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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das »Spenden-Rendezvous« vom 20. Februar 1933

Von den Gedenk­ta­gen zur Geschich­te von 1933 bis 1945 – also 27. Janu­ar 1945, an dem Ausch­witz von zumeist als Alli­ier­te bezeich­ne­ten Sol­da­ten befreit wur­de, deren roter Stern oft nicht genannt wird, bis zum 30. Janu­ar 1933 und 8. Mai 1945 – ist der 20. Febru­ar 1933 der am wenig­sten beach­te­te. Das soll­te geän­dert wer­den. Ich ver­wei­se auf Adam Too­zes Buch »Öko­no­mie der Zer­stö­rung«, in dem über das wenig bekann­te »Spen­den-Ren­dez­vous« Hit­lers mit den Wirt­schafts­ka­pi­tä­nen an jenem Tag berich­tet wird, drei Wochen nach der Macht­über­ga­be. Das Tref­fen fand statt in Görings Reichstagspräsidentenpalais.

Unse­re Anti­fa-Mahn­gän­ge füh­ren uns regel­mä­ßig zu den Stol­per­stei­nen für die Opfer des NS-Regimes. Es wäre aber sinn­voll, auch Warn­ta­feln vor den Tätern auf­zu­stel­len. Dar­un­ter jene aus der Wirt­schaft. Und die­se soll­ten dann bei den Mahn­gän­gen eben­falls besucht werden.

Es wäre denk­bar, an der Grün­an­la­ge Hai­n­al­lee in Dort­mund eine Mahn­ta­fel anzu­brin­gen mit dem Text: »Hier in der Vil­la Spring­orum tra­fen sich am 7. Janu­ar 1933 Franz von Papen und füh­ren­de Ruhr­in­du­stri­el­le, um die Macht­über­tra­gung an Hit­ler her­bei­zu­füh­ren. Vie­le von ihnen unter­stütz­ten bereits vor 1933 die Zie­le der Nazis. Sie pro­fi­tier­ten von Krieg, Faschis­mus und Holocaust.«

Eine ähn­li­che Tafel exi­stiert bereits in Köln, und sie erin­nert an das dor­ti­ge Zusam­men­tref­fen vom 4. Janu­ar 1933 zur Macht­über­tra­gung an Hit­ler. Die­ser sowie Franz von Papen und Baron von Schrö­der waren dabei. Eini­ge Tage danach tra­fen sich die Teil­neh­mer des Tref­fens in Dort­mund und Mül­heim – hier auch mit dem Hit­ler-Finan­zier Emil Kir­dorf. Sechs Wochen spä­ter dann das Tref­fen im Palais von Göring. Bei die­sen Gesprä­chen wur­den fünf Mil­lio­nen Reichs­mark für die Wahl Hit­lers bewil­ligt. Die Aus­sicht, dass es auf lan­ge Zeit kei­ne Wah­len mehr geben soll­te,  ver­lock­te schon vor dem 30. Janu­ar vie­le der gro­ßen Finanz- und Indu­strie­män­ner zur Zustim­mung zur Hitlerkanzlerschaft.

Über­le­gun­gen soll­ten übri­gens auch zur Wran­gel­stra­ße in Dort­mund-Eving ange­stellt wer­den. Die Mel­dun­gen über die dor­ti­ge Kir­dorf-Kolo­nie – um ein regio­na­les Bei­spiel der Ehrung für einen finanz­kräf­ti­gen För­de­rer des Natio­nal­so­zia­lis­mus zu nen­nen – mögen uns auf eine der Lücken in der Erin­ne­rungs­ar­beit auf­merk­sam machen. Seit vie­len Jah­ren gilt ein Beschluss der Bezirks­ver­tre­tung Eving, die Bezeich­nung Kir­dorf-Kolo­nie abzu­schaf­fen. Er wird nicht ver­wirk­licht. Nicht ein­mal ein Legen­den­schild ist geplant.

