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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Der Altmeister der Science-Fiction wird 100

»Es war eine Lust, Feu­er zu legen. Es war eine eige­ne Lust, zu sehen, wie etwas ver­zehrt wur­de, wie es schwarz und zu etwas ande­rem wur­de. Das gel­be Strahl­rohr in der Hand, die Mün­dung die­ser mäch­ti­gen Schlan­ge, die ihr gif­ti­ges Kero­sin in die Welt hin­aus spie, fühl­te er das Blut in sei­nen Schlä­fen pochen und sei­ne Hän­de waren die eines erstaun­li­chen Diri­gen­ten, der eine Sym­pho­nie des Sen­gens und des Bren­nens auf­führ­te, um die kärg­li­chen Reste der Kul­tur­ge­schich­te voll­ends auszutilgen.«

 

Wahr­schein­lich ken­nen die mei­sten Leser den Anfang des visio­nä­ren Romans »Fah­ren­heit 451« von Ray Brad­bu­ry. Der Klas­si­ker gehört mit Geor­ge Orwells »1984« und Aldous Hux­leys »Schö­ne neue Welt« zu den gro­ßen Zukunfts­ro­ma­nen des 20. Jahr­hun­derts und ist eines der wich­tig­sten Wer­ke der ame­ri­ka­ni­schen Nach­kriegs­li­te­ra­tur. Nicht zuletzt auf­grund des gro­ßen Erfolgs von »Fah­ren­heit 451« gehört der Autor zu den aner­kann­te­sten Sci­ence-Fic­tion-Schrift­stel­lern in den USA.

Ray Dou­glas Brad­bu­ry wur­de am 22. August 1920 in Wau­ke­gan, einer Klein­stadt im Bun­des­staat Illi­nois, als Sohn eines Ame­ri­ka­ners eng­li­scher Abstam­mung und einer schwe­di­schen Immi­gran­tin gebo­ren. Als der Jun­ge 14 Jah­re alt war, zog die Fami­lie nach Los Ange­les. Schon wäh­rend der Schul­zeit ent­stan­den eige­ne Schreib­ver­su­che. Beson­ders für phan­ta­sti­sche Lite­ra­tur und Sci­ence-Fic­tion zeig­te er gro­ßes Inter­es­se; sei­ne Vor­bil­der waren neben Aldous Hux­ley vor allem Edgar Allan Poe, Jules Ver­ne und H. G. Wells. Noch als Schü­ler trat er 1937 der Los Ange­les Sci­ence Fic­tion League und dem Los Ange­les Poet­ry Club bei. Die Zeit­schrift Ima­gi­na­ti­on! ver­öf­fent­lich­te sei­ne erste Kurz­ge­schich­te im Jahr sei­nes schu­li­schen Abschlus­ses. Ange­spornt von dem Erfolg beschloss Brad­bu­ry für sich ein unge­wöhn­li­ches Pen­sum: jede Woche eine neue Geschich­te, wobei teil­wei­se meh­re­re Fas­sun­gen ent­stan­den. Am Wochen­en­de bom­bar­dier­te er dann diver­se Zeit­schrif­ten­ver­la­ge mit dem Ergeb­nis. So ent­stan­den im Lau­fe weni­ger Jah­re Hun­der­te Kurz­ge­schich­ten. Es dau­er­te aber bis 1941, ehe Ray Brad­bu­ry mit der Geschich­te »Pen­dulum« das erste Hono­rar ver­dien­te. Mit »Dark Car­ni­val« (1947) publi­zier­te er erst­mals eine Samm­lung von 27 Sto­rys in Buch­form. Brad­bu­ry, der zunächst als Zei­tungs­ver­käu­fer und frei­er Jour­na­list sei­nen Lebens­un­ter­halt ver­dien­te, konn­te nun eine Lauf­bahn als frei­er Schrift­stel­ler einschlagen.

