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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Frustrator

Die Stra­ße in Bel­grad, in der ich woh­ne, hat vie­le domi­nan­te Bewoh­ner. Man fragt sich, wen all die Alpha­we­sen über­haupt domi­nie­ren wol­len. Es müss­ten Wesen ohne eige­ne Domi­nanz sein, und die sind in der Stra­ße sel­ten. Auto­fah­rer pre­schen die­sel­be run­ter, als wären Fuß­gän­ger Stra­ßen­dreck. Fuß­gän­ger krat­zen sich in der Stra­ßen­mit­te so kon­zen­triert am Hoden­sack, dass sie dafür ste­hen­blei­ben. Woll­te die Stra­ße einen Dik­ta­tor wäh­len, gäbe es nur Kan­di­da­ten und kei­ne Wähler.

Und doch ist einer da, wel­cher die­ses Geran­gel mit einer Mischung aus Hart­näckig­keit und uner­schüt­ter­li­chem Glau­ben an sich selbst domi­niert. Die­ser eine ver­dient es, als Herr­scher der Stra­ße ange­spro­chen zu wer­den – es ist über­ra­schen­der­wei­se ein Hund.

Wel­che Defi­ni­ti­on von Herr­schaft willst du? Immer das letz­te Wort behal­ten. Sich in alles und jedes Ver­hal­ten ande­rer ein­mi­schen. Kei­nen Anspruch neben dem eige­nen aner­ken­nen. Der Hund unse­res Nach­barn erfüllt sämt­li­che Kri­te­ri­en für Herr­schaft. Aus­ge­übt wird die­se von ihm durch Bel­len. Ger­ne bellt er anlass­los. Zum Bei­spiel mor­gens früh um halb fünf, wenn in die­ser Stra­ße kein Mensch, kein Hund und kei­ne Maus unter­wegs sind, bellt er. Wie tut er es? Ich wür­de sagen: nach­drück­lich. Jedes ein­zel­ne Wau ist ihm wich­tig, wes­halb er zwi­schen den Ein­zel­wau­en kur­ze Kunst­pau­sen macht. Wie Eltern, die der Nach­kom­men­schaft eine Mit­tei­lung ein­häm­mern wol­len: Jeder Ham­mer­schlag muss sit­zen, jedes Wort, jedes Wau so prä­zi­se, dass man denkt: Dies Wau war wirk­lich unver­gleich­lich ein­drucks­voll. Was nie stimmt, weil das näch­ste immer noch bedeu­ten­der ausfällt.

Denkt zumin­dest der Hund und kriegt nicht genug von sei­ner Bedeu­tung. Bis ihm plötz­lich ein Wau ver­rutscht. Krie­gen Hun­de Stimm­bruch? So klingt jeden­falls das mei­net­we­gen acht­und­drei­ßig­ste Wau, und der Hund merkt: Mist, der eine Pat­zer kratzt an der Wür­de mei­ner Rede mehr als die sie­ben­und­drei­ßig Tref­fer vor­her zu ihr bei­getra­gen haben. Was mach ich bloß? Die Ant­wort lau­tet: Wei­ter. Nur die Län­ge des Vor­trags bie­tet die Aus­sicht, den Pat­zer beim Publi­kum in Ver­ges­sen­heit zu brin­gen, in Kom­bi­na­ti­on damit, dass fort­an alles klappt. Was es nie tut – da capo al infi­ni­to. Der Spaß kann dauern.

Wer übri­gens fragt, woher ich wis­sen will, was der Hund denkt: Für sowas hat man sei­ne Wahrheitsdrohne.

Der Hund wie­der­um hat für sein Bel­len sei­ne Grün­de. Acht­zig Pro­zent der Per­for­mance sind nicht anlass­los – wenn auch ansatz­los. Ein Fehl­ver­hal­ten, das sich in Gegen­wart des Hun­des vor­zu­kom­men erlaubt, braucht eine Ant­wort. Der Hund bellt noch ein Ach­tel lust­vol­ler, als wenn er ein­fach so bel­len muss, weil man ihm den Anlass ver­wei­gert. Bei­spiel: Ein frem­der Hund, der die Stra­ße daher läuft und unter dem Bal­kon des Nach­bar­hun­des die Frech­heit des Bel­lens hat. Das macht der nicht noch mal! Bezie­hungs­wei­se das macht der noch ganz vie­le Male hin­ter­ein­an­der, weil er jedes Mal, wenn der Nach­bar­hund sein »Schluss jetzt!« bellt, sein »Nee, noch nicht!« dahin­ter set­zen muss. Und trotz­dem ist irgend­wann Schluss. Denn der Frem­de muss wei­ter und der Nach­bar­hund nicht, der wohnt hier. Der kann län­ger. Der hat immer das letz­te Wau.

Oder die Kat­ze steht nachts vor unse­rem Haus und will rein, war­um auch immer. Sie macht ein wei­ner­li­ches Geschrei, das hat sie von den Babys und Klein­kin­dern in der Stra­ße gelernt. Es wirkt. Ich will sie sofort rein­las­sen, bin aber zu müde auf­zu­ste­hen und war­te erst mal, was der Hund sagt. Er bellt. Mit­ten in der Nacht hat kei­ne Kat­ze Lärm zu machen. Das lernt sie ein­mal. Zwei­mal. Drei­mal. Die Kat­ze gibt auf. Ehr­lich, so drin­gend kanns doch dann nicht gewe­sen sein. Bleibt sie eben drau­ßen. Brau­chen wir nicht alle die­se Momen­te, wo unse­ren Ansprü­chen mal Gren­zen gesetzt wer­den? Ich mag in die­sem Moment den Nach­bar­hund. Genüss­lich dre­he ich mich im Bett um und ver­ges­se die Schreie der ein­ge­sperr­ten Anti-Lithi­um-Pro­test­ler, ääh, der Kat­ze, als hät­te es sie nie gege­ben. Das Leben kann so ein­fach sein.

Als mich gegen Mor­gen ein Husten­reiz packt, drücke ich mei­nen Kopf ins Kis­sen. So ein Husten, frei raus­ge­las­sen, kann als Geräusch miss­ver­stan­den wer­den. Ich will kei­nen Ärger. Ich muss Domi­nanz nicht her­aus­for­dern. Ich bin der Nach­bar. Ich akzep­tie­re mei­ne Grenzen.

Der Name des hie­si­gen Staats­prä­si­den­ten ist übri­gens dem Geräusch, das der Nach­bar­hund macht, nicht unähn­lich. Er kommt kraft­voll aus den Tie­fen der Man­nes­keh­le. Und bricht dann ab wie die Stim­me eines Jun­gen im Stimm­bruch. Oder wie ein Klaps, den die Ehe­frau dem Mann auf das dau­er­re­den­de Mund­werk gibt. Zwi­schen den Fin­gern witscht noch etwas Luft durch. Dann ist Ruhe im Hau­se Vučić.