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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Licht in der Finsternis

Wenn ein Mensch, der nicht nur sei­ner Fami­lie und Freun­den viel bedeu­tet, son­dern dar­über hin­aus Gel­tung in der Öffent­lich­keit erlangt hat, die­se Welt ver­lässt, was ist von dem ihm gewid­me­ten Nach­ru­fen zu erwar­ten? Dass sie den Toten wür­di­gen, sei­nen Ver­lust bekla­gen, viel­leicht sogar, dass sie sein Leben und Wesen tref­fend zusammenfassen.

Die­ter Frie­ling­haus, Pfar­rer i. R., ist im Mai im bran­den­bur­gi­schen Brüss­ow gestor­ben. Es erschie­nen Nach­ru­fe im nd, dem frü­he­ren Neu­en Deutsch­land und in der Tages­zei­tung jun­ge Welt.

Von den theo­lo­gi­schen Grund­sät­zen und der Glau­bens­art eines fran­zö­sisch refor­mier­ten Pastors wuss­ten sie eben­so zu berich­ten wie von sei­ner Ver­bin­dung zum Mar­xis­mus; das mag Außen­ste­hen­den selt­sam erscheinen.

Im Juli brach­te die Wochen­zei­tung Unse­re Zeit (DKP) einen von Arnold Schöl­zel ein­ge­lei­te­ten Nach­druck eines Tex­tes von Die­ter Frie­ling­haus aus dem Jahr 1990, in dem es um die Hal­tung lin­ker Chri­sten zur DDR ging.

So wur­de in den ver­schie­de­nen Nach­ru­fen ein sach­li­cher Abriss der poli­ti­schen Arbeit des Ver­stor­be­nen zusam­men­ge­stellt, sein uner­müd­li­cher Kampf gegen den Krieg und die Kriegs­trei­ber und gegen die kapi­ta­li­sti­sche Gesell­schaft, die immer wie­der neue Krie­ge erzeugt, wur­de hervorgehoben.

Mir scheint jedoch, dass da noch etwas hin­zu­zu­fü­gen ist: Mit ihm ist nicht nur ein kom­mu­ni­sti­scher Pfar­rer gegan­gen, der zeit sei­nes Lebens für Frie­den und Sozia­lis­mus gekämpft hat. Mit ihm ist ein Mensch gegan­gen, der sei­nes­glei­chen such­te, aber nur sel­ten (oder gar nicht) fand. Hoch­ge­bil­det, hoch­be­gabt, aus­ge­stat­tet mit fei­nem Sprach­ge­fühl und psy­cho­lo­gi­schem Ver­ständ­nis, geist­reich und humor­voll, sprö­de und lei­den­schaft­lich, lie­bens­wür­dig und schroff, war er nicht zuletzt beschei­den in einer Wei­se, die schon wie­der an Hoch­mut grenzte.

So liegt er jetzt anonym begra­ben auf dem Brüss­ower Fried­hof, noch im Tod beschei­de­ner und damit anma­ßen­der, als es irdi­scher Lie­be zumut­bar ist.

Eine Pflicht­übung im Geden­ken gerät unver­se­hens in ein schrei­en­des Miss­ver­hält­nis zu dem Ver­lust, um den es geht: dem eines außer­ge­wöhn­li­chen Men­schen. Eines Wesens, das eher von einem ande­ren Stern her­ge­kom­men sein moch­te als aus­ge­rech­net aus der nie­der­säch­si­schen Pro­vinz. Eines Man­nes, der, so gegen­warts­ver­haf­tet und durch die Lek­tü­re diver­ser Tages­zei­tun­gen poli­tisch umfas­send infor­miert er war, doch einem ande­ren Jahr­hun­dert anzu­ge­hö­ren schien, und der eben­so gut an einem fran­zö­si­schen Adels­hof wie in einem bri­ti­schen Her­ren­club hät­te bestehen kön­nen, nicht nur ver­mö­ge der dazu not­wen­di­gen Sprach­kennt­nis­se, über die er neben dem obli­ga­to­ri­schen Grie­chisch, Hebrä­isch und Latein des Theo­lo­gen verfügte.

Der in Vil­len oder sogar Palä­sten hät­te resi­die­ren kön­nen, es aber vor­zog, sich an die Hüt­ten und die ein­fa­chen Men­schen zu hal­ten und selbst fast ohne Kom­fort zu leben. Er war auf die volks­tüm­lich­ste Wei­se Individualist.