Der lite­ra­ri­sche Durch­bruch gelang Brad­bu­ry 1950 mit sei­nem Roman­de­büt »Die Mars-Chro­ni­ken«, das aus einer Rei­he zusam­men­hän­gen­der Erzäh­lun­gen besteht, die von der Besied­lung, genau­er von der Beset­zung, des Mars durch die Men­schen han­delt. Im Mit­tel­punkt steht jedoch kei­ne Tech­nik­schwel­ge­rei, viel­mehr setz­te sich Brad­bu­ry in den Geschich­ten, die sicher­lich von den Ereig­nis­sen des Zwei­ten Welt­kriegs beein­flusst waren, mit dem Zusam­men­tref­fen ver­schie­de­ner Kul­tu­ren und mit Fra­gen der mensch­li­chen Gesell­schaft kri­tisch aus­ein­an­der. Übri­gens: Als die NASA-Mars­son­de »Phoe­nix« 2008 auf unse­rem roten Nach­bar­pla­ne­ten lan­de­te, hat­te sie neben wis­sen­schaft­li­chen Doku­men­ten auch eine digi­ta­le Kopie von Brad­bu­rys »The Mar­ti­an Chro­nic­les« an Bord.

Mit dem dys­to­pi­schen Roman »Fah­ren­heit 451« (1953) erlang­te Brad­bu­ry schließ­lich Welt­ruhm. Zen­tra­les The­ma ist die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Gefah­ren des Tota­li­ta­ris­mus (unter ande­rem mit dem Faschis­mus und dem McCar­thy­is­mus). Erzählt wird die Geschich­te einer Dik­ta­tur, die ganz auf die Zufrie­den­heit ihrer Bür­ger bedacht ist. Mit einer per­fek­ten Frei­zeit­in­du­strie bis hin zur Dau­er­be­rie­se­lung wird ihnen kei­ne Zeit gelas­sen, sich mit ihrer indi­vi­du­el­len Situa­ti­on oder der poli­ti­schen Lage zu beschäf­ti­gen. Bücher hin­ge­gen wer­den als unglück­stif­tend ange­se­hen und sind daher streng­stens ver­bo­ten. Ziel ist eine bücher­lo­se Gesell­schaft. Die Feu­er­wehr hat die Auf­ga­be, über­all ille­ga­le Bücher auf­zu­spü­ren und sie zu ver­nich­ten – selbst wenn deren Besit­zer dabei mit ver­bren­nen. Allein der jun­ge Feu­er­wehr­mann Guy Mon­tag, zunächst selbst ein ange­pass­ter Bür­ger, zwei­felt an sei­ner Arbeit, nach­dem er sich in eini­ge heim­lich mit­ge­nom­me­ne Bücher ver­tieft hat. Über die 17-jäh­ri­ge Cla­ris­se McClel­lan lernt er schließ­lich die »Buch­men­schen« ken­nen, die in Wäl­dern hau­sen und Wer­ke der Welt­li­te­ra­tur memo­rie­ren, um sie so für die Nach­welt zu erhal­ten. Der Roman »Fah­ren­heit 451« wur­de in vie­len Län­dern zu einem Best­sel­ler; sei­ne Popu­la­ri­tät stei­ger­te sich noch, als der fran­zö­si­sche Regis­seur Fran­çois Truf­f­aut das Buch 1966 ver­film­te – mit Oscar Wer­ner (als Guy Mon­tag) und Julie Chri­stie (als Cla­ris­se und Mon­tags Ehe­frau Mild­red) in den Haupt­rol­len. Vor zwei Jah­ren brach­te der ame­ri­ka­ni­sche Kabel­fern­seh­sen­der HBO eine Neu­ver­fil­mung auf den Markt.

