Wenn man unter dem aktuellen Aufruf »Nachkommen von Widerstandskämpfern fordern Kampf gegen rechts« Namen des Arbeiterwiderstandes mit der Lupe suchen muss und man unter den Dokumenten zu »Unternehmer und Gewerkschaften gemeinsam für die Demokratie« nur Harmonisches unter der Losung von der immer währenden Sozialpartnerschaft findet, dann ist klar: Das Buch zum Arbeiterwiderstand von Ulrich Schneider kam im rechten Moment heraus.
Denn eine kritische Auseinandersetzung zum Beispiel zu den Daten 20. Februar 1933 und 1. Mai 1933 fehlt, wo sie dringend nötig wäre (siehe Ossietzky 4/24). Die Unternehmerschaft will heute den Eindruck erwecken, als sei ihr der Kampf um Demokratie stets ein Herzensanliegen gewesen. Und dass z. B. das Februar-Treffen mit Hitler, das den Weg frei machte zur faschistischen Unterdrückung und zum Krieg, zum Terror gegen jene, die man heute »Sozialpartner« nennt, das hat es nie gegeben? Und auch die Gewerkschaften verstellen mit ihren aktuellen Erklärungen den Blick auf den 1. Mai 1933, an dem sie gemeinsam mit den Nazis und Unternehmern aufmarschierten. In der Zeit danach haben dann viele Gewerkschafter sich dennoch mutig am Arbeiterwiderstand beteiligt.
Daran sollte erinnert werden, auch wenn heute eine Wiederholung des Bündnisses der ökonomischen Eliten mit den Profaschisten nicht direkt bevorsteht. Denn in Zeiten der Globalisierung ist beim Kapital das Exportpotential vordringlich und nicht ein autarker deutscher Staat, wohl aber einer, der am Abbau der demokratischen und Arbeiterrechte interessiert ist. Diese Erinnerung ist erforderlich, weil die Umstände der Machtübertragung 1933 nie wirklich bewältigt wurden. Beate Klarsfeld sagte einmal zu ihren Vorbildern, das seien die Geschwister Scholl gewesen mit ihrem Appell: »Vergesst auch nicht die kleinen Schurken dieses Systems, merkt euch die Namen, auf dass keiner entkomme.« Und im Schwur von Buchenwald von 1945 wird vom Arbeiterwiderstand zum Kampf aufgerufen, »bis auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht«.
Ein Treffen möglicher Kriegsgewinnler wie einst 1931/33 ist heute ansatzweise mit dem von Correctiv aufgedeckten Masterplantreffen von Potsdam wieder denkbar. Und schließlich gab es auch jenen Spatenstich des Kanzlers bei Rheinmetall in Unterlüß. Die IG Metall schließlich findet nichts dabei, für die Erfolge der Rüstungsindustrie einzutreten. Innerhalb eines Jahres stieg der Wert der Rheinmetallaktie um 60 Prozent.
Da lohnt es, an das zu erinnern was der Arbeiterwiderstand war und was er wollte. Und das geschieht mit Ulrich Schneiders Buch. Denn die offizielle Geschichtsschreibung ist in dieser Hinsicht mehr als stiefmütterlich. Die Arbeiterbewegung als Widerstandsbewegung exisitiert nicht, es ist vom Arbeiterwiderstand allenfalls noch die einzelne Person übrig geblieben, nicht die Bewegung. In Gedenkausstellungen, so zitiert LOTTA, Nr. 42/2011, aus Oberhausen, die zuständigen Historiker, seien »einseitig« auf den Gegensatz von Verfolgung und Widerstand gerichtet gewesen. Gestört habe auch »eine massive, durchaus zeittypische Kritik am Verhalten des Großkapitals«. Folglich wurde die Erinnerung an die Arbeiterwiderstandsbewegung wie die Erinnerung an die Rolle der ökonomischen Eliten in Nazizeit und Krieg verbannt. Sie ist eben heute nicht mehr »zeittypisch«. Das erinnert an die geschichtspolitische Wende, die dem Osten Deutschlands aufgenötigt wurde.
Ulrich Schneider schildert weithin heute Unbekanntes. So erinnert er an den Arbeiterwiderstand gegen den aufkommenden Faschismus in der Weimarer Republik. An die Bewegungen des Reichsbanners (SPD) und des Rot-Front-Kämpferbundes (KPD) wie an nicht parteigebundene Antifa-Aktionen und den Kampfbund gegen den Faschismus, der erforderlich wurde, weil der Staat immer wieder kommunistische Organisationen verbot.
Die Kapitel »1933 bis 1935 – Verfolgung der organisierten Arbeiterbewegung«, »1936 bis 1939 – ‹Leere Jahre› der Arbeiterbewegung?« (die nicht so leer waren, siehe den Kampf der Interbrigadisten in Spanien) und »1939 bis 1945 – Arbeiter-widerstand im Krieg« sind Kernstücke des Buches.
Ins Bewusstsein fürs Heute ist zu rücken, was unter »1945 und später – Der antifaschistische Neuanfang« zusammengefasst ist. Die Lehren aus dem, was der Einheit vor 1933 entgegenstand, gilt es sich wieder einzuprägen, und dabei hilft das Buch. Es endet mit Feststellungen wie: Die Frauen und Männer, die sich oftmals schon vor 1933 dem Vormarsch der NSDAP und ihrer Machteinsetzung entgegengestellt haben, wurden und werden zurecht als Teil der Anti-Hitler-Koalition angesehen, die die Befreiung von Faschismus und Krieg ermöglicht hat. Der Widerstand aus der Arbeiterbewegung hat das NS-System nicht zerstört, aber auch umgekehrt gilt: Das NS-Regime hat die Tradition der Arbeiterbewegung nicht auf Dauer vernichtet.
Oder doch? Man betrachte die aktuellen Gemeinschaftserklärungen von Kapital und Arbeit. Daher bietet Ulrich Schneiders Buch besonders mit den Schilderungen zum Prager Manifest der SPD und zum VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale sowie mit der massiven Selbstkritik der beiden Hauptströmungen der Arbeiterbewegung dringend notwendige Hinweise für die Orientierung der Arbeiterbewegung heute und in Zukunft. Auf dass Fehler nicht wiederholt werden.
Ulrich Schneider: Arbeiterwiderstand im Dritten Reich, PapyRossa Verlag, Köln 2024, 127 S, 12 €,