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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Vermächtnis des 8. Mai

Am 8. Mai 1945 war ich sie­ben Jah­re alt, leb­te in einem klei­nen Dorf an der Weser, ging in die Dorf­schu­le und begriff nichts. Auch spä­ter auf dem Gym­na­si­um in Ham­burg waren Krieg, Faschis­mus und der Neu­an­fang im Zei­chen der UNO kein The­ma im Unter­richt. Die Leh­rer, über­wie­gend alte Nazis, schwie­gen über die Vergangenheit.

Erst spät haben sich Poli­tik und Regie­rung dazu durch­ge­run­gen, die mili­tä­ri­sche Nie­der­la­ge als Befrei­ung vom Faschis­mus anzu­er­ken­nen und den Ruf »Nie wie­der Krieg, nie wie­der Faschis­mus« zu akzep­tie­ren. Es hat Jahr­zehn­te gedau­ert, bis 1973 bei­de deut­schen Staa­ten in die UNO auf­ge­nom­men wur­den. Es gab nur wenig Bei­fall, vie­le Staa­ten waren nicht erfreut. Aber es war wich­tig, dass die Deut­schen von nun an in eine Ord­nung ein­ge­bun­den wur­den, die jede Gewalt und mili­tä­ri­schen Allein­gang ver­bot. Das sind die Gebo­te der UNO: Ver­zicht auf Gewalt, die fried­li­che Lösung aller Kon­flik­te, der Auf­bau einer fried­li­chen Welt­ge­sell­schaft, in der Krieg und Unter­drückung geäch­tet sind.

Was ist dar­aus gewor­den? Schon 26 Jah­re nach dem Bei­tritt zur UNO, brach die Regie­rung mit all ihren Ver­spre­chun­gen und Ver­pflich­tun­gen. Am 24. März 1999 über­fiel sie mit ihren Ver­bün­de­ten in der Nato ihr Nach­bar­land Jugo­sla­wi­en. Wie Gang­ster haben sie die UNO umgan­gen und 78 Tage lang Men­schen und Land bom­bar­diert. Über 200.000 Tote und meh­re­re Mil­lio­nen Flücht­lin­ge und Ver­trie­be­ne. Mit Lügen und fal­schen Erzäh­lun­gen ver­such­ten SPD und Grü­ne ihren Völ­ker­rechts­bruch zu recht­fer­ti­gen. Sie wur­den nie zur Rechen­schaft gezo­gen. Deutsch­land zahl­te nie Entschädigung.

Doch nun, kei­ne 25 Jah­re spä­ter ist wie­der Krieg in Euro­pa. Dies­mal sind es die Rus­sen. Genau­so ein schwe­rer und unver­ant­wort­li­cher Bruch mit dem Völ­ker­recht und den Prin­zi­pi­en der UNO. Ein Epo­chen­um­bruch, eine Zei­ten­wen­de? Wie­so? Die grau­en­haf­ten Bil­der von Tot, Zer­stö­rung, Flucht und Leid der Men­schen aus der Ukrai­ne ken­nen wir doch schon aus den Krie­gen in Viet­nam, Jugo­sla­wi­en, Afgha­ni­stan, Irak, Liby­en und Syri­en. Haben wir schon ver­ges­sen, wer die­se Toten zu ver­ant­wor­ten hat? Was ist der Unter­schied zwi­schen den Krie­gen der USA und ihren Ver­bün­de­ten und der rus­si­schen Gewalt gegen die Ukrai­ne? Alle Rufe nach dem Völ­ker­recht, die jetzt plötz­lich laut wer­den, kön­nen nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass die, die jetzt rufen, einen Trüm­mer­hau­fen vor sich haben, den sie selbst ver­ant­wor­ten müssen.

Wie hat es zu die­sem Rück­fall in die krie­ge­ri­sche Bar­ba­rei kom­men kön­nen? Aus­ge­rech­net Russ­land, das uns vom Faschis­mus befreit und dabei 27 Mil­lio­nen Tote zu bekla­gen hat. Nie­mand fragt nach der Vor­ge­schich­te und stürzt sich auf Putin – ein Wahn­sin­ni­ger, unzu­rech­nungs­fä­hig, von sei­nen impe­ria­li­sti­schen Träu­men nach einem rus­si­schen Groß­reich beses­sen, offen­sicht­lich unter dem Ein­fluss dunk­ler Phi­lo­so­phen. Das ent­la­stet, nicht nach der eige­nen Ver­ant­wor­tung für die­sen zwei­ten Krieg in Euro­pa zu fra­gen. Aber nur, wenn wir uns dar­über Klar­heit ver­schaf­fen, wie es zu die­sem erneu­ten Bruch mit der Völ­ker­rechts­ord­nung kom­men konn­te, haben wir eine Chan­ce, die Zeit nach dem Krieg fried­lich zu ord­nen. Denn auch die­ser furcht­ba­re Krieg wird ein­mal been­det, und wir müs­sen mit Russ­land in Euro­pa leben.

