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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Tag der Pressefreiheit

Am 3. Mai, dem Tag der Pres­se­frei­heit, erwar­te­te ich einen Bericht über die Situa­ti­on Juli­an Ass­an­ges von NDR Info. Sein Schick­sal steht seit mehr als einem Jahr­zehnt, seit der Ver­öf­fent­li­chung der Wiki­Leaks-Doku­men­te über den Irak­krieg und sei­ner Ver­fol­gung durch die US-Regie­rung im Licht der Öffent­lich­keit. Er wird zuneh­mend zer­mürbt, und er ist wei­ter­hin an Leib und Leben gefährdet.

Grund für NDR Info, einen Bei­trag über ihn aus­zu­strah­len? Ich ver­folg­te das Pro­gramm des Sen­ders den Tag über, soweit es mir mög­lich war. Am Abend, einem Frei­tag gegen 19.30 Uhr, nahm ich an, dass nun nichts Neu­es zu erwar­ten sei. Das bis­her Gesen­de­te und von mir Gehör­te war im Ergeb­nis über­schau­bar: In kei­ner Sen­dung war der Name »Assan­ge« auch nur erwähnt wor­den. Ich woll­te mei­nem sub­jek­ti­ven Ein­druck jedoch nicht trau­en und rief beim Sen­der an und trug mein Anlie­gen – die ein­fa­che »Ja/Nein«-Frage, ob ein Bei­trag über Assan­ge gesen­det wor­den sei – der dienst­ha­ben­den Tele­fo­ni­stin vor. Die­se frag­te, in befrem­de­tem Ton, nach, ob ich jetzt noch, »am Sams­tag­abend« (!) eine Per­son aus der Redak­ti­on zu spre­chen wol­le. Ich stol­per­te nicht über die Fehl­in­for­ma­ti­on, bekräf­tig­te aber mei­nen Wunsch, mit der Redak­ti­on ver­bun­den zu wer­den, und so geschah es.

Anschlie­ßend wur­de mir bewusst, dass ich womög­lich mein Anlie­gen unter­drückt hät­te, in der fal­schen Über­zeu­gung, es sei schon Sonn­abend. Daher rief ich noch ein­mal beim Sen­der an, sprach die Fehl­in­for­ma­ti­on an und erreich­te immer­hin eine Ent­schul­di­gung der Tele­fo­ni­stin. Im Hin­ter­grund stand aller­dings die Fra­ge, wie­weit sie pro­fes­sio­nell im Abwim­meln poten­zi­ell unan­ge­neh­mer Anru­fe geschult war. Ein gewis­ses Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die­ser Hin­sicht war mög­li­cher­wei­se Berufs­vor­aus­set­zung (Muster: »Der Herr Direk­tor ist zur­zeit nicht erreichbar«).

Am Mon­tag erreich­te mich in mei­ner Abwe­sen­heit eine Nach­richt der Redak­ti­on auf dem AB: Gleich zu Beginn hieß es, es sei in der Tat so, dass Juli­an Ass­an­ges Situa­ti­on in kei­nem Bei­trag The­ma gewe­sen sei. Aller­dings sei Katha­ri­na Weiß, Pres­se­spre­che­rin von »Repor­ter ohne Gren­zen« inter­viewt wor­den, »und die set­zen sich ja auch für Juli­an Assan­ge ein«. Der Wiki­pe­dia-Arti­kel über »ROG« ent­hält einen umfang­rei­chen Abschnitt zum The­ma »Kri­tik«, und selbst, wer nicht alle Punk­te über­zeu­gend fin­det, wird schon ein wenig die Stirn runzeln.

Im dem ca. 3 Minu­ten lan­gen Inter­view von NDR Info ging es vor­wie­gend um die Rang­fol­ge der 180 unter­such­ten Län­der hin­sicht­lich des Aus­ma­ßes der Pres­se­frei­heit. Das Inter­view bot Gele­gen­heit, das Lieb­lings­the­ma des Tages – »Cyber­spio­na­ge«, Russ­lands natür­lich – als eine der Gefah­ren für die Pres­se­frei­heit dar­zu­stel­len. Und, ja, die Aus­kunft, die gleich zu Beginn der AB-Nach­richt gege­ben wor­den war, war zutref­fend: Juli­an Assan­ge wur­de nicht erwähnt.

