2015 sitzen Investmentmanager, stark in Monsanto, dem führenden Hersteller von Roundup, einem Unkrautvertilgungsmittel, engagiert, zusammen und diskutieren die Lage. Sie wissen, dass auf Monsanto in den USA eine Klagewelle zurollen und das Vermögen zusammenschmelzen lassen wird, welches sie verwalten.
Was ist zu tun? Sich von den Aktien in größerem Stil zu trennen, sie also zum Kauf anzubieten, würde deren Kurse schnell verfallen lassen. Diese Strategie kommt nicht infrage, denn damit wäre ein Abschmelzen der Vermögenswerte verbunden. Das wäre aber für Fondmanager ein Gau, denn sie verdienen an wachsenden Vermögenswerten. Zusätzlich hängt ihre berufliche Reputation von Erfolgen ab. Misserfolge schmälern das Ansehen und schwächen die Position für zukünftige Einkommensverhandlungen. Die beste Alternative bestünde darin, einen Blockverkauf zu organisieren, also das Unternehmen auf einen Schlag loszuwerden.
Was ist zu tun? Wenn wir einen größenwahnsinnigen Käufer finden, sagen sie sich, der uns den vollen Preis für Monsanto bezahlt, wird der dann die Abfindungen und Strafzahlungen aus den zu erwartenden Gerichtverfahren zahlen müssen. Er wird im Zuge der Gerichtsverfahren selbst an Wert verlieren, weil sich zahllose Aktionäre bei den Schreckensmeldungen von ihren Aktien trennen werden. Bayer Leverkusen gerät ins Visier, weil er der größte Wettbewerber auf dem Markt ist. Wenn die Strategie aufgeht, wird man den Konzern später für einen Appel und ein Ei selbst übernehmen können – gewinnt also doppelt.
Im ersten Schritt muss man Bayeraktien kaufen, um ggf. im Aufsichtsrat präsent zu sein und die internen Entscheidungsprozesse in dem Gremium ggf. beeinflussen zu können. Danach muss man das Bayer- Management von dem »hochwertigen« Monsanto-Deal überzeugen. Ein neuer Vorstandschef, der sich ins rechte Licht setzen will, kommt dafür gerade recht. Der wird empfänglich für die Einflüsterungen sein, dass Bayer doch den Weltmarkt beherrschen müsse. Bekanntlich sind die Deutschen immer wieder nicht von dieser Welt, sondern träumen, wie ehemals der Daimlerkonzern unter der Führung von Herrn Schremmp, von einem Weltkonzern.
Von nun an geht alles den zu erwartenden Gang: Bereits ein Jahr vor der Monsanto-Übernahme durch Bayer pfiffen die Spatzen es von den Dächern, mit welchen Klagen Monsanto werde rechnen müssen. Aber Spatzen folgen nur anderen größeren Vögel – oder soll man sagen: Heuschreckenschwärmen? Leverkusen liegt aber im traulichen Rheinland und ist als Provinzstadt mit den Gepflogenheiten der Welt nicht gut vertraut.
Hat man den Deal unter Dach und Fach, kann man sich getrost zurücklehnen. Das Vermögen der Eigentümer von Monsanto ist gerettet, und auf der anderen Seite des Atlantiks zeichnen sich »zusätzliche Gewinnchancen« ab, weil man keine Ahnung hat oder das Rechtssystem der USA nur unzureichend kennt. Die »Drecksarbeit« wird der Vorstandsvorsitzende Baumann erledigen müssen, selbst wenn er schließlich ahnt, gründlich hereingelegt worden zu sein. Das kann er aber nicht sagen, ohne sofort seinen Job zu verlieren. Die Drecksarbeit besteht in der Verwaltung einer schier unfassbaren Zahl von Prozessen. Der vereinbarte Kaufpreis für die komplette Firmenübernahme belastet die Gewinnsituation, so dass sich der Vorstandschef mit Kosteneinsparungen zu beschäftigen hat, die im Personalbereich organisatorische Konsequenzen mit Stellenabbau und Arbeitsverdichtung haben werden.
Die Presse, respektive deren Mitarbeiter, die bei Reuters abzuschreiben gelernt haben, kennen keine Schachspiele mehr, ahnen keine strategischen Zusammenhänge, wenn sie ihnen nicht vorgebetet werden, und verstehen sowieso nichts mehr und kümmern sich nur um einzelne Ereignisse, ohne den Zusammenhang zu erahnen. Die Hauptsache ist, Leser werden zu Tränen gerührt. Derweil gehen die Dinge ihren Gang.
Was schert es einen Investmentfond in den USA, wenn deutsche Städte ihre Gewerbesteuerzahler in großem Stil verlieren. Das sind aus deren Sicht nicht einmal Kollateralschäden, denn sie sind keine Meldung in den USA wert. In San Francisco wird niemand den Ort Leverkusen kennen. Mit den zu bilanzierenden Verlusten sinkt für den Hauptstandort der Bayerwerke die Höhe der Gewerbesteuereinnahmen.
Aber wieder eröffnen sich neue Chancen. Sollte Leverkusen finanziell in Bedrängnis geraten, bieten die Fondmanager im Zweifel gleich noch eine Lösung an: mit dem Sale- und Lease-Backverfahren kann man ihnen ihre Kanalisation abkaufen und sie für 100 Jahre zu besten Konditionen vermieten. Da gab es doch einmal was! Vielleicht wird sich Leverkusen dazu hinreißen lassen, auf diesem Wege die entgangenen Gewerbesteuerzahlungen auszugleichen.
Nachtrag: Der Börsenkurs der Bayeraktien hat einen neuen Tiefststand (2023) erreicht. Herr Baumann ist nicht mehr der Vorstandsvorsitzende. Der neue, Bill Anderson, denkt jetzt darüber nach, den Bayerkonzern zu zerlegen und stückweise zu verkaufen. Das Wort von den Krähen, die einander die Augen nicht aushacken ist falsch. Im Gegenteil, sie frönen dem Kannibalismus.
Bayers Geschichte ist also noch nicht vorbei, aber während Carl Duisberg zur Zeit der Weimarer Republik tatsächlich auf einen Weltkonzern blicken konnte, mit Interessen bis nach Japan und China, so scheint sich hier jetzt eine Zeitenwende anzubahnen.