Die­ser Krieg war ver­meid­bar. Schau­en wir nur an den Anfang die­ses Jah­res zurück. Die Geheim­dien­ste der USA hat­ten den Ein­marsch der rus­si­schen Trup­pen in die Ukrai­ne mit Datum vor­aus­ge­sagt. Alle Poli­ti­ker und Mili­tärs der USA und der übri­gen Nato-Staa­ten waren infor­miert. Das war dies­mal kei­ne Falsch­mel­dung. War­um sind sie in die­sem Zeit­punkt höch­ster Gefahr nicht auf die drei For­de­run­gen Putins eingegangen?

  • Kei­ne Nato-Mit­glied­schaft der Ukraine.
  • Kei­ne Angriffs­waf­fen in den Nato-Staa­ten an den Gren­zen Russlands.
  • Und: Rück­bil­dung der mili­tä­ri­schen Infra­struk­tur die­ser Staa­ten auf den Stand der Nato-Russ­land­ak­te von 1997.

War das unzu­mut­bar? Sie haben den Krieg vor Augen gehabt und haben nichts unter­nom­men, ihn zu verhindern.

Las­sen wir uns nicht täu­schen. Dies ist kein Krieg nur zwi­schen Russ­land und der Ukrai­ne. Seit Jahr­zenten ver­fol­gen die USA ihr Ziel, Russ­land zu iso­lie­ren und als Macht­fak­tor in den inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen aus­zu­schal­ten. Der Chef der geo­stra­te­gi­schen Denk­fa­brik »Strat­for«, Geor­ge Fried­man, sag­te im Febru­ar 2015: »Das Haupt­in­ter­es­se der US-Außen­po­li­tik wäh­rend des letz­ten Jahr­hun­derts, im Ersten und Zwei­ten Welt­krieg und im Kal­ten Krieg waren die Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und Russ­land … Seit einem Jahr­hun­dert ist es für die Ver­ei­nig­ten Staa­ten das Haupt­ziel, die ein­zig­ar­ti­ge Ver­bin­dung zwi­schen deut­schem Kapi­tal, deut­scher Tech­no­lo­gie und rus­si­schen Roh­stoff-Res­sour­cen, rus­si­scher Arbeits­kraft zu verhindern.«

Machen wir uns nichts vor. »Tat­sa­che ist«, wie es ein nüch­ter­ner Bera­ter meh­re­rer US-Prä­si­den­ten, Zbi­gniew Brze­zin­ski, schon 1997 for­mu­lier­te: »schlicht und ein­fach, dass West­eu­ro­pa und zuneh­mend auch Mit­tel­eu­ro­pa weit­ge­hend ein ame­ri­ka­ni­sches Pro­tek­to­rat blei­ben.« Und wer die Ukrai­ne hat, mach­te schon Brze­zin­ski sei­nen Prä­si­den­ten klar, beherrscht Eura­si­en. Nun ist die arme Ukrai­ne zum Schlacht­feld die­ser Aus­ein­an­der­set­zung gewor­den. Und die Mil­li­ar­den Dol­lar, die die USA in die Ver­wand­lung der Ukrai­ne, genannt Demo­kra­ti­sie­rung, gesteckt haben, zah­len sich jetzt aus. Wolo­dym­yr Selen­skyj und sei­ne Umge­bung sind ent­schlos­sen, bis zum Sieg kämp­fen zu lassen.

Die­ser Krieg wird noch lan­ge dau­ern. Von Diplo­ma­tie und Ver­hand­lun­gen ist kei­ne Rede. Nur schwe­re Waf­fen und die Illu­si­on, Russ­land mili­tä­risch besie­gen zu kön­nen. Es ist unse­re Schwä­che, dass wir eine Regie­rung haben, die sich wie ein Vasall immer tie­fer in den Krieg hin­ein­trei­ben lässt. Sie hat nicht die Kraft, stopp zu sagen, nicht wei­ter. In Ram­stein hat US-Außen­mi­ni­ster Austin kei­ne Zwei­fel dar­an gelas­sen, dass es dar­um geht, Russ­land nie­der­zu­wer­fen. Hier hilft kein Völ­ker­recht, kei­ne UNO, kei­ne ver­lo­ge­nen Wer­te einer krie­ge­ri­schen Außen­po­li­tik. Eine Atom­macht darf man aber nicht testen und beden­ken­los her­aus­for­dern. Ein­mal, im Febru­ar die­ses Jah­res, hat man Putin falsch ein­ge­schätzt. Ein zwei­tes Mal wird es töd­lich sein.

Das soll­ten die Leh­ren aus dem 8. Mai 1945 sein: Außen­po­li­tik als Macht­po­li­tik führt immer zum Krieg. Waf­fen und Krieg füh­ren zu Sieg oder Nie­der­la­ge, aber nie­mals zum Frie­den. Nur Ver­hand­lun­gen und Diplo­ma­tie kön­nen Frie­den schaf­fen. Das gilt auch für die Ukraine.