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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Das Ende der Wende«

So hat Micha­el Mäde sein 2018 in der Edi­ti­on Schwarz­druck erschie­ne­nes Gedicht­bänd­chen genannt. In 43 Gedich­ten setzt er sich wort­ge­wal­tig und prä­zi­se mit Pro­ble­men der Gegen­wart aus­ein­an­der. Ange­lehnt an einen Gedan­ken von Peter Hacks pro­phe­zeit er unter dem Titel »Das Jahr 25 II« zum Bei­spiel in frei­en Rhyth­men: »Kein Licht, nirgends./ Wir durch­fah­ren den Tunnel./ Die Kata­stro­phe ist im Gange./ Der Sta­tus quo wird Religion./ Ver­än­de­rung bringt Chaos./ Michel krallt sich an Besitz./ Ver­gräbt die Zukunft/​ Unter Phrasen./ Wer zuckt verliert./ Wir durch­fah­ren den Tunnel./ Im Kreisverkehr.«

Jakob Micha­el Rein­hold Lenz, einer der bedeu­ten­den Dich­ter des Sturm und Drang, der von Goe­the gemie­den wur­de, ist ein ver­ehr­tes Vor­bild für Mäde. Zu spü­ren ist das in sei­nem Gedicht »Flucht ist Fluch«: »Kein Entrinnen,/ aus dem Schlamm, kein Weg,/ der noch gen Straß­burg führt./ Festgehalten/​ in deut­scher Provinz./ … Wei­ma­rer Hintertreppentanz,/ Jena­er Ignoranz./ Trost­frei­er Zuspruch/​ sub­al­tern dar­ge­reicht, abge­wand­ten Blicks./ … « In sei­nen Anmer­kun­gen am Ende des Bänd­chens fin­det man Infor­ma­tio­nen, die sol­ches Ver­lo­ren­sein nach­fühl­ba­rer machen. »Ein Mor­gen in Baut­zen«, ein ande­res Gedicht, klagt mit weni­gen Wor­ten den Ter­ror der Neo­na­zis an: »Trot­zig zeigt der Dachstuhl/​ sei­ne Nar­ben. Ausgebrannt/​ steht die Heimstatt/​ für Men­schen in Not.« Zugleich fin­det Mäde in sei­nem Gedicht »Fie­ber« sen­si­ble Wor­te für »Nata­ly«: »Wie ich dich gesucht habe,/ Het­zend über die Hügel/​ der Kindheit./ … Und im Grauen/​ des Mor­gens, höre ich, Liebste,/ dei­nen Atem, regelmäßig/​ und ahne/​ mein Glück.« Mit sol­cher Vers­kunst setzt Micha­el Mäde Maß­stä­be, die – nicht nur beim Schrei­ben von Gedich­ten – ver­lo­ren­ge­gan­gen sind.

Die Aus­stel­lung »Point of No Return. Wen­de und Umbruch in der ost­deut­schen Kunst« im Leip­zi­ger Muse­um der bil­den­den Kün­ste ist ein Bei­spiel dafür. Im Lift begrü­ßen an der Decke hän­gen­de gro­ße wei­ße Flä­chen mit schwar­zen Kleck­sen den erschrocke­nen Besu­cher. Auch Frank Herr­manns sechs­tei­li­ge Schwarz­weiß­fo­to­gra­fie »ER-Schöp­fung« ver­brei­tet nur Rat­lo­sig­keit und Ver­un­si­che­rung beim Betrach­ter. Ein in ein schwar­zes Tuch gehüll­ter Mensch liegt gekrümmt auf der Erde, ist irgend­ei­nem Schick­sal aus­ge­lie­fert; Kon­kre­tes wird ver­mie­den. In gro­ßen, hal­len­ar­ti­gen Sälen zeigt die Aus­stel­lung 300 Wer­ke von 106 Künst­lern, dar­un­ter mehr als 40, die dem Ken­ner aus gro­ßen Kunst­aus­stel­lun­gen in Dres­den bekannt sind. Wir begeg­nen Arbei­ten von Bern­hard und Johan­nes Hei­sig, Wil­li Sit­te, Huber­tus Gie­be, Die­ter Bock, Ange­la Ham­pel und ande­ren. War­um aber feh­len zahl­rei­che aus­sa­ge­kräf­ti­ge Wer­ke zum The­ma Wen­de zum Bei­spiel von Heid­run Hege­wald, Hein­rich Apel, Rolf Kuhrt, Die­ter Gantz, Paul Michae­lis? Die Aus­stel­lungs­räu­me bie­ten viel Platz. War­um muss sich der Besu­cher den Hals ver­ren­ken, um Sig­hard Gil­les Gemäl­de »Die Fäh­re« – das über einer hohen Tür hängt – zu sehen? Nur weni­ge Wer­ke rin­gen Hoch­ach­tung ab. Zu ihnen gehört die Serie »Über­gangs­ge­sell­schaft« von Doris Zieg­ler; in ihrem Bild »Musi­kan­ten« ste­hen die Akteu­re in einem trost­lo­sen, klei­nen, kah­len Raum mit wenig Licht. Ihre »Passage«-Bilder sind von gro­ßer Aus­sa­ge­kraft. Sie wider­spie­geln über­zeu­gend Pes­si­mis­mus, Schick­sals­er­ge­ben­heit, Exi­stenz­angst und Per­spek­tiv­lo­sig­keit – wie sie in der Wen­de­zeit vie­le Men­schen erfass­te. Doch bei zahl­rei­chen ande­ren Wer­ken ist der Betrach­ter mit sei­ner Weis­heit am Ende, zum Bei­spiel bei Hans-Joa­chim Schul­zes »o. T.«. Wenn die Dar­stel­lung psy­chi­scher Befind­lich­kei­ten zum Ver­fall künst­le­ri­scher For­men führt, herrscht Maßstab­lo­sig­keit. Im Gruß­wort ist zu lesen: »Künst­ler haben zu jeder Zeit Gren­zen erwei­tert und über­schrit­ten.« Das ist rich­tig. Wenn aber der Adres­sat damit aus­ge­schlos­sen wird, kann Kunst kei­ne Bot­schaft mehr ver­mit­teln und macht sich über­flüs­sig. Dass man ost­deut­sche Kunst auch anders prä­sen­tie­ren kann, das zeig­ten Aus­stel­lun­gen in den Muse­en von Hal­le, Schwe­rin und Rostock. In Rostock gibt es eine facet­ten­rei­che Erin­ne­rung an den Palast der Repu­blik, an ein Bau­werk, das man ver­bre­che­risch ver­nich­tet hat, eine nicht wie­der­gut­zu­ma­chen­de Untat.

Trau­er und Ent­täu­schung blei­ben. Micha­el Mäde setzt mit sei­nen Gedich­ten sei­ne Sor­ge um den Men­schen und glas­kla­res Den­ken dage­gen: »Es eilt die Geschichte,/ zu wie­der­ho­len sich/​ als Farce./ Dies schließt/​ – da sei gewarnt –/​ ech­te Tode nicht aus./ Die Deut­schen kauen/​ – mal wie­der –/​ auf den Lehren/​ ihrer Geschich­te herum,/ enttäuscht/​ über den Nähr­wert der Ration.«

Micha­el Mäde: »Das Ende der Wen­de. Tex­te aus der Zwi­schen­zeit«, Edi­ti­on Schwarz­druck, 68 Sei­ten, 11 €. »Point of No Return. Wen­de und Umbruch in der ost­deut­schen Kunst«, Muse­um der bil­den­den Kün­ste Leip­zig, noch geöff­net bis zum 3. Novem­ber 2019