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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Leben Friedls

Friedl Dicker-Brand­eis leb­te von 1898 bis 1944. Die aus Wien stam­men­de jüdi­sche Künst­le­rin war eine der bedeu­tend­sten Bau­haus-Schü­le­rin­nen, eine schöp­fe­risch hoch­be­gab­te Frau, deren wil­des, nach außen manch­mal bür­ger­lich-glat­tes, aber immer pro­duk­ti­ves Leben in den Gas­kam­mern von Ausch­witz-Bir­ken­au ende­te. Vor­her war sie jah­re­lang von den Natio­nal­so­zia­li­sten schi­ka­niert wor­den, 1942 wur­de sie nach The­re­si­en­stadt depor­tiert. Dort gab sie Kin­dern Zeichenunterricht.

Sie, ihr Leben und ihr Werk vor­zu­stel­len und bekannt zu machen, das war bit­ter not­wen­dig. Zumal das nun vor­lie­gen­de Buch lehrt: Auch in unmensch­li­chen Zei­ten ist Mensch­lich­keit mög­lich. Die­se Maxi­me trägt den Roman von Ele­na Maka­ro­va, einer Schrift­stel­le­rin und Histo­ri­ke­rin, die auf vie­len wei­te­ren Fel­dern tätig ist und in Isra­el lebt. Dass der Mit­tel­deut­sche Ver­lag das Buch in deut­scher Spra­che zugäng­lich macht, ist hoch zu loben – und eben nicht nur, weil das Bau­haus und sei­ne Prot­ago­ni­sten, zum Glück auch die Prot­ago­ni­stin­nen, in letz­ter Zeit wie­der viel Auf­merk­sam­keit erfah­ren, son­dern weil es nötig war und ist, das Leben die­ser bemer­kens­wer­ten Frau zu erzählen.

Das Buch trägt den Unter­ti­tel »Ein bio­gra­fi­scher Roman«, und viel­leicht löste er die­se Her­an­ge­hens­wei­se der Autorin aus: »So vie­le Leu­te durch­que­ren den Durch­gangs­hof eines ein­zi­gen Lebens.« Das stimmt gewiss, aber es ent­steht dadurch ein Ver­fah­ren, das sich mit­un­ter im Klein-Klein ver­liert, weil alles zu breit aus­ge­walzt wird. Dazu gehört auch das Nach­er­zäh­len von Träu­men, dazu gehört, dass die Autorin zu viel von sich selbst spricht, auch, dass man­che Fak­ten mehr­fach erwähnt wer­den. Etwa, dass der Maler Georg Eis­ler, der Sohn Hanns Eis­lers, in sei­ner Jugend bei Friedl Dicker gelernt hat. Brie­fe bewir­ken eine hohe Genau­ig­keit und eine Authen­ti­zi­tät in einer Bio­gra­fie, man­che der hier abge­druck­ten sind höchst auf­schluss­reich, bei ande­ren fragt man sich, ob der Abdruck nötig war oder ob es auch ein Aus­zug getan hätte.

Die Ein­blicke in die Kunst­welt der zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­re sind, zumal für den dar­an Inter­es­sier­ten, ein nach­hal­ti­ger Lese­ge­winn. Zum Bei­spiel wird hier ein ganz spe­zi­el­ler Blick auf Bert Brecht gezeigt.

Die Über­set­zung eines Wer­kes sol­cher Spann­brei­te und gro­ßen Fak­ten­reich­tums ist ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen, dem Respekt zu zol­len ist. Es wäre daher unfair, beck­mes­sernd jedes Feh­ler­chen auf­zu­li­sten, doch wäre dem Ver­lag vor einer hof­fent­lich wei­te­ren Auf­la­ge ein kor­ri­gie­ren­des Lesen zu empfehlen.

Unter den vie­len Publi­ka­tio­nen, die vom Bau­haus-Jubi­lä­um aus­ge­löst wur­den, ist das Buch von Ele­na Maka­ro­va als wich­tig her­vor­zu­he­ben. Und zwar, weil es das Leben einer Bau­haus-Künst­le­rin frei­mü­tig und ohne Tabus prä­sen­tiert, auch poli­tisch Pro­ble­ma­ti­sches (etwa Friedls Gedan­ken wäh­rend ihres Besuchs im sowje­ti­schen Pavil­lon auf der Pari­ser Welt­aus­stel­lung 1937) nicht aus­spart, uns bewusst macht, was geschieht, wenn sich der Anti­se­mi­tis­mus in die Welt der Kunst ein­schleicht. Und das ist, wie wir erlebt haben, ein ganz aktu­el­les Thema.

Ele­na Maka­ro­va, Friedl. Ein bio­gra­fi­scher Roman. Aus dem Rus­si­schen von Chri­sti­ne Hen­ge­voß. Mit­tel­deut­scher Ver­lag 2022, 672 S., 22 €.