Ver­schie­de­ne glän­zen­de Kar­rie­ren hät­ten ihm offen gestan­den. Zunächst eine als Kon­zert­pia­nist – er war bereits erfolg­reich öffent­lich auf­ge­tre­ten –, dann, nach sei­ner Göt­tin­ger Pro­mo­ti­on in Theo­lo­gie, natür­lich die wis­sen­schaft­li­che- theo­lo­gi­sche, die ihm in der DDR erneut ange­bo­ten wur­de; aber auch die phi­lo­lo­gi­sche Rich­tung wäre ihm nahe gewe­sen, ähn­lich wie sei­nem Bru­der Hel­mut, dem Über­set­zer aus dem Eng­li­schen und her­vor­ra­gen­den Lektor.

Zuletzt, nach der »Wen­de«, wink­te dem Mitt­sech­zi­ger eine poli­ti­sche Lauf­bahn etwa als Land­tags- oder Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter der dama­li­gen Par­tei des Demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus. Zudem hät­te er sich jeder­zeit als Buch­au­tor und Red­ner in Sze­ne set­zen können.

Auf all dies hat Die­ter Frie­ling­haus ganz bewusst ver­zich­tet, inklu­si­ve der damit ver­bun­de­nen sozia­len Aner­ken­nung und der mate­ri­el­len Ver­gü­tung. Selbst aus der wohl­si­tu­ier­ten Dresd­ner Gemein­de, die er zunächst betreut hat­te, zog er sich zurück, um in ein beschei­de­nes Dorf in der Ucker­mark, gewis­ser­ma­ßen in die Ver­ban­nung, nach dem Ver­ständ­nis sei­ner Ver­wand­ten »nach Polen« zu gehen. Ohne sei­ne Frau Gise­la, eine stu­dier­te Ham­bur­ger Juri­stin, die zum Glück über mehr prak­ti­sches Geschick und Prag­ma­tis­mus als ihr Mann ver­füg­te, wäre das nicht mög­lich gewesen.

Unver­gess­lich die Atmo­sphä­re im Pfarr­haus in Berg­holz: ruhig, har­mo­nisch, ent­spannt, oft lustig, immer leben­dig und gedan­ken­voll. Die Kin­der des Ehe­paars, alle drei sehr ver­schie­den, such­ten sich eigen­sin­nig ihren Weg und fan­den ihn fern­ab der Eltern, ihnen doch immer nahe und ver­bun­den vor allem in grund­sätz­li­chen poli­ti­schen Überzeugungen.

Dabei herrsch­te im Hau­se F. kein bie­der­mei­er­li­ches Idyll. Schrift­stel­ler wie Die­ter Latt­mann und Armin Stol­per, die die Fami­lie ken­nen­lern­ten, ver­such­ten sich an lite­ra­ri­schen Schil­de­run­gen in die­sem Sinn. Sie gerie­ten unzu­rei­chend, um nicht zu sagen, ent­täu­schend. Viel­leicht wäre Tho­mas Mann, den Die­ter F. nicht zuletzt wegen sei­ner »Reden an die Deut­schen« und der War­nung vor der Tor­heit des Anti­kom­mu­nis­mus schätz­te, dazu imstan­de gewesen.

Die­ter Frie­ling­haus hat an sozia­ler und poli­ti­scher Arbeit gelei­stet, was er ver­moch­te, zwei­fel­los bis zur völ­li­gen Erschöp­fung. Trotz sei­ner Bit­ter­keit über die aktu­ell poli­ti­sche Situa­ti­on, da der Welt­frie­den so bedroht ist wie lan­ge nicht, und obwohl er sich stets vor­warf, nicht genug getan zu haben, muss er in Erin­ne­rung blei­ben als jemand, der bei aller ent­schlos­se­nen Dies­sei­tig­keit nicht ganz von die­ser Welt war, der irdisch, sogar ple­be­jisch sein woll­te, aber unver­kenn­bar – intel­lek­tu­ell, mora­lisch und reli­gi­ös – »über den Din­gen« stand, in die er sich unver­dros­sen immer wie­der ein­brach­te und einmischte.

Unge­ach­tet der Trau­er, der Ver­zweif­lung und der gna­den­lo­sen Här­te, die sein Tod mit sich bringt, ist in die­sem Zusam­men­hang pas­send von dem Licht zu reden, das in der Fin­ster­nis geschie­nen hat und wei­ter scheint, »und die Fin­ster­nis hat es nicht begriffen«.

Es bleibt sein Ver­mächt­nis über den Tod hinaus.