Conrad Taler braucht man den Ossietzky-Lesern nicht vorzustellen. Seit vielen Jahren ist er ihnen als regelmäßiger Autor zahlreicher wichtiger Beiträge bekannt. Immer wieder hat er auch durch Buchveröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht.
Bereits im Jahr 2002 erschien sein Band »Zweierlei Maß«. Hier untersucht er zunächst den Umgang der bundesdeutschen Justiz mit nazibelasteten Richtern und kommt zu dem erschreckenden Resümee, dass kein einziger von ihnen letztlich zur Verantwortung gezogen wurde. Geschickt haben es Berufskollegen von ihnen verstanden, die Hürde für die Erfüllung des Tatbestandes der Rechtsbeugung so hoch zu legen, dass selbst Richter, die an Todesurteilen mitwirkten, darunter hinwegglitten. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch ein gewisser Korpsgeist dabei eine Rolle gespielt haben muss. Selbst als sich das Landgericht Berlin 1967 anschickte, den früheren Richter Hans-Joachim Rehse wegen Beihilfe zum Mord und versuchtem Mord zu fünf Jahren Zuchthaus zu verurteilen, sorgte der Bundesgerichtshof in der Revisionsinstanz für die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand, ob der Richter mit bestimmtem Vorsatz das Recht gebeugt habe, als er als Beisitzer im ersten Senat des Volksgerichtshofs unter Otto Georg Thierack und dem berüchtigten Roland Freisler an der Verhängung von 231 Todesurteilen mitwirkte, wovon nur ein kleiner Teil Gegenstand des Verfahrens war. Das Landgericht Berlin sprach Rehse in einem zweiten Urteil von jeglicher Schuld frei, da es keinen Nachweis für ein bewusstes unrichtiges Anwenden des Rechts habe finden können. Als sich die Staatsanwaltschaft jetzt gegen dieses Urteil vom 6. Dezember 1968 im Wege einer erneuten Revision an den Bundesgerichtshof wandte, kam es nicht mehr zu einer Entscheidung, da Rehse 1969 starb. Sein Fall kann aber als geradezu exemplarisch für das Scheitern der deutschen Justiz bei der Strafverfolgung von Nazirichtern gelten. Sie verfügten spätestens jetzt und fortan über ein Privileg.
Im zweiten Teil seines Buches stellt Taler dem die juristische Kriminalisierung von DDR-Richtern und -Staatsanwälten nach dem Anschluss der DDR 1990 durch die bundesdeutsche Justiz gegenüber. Dabei arbeitet er heraus, dass der Umgang mit diesen ein völlig anderer war. Hier zeigte man sich unerbittlich und war von deutlichem Verfolgungsinteresse geprägt. Man könnte fast annehmen, dass es auf diese Weise darum gehen sollte, das frühere Versagen nunmehr ins Gegenteil zu verkehren. Jetzt waren die Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandes der Rechtsbeugung bei weitem nicht mehr so streng formalistisch in der Betrachtung und wurde viel eher angenommen, dass der DDR-Richter mit Vorsatz gehandelt und Recht gebeugt habe. So erklärt sich auch der Titel des Buches, weil sich zeigt, dass der Gradmesser ein ganz unterschiedlicher war. Während bei den einen die äußeren Umstände – »Verstrickung« in die Naziideologie und ein fanatischer Glaube – zugute-gehalten wurden, wurde den anderen nicht zugebilligt, in einem inzwischen nicht mehr existierenden Staat das dort geltende Recht angewandt zu haben, welches sich von dem der Bundesrepublik zumindest in Teilen unterschied.
Talers Buch hat jetzt nach 18 Jahren eine zweite Auflage erfahren und ist nach wie vor zu empfehlen, vor allem einer jüngeren Generation, die beide beschriebenen Zeitepochen nicht miterlebt hat. Der Autor hält der Justiz den Spiegel vor und wirft zu Recht Fragen auf, die auch künftige Juristengenerationen zumindest in der Ausbildung noch beschäftigen sollten.
Conrad Taler: »Zweierlei Maß«, PapyRossa Verlag, 190 Seiten, 14,90 €