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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Sprachenverbotsgesetz in der Ukraine

In der alten Ukrai­ne spra­chen etwa 30 Pro­zent der Ein­woh­ner Rus­sisch als Mut­ter­spra­che. Im täg­li­chen Gebrauch wur­de Rus­sisch noch viel häu­fi­ger ver­wen­det. Im Osten der Ukrai­ne und im Don­bass ist Rus­sisch die Haupt­spra­che. Ukrai­nisch und Rus­sisch sind ver­wand­te sla­wi­sche Spra­chen, unter­schei­den sich aber deut­lich, ver­gleich­bar mit Spa­nisch und Portugiesisch.

Es gibt in Euro­pa eini­ge Staa­ten mit meh­re­ren unab­hän­gi­gen Spra­chen, die dort Amts­spra­chen sind und an Schu­len unter­rich­tet wer­den. In der Schweiz sind das: Deutsch, Fran­zö­sisch, Ita­lie­nisch und Räto­ro­ma­nisch, in Bel­gi­en: Fran­zö­sisch, Flä­misch und Deutsch und in Irland: Eng­lisch und Irisch (Gälisch).

Ohne die Ach­tung und akti­ve Unter­stüt­zung der jewei­li­gen Spra­chen wären die­se Staa­ten längst gespal­ten und aus­ein­an­der­ge­fal­len. In Bel­gi­en wür­de es einen Bür­ger­krieg geben, wenn die Walo­nen die Fla­men zwin­gen wür­den, Fran­zö­sisch zu spre­chen. In der Schweiz wür­den die fran­zö­sisch­spre­chen­den Wel­schen sich von den Deutsch­schwei­zer Kan­to­nen tren­nen, wenn die­se auf die Idee kämen, im Welsch­land Fran­zö­sisch zu unter­drücken. Für das Schwei­zer Emp­fin­den wäre das eine völ­lig absur­de und undenk­ba­re Idee. Dort ist man stolz auf die Sprachenvielfalt.

In der Ukrai­ne ist das ganz anders. Am 5. Mai 2019 trat das Spra­chen­ver­bots­ge­setz in Kraft, das Rus­sisch aus dem öffent­li­chen Leben ver­dräng­te. Damit hat­ten die ukrai­ni­schen Natio­na­li­sten, die durch den Staats­streich am 22. Febru­ar 2014 in Kiew die wich­tig­sten Regie­rungs­äm­ter besetz­ten, eines ihrer Zie­le erreicht. Schon am Tag nach dem Putsch, dem 23. Febru­ar 2014, setz­te das Kie­wer Par­la­ment das damals bestehen­de Gesetz über Regio­nal­spra­chen außer Kraft. Die­ses Gesetz räum­te der rus­si­schen Spra­che in den Gebie­ten, in denen mehr als zehn Pro­zent der Ein­woh­ner Rus­sisch als ihre Mut­ter­spra­che anga­ben, den Sta­tus einer zwei­ten Amts­spra­che ein. Die Abschaf­fung die­ses Geset­zes war ein kla­res State­ment, wor­um es beim Mai­dan-Putsch ging. Die Ver­drän­gung des Rus­si­schen, also eine Art »eth­ni­sche Säu­be­rung«, war den Natio­na­li­sten am wich­tig­sten. Die Vor­ge­schich­te des Spra­chen­ver­bots­ge­set­zes und die­ses selbst habe ich in dem Buch »Wahr­heits­su­che im Ukrai­ne-Krieg – um was es wirk­lich geht« aus­führ­lich geschildert.

Das Gesetz ist eng­ge­druckt 30 Sei­ten lang und büro­kra­tisch kom­pli­ziert. Die Rege­lun­gen betref­fen alle Lebens­be­rei­che. Es gibt eine offi­zi­el­le Über­set­zung ins Eng­li­sche auf der Web­sei­te des Kie­wer Par­la­men­tes (https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/en/2704-19#Text).

Das Gesetz ver­langt die Ver­wen­dung der ukrai­ni­schen Spra­che im öffent­li­chen und geschäft­li­chen Leben. Das heißt: Nur in rein pri­va­ten Gesprä­chen und bei reli­giö­sen Riten darf noch Rus­sisch gespro­chen wer­den. Auch in rus­sisch spre­chen­den Regio­nen ist es Ver­wal­tun­gen und Behör­den ver­bo­ten, Rus­sisch zu ver­wen­den. Im Wahl­kampf ist es pro-rus­si­schen Par­tei­en und Kan­di­da­ten ver­bo­ten, Wer­bung auf Rus­sisch zu machen. In den Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten ist Ukrai­nisch die Unter­richts­spra­che, alle Prü­fun­gen fin­den in Ukrai­nisch statt. In der Grund­schu­le dür­fen rus­sisch spre­chen­de Kin­der »in geson­der­ten Grup­pen« außer in Ukrai­nisch auch noch in Rus­sisch unter­rich­tet wer­den. Die ukrai­ni­schen Mut­ter­sprach­ler ler­nen aber kein Rus­sisch mehr. Und nach der Grund­schu­le gibt es nur noch Ukrai­nisch. Das Spra­chen­ver­bots­ge­setz regelt die Aus­mer­zung des Rus­si­schen in Wis­sen­schaft, Kul­tur, Fil­men, Kinos und Medi­en. Auch die Com­pu­ter­soft­ware, Web­sei­ten und Sei­ten in sozia­len Netz­wer­ken müs­sen in ukrai­ni­scher Spra­che sein. In allen Unter­neh­men, Ein­rich­tun­gen und Arzt­pra­xen muss Ukrai­nisch mit den Kun­den gespro­chen wer­den. Über eine Bedie­nung in Rus­sisch kann sich der Kun­de beschwe­ren, es dro­hen dann Geld­stra­fen. Nur auf aus­drück­li­chen Wunsch des Kun­den darf die­ser in einer ande­ren Spra­che als Ukrai­nisch bedient wer­den. Die­se Rege­lun­gen grei­fen tief in das zwi­schen­mensch­li­che Leben ein.

