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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Friedensgebot des Grundgesetzes im Kriegsmodus

Das Grund­ge­setz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist als eine fried­lie­ben­de Ver­fas­sung gedacht und ent­wickelt wor­den. Bereits in sei­ner Prä­am­bel ist die Rede davon, dass das deut­sche Volk »von dem Wil­len beseelt« sei, »dem Frie­den der Welt zu die­nen«. Den Schrecken des Zwei­ten Welt­krie­ges gera­de erst ent­kom­men, setz­ten die Müt­ter und Väter des Grund­ge­set­zes vier Jah­re nach Kriegs­en­de mit dem »Frie­dens­ge­bot« ein star­kes anti­mi­li­ta­ri­sti­sches Zei­chen, das wohl das künf­ti­ge bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Rin­gen um Krieg und Frie­den davor bewah­ren soll­te, je wie­der kriegs­schul­dig zu wer­den. Spä­te­stens mit der Betei­li­gung der Bun­des­wehr am völ­ker­rechts­wid­ri­gen Koso­vo-Krieg 1998/​1999 hat sich die­se pazi­fi­sti­sche Uto­pie im ex-jugo­sla­wi­schen Bom­ben­him­mel ver­ab­schie­det und seit dem Beginn des Krie­ges in der Ukrai­ne steht das Frie­dens­ge­bot nun erneut vor einer bel­li­zi­sti­schen Bewäh­rungs­pro­be. Doch wie dient man dem Frie­dens­ge­bot in Zei­ten eines Krie­ges? Mit immer mehr Waf­fen­lie­fe­run­gen und mit der Aus­bil­dung von ukrai­ni­schen Sol­da­ten an jenen Waf­fen? Oder mit nicht nach­las­sen­den diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen, um zu einem Ende des Krie­ges zu kom­men? Oder mit bei­dem? Ein Blick auf die Hin­ter­grün­de und den bis­he­ri­gen Ver­lauf des Ukrai­ne-Krie­ges erscheint loh­nens­wert, um sich an die Beant­wor­tung jener Fra­gen her­an­ta­sten zu können.

Lan­ge bevor Russ­land Ende Febru­ar den völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne begann, hat­te es Stim­men von Außen­po­li­ti­kern und Mili­tär­ex­per­ten gege­ben, die davor warn­ten, essen­ti­el­le Sicher­heits­in­ter­es­sen Russ­lands zu miss­ach­ten – mit der Nato-Ost­erwei­te­rung und mit der Ver­let­zung oder Kün­di­gung von Abkom­men zur Rüstungs- und Sta­tio­nie­rungs­kon­trol­le durch die USA. Der­ar­ti­ge Demü­ti­gun­gen oder Bedro­hun­gen könn­ten Russ­land zu einer mili­tä­ri­schen Eska­la­ti­on mit der Ukrai­ne pro­vo­zie­ren. Zudem erscheint es mora­lisch ver­werf­lich, wenn die USA und ihre Ver­bün­de­ten den rus­si­schen Ein­marsch in die Ukrai­ne als Völ­ker­rechts­bruch brand­mar­ken und här­te­ste Sank­tio­nen ver­hän­gen, nach­dem sie selbst immer wie­der ver­hee­ren­de Angriffs­krie­ge geführt und das Völ­ker­recht gebro­chen haben.

Aus die­ser kom­ple­xen mili­tär­po­li­ti­schen Gemenge­la­ge hat sich der Krieg in der Ukrai­ne längst zu einem hybri­den Krieg zwi­schen der Nato und Russ­land ent­wickelt, des­sen Kriegs­ziel auf unver­fro­re­ne Wei­se immer mehr auf eine lang­fri­sti­ge geo­po­li­ti­sche Beschä­di­gung und Schwä­chung Russ­lands aus­ge­wei­tet wor­den ist. Damit hat die­ser Krieg mit sei­nen ver­hee­ren­den glo­ba­len Fol­gen schon jetzt eine Dimen­si­on erreicht, die wei­te Tei­le der Erde betrifft, ins­be­son­de­re die ärme­ren Län­der und Bevöl­ke­rungs­grup­pen die­ser Welt. Er ist mili­tä­risch aktu­ell zwar noch wei­test­ge­hend auf das Ter­ri­to­ri­um der Ukrai­ne und auf kon­ven­tio­nel­le Waf­fen beschränkt, auf wirt­schaft­li­cher Ebe­ne tobt der Krieg jedoch längst unbe­grenzt. Und er hat sich zuneh­mend zu einem kul­tu­rel­len Medi­en- und Infor­ma­ti­ons­krieg ent­wickelt, der so gut wie alle Aspek­te unse­res täg­li­chen Lebens betrifft.

