So hat Michael Mäde sein 2018 in der Edition Schwarzdruck erschienenes Gedichtbändchen genannt. In 43 Gedichten setzt er sich wortgewaltig und präzise mit Problemen der Gegenwart auseinander. Angelehnt an einen Gedanken von Peter Hacks prophezeit er unter dem Titel »Das Jahr 25 II« zum Beispiel in freien Rhythmen: »Kein Licht, nirgends./ Wir durchfahren den Tunnel./ Die Katastrophe ist im Gange./ Der Status quo wird Religion./ Veränderung bringt Chaos./ Michel krallt sich an Besitz./ Vergräbt die Zukunft/ Unter Phrasen./ Wer zuckt verliert./ Wir durchfahren den Tunnel./ Im Kreisverkehr.«
Jakob Michael Reinhold Lenz, einer der bedeutenden Dichter des Sturm und Drang, der von Goethe gemieden wurde, ist ein verehrtes Vorbild für Mäde. Zu spüren ist das in seinem Gedicht »Flucht ist Fluch«: »Kein Entrinnen,/ aus dem Schlamm, kein Weg,/ der noch gen Straßburg führt./ Festgehalten/ in deutscher Provinz./ … Weimarer Hintertreppentanz,/ Jenaer Ignoranz./ Trostfreier Zuspruch/ subaltern dargereicht, abgewandten Blicks./ … « In seinen Anmerkungen am Ende des Bändchens findet man Informationen, die solches Verlorensein nachfühlbarer machen. »Ein Morgen in Bautzen«, ein anderes Gedicht, klagt mit wenigen Worten den Terror der Neonazis an: »Trotzig zeigt der Dachstuhl/ seine Narben. Ausgebrannt/ steht die Heimstatt/ für Menschen in Not.« Zugleich findet Mäde in seinem Gedicht »Fieber« sensible Worte für »Nataly«: »Wie ich dich gesucht habe,/ Hetzend über die Hügel/ der Kindheit./ … Und im Grauen/ des Morgens, höre ich, Liebste,/ deinen Atem, regelmäßig/ und ahne/ mein Glück.« Mit solcher Verskunst setzt Michael Mäde Maßstäbe, die – nicht nur beim Schreiben von Gedichten – verlorengegangen sind.
Die Ausstellung »Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst« im Leipziger Museum der bildenden Künste ist ein Beispiel dafür. Im Lift begrüßen an der Decke hängende große weiße Flächen mit schwarzen Klecksen den erschrockenen Besucher. Auch Frank Herrmanns sechsteilige Schwarzweißfotografie »ER-Schöpfung« verbreitet nur Ratlosigkeit und Verunsicherung beim Betrachter. Ein in ein schwarzes Tuch gehüllter Mensch liegt gekrümmt auf der Erde, ist irgendeinem Schicksal ausgeliefert; Konkretes wird vermieden. In großen, hallenartigen Sälen zeigt die Ausstellung 300 Werke von 106 Künstlern, darunter mehr als 40, die dem Kenner aus großen Kunstausstellungen in Dresden bekannt sind. Wir begegnen Arbeiten von Bernhard und Johannes Heisig, Willi Sitte, Hubertus Giebe, Dieter Bock, Angela Hampel und anderen. Warum aber fehlen zahlreiche aussagekräftige Werke zum Thema Wende zum Beispiel von Heidrun Hegewald, Heinrich Apel, Rolf Kuhrt, Dieter Gantz, Paul Michaelis? Die Ausstellungsräume bieten viel Platz. Warum muss sich der Besucher den Hals verrenken, um Sighard Gilles Gemälde »Die Fähre« – das über einer hohen Tür hängt – zu sehen? Nur wenige Werke ringen Hochachtung ab. Zu ihnen gehört die Serie »Übergangsgesellschaft« von Doris Ziegler; in ihrem Bild »Musikanten« stehen die Akteure in einem trostlosen, kleinen, kahlen Raum mit wenig Licht. Ihre »Passage«-Bilder sind von großer Aussagekraft. Sie widerspiegeln überzeugend Pessimismus, Schicksalsergebenheit, Existenzangst und Perspektivlosigkeit – wie sie in der Wendezeit viele Menschen erfasste. Doch bei zahlreichen anderen Werken ist der Betrachter mit seiner Weisheit am Ende, zum Beispiel bei Hans-Joachim Schulzes »o. T.«. Wenn die Darstellung psychischer Befindlichkeiten zum Verfall künstlerischer Formen führt, herrscht Maßstablosigkeit. Im Grußwort ist zu lesen: »Künstler haben zu jeder Zeit Grenzen erweitert und überschritten.« Das ist richtig. Wenn aber der Adressat damit ausgeschlossen wird, kann Kunst keine Botschaft mehr vermitteln und macht sich überflüssig. Dass man ostdeutsche Kunst auch anders präsentieren kann, das zeigten Ausstellungen in den Museen von Halle, Schwerin und Rostock. In Rostock gibt es eine facettenreiche Erinnerung an den Palast der Republik, an ein Bauwerk, das man verbrecherisch vernichtet hat, eine nicht wiedergutzumachende Untat.
Trauer und Enttäuschung bleiben. Michael Mäde setzt mit seinen Gedichten seine Sorge um den Menschen und glasklares Denken dagegen: »Es eilt die Geschichte,/ zu wiederholen sich/ als Farce./ Dies schließt/ – da sei gewarnt –/ echte Tode nicht aus./ Die Deutschen kauen/ – mal wieder –/ auf den Lehren/ ihrer Geschichte herum,/ enttäuscht/ über den Nährwert der Ration.«
Michael Mäde: »Das Ende der Wende. Texte aus der Zwischenzeit«, Edition Schwarzdruck, 68 Seiten, 11 €. »Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst«, Museum der bildenden Künste Leipzig, noch geöffnet bis zum 3. November 2019