts Besonderes zu bieten, sodass sich selten ein Kriegsschiff anderer Nationen hierher verirrte. Auch war sie nie von Europäern kolonisiert worden. Das will etwas heißen.
Doch kürzlich hatte der König von Tonga, der herrlich und in Freuden lebte und daher sehr beleibt war, er wog über zweihundertfünfzig Pfund, eine Idee gehabt. Auf einigen kleinen Felsen mitten im weiten Meer, den sogenannten Minerva-Riffen, ein erkleckliches Stück entfernt von Tonga, hatte er die tongalesische Flagge hissen lassen. Jetzt gehörten nicht nur die unwirtlichen Felsen zum Tonga-Reich, sondern man beanspruchte auch die umgebenden Fischfanggründe innerhalb der neuen Hoheitsgewässer, so wie es internationaler Brauch war. Doch jetzt kam der Frieden in Gefahr, denn die Fidschiinsulaner hatten schärfstens protestiert, auch den Neuseeländern passte die Sache nicht in den Kram. Niemand wollte die Tongainseln, die auch Freundschaftsinseln hießen, mehr Freundschaftsinseln nennen.
Aber den dicken König, der aussah wie ein Teddybär, focht das nicht an. »Das kriegen wir schon hin«, sagte er, »nur von Kokosnüssen kann man nicht leben.«
Da hatte er verdammt Recht. Seine Untertanen hatten in letzter Zeit durchaus mitgekriegt, dass es außer Kokosnüssen noch etwas anderes auf der Welt gab. Vor allem, wenn der König und seine Minister mit ihren dicken Nobelkarossen von Mercedes aus dem fernen Deutschland über die zwei Kilometer Autobahn der Insel zum Flughafen brausten, obwohl sich die Tonga-Airlines noch keinen eigenen Jet leisten konnten.
Der beleibte und beliebte König Teddybär von Tonga war ein kluger Mann, auch wenn immer wieder ausländische Journalisten so blöd waren, ihn für rückständig oder gar für dumm zu halten. Beides war ein Irrtum, denn er hatte zu regieren gelernt in seinem Leben. Er hatte Geschichtsbücher gelesen und hielt sehr viel von einem deutschen Politiker namens Bismarck. »Es wäre alles viel friedlicher verlaufen, wenn man auf diesen Mann gehört hätte«, pflegte der Monarch gern zu sagen. »Die Deutschen hätten dann viel mehr Freunde gehabt!« Da hatte er vielleicht schon wieder Recht. Auch Bismarck-Heringe kannte er. Aber er ließ seine Leute lieber etwas Vernünftiges in den neuerdings erweiterten Hoheitsgewässern fangen.
Was der gute König vielleicht nicht so richtig beachtet hatte, war das Wirtschaftssystem der ehemaligen Entdecker, das er nachzuahmen versuchte. Dadurch wurde auch in Tonga das gute Leben immer teurer. Erstens mussten natürlich ab und zu die neuesten Modelle von Mercedes bestellt werden, die auch teurer wurden, angeblich wegen der zu hohen Lohnkosten in Deutschland und weil die Deutschen zu viel Urlaub machten, einige kamen sogar nach Tonga. Zweitens bestellte man dann doch für die Tonga-Airlines eine ausgemusterte Boing, die nie richtig flog, aber sehr viel Geld kostete. Drittens liebte der König die einheimischen und besonders die wenigen ausländischen Restaurants in seinem Reich. Mit Vorliebe frequentierte er ein Lokal mit einem deutschen Koch. So gab der König Teddybär sehr viel Geld für fette Speisen aus, seine Minister und Hofschranzen machten es ihm nach, und man sah es ihm und ihnen an. In jenen Breitengraden galt Beleibtheit seit jeher als gutes Zeichen. Viertens wurde das Volk manchmal unruhig und wollte dann und wann am Wohlbeleibtsein teilhaben. Um seiner Beleibtheit und auch seiner Beliebtheit nicht Abbruch zu tun, musste der König etwas in die bescheidene Wirtschaft seines Archipels investieren.
