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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Schinkensandwich

Hun­der­te Pop- und Rock­stars sind in den letz­ten 50 Jah­ren früh­zei­tig aus dem Leben geschie­den, mei­stens wegen Dro­gen oder Alko­hol, vie­le leg­ten auch Hand an sich. Doch man­che Todes­ur­sa­chen waren eher unge­wöhn­lich. So starb Cass Elli­ot von The Mamas & the Papas im Alter von 32 Jah­ren, am 29. Juli 1974, vor 50 Jah­ren, weil sie sich an einem Schin­ken­sand­wich ver­schluckt haben soll. Eine der hart­näckig­sten Mythen der Rock’n’Roll-Geschichte! Doch ist sie auch wahr? Seit eini­gen Jah­ren weiß man es bes­ser. Dem The­ma wid­me­te die New York Times vor kur­zem einen län­ge­ren Artikel.

Elli­ot wur­de als Ellen Nao­mi Cohen in einem Vor­ort von Bal­ti­more, Mary­land gebo­ren. Sie war ein auf­ge­weck­tes Kind, das Gäste schon mal gern beim Abend­essen frag­te, was die­se so über die »Welt­la­ge« dach­ten. In der Ober­schu­le war sie auch für ihre unge­wöhn­li­che Art, sich zu klei­den, bekannt, trug schon mal Ber­mu­da­shorts und Stöckel­schu­he, dazu wei­ße Hand­schu­he. Seit­dem sie sechs war und von ihren gut mei­nen­den Groß­el­tern durch­ge­füt­tert wur­de, hat­te sie Gewichts­pro­ble­me. In der Ober­schu­le wur­de ihr Dexe­drin ver­schrie­ben, das damals als Appe­tit­züg­ler ein­ge­setzt wur­de. Trotz­dem hat­te sie gro­ßes Selbst­ver­trau­en: Sie sag­te fast jedem, das sie ein­mal das berühm­te­ste dicke Mäd­chen wer­den wür­de, das je gelebt hat.

Mit ihren Eltern schloss sie ein Abkom­men. Soll­te sie nach New York gehen und in fünf Jah­ren kei­nen musi­ka­li­schen Erfolg haben, wür­de sie nach Hau­se kom­men und stu­die­ren, even­tu­ell Medi­zin. Ende 1960 ver­ließ sie ihr Zuhau­se. Der gro­ße Hit »Cali­for­nia Dre­a­min«, an dem sie betei­ligt war, wur­de im Novem­ber 1965 ver­öf­fent­licht. »Ich habe es wirk­lich gera­de noch so geschafft!«, erzähl­te sie spä­ter belu­stigt einem Journalisten.

In den Jah­ren zuvor sang sie in den Bands Big 3 und den Mug­wumps. Ende 1964 zog sie von New York nach Los Ange­les und dort in das berühm­te Sze­ne-Vier­tel Lau­rel Can­yon. Sie lern­te John Phil­lips und des­sen Ehe­frau Michel­le sowie Den­ny Doh­erty ken­nen. Mit ihnen sang sie mehr­stim­mig Lie­der, aber der ton­an­ge­ben­de John Phil­lips wei­ger­te sich, Elli­ot in eine etwa­ige Band auf­zu­neh­men. Der Bio­graf der Mamas & the Papas, Scott G. Shea, dazu: »Michel­le soll­te das Herz­stück sein, und Elli­ot war sei­ner Mei­nung nach zu fett, um über­haupt in Betracht gezo­gen zu wer­den.« Aber Elli­ot war hart­näckig, wuss­te, dass ihre Stim­me das feh­len­de Puz­zle­teil im Sound der neu­en Grup­pe war. Als die ande­ren auf den Jung­fern­in­seln weil­ten, tauch­te sie dort unan­ge­mel­det auf. Gemein­sam grün­de­ten sie schließ­lich The Mamas & the Papas.

Die Folk-Rock-Band war nur von 1965 bis 1968 aktiv – und 1971 gab es eine kur­ze Reuni­on. Doch sie lan­de­ten Welt­hits wie »Cali­for­nia Dre­a­min‹«, »Mon­day, Mon­day« oder »Dedi­ca­ted To The One I Love«, ver­öf­fent­lich­ten fünf Alben. Wie kaum eine ande­re Band drück­te sie das Lebens­ge­fühl der Flower-Power-Bewe­gung aus.

