Hunderte Pop- und Rockstars sind in den letzten 50 Jahren frühzeitig aus dem Leben geschieden, meistens wegen Drogen oder Alkohol, viele legten auch Hand an sich. Doch manche Todesursachen waren eher ungewöhnlich. So starb Cass Elliot von The Mamas & the Papas im Alter von 32 Jahren, am 29. Juli 1974, vor 50 Jahren, weil sie sich an einem Schinkensandwich verschluckt haben soll. Eine der hartnäckigsten Mythen der Rock’n’Roll-Geschichte! Doch ist sie auch wahr? Seit einigen Jahren weiß man es besser. Dem Thema widmete die New York Times vor kurzem einen längeren Artikel.
Elliot wurde als Ellen Naomi Cohen in einem Vorort von Baltimore, Maryland geboren. Sie war ein aufgewecktes Kind, das Gäste schon mal gern beim Abendessen fragte, was diese so über die »Weltlage« dachten. In der Oberschule war sie auch für ihre ungewöhnliche Art, sich zu kleiden, bekannt, trug schon mal Bermudashorts und Stöckelschuhe, dazu weiße Handschuhe. Seitdem sie sechs war und von ihren gut meinenden Großeltern durchgefüttert wurde, hatte sie Gewichtsprobleme. In der Oberschule wurde ihr Dexedrin verschrieben, das damals als Appetitzügler eingesetzt wurde. Trotzdem hatte sie großes Selbstvertrauen: Sie sagte fast jedem, das sie einmal das berühmteste dicke Mädchen werden würde, das je gelebt hat.
Mit ihren Eltern schloss sie ein Abkommen. Sollte sie nach New York gehen und in fünf Jahren keinen musikalischen Erfolg haben, würde sie nach Hause kommen und studieren, eventuell Medizin. Ende 1960 verließ sie ihr Zuhause. Der große Hit »California Dreamin«, an dem sie beteiligt war, wurde im November 1965 veröffentlicht. »Ich habe es wirklich gerade noch so geschafft!«, erzählte sie später belustigt einem Journalisten.
In den Jahren zuvor sang sie in den Bands Big 3 und den Mugwumps. Ende 1964 zog sie von New York nach Los Angeles und dort in das berühmte Szene-Viertel Laurel Canyon. Sie lernte John Phillips und dessen Ehefrau Michelle sowie Denny Doherty kennen. Mit ihnen sang sie mehrstimmig Lieder, aber der tonangebende John Phillips weigerte sich, Elliot in eine etwaige Band aufzunehmen. Der Biograf der Mamas & the Papas, Scott G. Shea, dazu: »Michelle sollte das Herzstück sein, und Elliot war seiner Meinung nach zu fett, um überhaupt in Betracht gezogen zu werden.« Aber Elliot war hartnäckig, wusste, dass ihre Stimme das fehlende Puzzleteil im Sound der neuen Gruppe war. Als die anderen auf den Jungferninseln weilten, tauchte sie dort unangemeldet auf. Gemeinsam gründeten sie schließlich The Mamas & the Papas.
Die Folk-Rock-Band war nur von 1965 bis 1968 aktiv – und 1971 gab es eine kurze Reunion. Doch sie landeten Welthits wie »California Dreamin‹«, »Monday, Monday« oder »Dedicated To The One I Love«, veröffentlichten fünf Alben. Wie kaum eine andere Band drückte sie das Lebensgefühl der Flower-Power-Bewegung aus.
