Er gilt als weltweit teuerster lebender Maler – das verkündet der Spiegel. Das Bucerius Kunst Forum nennt ihn dagegen »einen der bedeutendsten Künstler der Gegenwart«: David Hockney, von dem in Kooperation mit der Tate London in Hamburg bis zum 10. Mai eine umfassende Ausstellung gezeigt wird. Sie gibt chronologisch einen Überblick seiner unterschiedlichen Perioden, von »Woman with a Sewing Machine« (1954), seine Mutter als Modell, bis zum großformatigen »In the Studio« (Ende 2017), das aus tausenden Fotos von seinem Atelier entstand. Hockney versucht in dem Bild – wie in vielen davor – die Perspektive zu ändern, Raum und Zeit darzustellen.
Was sehen wir? Den Künstler. In blau-grün gestreifter Strickjacke steht er inmitten seiner Werke, klein und fast wie erschlagen, mit hängenden Armen, daneben ein alter Teppich mit zwei Sesseln. Die quietschbunten Bilder umgeben ihn hängend, stehend auf dem 278,1 mal 760,1 Zentimeter großen Werk, das mit Hilfe des Computers komponiert wurde.
In Bradford 1937 geboren, lernt Hockney auf der dortigen School of Art die akademische Tradition kennen. Später in London am Royal Collage of Art kommt er mit Künstlern wie Francis Bacon, Peter Blake zusammen. Und mit R. B. Kitaj. Der ermuntert ihn, etwas Eigenes zu schaffen. Das gelingt Hockney bald, nach einer New York-Reise. Es entstehen 16 Radierungen nach William Hogarths »The Rake´s Progress«, einer Reihe von acht Ölbildern. Hockneys Serie in Schwarz-Weiß mit bedrohlichem Rot beschreibt seine Erfahrungen – auch als Homosexueller – in New York auf ungewöhnliche Weise (1961 – 1963). Ein Trip nach Deutschland führt ihn ins Berliner Pergamonmuseum. Ein zufälliges Zusammentreffen einer ägyptischen Königin und eines – lebenden – modernen Europäers bleibt als Bild im Kopf. Es wird daraus das Gemälde »The First Marriage” (A Marriage of Styles I) von 1962. Das erste Bild, das die Tate von ihm erwarb.
Skurril: »The Berliner and the Bavarian« (1962). Zwei Köpfe, einer schmal, blau mit roten Zeichen im Gesicht, der Berliner. Der andere fast weiß und vierkantig breit, selbstgefällig? Der Bayer. Hockney schrieb dazu: »Körperlich wenigstens kamen die Bayern mir sehr vergnügt und prall vor – vielleicht macht das Bier sie so.« In Berlin sah er »sehr wenige prall und vergnügt aussehende Menschen … Sie schienen mir ziemlich anders zu sein.« Kein Bier dort? Auch bei ihm nicht. Er hat heute stattdessen einen »Notvorrat von 2000 Zigaretten im Haus«.
Sehr ernsthaft und gefühlvoll Hockneys homoerotische Radierungen zur Lyrik von Konstantin Kavafis von 1966. Es zieht ihn an die Westküste der USA, nach Los Angeles, 1964. Er liebt die gleißende Sonne, die weißen Hausfassaden, Gärten. Sein Gemälde »Hollywood Garden« (1966) irritiert: Garten? Eine helle Hauswand, dahinter noch eine, davor eher kleinere Palmen, die aus einer graubraunen Fläche aufragen. Der Schattenwurf stimmt nicht ganz – ein Blatt fehlt. Absicht? Wollte Hockney die Künstlichkeit dieses Gartens zeigen? Und immer wieder malt er Wasser. Keine Teiche, kein Meer – Swimmingpools mit Sprungbrett und Duschen mit jungen Männern. Auch hier kalte Farben, alles klinisch sauber – unangreifbar.