Schon drei Jah­re zuvor hat­te ich mich am Tag der Pres­se­frei­heit an NDR Info gewandt – und zwar per E-Mail: »Heu­te, am Tag der Pres­se­frei­heit, möch­te ich Ihnen gern etwas mit­tei­len: Es geht mir um die inne­re Pres­se­frei­heit, also die­je­ni­ge inner­halb Ihres Sen­ders. Ihre inter­nen Struk­tu­ren, Macht­ver­hält­nis­se z. B., sind mir natur­ge­mäß nicht bekannt. Auch kann ich Ihnen nur anhand von Bei­spie­len und nicht in syste­ma­ti­scher Wei­se deut­lich machen, wor­um es mir geht.

Ich habe bereits ein­mal in einem Punkt ver­sucht, Klar­heit zu erlan­gen, und bin damit geschei­tert: Es ging mir um die Fra­ge, wes­halb zwar alle mög­li­chen Kreis­zei­tun­gen, nicht aber die bun­des­weit ver­brei­te­te jun­ge Welt (im Gegen­satz z. B. zur taz) in Ihren Pres­se­stim­men nicht erwähnt wird. Das Ergeb­nis mei­nes Schei­terns habe in einem Arti­kel (›Beschränk­ter Rund­funk‹, in: Ossietzky 8/​2014) dargestellt.

Natür­lich hät­te ich mir die Fra­ge auch selbst beant­wor­ten kön­nen: Die jW wird im VS-Bericht erwähnt. Hier nun aber kommt das The­ma ›inne­re Pres­se­frei­heit‹ ins Spiel: Wie stark sind die Ver­su­che, dem so ent­stan­de­nen Tabu zu wider­ste­hen und dem Phä­no­men des ›Meu­ten­jour­na­lis­mus‹– ein Aus­druck, der zur Zeit der Jugo­sla­wi­en­krie­ge geprägt wor­den ist – ent­ge­gen­zu­wir­ken. Mei­ne Ver­mu­tun­gen las­sen mich pes­si­mi­stisch wer­den. Hier­für nur zwei Bei­spie­le, das erste von heu­te: In der inter­na­tio­na­len Pres­se­schau am Mit­tag wer­den drei Zei­tun­gen mit der­sel­ben gegen die rus­si­sche Poli­tik gerich­te­ten Ten­denz zitiert. Es wird nicht berück­sich­tigt, dass die zugrun­de­lie­gen­den Nach­rich­ten jour­na­li­stisch von Geheimdienst(des)informationen und poli­tisch von einer Ten­denz zur Auf­rü­stung der Nato geprägt sind. Das zwei­te Bei­spiel betrifft eine län­ger zu beob­ach­ten­de Ten­denz, die inhalt­lich mit der ersten zusam­men­hängt: Über Nawal­ny wird lau­fend und dazu unkri­tisch berich­tet; über die man­gel­haf­te medi­zi­ni­sche Behand­lung Mumia Abu Jamal im Gefäng­nis, in dem er nun schon fast 40 Jah­re sitzt, nichts, oder jeden­falls so wenig, dass es mir ent­gan­gen sein muss.«

Bleibt die Fra­ge: Lohnt es sich, sich beim Sen­der zu beschwe­ren? Wohl eher nicht; umso mehr, einen klei­nen Bericht für Ossietzky zu schrei­ben. Dies tat ich damals nicht, war­te­te viel­mehr eini­ge Wochen lang auf eine Ant­wort des Sen­ders. Da ich wochen­lang kei­ne Ant­wort erhal­ten hat­te, hak­te ich schließ­lich mit einer zwei­ten Mail nach, u. a. wegen der Nicht­er­wäh­nung der Repres­si­on gegen die jW: »Ich habe in der Zwi­schen­zeit erle­ben müs­sen, dass zwar über­re­gio­na­le Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten (taz, SZ, nd, SPIEGEL) über das The­ma ›Über­wa­chung und Brand­mar­kung der über­re­gio­na­len Tages­zei­tung jun­ge Welt durch den Ver­fas­sungs­schutz‹ berich­tet haben; auf NDR Info habe ich nichts der­glei­chen ver­nom­men, und dabei höre ich den Sen­der NDR Info regel­mä­ßig und nicht nur punk­tu­ell.« Immer­hin erhielt ich hier­zu eine Ant­wort. Ein Detail erscheint aus heu­ti­ger Sicht wie ein schlech­ter Scherz: »Vie­len Dank für Ihre Rück­mel­dung zu unse­rem Pro­gramm. Inhalt­lich kann ich Ihnen nur zum Teil zustim­men: über das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt und die Zei­tung jun­ge Welt haben wir tat­säch­lich nicht berich­tet, damals stan­den bei uns die Unru­hen im Gaza-Strei­fen im Fokus.« Naja.

Hier­aus poli­ti­sche Weit­sicht zu fol­gern, täte dem Sen­der sicher zu viel der Ehre an.