Auch als berühmte Sängerin hatte Elliot jedoch mit Anfeindungen wegen ihres Äußeren zu tun, denen sie oft mit Humor begegnete. Beim berühmten Monterey Pop Festival im Juni 1967 scherzte sie: »Jemand hat mich heute gefragt, wann ich das Baby bekommen werde, das ist lustig.« Sie rollte mit den Augen. Hatte sie doch gerade sechs Wochen zuvor eine Tochter entbunden. Auch später, als sie Gast in der Carol Burnett Show war, sorgte sie für Lacher: Sie hielt ein Buch mit dem Titel »Eat and Lose Weight« hoch und sagte: »Ich bin nur bis zu ›Eat‹ gekommen und habe den Rest nicht verstanden.« Selbst die Mamas & the Papas singen in ihrem Lied »Creeque Alley«: »Niemand wird fett, außer Mama Cass.«
Vor allem die unerwiderte Liebe zu ihrem Bandkollegen Denny Doherty machte Elliot zu schaffen. Doherty dazu: »Ich wusste, dass sie mich liebte, und ich liebte sie auch, aber nicht so, wie sie es wollte. Sie wog 150 Kilo, und ich war nicht Manns genug, um damit fertig zu werden.«
In »My Mama, Cass«, dem aktuellen Buch von Elliots Tochter, Owen Vanessa Elliot-Kugell, selbst eine Sängerin, schreibt sie auch über die Einsamkeit ihrer Mutter: »Nach den Konzerten war sie die Einzige, die allein ins Hotel zurückging. Alle anderen hatten jemanden, sie nicht.« Vielleicht entschied sie sich auch deshalb, nachdem sie nach einer kurzen Affäre mit dem Tournee-Bassisten schwanger wurde, das Kind allein aufzuziehen.
Cass Elliot war aber auch eine Person, die Leute zusammenbrachte. So machte sie ihre Freunde John Sebastian und Zal Yanovsky miteinander bekannt, die dann The Lovin’ Spoonful gründeten, die später den Nummer-1-Hit »Summer in The City« landeten. Zu David Crosby und Stephen Stills brachte sie noch Graham Nash hinzu, die dann Crosby, Stills & Nash formierten.
Nach dem Ende von The Mamas & the Papas machte Elliot eine Solo-Karriere, veröffentlichte vier Alben und eine Duett-Platte mit Dave Mason. »It’s Getting Better« und »Make Your Own Kind Of Music« sind ihre bekanntesten Solo-Hits.
Am 29. Juli 1974 starb Elliot in London in der Wohnung des befreundeten Musikers Harry Nilsson an einem Herzinfarkt. Ihr Herz war durch Versuche geschädigt, ihr Gewicht durch Schockdiäten zu reduzieren; auch ihr jahrelanger Drogenmissbrauch spielte mutmaßlich eine Rolle. Nachdem sie auf gleich drei verschiedenen Partys aufgekreuzt war, darunter auch die Geburtstagsfeier von Mick Jagger, sagte sie zu ihrem Freund Joe Croyle – einem Tänzer in ihrer Show – dass sie ein Bad nehmen und sich früh hinlegen würde, weil sie erschöpft sei. Croyle machte ihr fürsorglich noch ein Schinkensandwich.
Sue Cameron, seit mehr als 50 Jahren Journalistin – so hat sie das Buch »Hollywood Secrets and Scandals« veröffentlicht – war damals mit Elliot befreundet. Sie arbeitete beim Hoolywood Reporter und wollte einen Nachruf schreiben. Sie spürte Elliots Manager Allan Carr per Telefon in Nilssons Londoner Wohnung auf und fragte ihn, was passiert sei. Dieser wollte nicht, dass Elliot mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht wurde: »Oh, warte«, sagte er zu Cameron, »ich sehe ein halb gegessenes Schinkensandwich auf dem Nachttisch. Du erzählst allen, dass sie an einem Schinkensandwich erstickt ist, hast du mich verstanden?« Dazu erklärte Sue Cameron vor kurzem: »Und ich habe es getan, weil ich Elliot schützen wollte.« Die New York Times: »Im Bruchteil einer Sekunde entschieden Carr und Cameron, dass es weniger schade ist, wenn eine Frau, die wegen ihres Gewichts verspottet wird, erstickt, als wenn sie ein Drogenproblem hat.« Cameron reuevoll: »Von allen Dingen, die ich getan habe, hat mich dieses Schinkensandwich mein ganzes Leben lang verfolgt.« Auch Elliot-Kugell, die sieben war, als ihre Mutter starb, erfuhr erst im Jahr 2000 bei einem gemeinsamen Mittagessen mit Sue Cameron die genauen Todesumstände.