Auch als berühm­te Sän­ge­rin hat­te Elli­ot jedoch mit Anfein­dun­gen wegen ihres Äuße­ren zu tun, denen sie oft mit Humor begeg­ne­te. Beim berühm­ten Mon­terey Pop Festi­val im Juni 1967 scherz­te sie: »Jemand hat mich heu­te gefragt, wann ich das Baby bekom­men wer­de, das ist lustig.« Sie roll­te mit den Augen. Hat­te sie doch gera­de sechs Wochen zuvor eine Toch­ter ent­bun­den. Auch spä­ter, als sie Gast in der Carol Bur­nett Show war, sorg­te sie für Lacher: Sie hielt ein Buch mit dem Titel »Eat and Lose Weight« hoch und sag­te: »Ich bin nur bis zu ›Eat‹ gekom­men und habe den Rest nicht ver­stan­den.« Selbst die Mamas & the Papas sin­gen in ihrem Lied »Cree­que Alley«: »Nie­mand wird fett, außer Mama Cass.«

Vor allem die uner­wi­der­te Lie­be zu ihrem Band­kol­le­gen Den­ny Doh­erty mach­te Elli­ot zu schaf­fen. Doh­erty dazu: »Ich wuss­te, dass sie mich lieb­te, und ich lieb­te sie auch, aber nicht so, wie sie es woll­te. Sie wog 150 Kilo, und ich war nicht Manns genug, um damit fer­tig zu werden.«

In »My Mama, Cass«, dem aktu­el­len Buch von Elli­ots Toch­ter, Owen Vanes­sa Elli­ot-Kugell, selbst eine Sän­ge­rin, schreibt sie auch über die Ein­sam­keit ihrer Mut­ter: »Nach den Kon­zer­ten war sie die Ein­zi­ge, die allein ins Hotel zurück­ging. Alle ande­ren hat­ten jeman­den, sie nicht.« Viel­leicht ent­schied sie sich auch des­halb, nach­dem sie nach einer kur­zen Affä­re mit dem Tour­nee-Bas­si­sten schwan­ger wur­de, das Kind allein aufzuziehen.

Cass Elli­ot war aber auch eine Per­son, die Leu­te zusam­men­brach­te. So mach­te sie ihre Freun­de John Seba­sti­an und Zal Yanov­sky mit­ein­an­der bekannt, die dann The Lovin’ Spoon­ful grün­de­ten, die spä­ter den Num­mer-1-Hit »Sum­mer in The City« lan­de­ten. Zu David Crosby und Ste­phen Stills brach­te sie noch Gra­ham Nash hin­zu, die dann Crosby, Stills & Nash formierten.

Nach dem Ende von The Mamas & the Papas mach­te Elli­ot eine Solo-Kar­rie­re, ver­öf­fent­lich­te vier Alben und eine Duett-Plat­te mit Dave Mason. »It’s Get­ting Bet­ter« und »Make Your Own Kind Of Music« sind ihre bekann­te­sten Solo-Hits.

Am 29. Juli 1974 starb Elli­ot in Lon­don in der Woh­nung des befreun­de­ten Musi­kers Har­ry Nils­son an einem Herz­in­farkt. Ihr Herz war durch Ver­su­che geschä­digt, ihr Gewicht durch Schock­diä­ten zu redu­zie­ren; auch ihr jah­re­lan­ger Dro­gen­miss­brauch spiel­te mut­maß­lich eine Rol­le. Nach­dem sie auf gleich drei ver­schie­de­nen Par­tys auf­ge­kreuzt war, dar­un­ter auch die Geburts­tags­fei­er von Mick Jag­ger, sag­te sie zu ihrem Freund Joe Croyle – einem Tän­zer in ihrer Show – dass sie ein Bad neh­men und sich früh hin­le­gen wür­de, weil sie erschöpft sei. Croyle mach­te ihr für­sorg­lich noch ein Schinkensandwich.

Sue Came­ron, seit mehr als 50 Jah­ren Jour­na­li­stin – so hat sie das Buch »Hol­ly­wood Secrets and Scan­dals« ver­öf­fent­licht – war damals mit Elli­ot befreun­det. Sie arbei­te­te beim Hoo­ly­wood Repor­ter und woll­te einen Nach­ruf schrei­ben. Sie spür­te Elli­ots Mana­ger Allan Carr per Tele­fon in Nils­sons Lon­do­ner Woh­nung auf und frag­te ihn, was pas­siert sei. Die­ser woll­te nicht, dass Elli­ot mit Dro­gen­kon­sum in Ver­bin­dung gebracht wur­de: »Oh, war­te«, sag­te er zu Came­ron, »ich sehe ein halb geges­se­nes Schin­ken­sand­wich auf dem Nacht­tisch. Du erzählst allen, dass sie an einem Schin­ken­sand­wich erstickt ist, hast du mich ver­stan­den?« Dazu erklär­te Sue Came­ron vor kur­zem: »Und ich habe es getan, weil ich Elli­ot schüt­zen woll­te.« Die New York Times: »Im Bruch­teil einer Sekun­de ent­schie­den Carr und Came­ron, dass es weni­ger scha­de ist, wenn eine Frau, die wegen ihres Gewichts ver­spot­tet wird, erstickt, als wenn sie ein Dro­gen­pro­blem hat.« Came­ron reue­voll: »Von allen Din­gen, die ich getan habe, hat mich die­ses Schin­ken­sand­wich mein gan­zes Leben lang ver­folgt.« Auch Elli­ot-Kugell, die sie­ben war, als ihre Mut­ter starb, erfuhr erst im Jahr 2000 bei einem gemein­sa­men Mit­tag­essen mit Sue Came­ron die genau­en Todesumstände.