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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Das Ding an sich

Am Kel­ler­ab­gang mei­nes Geburts­hau­ses hing dies Ding. Es war so lang wie zwei Aale, aber abge­wetzt und statt des Kop­fes mit einer Schlau­fe ver­se­hen. Manch­mal habe ich als Kna­be dar­an gefühlt, ehr­furchts­voll oder vol­ler Angst?

Als Name wur­de von mei­nen Eltern ein­ge­führt: »Hun­de­peit­sche«. Zwar dien­ten in aller Regel Koch­löf­fel als Züch­ti­gungs­in­stru­men­te. Die­se waren aber einem hohen Ver­schleiß unter­wor­fen. Auf mit Leder­ho­sen geschütz­ten Hin­tern zer­split­ter­ten sie rei­hen­wei­se. Der Hun­de­peit­sche hät­te man die­ses Schick­sal nicht vor­aus­sa­gen können.

Nie hat­te ich jeman­den sei­nen Hund mit solch einem Ding schla­gen gese­hen. Ich erin­ne­re mich auch nicht, dass es etwa dazu dien­te, die bei­den Hun­de zu bestra­fen, die mich einst gebis­sen hat­ten. Gegen deren Hal­ter gab es kei­ne ent­spre­chen­den Dro­hun­gen sei­tens mei­ner Eltern. Woher kam also das Wort: Hundepeitsche?

Nur ein­mal kam es gegen drei auf­müp­fi­ge Jun­gens zum Ein­satz. Ort und Ursa­che sind mir inzwi­schen verborgen.

Spä­ter – aus der Erb­mas­se geret­tet – konn­te ich fest­stel­len, dass das Ding im Kern aus Metall bestand, mit Leder umman­telt und aus­lau­fend in einem fle­xi­blen Teil. An einem lee­ren Kar­ton woll­te ich die Wir­kung ein­mal aus­pro­bie­ren. Es war beeindruckend.

Als ich nach dem Ursprung frag­te, wur­de mir erklärt, dass der »Opa Him­mel­moor« es einst mit in mein Geburts­haus gebracht hat­te. Er soll im Justiz­voll­zugs­dienst ein­ge­setzt gewe­sen sein. Die Recher­chen erga­ben aber, dass Him­mel­moor mit dem Him­mel gar nichts zu tun hat­te, wohl eher mit einem Lager wie Neu­en­gam­me bei Hamburg.

Besag­ter Groß­va­ter, mit bür­ger­li­chen Namen: Hein­rich R., war tat­säch­lich bei der Poli­zei und hat­te bereits 1922 in den Kämp­fen gegen die Spar­ta­ki­sten in Barm­bek auf der regie­rungs­treu­en Sei­te geschos­sen. Mei­ne Mut­ter wuss­te natür­lich auch lusti­ge­re Geschich­ten von ein­fa­chen Schutz­po­li­zi­sten zu erzäh­len, so die, dass im Gän­ge­vier­tel in Ham­burg so manch ein Poli­zist mit den Inhal­ten von Nacht­töp­fen bedacht wur­de. Der sehr prak­ti­sche Anar­chis­mus war offen­bar kaum in den Griff zu bekom­men. Noch gab es die Wer­be­sprü­che von der Poli­zei als Freund und Hel­fer nicht.

Die Hun­de­peit­sche? Also doch nicht für Hun­de? Son­dern in sei­ner ursprüng­li­chen Zweck­set­zung für Men­schen gedacht? Ich glau­be inzwi­schen, dass eine kri­mi­nal­tech­ni­sche Unter­su­chung Blut sicht­bar gemacht hätte.

Das Ding an sich hängt nun in mei­nem Kel­ler zwi­schen den nicht mehr ins Wohn­zim­mer ver­bring­ba­ren Bücher. Geh ich in mein »Berg­werk«, um alte Tex­te und Bücher zu suchen, fällt mein Blick dar­auf, auf das Ding, des­sen an sich Leder, Metall und eine Hand­schlau­fe sind, damit es beim Schla­gen nicht aus einer schweiß­nas­sen Hand rut­schen kann.

Aber viel­leicht irre ich mich und es war doch nur eine Vor­form des Schlagstockes.

Dies »Ding An-sich« hat hier mit einer phi­lo­so­phi­schen Kon­struk­ti­on natür­lich nichts zu tun, aber bereits eine voll­stän­di­ge Beschrei­bung über Her­kunft, Zweck­set­zung, tat­säch­li­chem Gebrauch ist kaum mehr mög­lich, einer­seits weil Erin­ne­run­gen im Nebel ver­schwim­men und ande­rer­seits, weil die Namens­ge­ber nicht mehr spre­chen können.

Mir selbst ist das Ding in blei­ben­der Erin­ne­rung, weil mein Grund­schul­leh­rer ein rech­ter Hau­de­gen war. Er hat­te sei­nen Zei­ge­stock gern als Züch­ti­gungs­in­stru­ment ver­wen­det, wenig­stens in der Form, auf Hän­de zu schla­gen. Das Wort »Hau­de­gen« hat des­halb einen sehr rea­len Kern. Im Drit­ten Reich hat­te er Grup­pen von Hit­ler­jun­gen »geführt« und anschlie­ßend als evan­ge­li­scher Christ zu Weih­nach­ten die Posau­ne gebla­sen. Er lob­te immer noch sei­nen Gott, weil die von ihm am Her­zen getra­ge­ne Bibel einen Schuss abge­fan­gen hat­te, der ihm das Leben geko­stet hät­te. Sei­ne Gewalt konn­ten die acht­jäh­ri­gen Jun­gen nicht abfan­gen. Eini­ge wur­den so ein­ge­schüch­tert, dass sie sich nicht trau­ten, wäh­rend des Unter­richts die Bit­te um einen Gang zur Toi­let­te zu äußern und statt­des­sen in die eige­ne Hose pin­kel­ten. Sie tru­gen schwer an dem anschlie­ßen­den Spott der anderen.