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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das doppelte Häschen

Erich Käst­ners Erzäh­lung »Das dop­pel­te Lott­chen« endet für alle Betei­lig­ten glück­lich. Die Geschich­te vom dop­pel­ten Gold­ha­sen nicht. Der eine siegt, der ande­re ver­liert. Wor­um ging es?

Der Traum eines jeden Unter­neh­mers ist es, der Kon­kur­renz zu ent­ge­hen, mag sie auch noch so sehr geprie­sen wer­den von denen, die den Markt anbe­ten als sei er ein Gott. Sie fürch­ten, dem Stär­ke­ren, Gewief­te­ren oder Bru­ta­le­ren zu unter­lie­gen. Wie kann man sich in eine kom­for­ta­ble Posi­ti­on brin­gen? Man muss ver­su­chen, sich von den Pro­du­zen­ten und Anbie­tern glei­cher Pro­duk­te zu unter­schei­den, selbst wenn dies nur gering­fü­gig oder dem Schein nach gelingt. Pro­dukt­dif­fe­ren­zie­rung heißt das Zau­ber­wort. Sie ist letzt­lich auch nur eine Art der Kon­kur­renz. Eine Ware wird in unter­schied­li­chen Qua­li­tä­ten, Aus­füh­run­gen, Ver­sio­nen, Model­len, Grö­ßen, Far­ben und so wei­ter her­ge­stellt. Oft reicht es, dass die Unter­schie­de in der künst­lich von außen erzeug­ten Ein­bil­dung der Ver­brau­cher exi­stie­ren, um die gewoll­ten Käu­fe aus­zu­lö­sen. Der – manch­mal nur ein­ge­bil­de­te – Pro­dukt­un­ter­schied besteht viel­leicht in der Art der Ver­packung, im Kun­den­dienst, im Stand­ort des Unter­neh­mens und der ver­meint­li­chen Her­kunft: Milch aus dem All­gäu, erzeugt von »glück­li­chen« Kühen, Kar­tof­feln vom Bio-Bau­ern neben­an, Schwei­zer Käse und Uhren, fran­zö­si­scher Cognac, Whis­ky aus schot­ti­schen Fäs­sern, Krim­sekt und rus­si­scher Kavi­ar, kuba­ni­sche Zigar­ren – der ein­zi­ge Tabak der Welt, den zu rau­chen sich lohnt, wie mein ver­stor­be­ner Freund Rai­ner Klis sag­te – oder ori­gi­nal Spree­wäl­der Gur­ken aus Hong­kong und kana­di­scher Wild­lachs aus thai­län­di­schen Zuchttümpeln.

Mar­ken­ar­ti­kel besit­zen den Ruf, bes­ser zu sein als ver­gleich­ba­re No-Name-Pro­duk­te. Ihre Qua­li­tät ist jedoch kei­nes­wegs immer höher und der Scha­den, den sie anrich­ten, nicht nied­ri­ger. Pro­dukt­dif­fe­ren­zie­rung und -kon­kur­renz ermög­li­chen Extra­pro­fi­te, wenn die Nach­fra­gen­den über­zeugt sind, dass es sich um ein Gut han­delt, des­sen Eigen­schaf­ten bes­ser sind als die der ande­ren Pro­duk­te. Bekann­te Mar­ken – Mei­ße­ner Por­zel­lan, Coca Cola, Nivea, Levis-Jeans – fei­ne Geschäf­te, net­te Ver­käu­fe­rin­nen, freund­li­cher Kun­den­dienst ermög­li­chen höhe­re Prei­se. Das Kon­zept geht auf, wenn es gelingt, durch mas­si­ve Wer­bung und Bear­bei­tung der Öffent­lich­keit – Public Rela­ti­ons – Kun­den zu fin­den, die von der Ein­zig­ar­tig­keit des ange­bo­te­nen Pro­dukts über­zeugt wer­den kön­nen. Stellt ein Pro­du­zent Zahn­creme mit Küm­mel­ge­schmack her und fin­det genü­gend »Küm­mel-Fans«, die ihm in hün­di­scher Treue in sei­ne Nische fol­gen, ist es ihm geglückt, eine Art »Mono­po­list« zu sein. Er kann eine gewis­se Zeit Extra­pro­fi­te ein­heim­sen. Über­trei­ben darf er dabei nicht. Glaubt er, sei­nen Kun­den zu hohe Prei­se zumu­ten zu kön­nen, muss er damit rech­nen, dass sei­ne »Stamm­kund­schaft« ihn ver­lässt und sich gün­sti­ge­re Kauf­ge­le­gen­hei­ten sucht.