Er hatte wieder eine Idee. Trotz seiner diversen Zentner Leibesfülle war er ein vitaler Mann, der sogar manchmal zum Volk in das Wasser stieg und mitschwamm. Er hatte es natürlich gut: Sein Körper schwamm wie von selbst. Auf sein Geheiß begann man in Neuseeland Schafe und Schafswolle aufzukaufen. Das hatte den Vorteil, dass die Neuseeländer wegen der Fischereirechte nicht mehr so viel meckerten (mit den Fidschis verhandelte man noch). Aus der Schafswolle wurden warme Winterstiefel und Teddybären gefertigt. Beides wurde ausschließlich nach Deutschland geliefert, für die kalten Wintertage und die Kinder. Kinder waren die Zukunft der Welt, das wusste der König der Südsee. Mit Deutschland verband das Königreich an der Datumsgrenze eine lange Freundschaft, die schon so alt war, dass keiner mehr wusste, wie sie eigentlich entstanden war. Böse Zungen behaupteten, die Deutschen hätten zu der Zeit, als sie noch Kolonien besaßen, auf dem Meeresgrund bei Tonga nach Manganknollen gesucht. Aber daraus wäre ja keine Freundschaft entstanden, sondern etwas ganz anderes.
Jedenfalls kam es nun so, dass der alte, kluge, dicke, friedfertige und undemokratische König von Tonga, der aussah wie ein Teddybär, die Teddybären aus dem sonnigen Tonga ins kalte Deutschland schicken ließ, damit wenigstens die Kinder dort etwas zu lachen hatten. Und weil der König nicht abgewählt werden konnte, regierte er sehr lange – oder sein Sohn, und es dauert noch, bis aus dem Königreich vielleicht eine richtige Demokratie werden wird. Aber das ist bei uns ja auch so.
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Das Königreich Tonga (tongaisch Pule’anga Fakatu ’ı ’o Tonga, englisch Kingdom of Tonga) ist ein Inselstaat im Südpazifik, welcher zu Polynesien gehört. Der Archipel umfasst die 169 früher auch Freundschaftsinseln (Friendly Islands) genannten Tongainseln, von denen 36 bewohnt sind, sowie die beiden Minerva-Riffe. Tonga ist der einzige Staat in Ozeanien, der nie von Europäern kolonialisiert wurde. Die Einwohner Tongas werden Tongaer genannt. Tonga liegt östlich der Fidschi-Inseln, südlich von Samoa und nördlich von Neuseeland. In einer Proklamation am 24. August 1887 bestimmte König George Tupou I., dass Tonga zwischen dem 15° und 23,5° südlicher Breite und 173° und 177° westlicher Länge (aber trotzdem westlich der Datumsgrenze) liegt. Am 15. Juni 1972 legte König Taufa’ahau Tupou IV. fest, dass das Nördliche und das Südliche Minerva-Riff (Teleki Tokelau und Teleki Tonga) und alle Gebiete in einem Umkreis von zwölf Seemeilen ebenfalls zum Hoheitsgebiet Tongas gehören. Beide Riffe liegen südwestlich der im Süden Tongas liegenden Insel ’Ata.
Eine Frist zur Regulierung des Tiefseebergbaus ist im Juli 2023 verstrichen – nun muss die Internationale Meeresbodenbehörde über Anträge zum Tiefseebergbau entscheiden. Darunter könnte auch der Manganknollenabbau bei Tonga fallen, auch andere kleine Inseln im Pazifik versprechen sich künftig Einnahmen aus dem Abbau der Wertstoffe vom Meeresgrund. Der Meeresgrund würde natürlich darunter sehr leiden. Wissenschaftler wissen das noch nicht so genau. Doch Kupfer, Nickel, Kobalt und seltene Erden sind, insbesondere wegen der Umstellung auf Elektromotoren und Batterien, sehr gefragt und nicht überall vorhanden. Der Meeresboden ist jedoch bisher noch ziemlich geschützt. Da wird sich der König von Tonga noch etwas einfallen lassen müssen …