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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Demokratie wie nie

Zu innen­po­li­ti­schen, schon mit Anschau­ung blo­ßer Empi­rie fest­stell­ba­ren Ent­wick­lun­gen, die einen Krieg der Hoff­nung auf eine Wie­der­kehr von Hil­la­ry Clin­tons Jubel – »We came, we saw, he died« – beglei­ten, eine paar Anmer­kun­gen. Die Zei­ten, in denen die Klei­nen ande­re auf dem Pau­sen­hof mit dem Ver­dacht beleg­ten, »ein 175er« zu sein, sind längst vor­bei; mit der grund­ge­setz­lich abstrakt for­mu­lier­ten Gleich­be­hand­lung aller Mit­glie­der der Nati­on und von deren »Gästen« wird in Form eines weit­rei­chen­den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots und ent­spre­chend ent­ta­bui­sie­ren­der Vor­schrif­ten end­lich ernst gemacht, »mehr Demo­kra­tie gewagt«. Ehe­mals ver­bo­te­ne sexu­el­le Varia­tio­nen bei der Part­ner­wahl oder die Wahl des Geschlechts z. B. wur­den, ein ent­spre­chen­des gegen­sei­ti­ges Ein­ver­ständ­nis bzw. eine aus­drück­li­che Wil­lens­er­klä­rung vor­aus­ge­setzt, ein Teil der recht­lich garan­tier­ten bür­ger­li­chen Frei­hei­ten im Reich des Pri­va­ten. Damit erwei­ter­te sich auch der Kata­log von zu bestra­fen­den und/​oder öffent­lich zu ver­ur­tei­len­den Miss­bräu­chen und Über­tre­tun­gen des Erlaub­ten um neue Tat­be­stän­de. So soll gene­rell aus­ge­schlos­sen sein, dass Unter­schie­de phy­si­scher Art sowie von Her­kunft, Abstam­mung, sozia­ler Schicht, Glau­ben, Spra­che etc. Bevor­zu­gung bzw. Benach­tei­li­gung von ein­zel­nen und Grup­pen nach sich zie­hen. Die­ser Gleich­stel­lungs­auf­trag ist insti­tu­tio­na­li­siert in Staat, Wis­sen­schaft, Arbeit und Sozia­lem. Und er steht in Par­tei­pro­gram­men sowie auf den Fah­nen von Bür­ger­initia­ti­ven. (Dass es dar­um auch und gera­de in der Ukrai­ne schlecht bestellt ist, davon schweigt das Hohe­lied auf den Freund, der für »uns« kämpft.)

Kein Zwei­fel: Vie­le recht­li­che Refor­men muss­ten einem Staat und einer Wirt­schaft abge­run­gen wer­den, die mit Gewalt dafür ein­stan­den, dass es zu den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen kei­ne Alter­na­ti­ve gäbe. Nach opfer­rei­chen Kämp­fen gegen bra­chia­le Ver­nut­zung durch Aus­beu­tung erran­gen die Arbei­ter einen Sieg, der nicht in der Besei­ti­gung letz­te­rer bestand, son­dern in der staat­lich zuge­stan­de­nen Aner­ken­nung als Ver­hand­lungs­part­ner auf Augen­hö­he und mit Anspruch auf Sozia­les, heu­te als Tarif­par­tei bekannt. Die erreich­te Ver­recht­li­chung des gegen­sei­ti­gen Erpres­sungs­ver­hält­nis­ses zwi­schen Gebern und Neh­mern der beson­de­ren Ware Arbeits­kraft zwang die Polit­öko­no­mie zu ihrem Glück zu einer effi­zi­en­te­ren und effek­ti­ve­ren Orga­ni­sa­ti­on der Kapi­tal­ver­wer­tung, dem sich die Gewerk­schaf­ten desto weni­ger in den Weg stell­ten, je grö­ßer ihr Spiel­raum für Mit­ge­stal­tung von Lohn­ar­beit und Lohn­kampf wur­de. Und das ist, spä­te­stens nach dem Abge­sang des »real exi­stie­ren­den Sozia­lis­mus« gerecht, da rech­tens, und somit auch gut so.

