Von den Gedenktagen zur Geschichte von 1933 bis 1945 – also 27. Januar 1945, an dem Auschwitz von zumeist als Alliierte bezeichneten Soldaten befreit wurde, deren roter Stern oft nicht genannt wird, bis zum 30. Januar 1933 und 8. Mai 1945 – ist der 20. Februar 1933 der am wenigsten beachtete. Das sollte geändert werden. Ich verweise auf Adam Toozes Buch »Ökonomie der Zerstörung«, in dem über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers mit den Wirtschaftskapitänen an jenem Tag berichtet wird, drei Wochen nach der Machtübergabe. Das Treffen fand statt in Görings Reichstagspräsidentenpalais.
Unsere Antifa-Mahngänge führen uns regelmäßig zu den Stolpersteinen für die Opfer des NS-Regimes. Es wäre aber sinnvoll, auch Warntafeln vor den Tätern aufzustellen. Darunter jene aus der Wirtschaft. Und diese sollten dann bei den Mahngängen ebenfalls besucht werden.
Es wäre denkbar, an der Grünanlage Hainallee in Dortmund eine Mahntafel anzubringen mit dem Text: »Hier in der Villa Springorum trafen sich am 7. Januar 1933 Franz von Papen und führende Ruhrindustrielle, um die Machtübertragung an Hitler herbeizuführen. Viele von ihnen unterstützten bereits vor 1933 die Ziele der Nazis. Sie profitierten von Krieg, Faschismus und Holocaust.«
Eine ähnliche Tafel existiert bereits in Köln, und sie erinnert an das dortige Zusammentreffen vom 4. Januar 1933 zur Machtübertragung an Hitler. Dieser sowie Franz von Papen und Baron von Schröder waren dabei. Einige Tage danach trafen sich die Teilnehmer des Treffens in Dortmund und Mülheim – hier auch mit dem Hitler-Finanzier Emil Kirdorf. Sechs Wochen später dann das Treffen im Palais von Göring. Bei diesen Gesprächen wurden fünf Millionen Reichsmark für die Wahl Hitlers bewilligt. Die Aussicht, dass es auf lange Zeit keine Wahlen mehr geben sollte, verlockte schon vor dem 30. Januar viele der großen Finanz- und Industriemänner zur Zustimmung zur Hitlerkanzlerschaft.
Überlegungen sollten übrigens auch zur Wrangelstraße in Dortmund-Eving angestellt werden. Die Meldungen über die dortige Kirdorf-Kolonie – um ein regionales Beispiel der Ehrung für einen finanzkräftigen Förderer des Nationalsozialismus zu nennen – mögen uns auf eine der Lücken in der Erinnerungsarbeit aufmerksam machen. Seit vielen Jahren gilt ein Beschluss der Bezirksvertretung Eving, die Bezeichnung Kirdorf-Kolonie abzuschaffen. Er wird nicht verwirklicht. Nicht einmal ein Legendenschild ist geplant.
Zum Treffen am 20. Februar 1933 in Berlin erfahren wir bei Adam Tooze: »Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen. (…) Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder seinen Eroberungsplänen anzuschließen.« Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gern eine gehörige Anzahlung.« Weiter: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland.« Faktisch waren es die Spenden der Industrie und Finanzwelt gewesen, »die einen wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte stand.«
Am Ende seines Buches stellt Tooze die Frage, warum die Lobby der deutschen »Privatwirtschaft« dann den »drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv behindert. Antwort: Zwar widersprach die »autokratische nationalsozialistische Wende« deutlich der »internationalen Agenda« – den Exportinteressen –, der deutschen Privatwirtschaft, doch der »autoritäre Stil«, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten«.
Es wurde bisweilen gesagt, das Engagement der Großunternehmen beim Aufstieg des NS werde von der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre als gering eingestuft. In den letzten 20 Jahren ist das nicht mehr so. Denn da ist das Buch von Adam Tooze über die enge Kooperation der deutschen Industrie mit Hitler. Das entlockte dem Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler eine begeisterte Rezension: »Außergewöhnliche Forschungs- und Interpretationsleistung«. Wehler: »Die westdeutsche Zeitgeschichte hatte bisher ebenso wenig wie die westeuropäische oder amerikanische Forschung ein solches Werk hervorgebracht, das sich auf der Höhe des gegenwärtigen Kenntnisstandes und Reflexionsniveaus bewegt.«
Wer an das Dogma glaubt, dass die Unterstützung der Großindustrie für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht Tooze deutlich, dass sie sich 1933 »dem politischen Wandel nicht entgegen (stellte), wie während der ersten Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als willfähriger Partner« anbot. Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich »etwas Widerstand« erwartet hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik auf »bereitwillige Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm oder sogar die große Zahl neuer Überwachungsbehörden, vor allem aber die Aufrüstung – »alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde«.
Es trifft zu, dass in der deutschen historischen Literatur die Treffen Hitlers und seiner Leute mit der Großindustrie, wozu ab Dezember 1932 zweifellos auch der Zentrumspolitiker von Papen gehörte, vernachlässigt werden. Und auch die Industrielleneingabe vom November 1932 an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit. Von der Eingabe an Hindenburg veröffentlichte das Stadtarchiv Dortmunds in einer Ausstellung in der Gedenkstätte Steinwache ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten vom 22.11.32 mitteilen, dass sie »voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen«.
Im Dezember 1932 war dann in einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden, »dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht«. Damit hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch »Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich« befasst. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin festzustellen, dass »eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem« nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun. Er hätte auch klarstellen können: Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm zum Beispiel der Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler.