Friedl Dicker-Brandeis lebte von 1898 bis 1944. Die aus Wien stammende jüdische Künstlerin war eine der bedeutendsten Bauhaus-Schülerinnen, eine schöpferisch hochbegabte Frau, deren wildes, nach außen manchmal bürgerlich-glattes, aber immer produktives Leben in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau endete. Vorher war sie jahrelang von den Nationalsozialisten schikaniert worden, 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Dort gab sie Kindern Zeichenunterricht.
Sie, ihr Leben und ihr Werk vorzustellen und bekannt zu machen, das war bitter notwendig. Zumal das nun vorliegende Buch lehrt: Auch in unmenschlichen Zeiten ist Menschlichkeit möglich. Diese Maxime trägt den Roman von Elena Makarova, einer Schriftstellerin und Historikerin, die auf vielen weiteren Feldern tätig ist und in Israel lebt. Dass der Mitteldeutsche Verlag das Buch in deutscher Sprache zugänglich macht, ist hoch zu loben – und eben nicht nur, weil das Bauhaus und seine Protagonisten, zum Glück auch die Protagonistinnen, in letzter Zeit wieder viel Aufmerksamkeit erfahren, sondern weil es nötig war und ist, das Leben dieser bemerkenswerten Frau zu erzählen.
Das Buch trägt den Untertitel »Ein biografischer Roman«, und vielleicht löste er diese Herangehensweise der Autorin aus: »So viele Leute durchqueren den Durchgangshof eines einzigen Lebens.« Das stimmt gewiss, aber es entsteht dadurch ein Verfahren, das sich mitunter im Klein-Klein verliert, weil alles zu breit ausgewalzt wird. Dazu gehört auch das Nacherzählen von Träumen, dazu gehört, dass die Autorin zu viel von sich selbst spricht, auch, dass manche Fakten mehrfach erwähnt werden. Etwa, dass der Maler Georg Eisler, der Sohn Hanns Eislers, in seiner Jugend bei Friedl Dicker gelernt hat. Briefe bewirken eine hohe Genauigkeit und eine Authentizität in einer Biografie, manche der hier abgedruckten sind höchst aufschlussreich, bei anderen fragt man sich, ob der Abdruck nötig war oder ob es auch ein Auszug getan hätte.
Die Einblicke in die Kunstwelt der zwanziger und dreißiger Jahre sind, zumal für den daran Interessierten, ein nachhaltiger Lesegewinn. Zum Beispiel wird hier ein ganz spezieller Blick auf Bert Brecht gezeigt.
Die Übersetzung eines Werkes solcher Spannbreite und großen Faktenreichtums ist ein schwieriges Unterfangen, dem Respekt zu zollen ist. Es wäre daher unfair, beckmessernd jedes Fehlerchen aufzulisten, doch wäre dem Verlag vor einer hoffentlich weiteren Auflage ein korrigierendes Lesen zu empfehlen.
Unter den vielen Publikationen, die vom Bauhaus-Jubiläum ausgelöst wurden, ist das Buch von Elena Makarova als wichtig hervorzuheben. Und zwar, weil es das Leben einer Bauhaus-Künstlerin freimütig und ohne Tabus präsentiert, auch politisch Problematisches (etwa Friedls Gedanken während ihres Besuchs im sowjetischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937) nicht ausspart, uns bewusst macht, was geschieht, wenn sich der Antisemitismus in die Welt der Kunst einschleicht. Und das ist, wie wir erlebt haben, ein ganz aktuelles Thema.
Elena Makarova, Friedl. Ein biografischer Roman. Aus dem Russischen von Christine Hengevoß. Mitteldeutscher Verlag 2022, 672 S., 22 €.