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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Der Schoß ist fruchtbar noch …«

Die illu­sio­nä­re Innen- und Außen­po­li­tik, die irra­tio­na­le Dop­pel­mo­ral staats­tra­gen­der Par­tei­en und Medi­en sowie ihre pola­ri­sie­ren­den, kon­tra­pro­duk­ti­ven Kri­sen­lö­sun­gen, aber auch die zer­split­ter­te Lin­ke sind mit­ver­ant­wort­lich, dass rechts­ra­di­ka­le, natio­na­li­sti­sche Par­tei­en, wie vor 1933, wie­der spek­ta­ku­lä­re Wahl­er­fol­ge erzie­len kön­nen und sich anschicken, Türen zu ihrer poli­ti­schen Macht­er­grei­fung zu öff­nen. Nicht die ver­fas­sungs­recht­lich gefor­der­te Wei­ter­ent­wick­lung des Gemein­wohls für ein wür­de­vol­les Leben aller Men­schen steht im Mit­tel­punkt vor­herr­schen­der Poli­tik, son­dern die ideo­lo­gi­sche Ver­schleie­rung der Durch­set­zung von Pro­fit- und Macht­in­ter­es­sen natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Kriegs­ge­winn­ler. Das befeu­ert erneut den Auf­stieg der reak­tio­när-natio­na­li­sti­schen Rechts­kräf­te. Die exor­bi­tan­ten Gewin­ne der Wohl­ha­ben­den beru­hen seit je her auf unbe­zahl­ter Arbeit. Die dar­aus resul­tie­ren­de Pola­ri­sie­rung ver­spü­ren vie­le Men­schen im All­tag immer mehr, und das macht sie oft hilf­los oder wütend. Das öffent­li­che Schwei­gen, die Sprach­lo­sig­keit über die­se tie­fe­ren, gesell­schaft­li­chen Ant­ago­nis­men zwi­schen Kapi­tal und Arbeit, All­tags­er­fah­run­gen und Poli­tik blockie­ren eine drin­gend not­wen­di­ge sozi­al-öko­lo­gi­sche und demo­kra­ti­sche Gesell­schafts­wen­de und trei­ben Men­schen oft in die reak­tio­nä­ren Arme rechts­ra­di­ka­ler Par­tei­en. Die hilf­los wir­ken­den Demon­stra­tio­nen auf den Stra­ßen, die media­len und poli­ti­schen Schein­ge­fech­te sowie die end­los blu­ti­gen Kämp­fe auf den Kriegs­schau­plät­zen sind sicht­ba­rer, bedrücken­der Aus­druck dafür.

Die west­li­che Glo­bal­stra­te­gie, mit den Herr­schen­den in den USA an der Spit­ze, steckt in den Sack­gas­sen selbst­ver­schul­de­ter Ant­ago­nis­men. Unter Ant­ago­nis­mus ver­ste­he ich eine von Kapi­tal­in­ter­es­sen domi­nier­te Poli­tik glo­ba­ler Unver­söhn­lich­keit, ein anti­so­zia­les Krei­sen in Wahn­vor­stel­lun­gen eige­ner gesell­schaft­li­chen Alter­na­tiv­lo­sig­keit, eine destruk­ti­ve Unfä­hig­keit, glo­ba­le Pola­ri­sie­run­gen zwi­schen Men­schen, Natio­nen und Umwelt per­ma­nent aus­zu­glei­chen, statt sie zu eska­lie­ren, um der fai­ren Zusam­men­ar­beit zum gegen­sei­ti­gen Nut­zen aller abso­lu­ten Vor­rang ein­zu­räu­men, statt der Welt die west­li­che »Kapi­tal-Demo­kra­tie« mit krie­ge­ri­schen Mit­teln auf­zwin­gen zu wol­len und die­se irra­tio­na­le Gewalt­po­li­tik auch noch als »Frie­dens­po­li­tik« zu dekla­rie­ren. Frie­den durch immer mehr Waf­fen schaf­fen zu wol­len, bringt den unauf­lös­ba­ren Wider­spruch auf den Punkt. Des­halb benö­ti­gen wir drin­gend fol­gen­der gesell­schafts­po­li­ti­scher Umkehrprozesse:

  1. Eine frie­dens­po­li­ti­sche Kehrtwende

Statt wirt­schaft­li­cher und mili­tä­ri­scher Expan­si­ons­po­li­tik zur Durch­set­zung west­li­cher Vor­herr­schaft, statt Fort­set­zung der Span­nungs­po­li­tik des »Kal­ten Krie­ges« und einer gewalt­sa­men Durch­set­zung angeb­li­cher Frie­dens­po­li­tik, ins­be­son­de­re gegen Russ­land und Chi­na, durch Nato-Ost­erwei­te­rung, Hun­der­te von Mili­tär­stütz­punk­ten, Bil­lio­nen jähr­li­cher Steu­er­gel­der und Staats­ver­schul­dun­gen, der Eska­la­ti­on der Gewalt­spi­ra­le im sinn­lo­sen Ukrai­ne- und Isra­el-Krieg, mit der Fol­ge von Tau­sen­den Kriegs­to­ten, Mil­lio­nen von Flücht­lin­gen und unab­seh­ba­ren Kriegs­zer­stö­run­gen – ist eine Rück­kehr zur diplo­ma­ti­schen Poli­tik des Waf­fen­still­stan­des, der Abrü­stung, der Frie­dens­ver­hand­lun­gen, eine uni­ver­sel­le, inter­na­tio­na­le Zusam­men­ar­beit und den Auf­bau einer neu­en Sicher­heits­ar­chi­tek­tur sowie eine inter­na­tio­na­le Bewäl­ti­gung der öko­lo­gi­schen Kri­se gebo­ten, so, wie es die UN-Char­ta und alle wich­ti­gen Beschlüs­se der Ver­ein­ten Natio­nen für eine fried­li­che Koexi­stenz in einer mul­ti­po­la­ren Welt bereits seit ihrer Grün­dung anstrebt.

  1. Eine migra­ti­ons- und sozi­al­po­li­ti­sche Kehrtwende

Statt Auf­nah­me von Mil­lio­nen Kriegs­flücht­lin­gen durch die eige­ne, west­li­che Kriegs­trei­be­rei, die die ohne­hin unter­fi­nan­zier­ten Gesund­heits-, Sozi­al-, Ren­ten- und Bil­dungs­sy­ste­me kol­la­bie­ren las­sen, die Kom­mu­nen in Städ­ten und Gemein­den völ­lig über­for­dern und damit die Natio­na­li­sten befeu­ern; statt »Abschie­bung« von angeb­lich »irre­gu­lä­ren Wirt­schafts­mi­gran­ten« an den Außen­gren­zen, die auch dort kei­ner­lei men­schen­wür­di­gen Lebens­per­spek­ti­ven in Inter­nie­rungs­la­gern vor­fin­den; statt Anwer­bung von bil­li­gen aus­län­di­schen Arbeits­kräf­ten, die oft als Kon­kur­ren­ten gegen die Inlän­der aus­ge­spielt wer­den – gilt es, alter­na­tiv­los, die Krie­ge zu been­den, umfas­sen­de inter­na­tio­na­le Wirt­schafts­hil­fe zu orga­ni­sie­ren, um Gewalt- und Flucht­ur­sa­chen in den oft von impe­ria­len Krie­gen, Armut und Umwelt­kri­se zer­stör­ten Her­kunfts­län­dern der Flücht­lin­ge zu bekämp­fen. Es gilt zugleich, der Stär­kung der eige­nen deso­la­ten Sozi­al­sy­ste­me Vor­rang ein­zu­räu­men, statt exten­siv auf­zu­rü­sten. Dazu bedarf es zugleich einer Lohn- und Gehalts­po­li­tik sowie einer staat­li­chen Ein­nah­me- und Steu­er­po­li­tik, um die unge­recht­fer­tig­ten Gewin­ne von hohen Pri­vat­ver­mö­gen zugun­sten des Gemein­wohls abzuschöpfen.

  1. Eine wirt­schafts- und umwelt­po­li­ti­sche Kehrtwende

Statt Wirt­schafts­boy­kot­te und »Straf­zöl­le« gegen »Feind­staa­ten«, wie etwa Russ­land und Chi­na, die zugleich die eige­nen Im- und Expor­te abwür­gen, die Infla­ti­ons­spi­ra­le anhei­zen, den Aus­stieg aus der fos­si­len Ener­gie­wirt­schaft blockie­ren, drin­gen­de Inno­va­tio­nen durch Steu­er­decke­lung für Wohl­ha­ben­de oder durch restrik­ti­ve Schul­den­brem­sen ver­hin­dern und damit das sozi­al-öko­lo­gi­sche Wirt­schafts­wachs­tum aus­brem­sen – gilt es, alter­na­tiv­los, eine Wirt­schafts- und Finanz­po­li­tik durch­zu­set­zen, die die maxi­ma­le För­de­rung zur Dekar­bo­ni­sie­rung der Volks­wirt­schaf­ten und den uni­ver­sel­len Umwelt­schutz zum zen­tra­len Motor einer öko­no­mi­schen Zukunfts­ent­wick­lung macht. Nur dadurch lie­ßen sich das eige­ne Wirt­schafts­wachs­tum nach­hal­tig stei­gern, Arbeits­plät­ze sichern und Staats­haus­hal­te zugun­sten des Gemein­wohls sanieren.

