Von März bis Mai wählten letztes Jahr die Beschäftigten ihre Vertretung in zehntausenden Betrieben – wie alle vier Jahre. Der Betriebsrat »sorgt für Mitbestimmung und Demokratie im Betrieb«, meldete der DGB Nordrhein-Westfalen.
Die Aufgaben sind vielfältig. Viele Unternehmen werden rasant verändert, der Druck des Marktes wird zunehmend an den einzelnen Beschäftigten weitergegeben. Verlagerung von Arbeiten an Fremdfirmen, Umstrukturierung durch neue Technik, Arbeit im Homeoffice – in allen Fällen ist der Betriebsrat gefordert. Dem Betriebsrat obliegt eine »arbeitnehmerorientierte Tendenz« der Interessenvertretung, so das Bundesarbeitsgericht in einer Grundsatzentscheidung. Dies hat in der betrieblichen Praxis erhebliche Konflikte zur Folge. Denn ihre Rolle, als Gegenmacht zu Unternehmensplanungen aufzutreten, ist für viele Betriebsratsmitglieder ein wichtiger Schritt zur konsequenten Amtsausübung.
Denn die Belegschaften werden massiv unter Druck gesetzt, wie der aktuelle »DGB-Index Gute Arbeit« zeigt (https://index-gute-arbeit.dgb.de). Befragt wurden 6.689 zufällig ausgewählte abhängig Beschäftigte. So gaben 40 Prozent der Befragten an, dass durch die Digitalisierung ihre Arbeitsbelastung zugenommen hat. Zudem fühlen sich Arbeitnehmer/innen immer mehr der Technik ausgeliefert. 44 Prozent der Beschäftigten meinen »gar keinen« und 34 Prozent nur »in geringem Maß« Einfluss darauf nehmen zu können.
Eine Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz bietet Möglichkeiten zum Schutz vor steigenden Arbeitsbelastungen – in den meisten Betrieben wird eine Analyse zu psychischen Belastungen erst auf Initiative des Betriebsrates durchgeführt. Danach sind auch Gegenmaßnahmen – etwa Pausenregelungen, arbeitsorganisatorische Änderungen oder Schulungen – zu ergreifen. Da der Betriebsrat dies durch seine Mitbestimmungsrechte durchsetzen kann, wird so auf Maßnahmen zur Vermeidung von Stress gedrängt. Und der Betriebsrat kann über diesen Umweg bei den Arbeitsbedingungen im Sinne der Beschäftigten Gegenwehr praktizieren.
Gerade neue Technik verändert die Anforderungen an Betriebsräte. Cloudworking, das Arbeiten in der Wolke quasi, ermöglicht ein Arbeiten unabhängig von Zeit und Raum. Die Klagen im Betrieb über die ständige Erreichbarkeit werden größer. Oft sehen Beschäftigte eine scheinbare Erleichterung darin. Verbreitet ist etwa das Checken von Mails im Urlaub. Das Motiv ist subjektiv nachvollziehbar: Es wird als Entlastung gesehen, weil den Betroffenen nach dem Urlaub nicht ein E-Mail-Berg erwarte.
Betriebsräte, die gegen ständige Erreichbarkeit vorgehen möchten, müssen nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Beschäftigten gegenüber agieren. Die Belegschaft muss für das Problem sensibilisiert werden – und es muss verdeutlicht werden, dass es kein individuelles Problem, sondern durch die Unternehmenssteuerung und Personalplanung bedingt ist.
Über Mitbestimmungsrechte ist Gegenwehr möglich – das Unternehmen muss über eine Betriebsvereinbarung verhandeln. Technisch können die Server so eingestellt werden, dass nach Feierabend keine E-Mails mehr an die Beschäftigten weitergeleitet werden. Wichtig war für den Betriebsrat dabei: Es wird nicht nur das Problem »Erreichbarkeit« angesprochen, sondern auch Lösungsansätze etwa durch eine Betriebsvereinbarung verdeutlicht, so dass der Belegschaft klar wird: »Es geht auch anders.«
Die Demokratisierung des Arbeitslebens ist ein Grundgedanke, ein dominantes Ziel der Arbeiterbewegung seit gut 150 Jahren. Diese endet aber bei entscheidenden Fragen: Bei Investitionsentscheidungen ist der Betriebsrat lediglich zu informieren, die finanzielle Lage des Unternehmens ist darzustellen – über ein Beratungsrecht kommt das Betriebsverfassungsgesetz nicht hinaus. Keine Mitbestimmung besteht bei der Personalplanung – dabei erkennt das Management zunehmend die Bedeutung qualifizierter Arbeitender, sieht sich beim Fachkräftemangel im »War for Talents«.
