Ende April hat Bundesverteidigungsminister Pistorius im Historischen Rathaus zu Osnabrück den »Osnabrücker Erlass« vorgestellt, der die neuen Grundsätze zur Spitzengliederung und Führungsorganisation im Bundesministerium der Verteidigung skizziert. Pistorius erklärte hierzu auf der Homepage des Ministeriums: »Die veränderte Bedrohungslage in Europa lässt keinen Zweifel daran, dass wir uns auf unseren Kernauftrag fokussieren müssen: Landes- und Bündnisverteidigung. (…) Wir brauchen eine handlungsfähige und reaktionsschnelle Bundeswehr mit einer klaren Führungs- und Befehlsstruktur. Mit dem Osnabrücker Erlass werden wir diesen neuen Herausforderungen gerecht.« Wohin diese auf Kriegstüchtigkeit ausgerichtete Reise der Bundeswehr gehen soll, ließ sich bereits zuvor in der Zeitschrift für innere Führung (IF 2/24) der Bundeswehr erkunden, wo Oberst i. G. Lamatsch gleich im Editorial die Leserschaft mit den Worten begrüßt: »Kriegstüchtig werde ich nur innerhalb einer Gesellschaft, die mir das notwendige Rüstzeug und die Unterstützung gibt, um in der von Tod und Gewalt geprägten Auseinandersetzung zu gewinnen.« Und Generalleutnant Mais geht wenige Seiten später noch einen grün-oliv-farbenen Schritt weiter und schreibt: »Kriegstüchtigkeit geht explizit auch die Fähigkeit einher, in einem möglichen Krieg den Sieg erringen zu können.« Dafür sei ein »kriegstaugliches Mindset« notwendig, ergänzt sodann Oberstleutnant Rohrmoser. Und deshalb werde eine »wehrhafte Bevölkerung« benötigt, die »Russland als Bedrohung« wahrnehme, zur »Ertüchtigung der Bundeswehr« stehe, eine »Akzeptanz für die ›kämpfende Truppe‹« entwickle, »offen für Wehrdienst« sei und eine »persönliche Verteidigungsbereitschaft« bejahe, so der in das gleiche Horn blasende Militärsoziologe Dr. Graf. Am Ende der Bundeswehrjournaille heißt es dann zusammenfassend: »Die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr und die Wehrhaftigkeit der Gesamtgesellschaft« seien »zu neuen Schlüsselbegriffen im Umgang mit den Krisen und Konflikten geworden, mit denen sich die Bundesrepublik als Teil der Nato im 21. Jahrhundert konfrontiert« sehe.
Warum aber hat Pistorius ausgerechnet das historische Rathaus der Stadt Osnabrück zur Verkündung des für die Bundeswehr so wegweisenden »Osnabrücker Erlasses« gewählt? Weil er dort geboren und sieben Jahre Oberbürgermeister gewesen ist? Oder weil das geschichtsträchtige Osnabrücker Rathaus eine kongeniale (der-Wolf-hat-Kreide-gefressene-) Kulisse bietet für die Postulierung des »kriegstauglichen Mindsets«? War es doch jenes Rathaus, in dem im Oktober 1648 (neben dem Rathaus in Münster) einer der Friedensverträge unterzeichnet worden ist, der den Dreißigjährigen Krieg beendete und denen seitdem als »Westfälischer Friede« ein ewiger Platz in den Geschichtsbüchern sicher ist. Oder war es einfach nur Zufall? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! In der offiziellen Einladung zum Pressetermin des Ministeriums zur feierlichen Unterzeichnung des Osnabrücker Erlasses heißt es hierzu: »Der neue Erlass ist ein weiterer Meilenstein bei der Fokussierung des Geschäftsbereichs des BMVg auf den verfassungsrechtlichen Kernauftrag der zeitgemäßen Landes- und Bündnisverteidigung und schreibt die Grundsätze der neuen Struktur verbindlich für den Geschäftsbereich fest« – ein Verweis zur Wahl des Ortes findet sich indes auch hier nicht. Und überhaupt findet sich in dem »Osnabrücker Erlass« auch so manches andere einfach wohl deshalb nicht, weil es dann eher einem kriegsuntauglichen bzw. einem pazifistischen Mindset entsprechen würde. In der von der Friedrich-Ebert-Stiftung im vergangenen Februar veröffentlichten Studie »Neue Perspektiven: Friedensförderung und Konfliktbearbeitung in einer sich wandelnden Weltordnung« findet sich hierzu jedoch so manches, was aber für die gegenwärtige Pistorius’sche Denkschule ganz offensichtlich nicht von besonderem Interesse zu sein scheint. In Europa werde, heißt es in der Studie, »Russlands breitflächiger Angriff auf die Ukraine seit Februar 2022 – der erste große zwischenstaatliche Krieg in einer von innerstaatlichen Konflikten geprägten Zeit – oft als historischer Einschnitt für Frieden und Sicherheit oder in den Worten von Bundeskanzler Scholz als ›Zeitenwende‹ bezeichnet. Dieser Einschätzung schließt man sich nicht überall auf der Welt an. Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar mahnte zum Beispiel: ›Europa muss aus der Denkweise herauswachsen, dass Europas Probleme die Probleme der Welt sind‹, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas. Es werde oft übersehen, dass für weite Teile der Welt politisch ganz andere Prioritäten gelten.« Das habe unmittelbare Auswirkungen in den aktuellen Konflikt- und Postkonfliktländern auf der ganzen Welt, so die Studie, weshalb über eine neue »Friedensförderung in einer sich wandelnden Weltordnung« nachgedacht werden müsse: »Angesichts der weltweiten Frustration über wahrgenommene Doppelmoral westlicher Länder im Umgang mit Konflikten und über strukturelle Ungleichheiten im multilateralen System ist es an der Zeit, internationale Zusammenarbeit neu zu denken und zu gestalten.« In welchem Mindset Ihres Ministeriums kommt all das auch nur im Ansatz vor, Herr Pistorius? Und wann stellt eigentlich Ihr Ministerium hierzu eine wegweisende Erklärung vor, Frau Baerbock?