Beispiele von Hockneys realistischer Phase, er spricht von Naturalismus: das große Gemälde mit vielen Vorstudien »Mr. and Mrs. Clark and Percy« (1970/71) – ein Paar, bei dessen Hochzeit er Trauzeuge war, das sich jedoch bald wieder trennte. Ein schönes Bild, das die Spannung zwischen den beiden spürbar werden lässt. Percy, der weiße Kater auf dem Schoß des Mannes, sieht zur offenen Fenstertür, weg vom Betrachter. Celia und Ossie Clark schauen nach vorn. Er, mit gelangweiltem Gesicht auf den Stuhl hingefläzt, sie steht im langen Kleid, die Arme in die Hüften gestemmt – neben ihr weiße Lilien, neben ihm am Boden ein Telefon. An der Wand eine Radierung Hockneys aus der Serie »A Rake´s Progress«. Bis zu den nackten Füßen Ossies, die sich in einen Flokati-Teppich bohren – alles Futter für Psychologen. Ähnlich bei dem Porträt von Hockneys Eltern »My Parents« (1977). Beide sitzen auf Holzklappstühlen, dazwischen ein giftgrüner Rollwagen mit Kunstbänden, ein Tulpenstrauß und ein kleiner Spiegel, der Teile von zwei Bildern zeigt. Nach 45 Jahren Ehe ist die Kommunikation eingeschränkt. Der Vater, tief gebeugt über eines der Bücher, sie im blauen Kleid, sitzt wartend, den Blick geradeaus, die Hände ineinander verschränkt, die Beine brav nebeneinander gestellt.
In den 1980er Jahren lag das Hauptaugenmerk des Malers auf der Perspektive. Das zeigen Lithografien von Stühlen und Sesseln. Hockney streicht die normale Sicht mit einem roten Kreuz durch. Seine Sicht ist anders. Beispiel: die leuchtend bunten Darstellungen des mexikanischen Hotels Acatlan, 1984/85 entstanden. Der Blick in den Innenhof, Säulen, Bäume, die Decke, alles scheint zu stürzen. Unter Drogen gemalt? Zum Schluss das 7,44 Meter lange Gemälde, über zwei Meter hoch: »A Closer Grand Canyon« (1998). Es besteht aus 40 Leinwänden. Die Monumentalität erzeugt Schwindelgefühle. Eine Bank davor soll Abhilfe schaffen. Hockney selbst spricht von einem »200-Grad-Winkel«, aus dem man den Grand Canyon betrachtet. Man blickt gleichzeitig nach vorn und nach unten in ein riesiges Loch. In der Ausstellung leuchtet es schon von weitem in brennenden Rot- und Orange-Tönen und stachligem Grün. Die Perspektive verändert sich laufend, versichert Hockney: »Das Auge ist in ständiger Bewegung. Bewegt es sich nicht, ist man tot.«
Und Hockney heute? Sein neues Buch mit 120 Stillleben, die den Blick aus dem Schlafzimmerfenster dokumentieren, mit Hilfe des iPads gemalt. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung promotet den Band in einem langen Interview beim Künstler in Hollywood. Nicht die »Beschissenheit der Welt« wolle er zeigen, Blumen am Fenster und das »Vorbeiziehen der Jahreszeiten« – für 1750 Euro das Stück. »Sinn und Zweck« seiner Bilder seien »Vergnügen und Freude« – der Preis, der interessiere ihn nicht. Im Interview spielt Geld die Hauptrolle, es fügt sich passgenau ins Anzeigenumfeld. Er sei es überdrüssig, bekennt Hockney, »wie apokalyptisch die Welt von den Medien dargestellt« werde, und bilde sich ein, es sei seine »Pflicht, die Welt mit einem neuen Bild aufzuheitern«.
Katalog, herausgegeben von Kathrin Baumstark, Hirmer Verlag, 220 Seiten, 39,90 €/in der Ausstellung 29 €. Bei Redaktionsschluss hat die Apokalypse zugeschlagen: Die Ausstellung ist zunächst bis zum 29. März geschlossen.