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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Denkmal sorgt für Unmut

Auch nach 100 Jah­ren bewegt der Frie­dens­ver­trag von Tria­non noch die Gemü­ter in Ungarn. Regie­rungs­chef Vik­tor Orbán hat­te es nach sei­nem Wahl­sieg 2010 eilig, einen »Gedenk­tag für Tria­non« zu schaf­fen: den 4. Juni. In die­sem Jahr wird – sofern nichts dazwi­schen­kommt – pünkt­lich zum Jah­res­tag ein 16-Mil­lio­nen-Euro-Denk­mal ein­ge­weiht, an zen­tra­ler Stel­le in Buda­pest hin­ter dem Par­la­ment. Es han­delt sich um eine schräg unter die Erde füh­ren­de Ram­pe, genannt tria­no­ni árok (Tria­non-Gra­ben). In die seit­li­chen Mau­ern sind ein­gra­viert die Namen aller Städ­te aus den abge­trenn­ten Gebie­ten, die Ungarn sei­ner­zeit ver­lor, meh­re­re tau­send Namen. Das sorgt für Ärger mit den Nach­bar­staa­ten Slo­wa­kei, Ukrai­ne, Rumä­ni­en, Ser­bi­en und Kroa­ti­en, die ihren eige­nen Natio­na­lis­mus pflegen.

Es war der Zusam­men­bruch des Habs­bur­ger Viel­völ­ker­staa­tes im Herbst 1918, der – wie Gerd Beds­zent kürz­lich an die­ser Stel­le schrieb (Ossietzky 8/​2020) – »ähn­lich wie im rus­si­schen Zaren­reich eine Rei­he sich aus­schlie­ßen­der Natio­na­lis­men [her­vor­brach­te]« mit der Fol­ge: »Die sich neu kon­sti­tu­ie­ren­den Staa­ten gerie­ten ein­an­der … in die Haa­re. Ungarn muss­te gra­vie­ren­de Gebiets­ver­lu­ste hin­neh­men.« Als Kriegs­ver­lie­rer hat­te Ungarn im Ergeb­nis des Tria­no­ner Dik­tat­frie­dens mehr als zwei Drit­tel sei­nes Ter­ri­to­ri­ums abzu­tre­ten. Allein Sie­ben­bür­gen, das ans König­reich Rumä­ni­en ange­schlos­sen wur­de, war flä­chen­mä­ßig grö­ßer als das gan­ze ver­blie­be­ne Rest-Ungarn. Die Natio­nal­flag­ge wur­de in Buda­pest ab dem 4. Juni 1920 für acht­zehn Jah­re auf Halb­mast gesetzt, und es wur­de der Vers skan­diert: »Rumpf-Ungarn ist gar kein Land, ganz Ungarn das Him­mel­reich.« Das Stre­ben nach Ver­trags-Revi­si­on setz­te sofort ein, und die Pro­pa­gan­da wucher­te. Mit den Umris­sen des alten, histo­ri­schen Ungar­lan­des wur­den nicht nur Schul­bü­cher ver­se­hen, son­dern auch Rasier­spie­gel, Aschen­be­cher, Zigar­ren­etuis und Reiß­zwecken gefer­tigt; Medail­lons mit Erdpröb­chen aus den abge­tre­te­nen Gebie­ten wur­den feilgeboten.

Kei­ne der poli­ti­schen Par­tei­en in Ungarn, von der rechts­extre­men Ras­sen­schutz­par­tei bis zur Lin­ken, woll­te sich mit Tria­non und sei­nen teil­wei­se recht will­kür­li­chen bos­haf­ten Rege­lun­gen abfin­den. Anders als der Grenz-Revi­sio­nis­mus in Frank­reich nach 1871 mit sei­nem Mot­to bezüg­lich Elsass-Loth­rin­gen »Nie davon reden, immer dar­an den­ken« war das Prin­zip in Ungarn: »Immer dar­an den­ken und oft davon reden.«

Die drei Nach­bar­staa­ten im Nor­den, Osten und Süden sahen sich vom unga­ri­schen Revan­chis­mus natür­lich bedroht und schlos­sen sich zum Bünd­nis der Klei­nen Entente zusam­men. Die­se war aber zur Zeit des Münch­ner Abkom­mens 1938 schon nicht mehr hand­lungs­fä­hig; mit der Zer­schla­gung der Tsche­cho­slo­wa­ki­schen Repu­blik begann eine schritt­wei­se Gebiets­ver­meh­rung Ungarns – wenn auch nur für cir­ca sie­ben Jah­re. Bei den nach 1945 wie­der her­ge­stell­ten Gren­zen von Tria­non ist es bis heu­te geblie­ben. Ange­sichts des mit und durch Orbán wach­sen­den Natio­na­lis­mus erin­nert man sich heu­er weh­mü­tig der Zei­ten der unga­ri­schen Volks­re­pu­blik, als kein Grenz-Revi­sio­nist an die Öffent­lich­keit gehen durf­te, wofür gute Grün­de spra­chen.