Zum Tref­fen am 20. Febru­ar 1933 in Ber­lin erfah­ren wir bei Adam Too­ze: »Ein­mal ganz abge­se­hen von den Fol­gen, zählt die­ses Tref­fen zu den berüch­tigt­sten Bei­spie­len für die Bereit­schaft des deut­schen Groß­un­ter­neh­mer­tums, Hit­ler bei der Auf­stel­lung sei­nes dik­ta­to­ri­schen Regimes bei­zu­ste­hen. (…) Krupp und Kon­sor­ten (wur­den) von Hit­ler nie gezwun­gen, sich sei­nem gewalt­tä­ti­gen Anti­se­mi­tis­mus oder sei­nen Erobe­rungs­plä­nen anzu­schlie­ßen.« Ent­schei­dend war das, was Hit­ler den Indu­stri­el­len ver­spro­chen und schließ­lich auch durch­ge­setzt hat­te: »das Ende der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie und die Ver­nich­tung der deut­schen Lin­ken« (S. 129). Too­ze ein­deu­tig: »Und für genau die­ses Ver­spre­chen lei­ste­te ein hoher Pro­zent­satz der deut­schen Groß­in­du­strie gern eine gehö­ri­ge Anzah­lung.« Wei­ter: »Krupp und Kon­sor­ten waren wil­li­ge Part­ner bei der Ver­nich­tung des poli­ti­schen Plu­ra­lis­mus in Deutsch­land.« Fak­tisch waren es die Spen­den der Indu­strie und Finanz­welt gewe­sen, »die einen wirk­lich ent­schei­den­den Bei­trag lei­ste­ten. Denn sie waren für die Par­tei just in dem Moment eine kräf­ti­ge Finanz­sprit­ze, als die unge­mein knapp bei Kas­se war und, wie Göring so rich­tig vor­aus­ge­sagt hat­te, vor der letz­ten Wahl ihrer Geschich­te stand.«

Am Ende sei­nes Buches stellt Too­ze die Fra­ge, war­um die Lob­by der deut­schen »Pri­vat­wirt­schaft« dann den »dra­sti­schen Ein­griff der Staats­macht nach 1933« über­haupt tole­rier­te, immer­hin habe doch das Groß­un­ter­neh­mer­tum zuvor das »Reform­stre­ben« der Wei­ma­rer Repu­blik noch mas­siv behin­dert. Ant­wort: Zwar wider­sprach die »auto­kra­ti­sche natio­nal­so­zia­li­sti­sche Wen­de« deut­lich der »inter­na­tio­na­len Agen­da« – den Export­in­ter­es­sen –, der deut­schen Pri­vat­wirt­schaft, doch der »auto­ri­tä­re Stil«, den Hit­lers Koali­ti­on in der Innen­po­li­tik pfleg­te, »gefiel ihr dafür aus­neh­mend gut, nicht weni­ger gut als die gesun­den Pro­fi­te, die seit Mit­te der drei­ßi­ger Jah­re auf sie zurollten«.

Es wur­de bis­wei­len gesagt, das Enga­ge­ment der Groß­un­ter­neh­men beim Auf­stieg des NS wer­de von der Geschichts­wis­sen­schaft der letz­ten Jah­re als gering ein­ge­stuft. In den letz­ten 20 Jah­ren ist das nicht mehr so. Denn da ist das Buch von Adam Too­ze über die enge Koope­ra­ti­on der deut­schen Indu­strie mit Hit­ler. Das ent­lock­te dem Bie­le­fel­der Histo­ri­ker Hans-Ulrich Weh­ler eine begei­ster­te Rezen­si­on: »Außer­ge­wöhn­li­che For­schungs- und Inter­pre­ta­ti­ons­lei­stung«. Weh­ler: »Die west­deut­sche Zeit­ge­schich­te hat­te bis­her eben­so wenig wie die west­eu­ro­päi­sche oder ame­ri­ka­ni­sche For­schung ein sol­ches Werk her­vor­ge­bracht, das sich auf der Höhe des gegen­wär­ti­gen Kennt­nis­stan­des und Refle­xi­ons­ni­veaus bewegt.«

