Hier folgt eine nicht gehaltene Rede zum Holocaust-Gedenktag 2024: Man besuche alte jüdische Friedhöfe in Deutschland und lese die Namen auf verwitterten Grabsteinen. Namen … Namen von deutschen Familien, die seit Jahrhunderten in diesem Land lebten – ausgelöscht im antisemitischen Wahn des »tausendjährigen Reiches«, wenn sie nicht rechtzeitig fliehen konnten. Man fühlt tiefste Trauer vor dem heute kaum fassbaren Verbrechen des Antisemitismus. Dem Nazi-Antisemitismus, der einem Großteil der »arischen« Deutschen eingeimpft war, von den »wissenschaftlichen« Rassentheoretikern, den Massenmord-Strategen der Wannsee-Konferenz mit den Gestapo-Polizisten, den KZ-Schergen, den mordenden Wehrmacht-Soldaten und »Einsatzgruppen«.
Bernt Engelmann hat 1974 ein Buch mit dem Titel »Deutschland ohne Juden – eine Bilanz« veröffentlicht. Da heißt es im Kapitel »Bilanz einer Ausrottung«: »Eines können wir mit Gewissheit sagen: nämlich, dass die Deutschen gerade jenen Teil ihrer Mitbürger verjagt und ermordet haben, der auf nahezu allen Gebieten den relativ bedeutendsten Beitrag zu dem geleistet haben, was man gemeinhin die Kultur eines Volkes nennt.«
Unmittelbar nach dem Krieg wollten im Land der Täter allzu viele nichts gewusst haben. Besonders die vom Staatsanwalt Fritz Bauer gegen starke Widerstände durchgesetzten Auschwitz-Prozesse zwischen 1963 und 1965 machten einer breiteren Öffentlichkeit das ungeheuerliche Ausmaß der Verbrechen klar. In einem Nachkriegs-Westdeutschland, wo noch viele NS-Mitläufer, Ex-Mitglieder der NSDAP staatliche Ämter bekleideten, Mitglieder von Hitler-Jugend und der Flak-Helfer-Generation zu den Unverbesserlichen zählten.
Umso betroffener macht, wenn heute die Verurteilung der siedlerkolonialistischen Politik des Staates Israel gegenüber der palästinensischen Bevölkerung als Antisemitismus diffamiert wird. Man wird mit Tätern und Leugnern der Naziverbrechen in einen Topf geworfen!
Ständig wird so jetzt von den Herrschenden die notwendige Verurteilung der israelischen Kriegspolitik mit Antisemitismus gleichgesetzt. Die »deutsche Staatsräson« einer kritiklosen Solidarität mit der rassistisch-zionistischen Politik der israelischen Regierung hat eine Vorgeschichte. Die mit dem Blut der europäischen Juden besudelten Eliten Deutschlands konnten sich nach dem Krieg u. a. mit der »Wiedergutmachung« eine Eintrittskarte in die »freie Welt« einhandeln. Von der Schuld des Holocaust konnte sich Deutschland nach der Gründung Israels durch Geld und Rüstungsfinanzierung quasi freikaufen. Jedoch durch neues Unrecht an den Palästinensern, die nicht für den Holocaust verantwortlich waren, die nicht gefragt wurden und deren Vertreibungskatastrophe Nakba nicht vergessen werden darf.
Nach dem entsetzlichen, mörderischen Hamas-Ausbruch und nun dem tagtäglichen Grauen israelischer Kriegsverbrechen in Gaza ist es hierzulande praktisch nicht mehr möglich, eine offene und sachliche Debatte zum Thema Antisemitismus zu führen.
In Gaza hat die israelische Armee neben der unfassbar hohen Zahl von Opfern Folgendes angerichtet: es wurden fast alle Wohnhäuser zertrümmert, sämtliche Universitäten und fast alle Schulen zerbombt, außerdem Museen, Archive, Bibliotheken, sodass selbst, wenn Israel eine Rückkehr der Menschen in diese Trümmerwüste zuließe, Bildung auf lange Zeit unmöglich ist. Dasselbe gilt für fast alle Krankenhäuser und eine hohe Anzahl von Ärzten und Pflegepersonal wurde teils gezielt getötet oder in Haft genommen. Damit hat man das Gesundheitswesen komplett zerstört. Zusätzlich sind praktisch alle landwirtschaftlichen Flächen verwüstet worden, Brunnen wurden unbrauchbar gemacht.
Und jetzt steht die Invasion von Rafah an, die dieses totale Zerstörungswerk vollenden wird. Hilfsgüter werden von Israel blockiert, es herrschen Hunger und Wassermangel der notdürftig in Zelten hausenden Menschen. Wer das verurteilt, wird in diesem Land zum Antisemiten gestempelt. Im Gegenteil Die Proteste gegen das Grauen von Gaza und die offensichtlich im Gang befindliche zweite Vertreibungskatastrophe Nakba müssen weiter gesteigert werden.
Eine »Zwei-Staaten-Lösung« wird von Israel kategorisch abgelehnt und wer gar für einen säkularen Staat Israel-Palästina eintritt, in dem Demokratie und Menschenrechte gleichermaßen für alle gelten – gleich welcher Religion oder Herkunft – der wird beschuldigt, die »Vernichtung des Staates Israel« zu fordern. Dabei entsprechen gleiche Rechte für alle – für Palästinenser wie Israelis gleichermaßen – den Werten des deutschen Grundgesetzes, dessen Jubiläum man derzeit feiert. Und zugleich werden sie mit einer uneingeschränkten Unterstützung und den Waffenlieferungen für Israel gerade mit Füßen getreten.