»Die Beschäftigten sind die besten ›Expertinnen und Experten‹ zur Gestaltung ihrer eigenen Arbeitswelt«, betont der »Human-Resources-Kreis«, ein von acatech und der Jacobs Foundation gegründetes Forum für Personalvorstände. Die Kapitalvertreter von BMW, SAP, Infineon, Münchener Rückversicherung und Telekom wollen dieses Wissen nutzen, um agile Arbeitssteuerung durchzusetzen, bei der nicht ein Vorgesetzter entscheidet, sondern Teams gemeinsam die Arbeitsorganisation regeln.
Die logische Konsequenz aus dieser New-Work-Rhetorik vieler Unternehmen ziehen die Gewerkschaften jedoch nicht: Denn wenn Beschäftigte eigenverantwortlich immer mehr Entscheidungen im Firmeninteresse treffen sollen, muss sich dies ja auch auf die Produktplanung, Investitionsentscheidungen und Gewinnentnahme beziehen, wenn sie ernsthaft beteiligt werden sollen.
Kernstück der Personalplanung ist die Personalbedarfsplanung. Diese kann nur aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden und steht deshalb in engen Zusammenhang mit der Produktions- und der Investitionsplanung. Eine »Demokratisierung im Betrieb« muss weitgehende Entscheidungsrechte der Belegschaft umfassen. Nicht nur zu der Frage, »wie« produziert wird, also den Arbeitsbedingungen. Sondern auch zum »Was«: Welche Produkte, welche Dienstleistungen sollen angeboten werden? Warum soll Kunden Software zur Überwachung angeboten werden? Warum sollen wir Programme erarbeiten, mit denen gesetzliche Bestimmungen umgangen werden, wie etwa beim Diesel-Software-Skandal?
Auch in der Automobilindustrie diskutieren Arbeiter angesichts sinkender PKW-Verkaufszahlen über Alternativen. So haben GKN-Beschäftigte des Standorts Campi Bisenzio in der Provinz Florenz auf die geplante Entlassung im letzten Jahr mit einer Betriebsbesetzung reagiert. Gemeinsam mit Menschen aus der Region und Wissenschaftlern entwickeln sie Ideen, welche Produkte als Alternative zum Individualverkehr produziert werden können. Sie beteiligen sich an gemeinsame Aktionen mit Fridays-For-Future.
Zum »globalen Klimastreik« im März gab es erstmals Veranstaltungen von Fridays for Future mit Streikenden von ver.di. Das Motto »Seite an Seite für eine ökologische Verkehrswende« solidarisierte sich die Klimabewegung mit den Arbeitern des Öffentlichen Dienstes, die für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpfen. Der Geschäftsführer der »Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände« (BDA), Steffen Kampeter, kritisierte diese Kooperation als »eine gefährliche Grenzüberschreitung«. Politische Streiks seien schlicht rechtswidrig, so der Kapitalvertreter.
BMW, Daimler und VW-Konzern produzieren nicht das, was für das Recht auf Mobilität erforderlich ist – es fehlen Busse, Schienenfahrzeuge oder Fahrräder. »Angesichts der Geschichte, angesichts der Unterstützung der Nazis durch die drei Unternehmen, der Beteiligung an Rüstungsproduktion, Kriegsvorbereitung und Kriegsgewinnen, angesichts der aktuellen Unternehmenspolitiken, des Abgasbetruges und vielfacher Verstöße gegen Recht und Gesetz (Bestechung, Korruption, Kartellverstöße) kommt nur eine entschädigungslose Vergesellschaftung in Frage«, fordert dagegen Stephan Krull, ehemaliger VW-Betriebsrat, im neuen isw-wirtschaftsinfo.
Eine Ausweitung der Demokratie im Betrieb erfordert eine Vernetzung über die Betriebe hinaus im Sinne eines Räte-Systems, in dem gewählte Beschäftigte als Delegierte überbetrieblich im Sinne der Allgemeinheit aktiv werden. Hier kann an Erfahrungen mit dem Cybersyn-Projekt in Chile unter der Regierung von Salvador Allende angeknüpft werden. Mit einem einfachen Computerprogramm wurde eine planerische Wirtschaftssteuerung versucht. Damit sollte für staatliche Betriebe eine Planwirtschaft auf der Grundlage des Cyberstride aufgebaut werden, die Prozesse in Echtzeit durch Computer und ein Fernschreiber-Netzwerk steuert. Eine Vernetzung wie heute war in den 70er Jahren unvorstellbar. Paul Cockshott und Allin Cottrell zeigen auf, wie in der heutigen Zeit eine Planung mit neuester Digitalisierung möglich sein kann (Paul Cockshott, Allin Cottrell: Alternativen aus dem Rechner, Papyrossa Verlag). Dieser Kampf um Demokratie, die nicht am Werktor enden darf, wird auf erbitterten Widerstand der Kapitaleigner treffen.
Das wirtschaftsinfo 62 des ISW München umfasst Fakten & Argumente zur wirtschaftlichen Situation in der Krise: www.isw-muenchen.de/broschueren/wirtschaftsinfos/181-wirtschaftsinfo-62.