Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Den Arbeiterwiderstand dem Vergessen entreißen

Wenn man unter dem aktu­el­len Auf­ruf »Nach­kom­men von Wider­stands­kämp­fern for­dern Kampf gegen rechts« Namen des Arbei­ter­wi­der­stan­des mit der Lupe suchen muss und man unter den Doku­men­ten zu »Unter­neh­mer und Gewerk­schaf­ten gemein­sam für die Demo­kra­tie« nur Har­mo­ni­sches unter der Losung von der immer wäh­ren­den Sozi­al­part­ner­schaft fin­det, dann ist klar: Das Buch zum Arbei­ter­wi­der­stand von Ulrich Schnei­der kam im rech­ten Moment heraus.

Denn eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung zum Bei­spiel zu den Daten 20. Febru­ar 1933 und 1. Mai 1933 fehlt, wo sie drin­gend nötig wäre (sie­he Ossietzky 4/​24). Die Unter­neh­mer­schaft will heu­te den Ein­druck erwecken, als sei ihr der Kampf um Demo­kra­tie stets ein Her­zens­an­lie­gen gewe­sen. Und dass z. B. das Febru­ar-Tref­fen mit Hit­ler, das den Weg frei mach­te zur faschi­sti­schen Unter­drückung und zum Krieg, zum Ter­ror gegen jene, die man heu­te »Sozi­al­part­ner« nennt, das hat es nie gege­ben? Und auch die Gewerk­schaf­ten ver­stel­len mit ihren aktu­el­len Erklä­run­gen den Blick auf den 1. Mai 1933, an dem sie gemein­sam mit den Nazis und Unter­neh­mern auf­mar­schier­ten. In der Zeit danach haben dann vie­le Gewerk­schaf­ter sich den­noch mutig am Arbei­ter­wi­der­stand beteiligt.

Dar­an soll­te erin­nert wer­den, auch wenn heu­te eine Wie­der­ho­lung des Bünd­nis­ses der öko­no­mi­schen Eli­ten mit den Pro­fa­schi­sten nicht direkt bevor­steht. Denn in Zei­ten der Glo­ba­li­sie­rung ist beim Kapi­tal das Export­po­ten­ti­al vor­dring­lich und nicht ein aut­ar­ker deut­scher Staat, wohl aber einer, der am Abbau der demo­kra­ti­schen und Arbei­ter­rech­te inter­es­siert ist. Die­se Erin­ne­rung ist erfor­der­lich, weil die Umstän­de der Macht­über­tra­gung 1933 nie wirk­lich bewäl­tigt wur­den. Bea­te Klars­feld sag­te ein­mal zu ihren Vor­bil­dern, das sei­en die Geschwi­ster Scholl gewe­sen mit ihrem Appell: »Ver­gesst auch nicht die klei­nen Schur­ken die­ses Systems, merkt euch die Namen, auf dass kei­ner ent­kom­me.« Und im Schwur von Buchen­wald von 1945 wird vom Arbei­ter­wi­der­stand zum Kampf auf­ge­ru­fen, »bis auch der letz­te Schul­di­ge vor den Rich­tern der Völ­ker steht«.

Ein Tref­fen mög­li­cher Kriegs­ge­winn­ler wie einst 1931/​33 ist heu­te ansatz­wei­se mit dem von Cor­rec­tiv auf­ge­deck­ten Master­plan­tref­fen von Pots­dam wie­der denk­bar. Und schließ­lich gab es auch jenen Spa­ten­stich des Kanz­lers bei Rhein­me­tall in Unter­lüß. Die IG Metall schließ­lich fin­det nichts dabei, für die Erfol­ge der Rüstungs­in­du­strie ein­zu­tre­ten. Inner­halb eines Jah­res stieg der Wert der Rhein­me­tal­lak­tie um 60 Prozent.