Wer an das Dog­ma glaubt, dass die Unter­stüt­zung der Groß­in­du­strie für Hit­ler ein »Mythos« sei, dem macht Too­ze deut­lich, dass sie sich 1933 »dem poli­ti­schen Wan­del nicht ent­ge­gen (stell­te), wie wäh­rend der ersten Revo­lu­ti­on in Deutsch­land 1918/​19, son­dern sich Hit­lers ›Natio­na­ler Revo­lu­ti­on‹ in vie­len ent­schei­den­den Punk­ten als will­fäh­ri­ger Part­ner« anbot. Selbst an pri­vat­wirt­schaft­li­chen Schau­plät­zen, wo man eigent­lich »etwas Wider­stand« erwar­tet hät­te, stie­ßen die Ver­tre­ter der Nazi­po­li­tik auf »bereit­wil­li­ge Kol­la­bo­ra­teu­re«. Ob Aut­ar­kie­pro­gramm oder sogar die gro­ße Zahl neu­er Über­wa­chungs­be­hör­den, vor allem aber die Auf­rü­stung – »alles fand den Bei­fall und die tat­kräf­ti­ge Unter­stüt­zung von erfah­re­nen Fir­men­chefs, deren Fach­wis­sen dem Regime mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der gesam­ten deut­schen Indu­strie zur Ver­fü­gung gestellt wurde«.

Es trifft zu, dass in der deut­schen histo­ri­schen Lite­ra­tur die Tref­fen Hit­lers und sei­ner Leu­te mit der Groß­in­du­strie, wozu ab Dezem­ber 1932 zwei­fel­los auch der Zen­trums­po­li­ti­ker von Papen gehör­te, ver­nach­läs­sigt wer­den. Und auch die Indu­stri­el­len­ein­ga­be vom Novem­ber 1932 an Reichs­prä­si­dent Hin­den­burg zugun­sten Hit­lers sei ohne Wir­kung geblie­ben, erst nach dem 30. Janu­ar 1933 sei­en die Indu­stri­el­len auf die Gege­ben­hei­ten ein­ge­schwenkt, vor­her hät­ten sie die Zusam­men­ar­beit mit der NSDAP ver­wei­gert. Tat­säch­lich aber stan­den für die Nazi­par­tei wie für ein­zel­ne Nazis schon Jah­re vor 1933 unzäh­li­ge Finanz­töp­fe bereit. Von der Ein­ga­be an Hin­den­burg ver­öf­fent­lich­te das Stadt­ar­chiv Dort­munds in einer Aus­stel­lung in der Gedenk­stät­te Stein­wa­che ein Begleit­schrei­ben, mit dem die Her­ren Albert Vög­ler, Paul Reusch und Fritz Spring­orum unter dem Ein­gangs­stem­pel­da­tum des Büros des Reichs­prä­si­den­ten vom 22.11.32 mit­tei­len, dass sie »voll und ganz auf dem Boden der Ein­ga­be stehen«.

Im Dezem­ber 1932 war dann in einem ver­trau­li­chen Bericht aus dem »Ver­ein zur Wah­rung der gemein­sa­men wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen in Rhein­land und West­fa­len« (Lang­nam­ver­ein) kon­sta­tiert wor­den, »dass fast die gesam­te Indu­strie die Beru­fung Hit­lers, gleich­gül­tig unter wel­chen Umstän­den, wünscht«. Damit hat sich der lang­jäh­ri­ge Dort­mun­der Stadt­ar­chi­var Gustav Lun­tow­ski in sei­nem Buch »Hit­ler und die Her­ren an der Ruhr – Wirt­schafts­macht und Staats­macht im Drit­ten Reich« befasst. Er konn­te aus bis­her unge­nutz­ten Quel­len, dar­un­ter den Pri­vat­ar­chi­ven der Her­ren der Ruhr­la­de, schöp­fen und kam nicht umhin fest­zu­stel­len, dass »eine Mit­ver­ant­wor­tung der Indu­stri­el­len für das natio­nal­so­zia­li­sti­sche Unrechts­sy­stem« nicht zu ver­nei­nen sei. Stär­ke­re Urtei­le wären auf­grund des zusam­men­ge­tra­ge­nen Mate­ri­als mög­lich gewe­sen, erschie­nen dem Histo­ri­ker aber wohl nicht oppor­tun. Er hät­te auch klar­stel­len kön­nen: Das wirt­schafts­po­li­ti­sche und all­ge­mein­po­li­ti­sche Pro­gramm zum Bei­spiel der Ruhr­la­de schrie gera­de­zu nach einem Mann wie Hitler.