Warum haben CSU und Freie Wähler, im bayerischen Landtag unterstützt von der AfD, eine Befragung des Ministerpräsidenten und seines Stellvertreters zu dem Skandal um das Flugblatt der Brüder Aiwanger abgelehnt? War ihnen inzwischen klar geworden, dass es bei der Diskussion um sehr viel mehr geht als um den in Bayern tiefsitzenden Antisemitismus?
Als einer, der während der Nazizeit Gelegenheit hatte, den deutschen Hass auf die Juden im Original kennenzulernen, war mir schon beim ersten Satz des Flugblattes klar, dass da nicht ein siebzehnjähriger Schüler ein paar Witze über die Juden und die politischen Gegner der Nazis zu Papier gebracht hatte, sondern dass mir der Dunst aus der Propagandaküche der Nazis und der giftige Atem des obersten Judenhassers Julius Streicher ins Gesicht blies. Jede Zeile hätte in dessen Hetzblatt Der Stürmer gepasst.
Wer auch immer das in der Schule von Mallersdorf-Pfaffenberg verteilte Pamphlet verfasst hat, er scheint sich direkt aus dem braunen Sumpf bedient zu haben. Nicht von ungefähr weigerte sich die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, eine Entschuldigung Hubert Aiwangers anzunehmen. Die Urheber des Flugblattes gaben sich nicht damit zufrieden, sich über die Opfer von Auschwitz und das Leid der Überlebenden des Holocaust lustig zu machen, auch die von den Nazis politisch Verfolgten übergossen sie mit Hohn und Spott.
Was die nazistische Häme zu einem Skandal ersten Ranges macht, ist die politische Stoßrichtung des Flugblattes, die von den beteiligten Akteuren bislang offensichtlich nicht erkannt worden ist. Es richtete sich nämlich gegen den 1973 von dem sozialdemokratischen Bundespräsidenten Gustav Heinemann ausgerufenen bundesweiten Schülerwettbewerb »Deutsche Geschichte« Ein Mitschüler Aiwangers namens Roman Serlitzky hatte 1988 bei dem Wettbewerb mit einer Arbeit über die Ermordung von KZ-Häftlingen den zweiten Platz belegt. So gelangte sie in das Archiv der Gedenkstätte Dachau. Beigefügt hatte Roman Serlitzky seiner preisgekrönten Arbeit »als Negativbeispiel, wie sich andere Jugendliche derselben Altersstufe mit dem 3. Reich beschäftigen«, ein Exemplar des Flugblattes, das Hubert Aiwanger in seiner Schultasche mit sich führte. Außerdem merkte er an: »Das Flugblatt bestätigt einen unterschwellig immer vorhandenen antisemitischen Trend.«
Durch die in Großbuchstaben geschriebene Überschrift BUNDESWETTBEWERB gaben die Urheber des Flugblatts zu verstehen, dass es ihnen darauf ankam, den von Gustav Heinemann ins Leben gerufenen Schülerwettbewerb zur deutschen Geschichte lächerlich zu machen. Vielleicht sollte sich die Opposition im bayerischen Landtag mit den Ausflüchten und neuerdings mit der Totschweigetaktik der Herren Söder und Aiwanger nicht zufriedengeben.