»Mil­lio­nen klei­ner Geschäfts­leu­te arbei­ten fie­ber­haft, um ein klei­nes Stück mono­po­li­sti­scher Extra­pro­fi­te zu erwer­ben. Mil­lio­nen von Kon­kur­ren­ten stren­gen sich genau­so an, ihnen die Zusatz­ge­win­ne wie­der abzu­ja­gen; kei­ner schafft es, sich Zusatz­ge­win­ne lang­fri­stig zu erhal­ten. Jeder kämpft [gegen jeden] in die­ser nim­mer enden wol­len­den Aus­ein­an­der­set­zung […], in der es kei­ne Sie­ger geben kann. Mil­lio­nen von Unter­neh­men pro­du­zie­ren fast nie die wirt­schaft­lich­ste, kosten­gün­stig­ste Men­ge; Mil­li­ar­den­sum­men wer­den beim Ver­brei­ten sinn­lo­ser und nerv­tö­ten­der Wer­be­pa­ro­len ver­schleu­dert«, schrie­ben die ame­ri­ka­ni­schen Öko­no­men Hunt und Sher­man vor Jah­ren. Sie haben noch immer recht. Die Unter­neh­mer leben in dau­ern­der Sor­ge, dass die Kun­den ihre Pro­duk­te ver­wech­seln und die Kon­kur­ren­ten zu ihnen auf­schlie­ßen könn­ten, indem sie Begehr­tes und Erfolg­rei­ches nach­ah­men. Dann wäre das Mono­pol futsch.