Einem poli­ti­schen Strei­ken jeden­falls, das gera­de gegen die aktu­el­le »Zei­ten­wen­de« not­tä­te, haben die patrio­ti­schen Gewerk­schaf­ten schon längst abge­schwo­ren und hal­ten beim Hoch­fah­ren euro­deut­scher Kriegs­ma­schi­ne­rie schön die Füße still bzw. bei ver.di die Dau­men nach oben. Dies tun sie, wäh­rend rus­si­sche Stra­te­gen ernst­haft und mit neu­er Illu­si­ons­lo­sig­keit die Opti­on prü­fen, mit dem Schaf­fen eines euro­päi­schen Hiro­shi­mas einen kon­ven­tio­nell unge­winn­ba­ren Krieg doch zu ent­schei­den. Im Fal­le des Fal­les wür­den die USA dies mit einem »So what?« beden­ken. Feld­her­ren­lo­gik braucht uns jedoch nicht zu äng­sti­gen; soli­da­risch machen die Reprä­sen­tan­ten deut­scher Arbeits­kraft Mut zum letz­ten Gefecht, in dem der klei­ne Mann dann wie gehabt als Held ganz groß sein kann.

Der Staat von heu­te ist pro­gres­siv: Ihm liegt dar­an, dass mög­lichst allein die Erfor­der­nis­se der »unsicht­ba­ren Hand«, des Mark­tes, ent­schei­den, wer wie lan­ge wel­che Arbeit hat bzw. nicht in deren Genuss kommt. Nach­dem das Ver­wer­tungs­po­ten­ti­al auch von Arbeit phy­sisch Beein­träch­tig­ter, Allein­er­zie­hen­der und »Anders­far­bi­ger« geho­ben sein will, wen­det er sich gegen ein Fest­hal­ten an über­kom­me­nen Vor­ur­tei­len, Stan­des­schran­ken, Geschlecht, Aus­se­hen und ande­ren kon­tra­pro­duk­ti­ven alten Zöp­fen. Das min­der­te nur die Chan­ce, die Ein­träg­lich­keit jeder Arbeitslei­stung im Ange­bot prü­fen und die­se bei Eig­nung ein­set­zen zu kön­nen. Ohne Anse­hen der Per­son agiert der Staat als Sach­wal­ter einer kapi­ta­li­sti­schen Kosten-Nut­zen-Rech­nung, und so kann sich z. B. ganz ohne »Ageismus« ein Ein­satz sogar des alten wei­ßen Manns beim Bur­ger­bra­ten an der Imbiss­front noch ren­tie­ren. Zugleich sorgt der syste­mi­sche Web­feh­ler, der den Bür­ger dem Bür­ger zum Wolf macht, dafür, dass Nicht­dis­kri­mi­nie­rung ein Ide­al durch­ge­setz­ter Kon­kur­renz bleibt, die stän­dig Grün­de für des­sen Nicht­ein­lö­sung repro­du­ziert. Ent­spre­chend rea­li­stisch, kosten­be­wusst und zeit­auf­wen­dig tastet sich der Staat zum Errei­chen sei­ner »Ziel­vor­stel­lung« vor. Allen kann er es ohne­hin nicht recht machen. Aber er gibt sich Mühe, und das ist schon mal was.

Ein Ansatz für »grö­ße­re gesell­schaft­li­che Teil­ha­be«, der im Ver­gleich zu diver­sen Son­der­ver­mö­gen preis­wert aus­fällt, bringt den Sprach­ge­brauch für mehr Berück­sich­ti­gung bis dato Aus­ge­grenz­ter auf Vor­der­mann & -frau. Kos­me­tik heilt Wun­den schnö­der unge­müt­li­cher Wirk­lich­keit, denn Spra­che lässt sich rei­ni­gen. »Schön Spre­chen« – das isses! – löst das Pro­blem man­geln­den Selbst­wert­ge­fühls von nun an »Raum­pfle­ge­rin« statt »Put­ze« genann­ter Frau­en, deren Leicht­lohn­ar­beit bis­her typisch »klas­si­stisch« mit Her­ab­las­sung quit­tiert wur­de. So etwas – wie lan­ge noch wird sich der »Tatort«-Zuschauer mit Anspruch auf kor­rek­te Unter­hal­tung Pro­fes­sor Bör­nes »Alberich«-Geflachse bie­ten las­sen? – muss nicht sein. Wer »woke« ist und die Devi­se »Check your pri­vi­le­ge!« beher­zigt, erwirbt damit das Recht, glei­che Rück­sicht­nah­me auch von ande­ren zu for­dern – und wehe, wenn die­se es dar­an feh­len las­sen! Tat­säch­lich gibt es Dis­kri­mi­nie­rung, aber Lebens­um­stän­de, die sprach­li­che Her­ab­set­zun­gen her­vor­ru­fen, ver­schwin­den nicht durch den Ver­zicht dar­auf, dem Scha­den noch eine Belei­di­gung hinzuzufügen.