Mit der Lie­fe­rung von Waf­fen sind Deutsch­land und sei­ne Nato-Ver­bün­de­ten recht schnell in den Krieg ein­ge­tre­ten. Damit – und durch die Aus­bil­dung ukrai­ni­scher Sol­da­ten an moder­nen Waf­fen – wur­de, wie der Wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­ta­ges bestä­tigt, Deutsch­land auch im völ­ker­recht­li­chen Sin­ne zur Kriegs­par­tei. Erst­mals seit dem Zwei­ten Welt­krieg ste­hen deut­sche Pan­zer wie­der rus­si­schen Pan­zern gegen­über, was einem histo­ri­schen Tabu­bruch gleich­kommt, der dem Frie­dens­ge­bot des Grund­ge­set­zes fun­da­men­tal wider­spricht. Und je län­ger die­ser Krieg dau­ert, umso mehr wächst die Gefahr einer Aus­wei­tung des Krie­ges hin zu einer nicht mehr kon­trol­lier­ba­ren Eska­la­ti­on, bei der sich Atom­mäch­te gegen­über­ste­hen. Ein Krieg müs­se vom Ende her betrach­tet wer­den, kon­sta­tier­te der ehe­ma­li­ge Bera­ter von Ange­la Mer­kel, Bri­ga­de­ge­ne­ral a. D. Erich Vad, bereits Mit­te April. Wer einen Drit­ten Welt­krieg ver­hin­dern wol­le, so Vad, müs­se sich von einer wei­te­ren mili­tä­ri­schen Eska­la­ti­ons­lo­gik ver­ab­schie­den und ernst­haf­te diplo­ma­ti­sche Ver­hand­lun­gen füh­ren, um zu einem Ende des Krie­ges zu kommen.

Auch ist es gebo­ten, bei den gro­ßen glo­ba­len Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit, bei jenen Fra­gen, die das wei­te­re Schick­sal der Mensch­heit maß­geb­lich prä­gen wer­den, wie­der zu einer (alter­na­tiv­lo­sen) Zusam­men­ar­beit mit Russ­land zu kom­men. Die Grün­de und Zie­le dafür sind: Ein­däm­mung des Kli­ma­wan­dels, neue Ver­hand­lun­gen über die Rüstungs­kon­trol­le, Ver­wal­tung der Cyber­sphä­re, För­de­rung der glo­ba­len Gesund­heit und Schaf­fung von welt­wei­ten Struk­tu­ren zur Bekämp­fung von Hun­ger und Armut.

Ob die Müt­ter und Väter des Grund­ge­set­zes bei der For­mu­lie­rung des Frie­dens­ge­bo­tes all das bereits im Blick hat­ten? Wohl eher nicht! Aber unse­re Lebens­wirk­lich­keit (und die unse­rer Nach­kom­men) ist ernst­haft bedroht. Es ist also unbe­dingt not­wen­dig, unse­re Regie­rung zur Ein­hal­tung des Frie­dens­ge­bo­tes im Grund­ge­setz auf­zu­for­dern und zu ver­pflich­ten. Was denn auch sonst?

Gustav Hei­ne­mann sag­te 1969 zu sei­nem Antritt als Bun­des­prä­si­dent: »Nicht der Krieg ist der Ernst­fall, in dem der Mann sich zu bewäh­ren habe, wie mei­ne Gene­ra­ti­on in der kai­ser­li­chen Zeit auf den Schul­bän­ken unter­wie­sen wur­de, son­dern heu­te ist der Frie­den der Ernst­fall. Hin­ter dem Frie­den gibt es kei­ne Exi­stenz mehr.«

Bun­des­kanz­ler Scholz und sei­nem Kabi­nett sei­en die­se Wor­te entgegengebrüllt.