Da lohnt es, an das zu erin­nern was der Arbei­ter­wi­der­stand war und was er woll­te. Und das geschieht mit Ulrich Schnei­ders Buch. Denn die offi­zi­el­le Geschichts­schrei­bung ist in die­ser Hin­sicht mehr als stief­müt­ter­lich. Die Arbei­ter­be­we­gung als Wider­stands­be­we­gung exi­si­tiert nicht, es ist vom Arbei­ter­wi­der­stand allen­falls noch die ein­zel­ne Per­son übrig geblie­ben, nicht die Bewe­gung. In Gedenk­aus­stel­lun­gen, so zitiert LOTTA, Nr. 42/​2011, aus Ober­hau­sen, die zustän­di­gen Histo­ri­ker, sei­en »ein­sei­tig« auf den Gegen­satz von Ver­fol­gung und Wider­stand gerich­tet gewe­sen. Gestört habe auch »eine mas­si­ve, durch­aus zeit­ty­pi­sche Kri­tik am Ver­hal­ten des Groß­ka­pi­tals«. Folg­lich wur­de die Erin­ne­rung an die Arbei­ter­wi­der­stands­be­we­gung wie die Erin­ne­rung an die Rol­le der öko­no­mi­schen Eli­ten in Nazi­zeit und Krieg ver­bannt. Sie ist eben heu­te nicht mehr »zeit­ty­pisch«. Das erin­nert an die geschichts­po­li­ti­sche Wen­de, die dem Osten Deutsch­lands auf­ge­nö­tigt wurde.

Ulrich Schnei­der schil­dert weit­hin heu­te Unbe­kann­tes. So erin­nert er an den Arbei­ter­wi­der­stand gegen den auf­kom­men­den Faschis­mus in der Wei­ma­rer Repu­blik. An die Bewe­gun­gen des Reichs­ban­ners (SPD) und des Rot-Front-Kämp­fer­bun­des (KPD) wie an nicht par­tei­ge­bun­de­ne Anti­fa-Aktio­nen und den Kampf­bund gegen den Faschis­mus, der erfor­der­lich wur­de, weil der Staat immer wie­der kom­mu­ni­sti­sche Orga­ni­sa­tio­nen verbot.

Die Kapi­tel »1933 bis 1935 – Ver­fol­gung der orga­ni­sier­ten Arbei­ter­be­we­gung«, »1936 bis 1939 – ‹Lee­re Jah­re› der Arbei­ter­be­we­gung?« (die nicht so leer waren, sie­he den Kampf der Inter­bri­ga­di­sten in Spa­ni­en) und »1939 bis 1945 – Arbei­ter-wider­stand im Krieg« sind Kern­stücke des Buches.

Ins Bewusst­sein fürs Heu­te ist zu rücken, was unter »1945 und spä­ter – Der anti­fa­schi­sti­sche Neu­an­fang« zusam­men­ge­fasst ist. Die Leh­ren aus dem, was der Ein­heit vor 1933 ent­ge­gen­stand, gilt es sich wie­der ein­zu­prä­gen, und dabei hilft das Buch. Es endet mit Fest­stel­lun­gen wie: Die Frau­en und Män­ner, die sich oft­mals schon vor 1933 dem Vor­marsch der NSDAP und ihrer Macht­ein­set­zung ent­ge­gen­ge­stellt haben, wur­den und wer­den zurecht als Teil der Anti-Hit­ler-Koali­ti­on ange­se­hen, die die Befrei­ung von Faschis­mus und Krieg ermög­licht hat. Der Wider­stand aus der Arbei­ter­be­we­gung hat das NS-System nicht zer­stört, aber auch umge­kehrt gilt: Das NS-Regime hat die Tra­di­ti­on der Arbei­ter­be­we­gung nicht auf Dau­er vernichtet.

Oder doch? Man betrach­te die aktu­el­len Gemein­schafts­er­klä­run­gen von Kapi­tal und Arbeit. Daher bie­tet Ulrich Schnei­ders Buch beson­ders mit den Schil­de­run­gen zum Pra­ger Mani­fest der SPD und zum VII. Welt­kon­gress der Kom­mu­ni­sti­schen Inter­na­tio­na­le sowie mit der mas­si­ven Selbst­kri­tik der bei­den Haupt­strö­mun­gen der Arbei­ter­be­we­gung drin­gend not­wen­di­ge Hin­wei­se für die Ori­en­tie­rung der Arbei­ter­be­we­gung heu­te und in Zukunft. Auf dass Feh­ler nicht wie­der­holt werden.

Ulrich Schnei­der: Arbei­ter­wi­der­stand im Drit­ten Reich, Papy­Ros­sa Ver­lag, Köln 2024, 127 S, 12 €,