Der Feind ver­dient sprach­li­che Zurück­hal­tung selbst­ver­ständ­lich nicht; wenn ras­si­sti­sche Beschul­di­gun­gen regie­rungs­amt­lich vor­ge­tra­gen wer­den, sind sie kei­ner Auf­re­gung wert und wer­den mit Abge­brüht­heit auf­ge­nom­men. Die Welt, wie Biden sie sieht – »Wenn schlech­te Men­schen Pro­ble­me haben, tun sie schlech­te Din­ge« –, krankt am Wesen der Chi­ne­sen. Da die­se nun ein­mal so sind, wie sie sind, müs­sen die Schäd­lin­ge ja irgend­wie bekämpft werden.

»Grö­ße­re gesell­schaft­li­che Teil­ha­be« meint zudem im prak­ti­sche­ren Sinn eine gestei­ger­te Gleich­heit von Chan­cen beim not-wen­di­gen Bemü­hen um Erfolg dabei, die eige­ne Haut für sich und gegen ande­re als freie Ver­trags­par­tei zu Mark­te zu tra­gen. Ob sich Ega­li­ta­ris­mus jeweils als Kar­rie­r­emit­tel aus­zahlt, ist aller­dings eine Fra­ge »höhe­rer Gewalt«, von Ent­schei­dun­gen beim Geschäf­te­ma­chen und von Stand­ort­po­li­tik, von »boom towns« und »rust belts«. Auch wenn Gleich­heit dadurch gewähr­lei­stet wird, dass zuvor dis­kri­mi­nier­te Grup­pen stär­ker in Macht­po­si­tio­nen gelan­gen und sicht­ba­rer reprä­sen­tiert wer­den, so ändert das Spiel auf Chan­ce auch mit neu­en Figu­ren sei­ne Metho­de nicht. Das lässt sich auch dar­an able­sen, dass Süd­afri­kas Slums die Abschaf­fung der Apart­heid überdauerten.

Bei all dem erzeu­gen sprach­li­che Kor­rek­tu­ren, Auf­wer­tun­gen und Dif­fe­ren­zie­run­gen sowie ein Ange­bot von Chan­cen zu erwei­ter­ter Gleich­heit den Schein, eine Ver­mitt­lung gegen­sätz­li­cher Inter­es­sen müs­se nur aus­rei­chend gewollt wer­den, einen unzu­tref­fen­den Ein­druck von vor­läu­fig noch unab­ge­schlos­se­ner Har­mo­ni­sie­rung. Die­se lässt sich wei­ter vor­an­trei­ben, wenn auch nicht genau zu jener Voll­endung, die Sta­nis­law Lem in der 24. Rei­se sei­ner »Stern­ta­ge­bü­cher« kari­kier­te. Dort geht es um eine KI-Maschi­ne, die auf einem Pla­ne­ten mit men­schen­ähn­li­chen Bewoh­nern, »Indio­ten« genannt, deren Träu­me von Gleich­heit, Unsterb­lich­keit und Schön­heit auf­trags­ge­mäß und ohne Anwen­dung von Zwang ver­wirk­licht, indem sie das gan­ze Volk, das dafür Schlan­ge steht, nach und nach in halt­ba­re und schön glit­zern­de Kri­stall­schei­ben ver­wan­delt. Sind wir nicht »alle irgend­wie ein biss­chen« Indio­ten – »oder was«?