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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Menetekel Viessmann

Ein Mene­te­kel ist bekannt­lich eine unheil­ver­kün­den­de War­nung, ein ern­ster Mahn­ruf oder ein Vor­zei­chen dro­hen­den Unheils. Wer es sieht und sei­nen Kurs ändert, ver­mei­det das Unheil. Wer es igno­riert, gerät auf eine Rutsch­bahn nach unten oder nähert sich dem schmerz­haf­ten Zusam­men­prall mit den von ihm – oder ihr – igno­rier­ten Realitäten.

Ein sol­ches Mene­te­kel ist der Ver­kauf des Wär­me­pum­pen­ge­schäfts des hes­si­schen Hei­zungs­her­stel­lers Viess­mann an den US-ame­ri­ka­ni­schen Kon­zern Car­ri­er, der in die­sen Wochen und Mona­ten abge­wickelt wer­den wird. Rund 12 Mil­li­ar­den Euro wer­den dafür den Besit­zer wech­seln. Hohe Auf­merk­sam­keit hat das Geschäft vor allem des­halb erregt, weil es den heu­te anstel­le nüch­ter­ner Ana­ly­sen in Mode gekom­me­nen grün-alter­na­ti­ven »Erzäh­lun­gen« völ­lig zuwi­der­läuft. Die näm­lich gehen ja so: Deutsch­land ist indu­stri­ell füh­rend vor allem im Bereich der Umwelt­tech­no­lo­gie. Der anste­hen­de Umbau der Welt­wirt­schaft auf CO-2-neu­tra­le Tech­nik wird die Nach­fra­ge nach deut­scher Tech­no­lo­gie folg­lich mas­siv anstei­gen las­sen und so die­sem Land Wachs­tums­ra­ten besche­ren wie zu Zei­ten des (west-)deutschen Wirt­schafts­wun­ders nicht mehr. Die lagen damals bei acht Pro­zent. Der voll­mun­dig­ste Wirt­schafts­mi­ni­ster, den Deutsch­land je hat­te, Robert Habeck von den »Grü­nen«, träum­te denn auch in sei­ner Oster­an­spra­che von einer »kom­men­den wirt­schaft­li­chen Pro­spe­ri­tät«. Sowohl die Umrü­stung welt­wei­ter Auto­flot­ten vom Ver­bren­nungs- auf Elek­tro­an­trieb und von Mil­lio­nen von Häu­sern auf Behei­zung mit Strom, der aus rege­ne­ra­ti­ven Quel­len gespeist wird, wür­de das Label »Made in Ger­ma­ny« in die Welt tragen.

Die bis dahin schon auf dem Tisch lie­gen­den War­nun­gen – so eine Art Vor-Mene­te­kel – wur­den geflis­sent­lich igno­riert. Ähn­lich soll­te schon die Bepfla­ste­rung von Dächern mit Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen ablau­fen. Auch da soll­ten zuerst auf deut­schen Dächern, dann über­all in der Welt die »Made in Germany«-Schildchen drauf­kle­ben. Das wur­de nix – die deut­schen Anbie­ter wur­den vor allem von chi­ne­si­schen Fir­men, die die­sel­ben Pro­duk­te bil­li­ger und bes­ser anbo­ten vom Markt gefetzt. Wer dar­aus immer noch nicht gelernt hat, soll­te nach Wolfs­burg oder Lever­ku­sen schauen.

In Nie­der­sach­sen kämpft der frü­her ein­mal welt­weit größ­te Auto­pro­du­zent inzwi­schen mit dem Mut der Ver­zweif­lung gegen das Abrut­schen in sei­nem größ­ten Absatz­markt, dem chi­ne­si­schen. »Frü­her«, stell­te am 14. April die groß­bür­ger­li­che FAZ etwas zer­knirscht fest, »war Volks­wa­gen in Chi­na die unbe­strit­te­ne Num­mer ein. Doch jetzt sind die Markt­an­tei­le im frei­en Fall.« Das sei, sind sich nahe­zu alle Exper­ten einig, vor allem dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass inzwi­schen nicht mehr deut­sche (von US-ame­ri­ka­ni­schen, japa­ni­schen oder gar bri­ti­schen Her­stel­lern, die frü­her ein­mal Welt­märk­te beherrsch­ten, ganz zu schwei­gen) Inge­nieu­re die Stan­dards set­zen. Statt­des­sen lau­fen sie Erfin­dun­gen und Ent­wick­lun­gen hin­ter­her, die von chi­ne­si­schen Inge­nieu­ren als Bench­mark gesetzt werden.

Der Traum von der angeb­lich her­aus­ra­gen­den deut­schen Inge­nieurs­kunst ist im letz­ten Jahr auch in Lever­ku­sen, dem Herz der deut­schen Che­mie­in­du­strie, geplatzt. Als Habeck und Co. im Febru­ar den rus­si­schen Gas- und Öllie­fe­ran­ten ihr lau­tes »Nein dan­ke!« ent­ge­gen­brüll­ten, ver­schwand der seit Jahr­zehn­ten ver­läss­li­che Vor­teil gün­sti­ger rus­si­scher Ener­gie­ver­sor­gung. Nun fan­ta­siert Herr Habeck von 30 Mil­li­ar­den, mit denen die deut­sche »Grund­stoff­in­du­strie« in die Lage ver­setzt wer­den soll, den inter­na­tio­na­len Nach­teil hoher Strom- und son­sti­ger Ener­gie­ko­sten aus­zu­glei­chen, um nicht von allen Märk­ten kata­pul­tiert zu wer­den. Sein Finanz­mi­ni­ster sagt ihm, dass die­ses Geld nicht da sei. Selbst wenn es da wäre: 30 Mil­li­ar­den über sechs Jah­re ver­teilt ver­zwer­gen vor den drei­stel­li­gen Mil­li­ar­den­sum­men, die – dar­auf läuft es näm­lich im öko­no­mi­schen Kern hin­aus – von Russ­land qua­si als Sub­ven­ti­on für die deut­sche Che­mie­in­du­strie gegen ihre euro­päi­schen oder US-ame­ri­ka­ni­schen Kon­kur­ren­ten seit den 1970er Jah­ren in Form von kon­kur­renz­los gün­sti­ger Ener­gie gezahlt wurden.