Nach dem über­ra­schen­den Erfolg mit sei­nen bei­den Erst­lings­wer­ken setz­te Brad­bu­ry sei­ne Kar­rie­re mit zahl­rei­chen Roma­nen und Erzäh­lun­gen fort; über Jahr­zehn­te trug er mit lite­ra­ri­schen Wer­ken dazu bei, dass die in »Fah­ren­heit 451« beschrie­be­ne bücher­lo­se Welt nicht Rea­li­tät wur­de. Die Roma­ne »Löwen­zahn­wein«, »Das Böse kommt auf lei­sen Soh­len«, »Hal­lo­ween«, »Der Tod ist ein ein­sa­mes Geschäft« oder »Fried­hof für Ver­rück­te« wur­den alle­samt Best­sel­ler und in vie­le Spra­chen über­setzt. Ins­ge­samt 30 Roma­ne sol­len es sein; sie alle ver­bin­den Ele­men­te von Sci­ence Fic­tion, Kri­mi­nal­ro­man, Fan­ta­sy und Hor­ror. Noch umfäng­li­cher sind die Aus­ga­ben mit sei­nen Kurz­ge­schich­ten. Schät­zun­gen gehen von 600 Kurz­ge­schich­ten aus. Und so sind Aus­wahl­bän­de wie »Der illu­strier­te Mann«, »Fami­li­en­tref­fen« oder »Die Laurel-&-Hardy-Liebesgeschichte und ande­re Erzäh­lun­gen« wah­re Fund­gru­ben der Fan­ta­sie und wei­sen Brad­bu­ry als Mei­ster die­ser Lite­ra­tur­gat­tung aus. Ob ein merk­wür­di­ger Zwerg, der jeden Abend das Spie­gel­ka­bi­nett auf einem Rum­mel­platz auf­sucht, um sich für weni­ge Minu­ten nor­ma­le Grö­ße vor­zu­gau­keln, ob ein eifer­süch­ti­ger Ehe­mann, der bei einer Fir­ma eine Kopie sei­ner untreu­en Gat­tin bestellt, um sie zu ermor­den, oder ein nächt­li­cher Spa­zier­gän­ger, der von der Poli­zei auf­ge­grif­fen wird, weil er daheim kein Fern­seh­ge­rät besitzt … Brad­bu­ry beschwört immer das Unheim­li­che, das Gro­tes­ke im wirk­li­chen Leben. Neben sei­nen Büchern betä­tig­te er sich auch als Dreh­buch­au­tor (unter ande­rem »Moby Dick«) und Mit­ar­bei­ter von Fil­men und Fern­seh­se­ri­en. Die Auf­li­stung sei­ner Aus­zeich­nun­gen und Prei­se ist fast eben so lang wie die Anzahl sei­ner Werke.

Obwohl Ray Brad­bu­ry ab 1999 durch einen Schlag­an­fall an einen Roll­stuhl gefes­selt war, blieb er wei­ter­hin schrift­stel­le­risch aktiv. Er starb am 5. Juni 2012 in Los Ange­les. Sein Grab­stein trägt die Auf­schrift »Aut­hor of Fah­ren­heit 451«.

Im Dio­ge­nes Ver­lag, der sich seit Jahr­zehn­ten um die deutsch­spra­chi­gen Brad­bu­ry-Aus­ga­ben ver­dient macht, ist zum Jubi­lä­um »Fah­ren­heit 451« in einer neu­en Über­set­zung von Peter Tor­berg erschie­nen, die ver­sucht, so nah wie mög­lich an Brad­bu­rys eige­ner Spra­che zu blei­ben – »aus Respekt vor dem gro­ßen Autor und sei­nem Werk«.

 

Neu­erschei­nung: Ray Brad­bu­ry: »Fah­ren­heit 451«, Dio­ge­nes Ver­lag, Zürich 2020, über­setzt von Peter Tor­berg, 272 Sei­ten, 24 €; Anfangs­zi­tat aus: Ray Brad­bu­ry: »Fah­ren­heit 451«, Dio­ge­nes Ver­lag, Zürich 1981, über­setzt von Fritz Güttinger.