  1. Eine bil­dungs­po­li­ti­sche Kehrtwende

Statt bür­ger­li­che Bil­dungs­pri­vi­le­gi­en zu för­dern – gilt es, alter­na­tiv­los, ein Bil­dungs­sy­stem aus­zu­bau­en, in dem die För­de­rung von Kin­dern und Jugend­li­chen aus bil­dungs­fer­nen und ärme­ren Fami­li­en zum ent­schei­den­den Qua­li­täts­merk­mal des Bil­dungs­we­sens wird. Dazu soll­ten ins­be­son­de­re in den »unte­ren« Klas­sen soli­de Sprach- und Lese­kom­pe­ten­zen sowie sozia­le und gesell­schafts­po­li­ti­sche Wer­te­ver­mitt­lung ober­ste Prio­ri­tät gegen­über natur­wis­sen­schaft­lich-tech­ni­scher Bil­dung haben. Die Über­win­dung der Unter­fi­nan­zie­rung der Schu­len und Aus­bil­dungs­stät­ten sowie die Bekämp­fung des Man­gels an Lehr­kräf­ten sind dafür ausschlaggebend.

  1. Eine medi­en- und erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Kehrtwende

Durch ein­sei­ti­ge, staats­na­he Bericht­erstat­tung und Kom­men­tie­rung wer­den die Leit­me­di­en ihrer Rol­le als unab­hän­gi­ge »vier­te Gewalt« nicht gerecht, weil sie die wirk­li­che sozia­le Lage von Bevöl­ke­rungs­mehr­hei­ten, des Pre­ka­ri­ats und der Lohn- und Gehalt-Abhän­gi­gen nur mar­gi­nal zur Spra­che brin­gen und pri­mär die Inter­es­sen und Mei­nun­gen der herr­schen­den Schich­ten repro­du­zie­ren. Der not­wen­di­ge sozi­al-öko­lo­gi­sche Wan­del wird so grund­le­gend ver­schlei­ert und ver­hin­dert, weil die Über­win­dung sozia­ler Spal­tung nicht als ent­schei­den­de Trieb­kraft der Welt­ge­schich­te begrif­fen und beför­dert wer­den kann. Wie die Erkennt­nis­se Koper­ni­kus, dass die Erde sich um die Son­ne dreht und nicht umge­kehrt, sowie die wis­sen­schaft­lich Erfor­schung der Evo­lu­ti­ons­ge­schich­te der Arten durch Dar­win, der die Ent­ste­hung der Mensch­heit aus dem Tier­reich nach­wies, lan­ge Zeit geleug­net wur­den, so hat es den Anschein, dass die Erkennt­nis­se von Marx zur Erfor­schung der Mensch­heits­ge­schich­te aus pola­ri­sie­ren­den Klas­sen­ge­sell­schaf­ten, gip­felnd in der sozia­len Spal­tung des Kapi­ta­lis­mus und sei­ner repres­si­ven Fol­gen, bis heu­te von den Herr­schen­den ver­drängt und mas­siv bekämpft werden.

Dage­gen gilt es, alter­na­tiv­los, in eige­nen sozia­len Medi­en und poli­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen die poli­ti­sche Selbst­er­mäch­ti­gung von Bevöl­ke­rungs­mehr­hei­ten wei­ter vor­an­zu­trei­ben, um die Deu­tungs­ho­heit der bür­ger­li­chen Leit­me­di­en kri­tisch zu hin­ter­fra­gen und gesell­schaft­li­che Gegen­be­we­gun­gen zu stärken.

  1. Eine demo­kra­tie­po­li­ti­sche Kehrtwende

Statt der heu­ti­gen, nie dage­we­se­nen Ver­schär­fung von auto­ri­tä­rer Klas­sen­herr­schaft im glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus, der auf extre­mer öko­no­mi­scher und mili­tä­ri­scher Vor­herr­schaft von wohl­ha­ben­den Min­der­hei­ten über Bevöl­ke­rungs­mehr­hei­ten sowie auf Aus­beu­tung und Zer­stö­rung der Umwelt beruht und des­halb kei­ne Herr­schaft im Inter­es­se der Völ­ker, son­dern gegen sie dar­stellt – gilt es, alter­na­tiv­los und per­ma­nent um mehr uni­ver­sel­le Teil­ha­be der Bevöl­ke­rungs­mehr­hei­ten inner­halb der Natio­nen und inter­na­tio­nal zu rin­gen, um faschi­sto­ide Gewalt­aus­brü­che und impe­ria­le glo­ba­le Krie­ge sowie die zugrun­de lie­gen­den wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen, sozia­len und kul­tu­rel­len Ant­ago­nis­men, Spal­tun­gen und Pola­ri­sie­run­gen abzu­bau­en und zu über­win­den. Inzwi­schen steht die Exi­stenz allen Lebens auf der Erde auf dem Spiel. Das war, ist und bleibt die ent­schei­den­de Her­aus­for­de­rung einer neu­en koper­ni­ka­ni­sche Wen­de in der Geschich­te der Mensch­heit: von der Vor­herr­schaft wohl­ha­ben­der Min­der­hei­ten zu einem wür­di­gen Leben für alle Menschen