Mit Weihnachtswünschen ist das so eine Sache. Wir wissen alle, dass diese sich im Verlaufe eines Lebens ändern. In den ersten Jahren freuen wir uns noch über kleine Polizei- oder Feuerwehrautos, etwas später ist es ein Fahrrad und noch später wohl ein Handy. Seit ich zwei kleine Enkelinnen habe und in Erwartung eines weiteren Enkels im kommenden Februar bin, ist das Thema wieder aktueller geworden. Mit unseren erwachsenen Kindern hatten sich meine Frau und ich bereits vor Jahren geeinigt, dass wir wechselseitig auf materielle Geschenke zum Fest verzichten und uns stattdessen Zeit miteinander schenken, die wir aufgrund der allseitigen beruflichen Eingebundenheit viel zu wenig haben. Das hat sich ganz gut bewährt, kann man aber nicht mit den Enkeln machen, was auf der Hand liegt.
Die geübte Praxis heißt allerdings nicht, dass ich mich mit Weihnachtswünschen nicht beschäftigen würde, insbesondere solche, die mich innerlich bewegen. Auch diese sind nicht materieller Natur, aber meist nur schwer umsetzbar. Daran wurde ich wieder erinnert, als ich unlängst nach einer durchgeführten Hauptverhandlung vor einem Amtsgericht im Weimarer Land, an der ich als Verteidiger teilnahm, zu meinem in der Nähe des Gerichtsgebäudes abgestellten Pkw ging. Bereits aus einigen Metern Entfernung hörte ich das Lärmen von mehreren Schülerinnen und Schülern, die auf dem Hof eines Schulgebäudes spielten und etwa im Alter von 8 bis 9 Jahren waren. Als ich den Kofferraum meines Fahrzeuges öffnete, sprach mich einer von ihnen an, ob ich ihm zwei Euro geben könne, die er für einen Freund brauchen würde, der Medikamente aus der Apotheke benötigt. Als ich ihn darauf hinwies, dass dieser doch sicher Eltern habe, die sich um ihn kümmern, wenn er krank ist, und im Übrigen wohl kaum ein Medikament existiert, das für zwei Euro in einer Apotheke erworben werden könne, schwenkte er um. Jetzt behauptete er, die Eltern des Freundes seien auch krank und könnten deshalb nichts tun. Es war geradezu offensichtlich, dass es diesen Freund überhaupt nicht gibt und der Junge das Geld für sich haben wollte. Dennoch belog er mich in der beschriebenen Art und Weise. Ich erklärte ihm, dass ich angesichts dieser Situation nicht bereit bin, ihm etwas zu geben. Ehrlichkeit ist die erste Voraussetzung für die Verständigung von Menschen untereinander. Beiläufig musste ich ihn noch darauf hinweisen, dass man in seinem Alter Erwachsene nicht mehr selbstverständlich mit »Du« anspricht. Jetzt entfernte sich der Junge ohne ein weiteres Wort, eine Entschuldigung seinerseits wäre wohl angebracht gewesen, und wandte sich wieder seinen immer noch spielenden Klassenkameraden zu.
Mich machte das Erlebte aber nachdenklich und beschäftigte mich auf meiner Rückfahrt nach Gotha. Wie hätte ich mich verhalten anstelle des Jungen, vor einem halben Jahrhundert, als ich in seinem Alter war? Wäre ich auch nur annähernd auf einen solchen Gedanken gekommen, vorzugehen wie er? Letztlich wurde mir bewusst, dass die seit mehr als 30 Jahren nunmehr auch im östlichen Teil Deutschlands weit verbreitete Gier nach Geld auch diesen Jungen erfasst hatte, wenn auch nur im Kleinen. Mich erinnerte das an Zeilen, die mein Mentor Friedrich Karl Kaul einst einem Zeitgenossen schrieb: »Mir ist leider sehr bange, dass in absehbarer Zeit Deutschland nicht eins wird in der Ablehnung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen; und eins wird in der Überzeugung, dass Geld und Erwerb nicht das Maß aller Dinge im menschlichen Leben bedeuten; und das soziale Gerechtigkeit die einzig gültige Währung wird in dem Raum, den imperialistischer Wahn einst ›Großdeutsches Reich‹ genannt hat.«
Mein Weihnachtswunsch in diesem Jahr wird sein, dass meinen Enkeln in Kindertagen und hoffentlich auch später die Jagd nach Geld erspart bleibt.