Zur Durch­set­zung des Geset­zes wur­den Spra­chen­kom­mis­sa­re ein­ge­setzt. Für eine Miss­ach­tung fal­len Stra­fen in Höhe eines Monats­loh­nes an.

Die größ­te Oppo­si­ti­ons­par­tei »Platt­form für das Leben« – die 2019 noch nicht ver­bo­ten war –, kri­ti­sier­te das Gesetz scharf als »erneu­ten Ver­such, die Gesell­schaft ent­lang der Spra­che zu spal­ten«. In einer Erklä­rung, die auf der Web­sei­te der Par­tei ver­öf­fent­licht wur­de, hieß es: »In der Ukrai­ne wer­den die Rech­te ein­zel­ner rus­sisch­spra­chi­ger Bür­ger und gan­zer Gemein­schaf­ten mit Füßen getre­ten. Die Regie­rung miss­ach­tet unver­hoh­len die Nor­men der Ver­fas­sung, die die Rech­te aller Bür­ger des Lan­des schützt, unab­hän­gig von ihrer eth­ni­schen Zuge­hö­rig­keit, poli­ti­schen Ansich­ten und Reli­gi­on.« Die »Platt­form für das Leben« wur­de in den fol­gen­den Jah­ren von der Kie­wer Regie­rung schi­ka­niert, par­tei­na­he Sen­der und Medi­en ver­bo­ten, füh­ren­de Poli­ti­ker ver­haf­tet, bis die Par­tei dann 2022 ganz ver­bo­ten und alles Ver­mö­gen beschlag­nahmt wurde.

Den EU-Regie­run­gen war das ras­si­sti­sche Spra­chen­ge­setz natür­lich bekannt. Die Vene­dig-Kom­mis­si­on des Euro­pa­rats wer­te­te das Gesetz in ihrem Bericht vom 9. Dezem­ber 2019 als »Ver­stoß gegen das Prin­zip der Nicht-Dis­kri­mi­nie­rung«. Pas­siert ist nichts, es gab kei­nen poli­ti­schen Pro­test oder gar die Ein­stel­lung von Zah­lun­gen und Waf­fen­lie­fe­run­gen sei­tens der EU. Statt­des­sen unter­stütz­ten EU und Nato den Ras­sis­mus in der Ukrai­ne mit sehr gro­ßem Auf­wand poli­tisch, finan­zi­ell und mili­tä­risch. Denn in der Ukrai­ne wür­den ja die »west­li­chen Wer­te« verteidigt.

Es ist erschreckend fest­zu­stel­len, wie gut die Des­in­for­ma­ti­on der Main­stream-Medi­en funk­tio­nier­te. Über das Spra­chen­ver­bot wur­de ein­fach nicht berich­tet. Des­halb weiß kaum jemand davon. Auf die­se Wei­se wur­de einer der wesent­li­chen Kriegs­grün­de ver­schwie­gen. Statt­des­sen eta­blier­ten die Main­stream-Medi­en die Sprach­re­ge­lung des »unpro­vo­zier­ten Angriffs­krie­ges Russ­lands« und brann­ten dies durch stän­di­ge Wie­der­ho­lung ins öffent­li­che Bewusst­sein ein. Sol­che hyp­no­ti­sie­ren­de Kriegs­pro­pa­gan­da kann nur durch kla­res Den­ken und dar­über spre­chen wie­der auf­ge­löst werden.

Mit dem 2019 mit­ten im Don­bass-Krieg beschlos­se­nen Spra­chen­ver­bots­ge­setz wur­de eine fried­li­che Lösung des Don­bass-Kon­flikts zu Gra­be getra­gen. Die­ses Gesetz signa­li­sier­te, dass es mit Kiew kei­nen Frie­den und kei­ne Eini­gung geben wird. Die Kie­wer Macht­ha­ber zeig­ten den rus­si­schen Ein­woh­ner der bei­den abge­spal­te­nen Don­bass-Volks­re­pu­bli­ken, dass sie deren Spra­che ver­bie­ten und sie zu Bür­gern zwei­ter Klas­se degra­die­ren wol­len. Damit hat­te Kiew das 2015 unter­zeich­ne­te Mins­ker Abkom­men de fac­to beer­digt. Das Mins­ker Abkom­men sah für die bei­den Don­bass-Repu­bli­ken einen auto­no­men föde­ra­len Sta­tus mit kul­tu­rel­len und wirt­schaft­li­chen Rech­ten vor, eben auch mit dem Recht auf die eige­ne Spra­che. Das wäre die Frie­dens­lö­sung gewe­sen. Doch Kiew und auch die Nato-Staa­ten und die EU waren dar­an nicht inter­es­siert. Damit war die wei­te­re Kriegs­es­ka­la­ti­on vorprogrammiert.

Vom Autor erschie­nen: Wahr­heits­su­che im Ukrai­ne-Krieg – Um was es wirk­lich geht, Ver­lag Neue Erde 2023, 600 S., 28 €.