Wer war dieser französische Geistliche, und was stand in seinem Testament?
Jean Meslier (1664 – 1729), Sohn eines Webers in Mazerny im Département der Ardennen, wurde nach seiner Priesterausbildung 1692 (nach Wikipedia: 1689) mit der Pfarrei Etrépigny, ebenfalls in den Ardennen gelegen, betraut, die er dann bis zu seinem Tode versah. Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte er die schlechte Behandlung der Bauern durch den adligen Grundherrn öffentlich angeprangert, eine, wie ich meine, urchristliche Tugend im Sinne Jesu, die ihm dennoch zweimal Verwarnungen seines vorgesetzten Erzbischofs in Reims einbrachte. Seitdem übte er keine öffentliche Kritik mehr an den staatlichen und kirchlichen Gewalten, sondern verrichtete mit Hingabe an die Armen seinen priesterlichen Dienst, der ihm »die höchste Liebe und Verehrung seiner Pfarrkinder verschaffte«. Für sie schrieb er aber auch insgeheim sein »Vermächtnis der Gedanken und Ansichten von Jean Meslier …, damit es ihnen und ihresgleichen als Zeugnis der Wahrheit diene«, ein Manuskript von mehr als tausend Seiten, das er in drei handschriftlichen Exemplaren der Nachwelt hinterließ, mit einer derart scharfen Religions-, Kirchen- und Herrschaftskritik, wie sie bisher wohl noch niemals formuliert worden war, ausgehend von der Grundaussage, die Religionen seien »allesamt nur menschliche Erfindungen, nichts als Irrtümer, Einbildung und Betrug«. Ein Beispiel für viele in seiner »vernichtenden Kritik an den christlichen Dogmen«: »Das Gebet [gemeint: Bittgebet] zu Gott ist widersinnig, da es demselben zumuthet, etwas zu thun oder zu lassen, worüber seine höchste Weisheit längst entschieden hat.«
Erst Jahrzehnte später wurden Auszüge aus Mesliers Aufzeichnungen bekannt, zunächst durch den französischen Aufklärer Voltaire, dann auch in der Zeit der französischen Revolution um 1789, in der sogar ein Beschluss gefasst wurde, zum Andenken an Jean Meslier eine Bildsäule zu errichten, wozu es aber nicht kam, weil selbst damals sein Testament als eine zu »gefährliche Schrift« angesehen wurde. Erst 1864 erschien in Holland der vollständige Text des Testaments und 1878 unter dem Titel »Glaube und Vernunft« erstmals auch in deutscher Sprache. Zu dieser Ausgabe schrieb Ludwig Büchner »Eine Besprechung über das Testament des Pfarrers Jean Meslier«. Ludwig Büchner (1824 – 1899), jüngerer Bruder des Dichters Georg Büchner (1813 – 1837), Arzt, Naturwissenschaftler und wie sein Bruder an religionskritischen Fragen hoch interessiert, hatte dazu mit seiner Schrift »Kraft und Stoff« (1855) einen »für seine Zeit ungewöhnlich erfolgreichen Bestseller« (Artikel »Ludwig Büchner« bei Wikipedia) herausgebracht und fand nun in »Mesliers Meisterwerk« seine eigene Religionskritik meisterlich ausgedrückt, die er mit seiner »Besprechung« »dem größeren und insbesondere dem deutschen Publikum zugänglich machen« wollte. Dazu kam es nicht.
Die Religionskritik, die durch die »Aufklärung« im 18. Jahrhundert in Frankreich und England und im 19. Jahrhundert auch in Deutschland große Teile der Bevölkerung erreichte, hatte hier durch die Restauration und die Verherrlichung von »Thron und Altar« am Ende des Jahrhunderts ihre Durchschlagskraft verloren. Das gilt im Grunde bis zum heutigen Tag.
Angesichts des vielfältigen Unheils, das im Namen der Religionen, vor allem in ihrer kriegerischen Gestalt, in der Vergangenheit angerichtet wurde und in der Gegenwart immer noch angerichtet wird, ist es hoch an der Zeit, die Erkenntnisse der Aufklärung wieder lebendig werden zu lassen und damit auch die Gedanken des Jean Meslier. Sie sind nun in der erwähnten »Besprechung« von Ludwig Büchner in einem schmalen Bändchen von Armin Geus, Professor in Marburg/Lahn, leicht zugänglich geworden und eignen sich vorzüglich zur Einführung in die Religionskritik, wie sie in Schulen und Volkshochschulen, bei Fortbildungsmaßnahmen und in Seminaren an Universitäten auf der Tagesordnung stehen müsste.
Neben der »Besprechung« des »Testamentes« erfährt der Leser auch das Wichtigste zum Leben des Priesters Meslier und zum Schicksal seines Werkes.
Sehr zu empfehlen!
Armin Geus: »Ludwig Büchners Religionskritik. Ein unbekanntes Dokument«, Basilisken-Presse, 70 Seiten, 13,50 €. Der Artikel basiert auf den Aussagen des besprochenen Buches, dem auch die Zitate entnommen sind, soweit nicht anders gekennzeichnet.