Vor eini­ger Zeit warf der Süß­wa­ren­her­stel­ler Lindt & Sprüng­li sei­nem baye­ri­schen Kon­kur­ren­ten, der Con­fi­se­rie Rie­ge­lein, vor, dass des­sen in Gold­fo­lie gewickel­ter Scho­ko­la­den­ha­se zu sehr dem eige­nen Pro­dukt ähn­le. Der Lindt-Gold­ha­se wird seit Beginn der 1950er Jah­re her­ge­stellt und mit einem Mil­lio­nen­auf­wand bewor­ben. Die Rich­ter am Ober­lan­des­ge­richt Frank­furt besa­hen sich die Häs­lein von allen Sei­ten. Sie kamen nach lan­ger, gründ­li­cher Prü­fung zu dem Ergeb­nis, dass kei­ne Ver­wechs­lungs­ge­fahr besteht. Der sit­zen­de Rie­ge­lein-Hase hat eine auf­ge­mal­te bräun­li­che Schlei­fe, sein Gold­ton ist etwas dunk­ler; der Lindt-Gold­ha­se trägt ein rotes Hals­band mit Glöck­chen. Doch Lindt gab sich damit nicht zufrie­den, ver­lang­te, dass der Rie­ge­lein-Oster­ha­se aus den Ver­kaufs­re­ga­len ver­schwin­det. Nun nahm der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) in Karls­ru­he die Hasen unter die Lupe und befand, die Rich­ter in Frank­furt hät­ten nicht hin­rei­chend begrün­det, dass die Streit­ha­sen unver­wech­sel­bar sind. Es ging um viel Geld. Allein der Streit­wert für die Revi­si­on beim BGH war auf 450.000 Euro fest­ge­setzt wor­den. Drei Jah­re spä­ter bestä­tig­ten die ober­sten Rich­ter in Frank­furt nach noch­ma­li­ger stren­ger Betrach­tung der bei­den Häs­chen ihr Urteil. Im April 2013 – recht­zei­tig zum Oster­fest – been­de­ten sie den jah­re­lan­gen Gold­ha­sen­streit in Deutsch­land und lehn­ten zur Freu­de von Rie­ge­lein ein Mono­pol der Fir­ma Lindt ab. Öster­reichs ober­ster Gerichts­hof dage­gen hat­te Lindt & Sprüng­li recht gege­ben. Das öster­rei­chi­sche Fami­li­en­un­ter­neh­men Haus­wirth darf sei­nen gold­ver­pack­ten Hasen wegen Ver­wechs­lungs­ge­fahr mit dem in Öster­reich erst seit 1994 ange­bo­te­nen Lindt-Kol­le­gen nicht mehr ver­kau­fen. Kein Ein­zel­fall: Im Inter­net kur­sie­ren Sei­ten, auf denen Aldi und Lidl vor­ge­wor­fen wird, Scho­ko­la­de, Pra­li­nen, Waf­fel­schnit­ten und ande­re Süß­wa­ren von Mar­ken­her­stel­lern zu kopie­ren. Das Bie­le­fel­der Unter­neh­men Dr. Oet­ker klag­te gegen Aldi Süd und ver­lang­te ein euro­pa­wei­tes Ver­kaufs­ver­bot für des­sen Scho­ko-Vanil­le-Pud­ding »Flecki«, der zu stark dem eige­nen Pro­dukt »Pau­la« ähn­le. Oet­kers Erfolgs­pud­ding »Pau­la« wird mit einer Comic-Kuh mit Son­nen­bril­le ange­bo­ten. »Flecki« wird von Aldi Süd eben­falls mit einer Comic-Kuh ver­se­hen, die statt Son­nen­bril­le Blüm­chen und Kuh­glocke trägt. Bei­de Pro­duk­te bestehen jeweils aus Scho­ko- und Vanil­le­pud­ding. Her­vor­ste­chend­stes Merk­mal bei­der Pro­duk­te sind die Flecken. Das Land­ge­richt Düs­sel­dorf ent­schied sei­ner­zeit zugun­sten von Aldi. Ver­wech­se­lungs­ge­fahr bestehe nicht. Die »Flecki«-Flecken sei­en im Gegen­satz zu den »Paula«-Flecken »ohne auf­stei­gen­de Bewe­gung und ohne Dyna­mik«, befan­den die Rich­ter. Haa­rig geht’s auch im »Pup­pen­krieg« zu: Der US-Spiel­wa­ren­kon­zern MAG-Enter­tain­ment, Her­stel­ler der in den USA belieb­ten »Bratz«-Puppen sowie Groß­ak­tio­när des deut­schen Pup­pen­her­stel­lers Zapf (»Baby Born«), warf der Fir­ma Mat­tel, die die »Barbie«-Puppe her­stellt, Spio­na­ge vor. Der »Barbie«-Hersteller bezich­tig­te umge­kehrt das MAG-Enter­tain­ment, die Idee zu den »Bratz«-Puppen von ihm geklaut zu haben, und ver­klag­te den Her­aus­for­de­rer im welt­wei­ten Markt der Spiel­zeug­pup­pen auf meh­re­re hun­dert Mil­lio­nen Dol­lar. Manch­mal geht es nicht um Qua­li­tät und Lei­stung, son­dern um die Far­be. Zwei Ban­ken sahen jah­re­lang rot. Die Spar­kas­sen und die spa­ni­sche San­tan­der-Bank bekämpf­ten sich sie­ben Jah­re lang. Bei­de bean­spruch­ten die Far­be Rot für sich. Sie ste­he für Füh­rungs­an­spruch, Ent­schlos­sen­heit, Stär­ke und Lei­den­schaft – angeb­lich die Grund­ei­gen­schaf­ten aller Ban­ker. Dafür lohnt es sich zu kämp­fen und auf den Gerich­ten viel Geld aus­zu­ge­ben. Man kann es sich bei den Kre­dit­zin­sen ja zurück­ho­len und bei den Ein­la­gen­zin­sen sparen.