Wer nicht lesen will, muss füh­len. Nun also Viess­mann. Die Eigen­tü­mer ver­kau­fen in die USA, weil sie nach Chi­na nicht ver­kau­fen dür­fen. Sie wer­den sich das Gewür­ge um die Mini­be­tei­li­gung chi­ne­si­scher Unter­neh­men an einem von vie­len Hafen­ter­mi­nals in Ham­burg genau ange­schaut und ihre Schlüs­se dar­aus gezo­gen haben: Die 12 Mil­li­ar­den aus den USA flie­ßen schnell – wer weiß, ob ent­spre­chen­de Mil­li­ar­den aus Chi­na über­haupt je geflos­sen wären. Die detail­lier­te Begrün­dung der Fami­lie Viess­mann macht klar: Die Haupt­kon­kur­ren­ten sit­zen nicht jen­seits des Atlan­tiks, son­dern in Asi­en, vor allem in Chi­na. Dort ent­wickeln sich die Märk­te so, dass die im Raum China/​Indien/​Vietnam/​Russland erziel­ba­ren Ska­len­ef­fek­te – also Erträ­ge aus der Her­stel­lung eines Gutes in gro­ßer Zahl – die Mög­lich­kei­ten jedes euro­päi­schen Unter­neh­mens weit über­stei­gen. Das sei, so Viess­mann, nicht kom­pen­sier­bar – also ver­kau­fe man an den, der sich traut, dem noch die Stirn zu bieten.

In die­ser abschüs­si­gen Lage nun macht sich Deutsch­land auf, dem 11. Sank­ti­ons­pa­ket zuzu­stim­men, das gegen­wär­tig von der EU-Kom­mis­si­on in Brüs­sel vor­be­rei­tet wird. Es sieht im Kern vor, die bis­her von der EU als völ­ker­rechts­wid­rig abge­lehn­ten soge­nann­ten Sekun­där­sank­tio­nen zu ver­hän­gen. Gekappt wer­den danach nicht nur Wirt­schafts­ver­bin­dun­gen nach Russ­land. Auf eine schwar­ze Liste gesetzt wer­den sol­len nun auch zunächst acht chi­ne­si­sche High-Tech-Unter­neh­men, die Waren nach Russ­land lie­fern. Sie sol­len vom EU-Markt aus­ge­schlos­sen wer­den – Schul­ter an Schul­ter mit den USA, die das für ihre Märkt tun. In der heu­te übli­chen Schnodd­rig­keit wur­de das am 9. Mai, dem Tag des blu­tig errun­ge­nen Sie­ges der Völ­ker der Welt über den deut­schen Grö­ßen­wahn ver­kün­det. Am sel­ben Tag reagier­te dar­auf in Gegen­wart der deut­schen Außen­mi­ni­ste­rin ihr chi­ne­si­scher Amts­kol­le­ge Qin Gang kurz und trocken, wenn es so käme, wer­de Chi­nas Reak­ti­on »streng und ent­schlos­sen« sein.

Die Tal­fahrt der deut­schen Indu­strie wird sich also fort­set­zen. Die FAZ beju­bel­te – pikan­ter­wei­se auch am 9. Mai – die Ankün­di­gung von Sekun­där­sank­tio­nen. Ihre Ableh­nung sei ein »Tabu aus der unter­ge­hen­den libe­ra­len Epo­che«. Die­se »libe­ra­le Epo­che«, die Epo­che des frei­en Welt­han­dels, hat Deutsch­land eine vor­her nicht gekann­te Pro­spe­ri­tät gebracht, von der vor allem sei­ne Rei­chen, aber als Bro­sa­men-Emp­fän­ger vom reich gedeck­ten Tisch welt­weit erziel­ter Pro­fi­te auch sei­ne nicht ganz so rei­chen Men­schen gezehrt haben. Die­se Epo­che geht nun nach dem Wil­len der Herr­schen­den zu Ende – es beginnt eine Epo­che des Kamp­fes der Mäch­te des 19. Jahr­hun­derts (West­eu­ro­pa und USA) gegen die Mäch­te des 21. Jahr­hun­derts, die Staa­ten des BRICS-Ver­bun­des, also Bra­si­li­en, Russ­land, Indi­en, Chi­na (Süd-)Afrika und vie­ler sich zuneh­mend an ihnen ori­en­tie­ren­der Nationen.

Das Mene­te­kel Viess­mann leuch­tet an der Wand. Es macht deut­lich: Es ist Wil­le der herr­schen­den Poli­tik, das Schick­sal die­ses Lan­des nicht an die auf­stre­ben­den, son­dern an die abstei­gen­den Mäch­te zu knüp­fen. Ist das auch der Wil­le der Beherrschten?